NATURSCHUTZ heute - Sommer 2021
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.
Öfter mal nasse Füße
von Helge May
Immer noch wird Land trockengelegt, um es "urbar" zu machen. Für die Artenvielfalt ist das verheerend. Die Entwässerung muss gestoppt und umgekehrt werden.
Unzählige Bewohner feuchter Wiesen und Moore leiden unter dem fortschreitenden Verlust ihres Lebensraumes, darunter Braunkehlchen, Brachvogel, Uferschnepfe und Bekassine. So steht es schwarz auf weiß im offiziellen "Bericht zur Lage der Natur in Deutschland". Den traurigen Negativrekord hält in der aktuellen Auswertung der Kiebitz, sein Bestand ist seit 1980 um 93 Prozent eingebrochen.
Kein "kiewitt" mehr? - Einst leiteten die typischen "Kiewitt"-Rufe des Kiebitzes den Frühling ein. Noch vor wenigen Jahrzehnten war der schwarz-weiße Vogel mit seiner auffälligen Federtolle und den imposanten Balzen weit verbreitet. Doch mehr und mehr Feuchtwiesen wurden und werden trockengelegt, die verbliebenen Wiesen immer intensiver genutzt. Dem Kiebitz setzt das schwer zu, bei der heute üblichen frühen Mahd werden viele Nester zerstört oder die Jungen getötet. Sind keine Wiesen mehr da, versuchen Kiebitze auf Äcker auszuweichen. Doch durch den hohen Anteil an Winterfrüchten ist im Frühjahr der Boden oft bereits zu dicht und hoch bewachsen. Und wenn Kiebitze auf Maishen brüten - die bleiben immerhin lange offen -, werden ihre Nester häufig durch die Bodenbearbeitung zerstört.
Überleben auf der Insel - Dabei gibt es erprobte
Möglichkeiten, den Vögeln zu helfen. Die Expert*innen des
Michael-Otto-Institut im NABU (MOIN) haben dazu ein ganzes Handbuch
verfasst. Am liebsten mögen Kiebitze kurzrasiges Grünland,
idealerweise mit schlammigen oder sehr niedrig unter Wasser stehenden
Bereichen. Solche Strukturen können etwa durch die Anlage von Blänken,
die Aufweitung oder den Anstau von Gräben und das Verschließen
einzelner Drainagen gewonnen werden.
Es hilft aber auch bereits, kleinere nasse Senken oder Feuchtflächen
auf Ackerflächen nicht zu bearbeiten. Noch besser sind
"Kiebitzinseln", etwas größere Brachflächen innerhalb eines Ackers,
die von der Bearbeitung ausgenommen werden. Hier finden die Altvögel
günstige Brutmöglichkeiten, die Nester sind geschützt und auch die
Jungvögel haben genügend Nahrung und Deckung.
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Auszug aus dem NABU-Kompass 2030
Flüsse, Bäche und Auen
"Gesunde Fließgewässer mit ihren Auen und den sie begleitenden
Grundwasserkörpern halten das Wasser besser in der Landschaft und
speichern dieses bei Starkregen. In Trockenzeiten wird das
gespeicherte Wasser über einen längeren Zeitraum wieder an die
Umgebung abgegeben. Dies gewährleistet die Wasserversorgung für
angrenzende Wälder und landwirtschaftliche Flächen. Darüber hinaus
bilden diese Fließgewässer die zentralen Achsen eines landesweiten
Netzes von Lebensräumen für Tiere und Pflanzen.
Seit vielen Jahrzehnten befinden sich die hiesigen Flüsse und Bäche in
einem schlechten ökologischen Gesamtzustand. Auen sind in ihrem
Flächenausmaß dramatisch zurückgegangen. Die Belastung mit Siedlungs-
und Industrieabwässern sank zwar dank funktionierender Klärtechnik,
aber die Nährstoff- und Pestizideinträge aus der Landwirtschaft nahmen
zu. Mit Mikroplastik und weiteren synthetischen Polymeren
sind neue Störungen hinzugekommen. Begradigungen und
befestigte Böschungen taten ein Übriges und haben aus vielen
hochdynamischen Lebensräumen reine Entwässerungskanäle werden lassen.
Querbauwerke wie Wehre oder Staustufen unterbrechen die
Durchgängigkeit für Wasserlebewesen.
Rund 90 Prozent der Oberflächengewässer Deutschlands
befinden sich nach wie vor nicht im angestrebten 'guten ökologischen
Zustand'. Die spürbaren Klimaveränderungen, die mal zu Dürren, mal zu
sintflutartigem Starkregen führen, erhöhen den dringlichen Handlungs-
und Veränderungsbedarf zusätzlich.
Ziel des NABU ist, dass der 'gute ökologische Zustand' keine Utopie
bleibt, sondern im nächsten Jahrzehnt spürbare Realität wird. Dazu
müssen Fließgewässer über Gewässerentwicklungsstreifen den Raum für
mehr Dynamik erhalten. Der NABU treibt die Renaturierung von
Fließgewässern voran."
Es liegt in der Hand von uns Menschen, wie wir mit der Erde umgehen.
In seinem " Kompass 2030" zeigt der NABU auf, wie sich der Verband den
Weg in eine Zukunft vorstellt, in der die Klimakrise und der rasante
Verlust an Biodiversität gestoppt sein werden. Der NABU-Kompass 2030
beschreibt die Richtung und gibt Orientierung. Zugleich ist er ein
lebendiges Diskussionspapier. Den NABU-Kompass gibt es unter
www.NABU.de/Kompass und als kostenlose Broschüre im NABU-Shop.
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Geld umlenken - Wenn es gelänge, die Förderinstrumente und das
Gebietsmanagement optimal aufeinander abzustimmen, so das MOIN, würden
für den Kiebitzschutz 10 bis 20 Millionen Euro pro Jahr benötigt. Das
käme natürlich noch weiteren Arten zugute. Aber schon diese gezielten
Maßnahmen sind nicht aus der sprichwörtlichen Portokasse zu bezahlen.
Hier ist ein deutliches Umlenken von Geldflüssen innerhalb der
Agrarförderung nötig.
Naturschutz sei doch meistens Kleinkram, der Naturzerstörung dagegen
könne man "eine geniale Großzügigkeit" nicht absprechen, meinte der
Schriftsteller Hermann Löns vor hundert Jahren sarkastisch. Inzwischen
beginnt der Naturschutz zwar aufzuholen. Aber die Verhältnisse sind
immer noch ungleich, wie der erweiterte Blick auf unsere Landschaften
zeigt.
Immer noch gilt "einen Sumpf trockenlegen" im wörtlichen wie im übertragenen Sinne als gute Sache.
Normierte Landschaft - Vor allem in den Flussniederungen und in den eiszeitlich geprägten Moorlandschaften hat der Mensch jahrhundertelang gegen ein Übermaß an Wasser gekämpft. Wasser abzuleiten bedeutete Urbarmachung von Land, weniger Hunger und wachsenden Wohlstand. Mit dem Einsatz von Maschinen gelang es schließlich, Böden und Landschaften immer mehr zu normieren. Und auch wenn die Flurbereinigung heute etwas freundlicher Flurneuordnung heißt, ist die Haltung in vielen Köpfen gleich geblieben. Einen "Sumpf trockenzulegen" gilt im wörtlichen wie im übertragenen Sinne als gute Sache. Nicht zu feucht und nicht zu trocken, strukturarm und nährstoffreich: Für die Artenvielfalt sind die Normlandschaften verheerend. Nun kommt der Klimawandel als neuer großer Störfaktor. Dessen Auswirkungen sind so groß, dass darin gleichzeitig eine Chance zum Umdenken liegt.
Vor der Revolution? - Im seenreichen, aber sandigen Brandenburg haben sich die letzten Trockenjahre besonders bemerkbar gemacht. "In 1,80 Meter Tiefe, wo die meisten Bäume wurzeln, ist der Boden inzwischen knochentrocken. Wir haben nicht nur abgängige Einzelbäume, sondern ganze abgängige Waldstücke", schildert Landesumweltminister Axel Vogel gegenüber dem rbb. "Wir merken, dass wir uns nicht nur kleinräumig bewegen können, wir müssen das gesamte Land betrachten. Ich glaube, es haben inzwischen alle begriffen, dass sich etwas ändern muss. Wir stehen in einer vorrevolutionären Situation."
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Land der Möglichkeiten
Ob Moore, Flussauen, Wälder oder Grünland: intakte Ökosysteme
bieten Lebensräume für viele Arten, können langfristig Kohlenstoff
binden und Extremwetterereignisse wie Dürren oder Hochwasser
abmildern. Auf mehr als 20 Prozent Bundesfläche - verteilt in ganz
Deutschland - ist eine Aufwertung möglich und sinnvoll, über die
Hälfte davon sind Wälder. Das hat eine Studie im Auftrag des NABU
ergeben.
Eine grundsätzlich gute Eignung zur Renaturierung besteht
demnach auf rund 370.000 Hektar in Auen größerer Flüsse - 1 Prozent
der Landfläche Deutschlands -, 930.000 Hektar Moorböden
(2,6 Prozent) sowie auf 2,5 Millionen Hektar Grünland (6,9 Prozent)
und 4 Millionen Hektar Wald (11,1 Prozent).
Natur wiederherstellen - Das ist ein enormer Hebel, um
Klimakrise und Artensterben gemeinsam zu adressieren, stellt
NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger fest: "Die künftige Bundesregierung
sollte die Wiederherstellung der Natur zur Priorität machen - nicht
nur wegen der angekündigten verbindlichen EU-Renaturierungsziele. Es
gilt jetzt zügig einen Renaturierungsplan zu entwickeln, ihn ab dem
nächsten Jahr mit ausreichender Finanzierung zu hinterlegen und
umzusetzen. Mindestens 15 Prozent der Landes- und Meeresfläche müssen
für Renaturierungsprojekte vorgesehen werden. Mit der Studie liegt nun
auch ein erster Vorschlag für eine mögliche Auswahl von besonders
geeigneten Flächen auf dem Tisch. Die Renaturierungsmethoden an sich
sind bekannt. Notwendig ist vor allem der Wille der Politik und
Behörden."
Aus Sicht der Artenvielfalt kommt der Wiederherstellung von
artenreichem Grünland eine herausragende Rolle zu. Bei Mooren und
Flussauen lässt sich schon auf relativ kleinen Flächen viel für
Biodiversität und Klima bewirken. Wichtig ist, die wiederhergestellten
Lebensräume dauerhaft zu sichern und die Fortschritte über ein
begleitendes Monitoring zu erfassen.
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Mit öffentlichen Flächen beginnen - sowohl die künftigen EU-Renaturierungsziele als auch die vom Bundesverfassungsgericht eingeforderten höheren Klimaschutzziele nehmen Bund und Länder in die Pflicht, sich rasch mit dem Thema zu befassen. Die in der Studie identifizierten Potenzialräume können als Entscheidungshilfe zur Flächenauswahl genutzt und weiter konkretisiert werden. Der NABU empfiehlt, in einem nächsten Schritt zu analysieren, wie viele der besonders geeigneten Flächen bereits in staatlicher Hand liegen. Hier könnte vergleichsweise schnell mit der Umsetzung von Maßnahmen begonnen werden.
Amphibien auf dem Trockenen - Brandenburgs Stillgewässer sind fast alle grundwassergespeist. Sinkt das Grundwasser, folgt Trockenheit. "Ohnmächtig sehen wir zu, wie die Amphibien in unserer Region aussterben - und nicht nur die, beispielsweise fehlen auch den Kranichen die Brutplätze", beklagt Thorsten Schönbrodt vom NABU Müncheberg im Kreis Märkisch Oderland. Besserung ist nicht in Sicht. Bei Begehungen waren dieses Jahr bereits Ende März von 446 Söllen und anderen Kleingewässern 317 ausgetrocknet. Auch in anderen Regionen sieht es für die Lurche nicht gut aus. "Im Vergleich zu Brandenburg haben wir an der Elbe zwar den Vorteil, dass der Fluss auch mal Niederschläge von woanders mitbringt und zumindest die auennahen Gewässer wieder auffüllt", bilanziert Amphibienexperte Christian Fischer für das nordöstliche Niedersachsen. "Dies passiert aber auch nur unregelmäßig und in den letzten Jahren eher zu schwach. Es hat wohl fast alle Amphibienarten hart getroffen, ganz besonders die Gras- und Moorfrösche."
Halten statt loswerden - "Brandenburg weist seit Jahren eine negative Bilanz bei der Grundwasserneubildung auf", betont der NABU-Landesvorsitzende Friedhelm Schmitz-Jersch. Es werde immer wichtiger, Wasserüberschüsse gezielt zurückzuhalten, um einerseits Hochwasserspitzen zu puffern und andererseits die Wasserversorgung sicherzustellen. Hauptaufgabe bleibt die konsequente Abreduzierung und bessere Wasserspeicherung. Dazu fordert der NABU Brandenburg unter anderem ein Moratorium bei der Genehmigung neuer Beregnungsanlagen, Förderprogramme zur Wiedervernässung und vollständigen hydrologischen Wiederherstellung von Moorflächen sowie den Rückbau von Gräben insbesondere in Wäldern.
Auf dem Weg der Besserung? - Das Verständnis für die Probleme wächst, vielerorts geloben Politik und Verwaltung Besserung. Bis zur Umsetzung ist es ein beschwerlicher Weg. Das zeigt beispielhaft eine Analyse der bereits 2013 verabschiedeten Biodiversitätsstrategie des Landes Hessen. Daraus folgend wurde das Programm "100 wilde Bäche" gestartet, bei dem Kommunen vom Land stark unterstützt werden. Auch wurde den Kommunen im Wassergesetz ein Vorkaufsrecht für Uferflächen eingeräumt. Ein Förderprogramm ziert Flächenkäufe und Renaturierungen mit bis zu 95 Prozent. Dennoch gibt es weiter große Defizite. Die chemische Verschmutzung der Gewässer hat sogar eher zu- als abgenommen, stellt der NABU Hessen fest, und das Grundwasser wird immer stärker belastet. Bei nur elf Prozent der Fließgewässer ist ein "guter ökologischer Zustand" erreicht, 65 Prozent sind in ihrer Struktur stark bis vollständig verändert.
In der Pflicht - Einen Grund sieht der NABU im verbreiteten Freiwilligkeitsprinzip, obwohl es unter anderem gilt, europarechtliche Verpflichtungen zu erfüllen. In den Worten der EU-Kommission: "Nahezu alle Bewirtschaftungspläne sehen ein Minimum von Maßnahmen vor, die jedoch oft zu allgemein sind, keine Schwerpunkte setzen und in keinerlei direktem Zusammenhang zu den bestehenden Belastungen oder erwarteten Auswirkungen stehen." Das ist deutlich.
In diesem Themenheft "Wasser" lassen sich nur exemplarisch Lebensräume, Arten und NABU-Projekte vorstellen. Einen Überblick mit zahlreichen weiterführenden Inhalten gibt es unter www.NABU.de/Wasservielfalt.
Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten
Abbildungen der Originalpublikation:
- Wasseramsel
Der Seerose geht es noch vergleichsweise gut. Kiebitz und
Kuckuckslichtnelke sind dagegen auf dem Rückzug.
- Thülsfelder Talsperre
- Sumpfschrecken benötigen durchgängig feuchte Böden für die
Entwicklung ihrer empfindlichen Eier. Bergmolche und Sumpfschildkröten
leben zeitweise direkt im Wasser.
*
Quelle:
Naturschutz heute - Sommer 2021, Seite 8-12
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
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E-Mail: Naturschutz.heute@NABU.de
Internet: www.naturschutz-heute.de
Herausgeber: NABU, 10108 Berlin
Tel.: 030/284984-0, Fax: 030/284984-2000
E-Mail: NABU@NABU.de
Internet: www.NABU.de
"Naturschutz heute" ist das Mitgliedermagazin
des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) e.V.
und erscheint vierteljährlich. Für Mitglieder
ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 7. Dezember 2021
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