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INTERNATIONAL/326: Skandal-Prozess im Vatikan wegen zweifelhafter Immobiliengeschäfte auf Oktober verschoben (Gerhard Feldbauer)


Skandal-Prozess im Vatikan eröffnet und auf Oktober verschoben

Der Kirchenstaat betrieb zweifelhafte Immobiliengeschäfte und wurde dabei über den Tisch gezogen

von Gerhard Feldbauer, 30. Juli 2021


Im Vatikan ist am Dienstag ein Skandal-Prozess ohnegleichen eröffnet worden. Es geht um zweifelhafte Immobilien-Geschäfte in Höhe von Hunderten Millionen Euro, bei denen der Kirchenstaat sich bereichern wollte, aber von gewieften Gaunern über den Tisch gezogen wurde. Mit dem prominenten Kardinal Giovanni Angelo Becciu, der bei dem dubiösen Unternehmen Regie führte, steht erstmals ein Kirchenoberer dieses Ranges vor einem vatikanischen Gericht. Mit ihm sitzt auch das vatikanische Staatssekretariat selbst auf der Anklagebank. Zur Kuriosität gehört, dass das Staatssekretariat gleichzeitig als Nebenkläger auftritt, darunter Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, der sich als Geschädigter sieht.

Becciu war bis Ende Juni 2018 "Substitut für die Allgemeinen Angelegenheiten des Staatssekretariats". Dieses Amt gleicht in seiner Machtfülle dem deutschen Kanzleramt, was Becciu zu einem der mächtigsten Männer im Vatikan, zur Nummer drei in der Hierarchie des Kurienstaates, machte. Am 31. August 2018 wurde er Präfekt der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse. Im September 2020 trat er von allen Ämtern zurück.

Ihm werden Veruntreuung, Geldwäsche, Betrug, Amtsmissbrauch und weitere Delikte vorgeworfen. Während sich die meisten Angeklagten durch ihre Anwälte vertreten ließen, erschien Becciu persönlich vor Gericht, und mit ihm sein ebenfalls angeklagter ehemaliger Privatsekretär Mauro Carlino. "Der Kardinal ist überzeugt, seine Unschuld beweisen zu können", sagte sein Anwalt Fabio Viglione. Gleichzeitig teilte Becciu mit, er werde gegen den früheren Mitarbeiter des Staatssekretariats Monsignor Alberto Perlasca und die ehemalige Beraterin im Vatikan Francesca Immacolata Chaouqui, eine Italo-Marokkanerin, wegen schwerwiegender und völlig falscher Aussagen während der Ermittlungen Anzeige erstatten.

Mit Becciu sind insgesamt zehn Personen aus Kirchen- und Laienämtern des Staatssekretariats sowie hochrangige Mitarbeiter der vatikanischen Finanzinformationsbehörde angeklagt, unter ihnen der inzwischen entlassene Direktor der vatikanischen Finanzaufsicht, Tommaso Di Ruzza. Aus der internationalen Finanzwelt gehört der römische Broker Enrico Crasso mit seinen Finanzmaklern Raffaele Mincione und Gianluigi Torzi dazu. Die Untersuchungen erstreckten sich bis in die Vereinigten Arabischen Emirate, nach Großbritannien, Jersey, Luxemburg, Slowenien und in die Schweiz.

Zu den Angeklagten gehört auch der frühere Präsident der Vatikanischen Finanzinformationsbehörde, René Brülhart aus der Schweiz. Auch er beteuerte seine Unschuld, er habe seine Aufgaben immer korrekt erfüllt. Auch der Investmentbanker Gianluigi Torzi, der im April per Haftbefehl festgenommen wurde, sitzt auf der Anklagebank. Ihm wird Geldwäsche und das Ausstellen von Rechnungen für fiktive Finanzgeschäfte vorgeworfen.

Den Vorsitz des dreiköpfigen Gerichts führt Giuseppe Pignatone an, der zu den angesehensten italienischen Staatsanwälten zählte. Er ist ein bekannter Mafia-Verfolger, erst auf Sizilien, dann zuletzt in Rom, wo er die Operation "Mafia Capitale" leitete. Papst Franziskus hatte ihn 2019 zum Präsidenten des vatikanischen Gerichts ernannt. Das Tribunal tagte in einem behelfsmäßigen Gerichtssaal, der für den Prozess in den Vatikanischen Museen eingerichtet wurde.

In dem Verfahren geht es um insgesamt mindestens 350 Millionen Euro, die der Vatikan 2018/19 in eine Luxusimmobilie im Londoner Stadtteil Chelsea investierte und dabei Millionen Verluste einfuhr. Publik wurde, dass es zu den Finanzpraktiken des Vatikans gehört, Immobilien zu erwerben und mit Gewinn wieder zu verkaufen. Das diene dem Erwirtschaften seiner Einnahmen, hieß es. Im vorliegenden Fall kaufte die Kurie ein Geschäftshaus in der 60 Sloane Avenue in London und zahlte dafür einen unangemessen hohen Preis, weil nicht erkannt wurde, dass der bereits erwähnte Investmentbanker Torzi eine hoch über dem Wert liegende Kalkulation vorgelegt hatte. Obendrein verheimlichte er, dass er selbst vertragliche Anteile mit Stimmrechten hielt. Da die Anteile des Vatikans keine enthielten, hatte der Kirchenstaat keine Kontrolle über die Immobilie. Wie das Medienportal Vatican News enthüllte, verlangte Torzi für die Überlassung der Anteile 23 Millionen Euro. Nach langem Feilschen bezahlte der Vatikan schließlich 15 Millionen Euro.

Für den Kauf der Immobilie sollen auch Spendengelder aus dem Peterspfennig, einer jährlichen Kollekte, die die katholischen Gläubigen weltweit erbringen, verwendet worden sein. Die Ermittlungen deckten laut Vatican News ein Netz zweifelhafter Machenschaften auf. An dem Deal Beteiligte hätten auch "in die eigene Tasche" gewirtschaftet.

Auf Antrag der Anwälte der Angeklagten ist der Prozess am ersten Verhandlungstag nach achtstündigen Beratungen auf den 5. Oktober verschoben worden. Dazu wurden Formfehler, fehlende Dokumente und mangelnde Vorbereitungszeit angeführt. Der Vorsitzende Richter, Giuseppe Pignatone, beauftragte den leitenden Staatsanwalt als Vertreter der Anklage, den Anwälten der Verteidigung bis zu diesem Zeitpunkt weitere Beweisstücke und die fehlenden Dokumente zur Verfügung zu stellen, unter anderem ein Video mit der Vernehmung des ehemaligen Verwaltungschefs im Staatssekretariat, Monsignor Alberto Perlasca, der zwar bei allen Finanzoperationen die Finger im Spiel hatte, jetzt aber dem leitenden Staatsanwalt des Vatikans als Kronzeuge dient.

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Quelle:
© 2021 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 3. August 2021

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