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RAUB/1248: Sourcen, Gier und Widerstand ... (SB)



Wir haben von Anfang an gesagt, dass das Hauptproblem nicht der Zug selbst ist, sondern das, was damit einhergeht.
Pedro Uc (Maya-Aktivist und Schriftsteller aus Buctzotz, Yucatán) [1]

Die Kriegsmaschinen von Herrschaftssicherung und Kapital brechen sich weltweit Bahn, um die beiden Quellen sogenannter Wertschöpfung in Gestalt der Ausplünderung natürlicher Sourcen und der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft um den Preis maximaler Zerstörung und alles durchdringender Verfügung auszusaugen. Dass dieses Schaffen eskalierenden Unwerts im Zeichen von Wachstum und Fortschritt die menschheitsgeschichtliche Entwicklung mit exponentieller Geschwindigkeit in Krisen bis hin zur Vernichtung der eigenen Lebensvoraussetzungen durch die Klimakatastrophe treibt, erhebt die Durchsetzung eines fundamentalen gesellschaftlichen und ökologischen Gegenentwurfs in den Rang der einzig verbliebenen Handlungsmacht, unserer Spezies womöglich noch eine Zukunft zu erstreiten, die diesen Namen verdient. Ein grüner Kapitalismus reicht da nicht hin, absorbiert er doch geradezu an entscheidender Wegmarke die verbliebenen Potentiale des Widerstands, um sie einzuhegen, zu befrieden und in den Brand einzuspeisen. Dabei hausiert er mit versöhnlichen Perspektiven einer "Menschheit", indem er deren innere Widerspruchslagen ausblendet, um sie zu eigenen Gunsten fortzuschreiben.

Wo also von Großprojekten der Infrastruktur die Rede ist, die vorgeben, rückständige Regionen zu erschließen, Einkünfte der ansässigen Bevölkerung zu generieren und Wohlstand für alle zu schaffen, drängt sich zu allererst die Frage auf, was und wer dafür über die Klinge springen soll, um welchen Profiteuren zu dienen. Das gilt prinzipiell auch für die Eisenbahn, deren Geschichte einer Landnahme im Zuge kolonialer Eroberung und imperialistischer Kriegsführung Legende ist. Steht die Lokomotive als Symbol für die Industrialisierung und damit die Generalisierung der kapitalistischen Produktionsweise, so schufen die unter mörderischen Bedingungen vorangetriebenen Schienenwege jene Bahnen, entlang derer technologischer Fortschritt und Modernisierung den Raub auf eine höhere Stufe katapultierten.

Mobilität erweist sich entgegen den damit assoziierten wachsenden Freiheitsgraden mithin als Instrument der Okkupation, Verwertung und Drangsalierung oder aber Nötigung all jener, deren Besitz sich auf die eigene Arbeitskraft beschränkt, welche sie pendelnd zu Markte tragen müssen. Und selbst die Reisefreiheit ist ein Lehen, das unter Umständen entzogen und insbesondere an die nationale Zugehörigkeit gekoppelt wird, so dass die global Leidtragenden der hiesigen Wirtschaftsweise ausgesperrt bleiben. Wenngleich die Eisenbahn verglichen mit Luftverkehr und Automobilismus durchaus eine weniger schädliche Form des Transports und insofern zu favorisieren ist, heißt das doch nicht, sie per se und unter allen Umständen als Errungenschaft gutzuheißen. Insoweit sie dazu dient, Profite zu generieren, gewinnt sie diese aus der Substanz von Mensch und Natur. Das gilt auch für die Mayabahn (Tren Maya), deren Bau gegenwärtig im Südosten Mexikos vorangetrieben wird.


Tren Maya - Megaprojekt bahnbrechender Infrastruktur

Tren Maya ist ein im wörtlichen wie übertragenen Sinn bahnbrechendes Infrastrukturprojekt, welches an den Stätten der namensgebenden Maya entlang eine 1.525 Kilometer lange Strecke von Palenque bis Cancún umfassen wird und damit die Bundesstaaten Chiapas, Tabasco, Campeche, Yucatan und Quintana Roo verbindet. Seine Kosten wurden ursprünglich auf mehr als 6 Milliarden Euro beziffert, wobei wie bei allen derartigen Großprojekten mit einer immensen Steigerung zu rechnen ist. Schon jetzt gehen Schätzungen von nahezu 10 Milliarden Dollar aus, Tendenz steigend. Tren Maya wird vom Ausbau einer parallel geführten Autobahn begleitet. Zu 60 Prozent sollen bestehende Bahnstrecken für den Personenverkehr reaktiviert werden, während es sich bei den verbleibenden 40 Prozent um Neubaustrecken handelt. Neben dem Güterverkehr sollen ab 2023 pro Jahr rund drei Millionen Menschen zu 15 Orten transportiert werden und nach Vorstellung der mexikanischen Regierung insbesondere den Ökotourismus fördern.

Die für eine Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h ausgelegte Trasse soll in Palenque in Chiapas beginnen, dann über Tenosique in Tabasco zum Bundesstaat Campeche nach Escárcega verlaufen. Von dort führen dem Vorhaben nach zwei Strecken bis zum Touristenort Cancún in Quintana Roo. Die westliche Route führt über die Stadt Campeche sowie über die in Yucatán liegenden Stationen Maxcanú, Mérida, Izamal, Chichén Itzá und Valladolid, der östliche Streckenast soll entlang der Maya-Plätze Calakmul, Xpuhil (Becán, Chicanná) führen und die Städte Bacalar, C. Puerto, Tulum, Playa del Carmen und Puerto Morelos anbinden.

Auf der offiziellen Website präsentiert sich der Tren Maya als "integriertes Projekt für territoriale Neugestaltung, Infrastruktur, Wachstum und nachhaltigen Tourismus". Entlang der Strecke sollen neue Städte gebaut werden, so dass der Massentourismus Einzug in die bislang ländlichen und indigenen Gemeinden halten kann. Geplant sind insgesamt 30 Stationen, 19 davon richtige Bahnhöfe, sowie die Durchfahrt durch 112 Kommunen. An den neuen urbanen Zentren rund um die Bahnhöfe sind Wohnsiedlungen, Hotels und Shoppingmalls geplant, was zwangsläufig zu einer Vertreibung bäuerlicher Landbesitzer und einer weitreichenden Zerstörung der bisherigen Lebensweise führen würde.

Calakmul ist eine kleine Gemeinde im gleichnamigen Biosphärenreservat und zugleich der Name einer eindrucksvollen archäologischen Fundstätte. Vor ihrer späten offiziellen Anerkennung durch die mexikanische Regierung 1994 wurde sie ein ganzes Jahrhundert lang geplündert. Obwohl immer noch relativ schwer erreichbar, sind ihre über 90 Meter hohen Pyramiden eine touristische Attraktion. Wenn die südliche Bahnstrecke erst einmal fertiggestellt ist, werden vermutlich täglich Tausende Urlauber anreisen. Wie es in einem Bericht heißt, werde die neue Stadt Calakmul 50.000 Menschen ein Zuhause bieten und 3 Millionen Touristen pro Jahr beherbergen. Dabei lag 2015 die gesamte Einwohnerzahl der mehr als 80 agrarischen Gemeinden des Biosphärenreservats Calakmul lediglich bei 28.000, wobei in der größten Gemeinde ungefähr 4000 Menschen lebten.

Sollen also die Fehler von Cancún wiederholt werden? Diese Stadt wurde ab 1969 als Touristenort mit All-inclusive-Hotels aus dem Boden gestampft und bot zahllosen zahlungskräftigen Gästen paradiesische Nachmittage an weißen Sandstränden und Partys auf der Hauptstraße. Doch für viele Menschen aus den kleineren Städten und Gemeinden rund um Cancún steht der Name für Ungleichheit, Ausbeutung, Umweltkollaps wie auch angesichts der zunehmenden Militarisierung des Drogenhandels für staatliche und paramilitärische Gewalt. 2019 verzeichnete Cancún durchschnittlich einen Mord pro Tag, allein im Januar 2020 wurden mehr als 50 Menschen umgebracht.

Heute hat Cancún mehr als 600.000 Einwohner und über 100.000 Hotelzimmer. 2019 kamen gut 13 Millionen Gäste mit dem Flugzeug, weitere 7 Millionen waren Kreuzfahrtreisende. Die Pandemie hat das stete Wachstum der Tourismusbranche zunächst gebremst: Am 1. April wurden die Strände von Cancún gesperrt, seit Juni werden sie nach und nach wieder geöffnet. Die Riviera Maya, die sich von Cancún über Playa del Carmen bis Tulum zieht, war bislang eine Goldgrube für Hotelunternehmen und für die mexikanische Regierung, die am liebsten auch Yucatán mit Touristendollars beglücken würde. Sie hofft, dass die Urlauber, wenn sie irgendwann wieder in Scharen nach Cancún kommen, den Tren Maya nutzen werden, um Städte aus der Kolonialzeit, archäologische Stätten und Naturschutzgebiete zu besuchen.


Präsident des Klassenkompromisses

Der Tren Maya ist das Prestigeprojekt des mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador (AMLO), der am 1. Dezember 2018 seine sechsjährige Amtszeit angetreten hat. Dass sein Jahrzehnte währendes Ringen um den Einzug ins höchste Staatsamt am Ende doch noch von Erfolg gekrönt war, verdankte sich einer Konvergenz verschiedener Kräfte, darunter auch diverse linke Gruppen und Organisationen. Andererseits stimmten erhebliche Teile der Wählerschaft nicht so sehr für sein Regierungsprojekt als vielmehr gegen den neoliberalen Status quo und die traditionellen Parteien. Ungeachtet dieses manifesten Wunsches nach Veränderung betrieb die Regierung López Obrador von Beginn an eine Politik des Klassenkompromisses und integrierte neben einigen linken und sozialen Kräften auch große Teile der alten Oligarchie, des transnationalen Unternehmertums, der ultrakonservativen und neofaschistischen Rechten sowie christlich-evangelikaler Gruppen in das Regierungsprojekt. Zudem ging der neue Präsident entgegen seinen Versprechen im Wahlkampf eine enge Allianz mit den Streitkräften ein, die seither zu einem integralen Fundament seiner Politik wurden. Wenngleich sich López Obrador nach wie vor beträchtlicher Zustimmung in der Bevölkerung erfreut, die ihm mehrheitlich ins Amt geholfen hat, erfüllt sein Regierungshandeln keineswegs die Forderung nach einer tiefgreifenden Veränderung. Mögen ihm auch zaghafte Versuche der Demokratisierung nicht abzusprechen sein, so bleibt doch das neoliberale Fundament unangetastet.

Auch nach drei Jahren im Amt ist es AMLO nicht gelungen, den seit 2006 herrschenden "Krieg gegen die Drogen" zu vermindern und die Gewalt von Kartellen und Sicherheitskräften einzudämmen. Mexiko ist Kriegsgebiet, inzwischen gelten 90.000 Menschen als "verschwunden", Hunderttausende wurden vertrieben. Besonders erschreckend ist die Zahl der Femizide, jeden Tag werden in Mexiko zehn Frauen ermordet. Zudem schreitet die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen unvermindert voran und immer mehr fliehende Menschen durchqueren das Land auf dem Weg nach Norden.

Das mexikanische Militär ist schon seit den 1960er Jahren der zentrale Akteur im Kampf gegen aufständische linke Bewegungen, obgleich der Einsatz im Landesinneren nie mit der Verfassung vereinbar war. Seit 2006 werden Soldaten im Kampf gegen das organisierte Verbrechen eingesetzt und heute spielen die Streitkräfte eine Schlüsselrolle in der Strategie des Präsidenten. Im März 2019 wurde eine Nationalgarde geschaffen, die seither als paramilitärische Polizei fungiert. Sie wurde zunächst gegen die Drogenkartelle eingesetzt, ist aber längst auch für die Bekämpfung sozialer Bewegungen und die Abwehr von Migranten an der mexikanischen Südgrenze zuständig.

Während sich einige linke Kräfte dem Projekt von López Obrador anschlossen, setzten andere auf einen radikaleren, unabhängigen Kurs. Allen voran die Bewegung um die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) und die anderen indigenen Bewegungen, die sich im Nationalen Indigenen Kongress (CNI) organisieren. Schon im Wahlkampf setzten diese Gruppen in Zusammenarbeit mit vielen anderen Organisationen und Bewegungen auf die unabhängige Kampagne der indigenen Präsidentschaftskandidatin María de Jesús Patricio Martínez, besser bekannt als "Marichuy". Dabei ging es nie darum, tatsächlich an die Macht im Staat zu gelangen. Vielmehr wurde die Kampagne als Organisierungs- und Vernetzungsversuch genutzt, bei dem viele linke Akteure miteinander in Kontakt kamen. Zudem haben andere Gruppen an Kraft gewonnen, etwa die feministische Bewegung oder die Organisierung der Angehörigen von "Verschwundenen" und weiteren Opfern der Gewalt im Land. Hinzu kommt in letzter Zeit die anwachsende Solidarität mit den geflohenen Menschen. [2]


Zapatistas auf Reisen

Die Zapatistas sind die größte antikapitalistische Kraft in Mexiko, und schon seit ihrer Erhebung im Jahr 1994 verfolgen die wechselnden Regierungen eine Politik der Aufstandsbekämpfung mit verschiedenen Mitteln. Nun hat sich die Lage deutlich verschärft, da López Obrador vermehrt auf infrastrukturelle Megaprojekte im Süden des Landes setzt, die gravierende Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung haben werden. Hinzu kommt, dass die organisierte Kriminalität, die ihre Zentren früher eher im Norden des Landes hatte, nun im Süden aktiver wird, wo sie sich häufig mit bereits existierenden paramilitärischen Strukturen verbündet. Das alles bringt das zapatistische Projekt in existentielle Gefahr, das weit mehr als eine militärische Struktur ist. In den letzten Jahrzehnten haben die Zapatistas eine selbstorganisierte, autonome Regierungsform geschaffen, die nun akut bedroht ist.

In symbolischer Umkehrung der Kolonisierung durch europäische Mächte machten sich im Sommer Delegationen der Zapatistas auf den Weg nach Europa, um sich mit linken Basisgruppen auszutauschen. Es ging um das gemeinsame Anliegen, eine Alternative zum Kapitalismus zu entwickeln und insbesondere gegen den Neoliberalismus in der heute herrschenden Form vorzugehen. Die Frauenbewegung spielt dabei eine sehr wichtige Rolle, es geht um die Einbeziehung ausgeschlossener Gruppen wie auch den Schutz der Natur, kurz um die Organisierung eines anderen Lebens. Zunächst reiste eine Vorhut von sieben Personen mit einem Segelschiff nach Spanien, wo sie am 13. August, dem 500. Jahrestag der Eroberung Tenochtitlans durch die Spanier, in Madrid stand. Nach Corona-bedingten Verzögerungen trafen Mitte September über hundert weitere Zapatistas mit dem Flugzeug in Wien ein, auch dies überwiegend Frauen, sowie einige Kinder. Sie wollten sich austauschen und über die Kämpfe informieren, die hier in Europa stattfinden. Darüber hinaus hatten sie vor, mit wechselnden Delegationen alle fünf Kontinente zu bereisen.

Im Rahmen der Reise durch Europa wurde insbesondere in Deutschland, wo dreizehn Teams unterwegs waren und zahlreiche Orte besuchten, Tren Maya zum Angriffspunkt. Da auch deutsches Kapital und deutsche Unternehmen in die Planung, den Bau und die Inbetriebnahme des Bahnprojekts involviert sind, kam es gemeinsam mit lokalen Aktivistinnen zu Aktionen an Standorten der betreffenden Unternehmen wie etwa der Zentrale der Deutschen Bahn am Potsdamer Platz in Berlin.


Luftschlösser und Todesdrohungen

"Die Menschen im Südosten wurden schon immer im Stich gelassen. Nun sind auch sie mal an der Reihe. Deswegen kommt jetzt der Zug", verkündete López Obrador wenige Monate nach seinem Amtsantritt Ende 2018. Er hat dieses Megaprojekt zu einem persönlichen Anliegen gemacht und drängt mit aller Macht auf seine Umsetzung und einen Abschluss noch vor Ende seiner Amtszeit im Jahr 2024. Die mexikanische Regierung verspricht den dort lebenden Menschen wirtschaftliche Entwicklung und bessere Lebensbedingungen, indem sie die angeblichen Vorteile des Tren Maya überzeichnet und kritische Einwände unterschlägt. Infrastrukturprojekte stünden für Fortschritt, Arbeitsplätze und steigende Einkünfte durch vermehrten Tourismus, kurz den Weg in die Moderne.

Die Bahnstrecke bringe Besucher von der Tourismushochburg Cancún zu den Maya-Städten im Dschungel, die dadurch mit wesentlich höherem Zuspruch samt entsprechenden ökonomischen Vorteilen rechnen könnten. Verwiesen wird auch auf ein enormes Wachstumspotenzial für den Güterverkehr in der Region Yucatán. Produkte des Agrarsektors, Baustoffe und der Transport von Kraftstoffen könnten am meisten von der Bahn profitieren. Die Einsparung von Reisezeiten werde die Produktivität steigern, Unternehmen mit Mitarbeitern vernetzen und neue Produktionsketten generieren, wie es vollmundig heißt.

Da dies jedoch die betroffenen Gemeinden zumeist ganz anders sehen, legte der Präsident bei Ortsbegehungen auch schon mal mit Drohungen nach. "Egal ob es regnet, blitzt oder donnert, der Maya-Zug wird gebaut", verkündete er bei einer Veranstaltung in der Region. "Ob ihr es wollt oder nicht." Im Sommer 2020 verschärfte er seinen Ton abermals und bezichtigte die "sogenannte Zivilgesellschaft", für den Protest gegen den Bahnbau Geld aus dem Ausland zu erhalten. "Sie verkleiden sich für Geld als Umweltschützer und Menschenrechtler", behauptete er im Jargon eines Autokraten, und sein Sprecher nannte überdies mehrere Organisationen namentlich. Diese öffentliche Denunziation befördert ein Klima für Todesdrohungen, von denen zahlreiche Betroffene in der Region berichten. Allein im vergangenen Jahr wurden in Mexiko 23 Menschenrechts- und Landverteidigerinnen getötet, Mexiko ist somit eines der gefährlichsten Länder für Aktivistinnen weltweit.

Es steht zu befürchten, dass das Bahnprojekt nicht zuletzt mit massiver Gewalt durchgesetzt werden soll und neben der Nationalgarde paramilitärische Gruppen zum Einsatz kommen. Einschüchterung und Bedrohung richten sich gegen alle Formen des Protests und Widerstands, insbesondere aber indigene Organisationsformen, auf deren Eliminierung mexikanische Regierungen seit Jahrzehnten sinnen und drängen.


Einfallstor entfesselter Landnahme

Das Projekt ist ein Einfallstor für Staat, Kapital und Militär. Es droht, die bisherige, auf Subsistenzwirtschaft und Gemeineigentum beruhende Lebensweise und Kultur der betroffenen Bevölkerung nachhaltig zu zerstören. Dabei ist die Frage, wer den Boden bewohnen und bearbeiten darf, zentral in Konflikten solcher Landnahme. Seit der mexikanischen Revolution Anfang des 20. Jahrhunderts gibt es die rechtliche Figur des sozialen Eigentums - so entstand der gemeinschaftliche Landbesitz, die Ejidos. Land in sozialem, kollektivem Besitz durfte seitdem nicht vermietet, verpachtet oder verkauft werden. Doch seit den neoliberalen Reformen der 90er Jahre ist es erlaubt, Land zu veräußern, sofern die Gemeindeversammlung zustimmt. Diese Reform führte zwangsläufig zu schweren Konflikten und Spaltungen innerhalb vieler Gemeinden. Immer wieder kommen Vertreter von Entwicklungsprojekten in die Gemeinden und drängen sie zum Unterschreiben von Verträgen, ohne dass eine Versammlung stattgefunden hätte. [3]

Wie die Regierung erklärt, gehe es nicht um Verkäufe, sondern langfristige Pachtverträge, wofür ein Investmenttrust gegründet werden soll. Dieser soll Land von den Kommunen pachten, um darauf Bahnhöfe und Planstädte zu errichten. Niemand solle vertrieben werden. Dieses Konstrukt verschleiert jedoch den zu erwartenden Verlauf: Um dem Trust etwas verpachten zu können, müssten die Ejidatarios erst offiziell private Grundbesitzer werden, was erfahrungsgemäß ein langwieriger und komplizierter Prozess ist, der oft auf den Widerstand der Kommunen stößt. Zum anderen sind die Investmenttrusts börsennotierte Unternehmen, was die Landeigentümer den Wechselfällen des Markts ausliefern würde. Es geht nicht um eine garantierte Pacht, sondern eine sogenannte Variable, die sich, je nach Börsenentwicklung, auf die getätigten Investitionen auswirkt. Nicht die Landbesitzer, sondern die Mehrheitsaktionäre hätten dabei die Entscheidungsvollmacht. Deshalb sind Aktivistinnen der Überzeugung, dass langfristige Verpachtungen oder die Gründung des Trusts Vertreibungen keineswegs verhindern würden.

Grundsätzlich ist zu berücksichtigen, dass die offizielle Lesart der Landnahme und Umsiedlung nichts über die mehr oder minder brutale Umsetzung vor Ort aussagt. Zahllose Berichte betroffener Menschen zeugen von Täuschung, Übervorteilung, Einschüchterung und Todesdrohungen. Wer in geschützten Regionen investieren will, ohne die dort lebenden Menschen zu fragen, bedient sich skrupelloser Handlanger, um alle Widerstände aus dem Weg zu räumen.

Die Konvention 169 der Internationalen Organisation für Arbeit (ILO) der UN ist das einzige internationale Rechtssystem zum Schutz indigener Rechte. Herzstück der ILO-Konvention 169 sind die Konsultations- und Partizipationsverfahren, um Beteiligung und Mitsprache indigener Völker an Projekten zu gewährleisten, die sie betreffen. Bei den Regionen, die vom Bau des Tren Maya betroffen sind, handelt es sich zum großen Teil um Land in gemeinschaftlichem Besitz. Deshalb dürfte dort nicht einmal ansatzweise über ein Entwicklungsprojekt nachgedacht werden, ohne die Menschen vorher zu fragen, was sie brauchen und was für sie Entwicklung bedeutet. Doch das ist nicht geschehen.

Ein Referendum, an dem im November 2018 ein Prozent der mexikanischen Bevölkerung teilnahm, sprach sich mit 89 Prozent für das Projekt aus. Der UN-Menschenrechtsrat kritisierte die Abstimmung scharf. Die Wähler seien nur über die positiven Auswirkungen des Projekts informiert worden, nicht über die negativen. Er kritisierte die Übersetzungen der Unterlagen, die kurze Abstimmungsphase und die geringe Beteiligung, besonders unter indigenen Frauen. Viele Wahlberechtigte hätten nicht die finanziellen Mittel gehabt, um zu den Wahllokalen zu reisen. Die Mehrheit der Wähler seien städtische Angestellte gewesen.

Am 15. November 2019 wurden Infoveranstaltungen für Ende des Monats angekündigt und in 15 indigenen Kommunen auf Yucatán wurde bereits für den 15. Dezember eine Abstimmung über das Projekt anberaumt. Sie fand statt, ohne dass die Kommunen vorher Zugang zu den Plänen über den Streckenverlauf, die Standorte der Bahnhöfe und andere Bauvorhaben gehabt hätten. Die Menschen wurden regelrecht überrumpelt, es gab zuvor keine Beratung, von ausreichender Information konnte keine Rede sein. Bei der Abstimmung wurde über folgende Frage entschieden: "Sind Sie mit dem Bau des integrierten Tren-Maya-Projekts einverstanden?" Im Kleingedruckten stand, man solle den Stimmzettel umdrehen und den Text auf der Rückseite lesen, in dem von Jobs, besseren Anbindungen und nachhaltiger Entwicklung die Rede war. So verwundert es nicht, dass eine überwältigende Zustimmung eingefahren wurde.

Das mexikanische Büro des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte (OHCHR) hat das Prozedere mitverfolgt und festgestellt, dass die Abstimmung nicht den internationalen Standards entsprach, da den betroffenen Gemeinden im Vorhinein ausschließlich positive Informationen über das Projekt zugänglich gemacht wurden. Wie es im offiziellen Abschlusskommuniqué hieß, hätten die Menschen aus den Kommunen ihre Zustimmung zu dem Projekt gegeben, weil sie es als Mittel ansahen, die Aufmerksamkeit auf ihre grundsätzlichen Anliegen wie Wasserversorgung, Gesundheitsfürsorge, Bildung, Arbeit, Wohnen, Umwelt und Kultur zu lenken. Diese Kausalität beeinträchtigte den freien Charakter der Anhörungen.

"Der Konsultationsprozess der indigenen Bevölkerung zum Maya-Zug hat nicht alle internationalen Menschenrechtsstandards erfüllt", so das UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte. "Die [Konsultationsprozesse werden] oft in Kontexten von Bedrohungen, Kriminalisierung und Schikanen durchgeführt, was ihren freien Charakter untergräbt", betont das UN-Komitee gegen Rassendiskriminierung. Aktivistinnen, die sich dem Projekt gegenüber negativ äußern, begeben sich in Lebensgefahr. Wer sich öffentlich gegen den Tren Maya ausspricht, erhält Morddrohungen, berichtet die NGO Front Line Defenders.


Arbeitsplätze - Leimrute der Akzeptanz

Da der Süden Mexikos von einem hohen Maß an Erwerbslosigkeit geprägt ist, was durch die Corona-Krise noch verschärft wurde, sind die in Aussicht gestellten Arbeitsplätze ein verlockendes Argument für das Bahnprojekt. Die Rede ist je nach Quelle von 80.000 oder gar 500.000 Jobs allein in der Bauphase sowie weiteren durch den in Aussicht gestellten Aufschwung von Tourismus und allgemeiner Wirtschaftskraft. Wie viele andere Eckdaten zum Tren Maya sind auch diese weder detailliert ausgewiesen noch belegt, weshalb sie wohl eher als Fiktion gelten müssen. Fest steht, dass der Bau auf wenige Jahre befristet ist und vor allem schlecht bezahlte Hilfskräfte aus der Region rekrutiert. Dennoch liegt auf der Hand, dass im Kontext vorherrschender Armut diese Aussicht auf sofort zugängliche Einkünfte viele Menschen zu Befürwortern des Projekts macht und die Bevölkerung spaltet.

Was künftige Arbeit im avisierten Massentourismus betrifft, fehlt es in der Region schlichtweg an den erforderlichen Grundvoraussetzungen wie Fremdsprachenkenntnissen oder dem heute unverzichtbaren Umgang mit elektronischen Medien und Endgeräten. Eine Strategie, die lokale Bevölkerung auszubilden und auf anwachsenden Tourismus vorzubereiten, ist nicht zu erkennen. Zu erwarten wären im Falle einer weitgehenden Durchsetzung des präsidialen Prestigeprojekts wohl weit weniger als die angekündigten Arbeitsplätze, die zudem im Bahnbau niedrig entlohnt und befristet sind, im Tourismus auf ebenfalls gering bezahlte Dienstleistungsjobs hinausliefen. Während die Profite in fremde Taschen wandern, bleibt den letztendlich ausgeplünderten Menschen vor Ort kaum mehr als ein vermeintlicher Honigtopf, der sich als eine Leimrute erweist. [4]


Ökologische Katastrophe provoziert

Der Regenwald in der Region, die als zweitgrößte grüne Lunge des Kontinents gilt, ist in Gefahr. Allein in Calakmul erstrecken sich Hunderttausende Hektar Urwald, neben dem Amazonasgebiet absorbiert diese Sphäre weltweit am meisten CO2. Die mexikanische Umweltorganisation CEMDA listet auf ihrer Webseite Dutzende Gründe auf, die gegen Tren Maya sprechen: Ökosysteme würden zerschnitten, das ohnehin knappe Grundwasser drohe zu versickern. In der Region lebten bedrohte Tierarten, Pumas, Jaguare, Iguanas und Fledermäuse. Das Ausmaß der zu befürchtenden Umweltzerstörung lässt sich für das riesige Gebiet kaum vollständig darstellen. "Studien kommen zu dem Schluss, dass der Maya-Zug zur Degradierung, Fragmentierung und Abholzung von 23 Naturschutzgebieten führen wird, darunter [UNESCO]Welterbestätten", so Greenpeace Mexiko. Allein für den ersten Bauabschnitt sollen 11 Millionen Bäume gerodet werden. Durch den Bau gefährdet sind zudem Unterwasser-Höhlensysteme mit kultureller Bedeutung für die indigene Bevölkerung, wobei von den dortigen Wasserströmen andere Ökosysteme abhängig sind. Mithin sind die größten Grundwasservorkommen des Landes bedroht. Eine Prüfung der Umweltverträglichkeit wurde mit Mängeln und ohne die Einbeziehung der indigenen Völker durchgeführt. [5]

Zu den gravierendsten Problemen in der Region Calakmul zählt schon seit geraumer Zeit das fehlende Wasser. Bauern- und Mayagemeinden betreiben auf Lichtungen in den Wäldern Kleinlandwirtschaft und Imkerei, aber es existiert keine künstliche Bewässerung. Man ist komplett abhängig von den natürlichen Niederschlägen, und die waren in den letzten Jahren so spärlich, dass Ernten ausfielen und manche Familien hungern mussten. Das kostbare Nass wird in der Regel mit Lastwagen angeliefert. Das Bahnprojekt wird diesen Mangel verschärfen, wovon Landwirtschaft, andere Wirtschaftszweige und Tourismus betroffen wären. Konflikte um Wasser, wie sie aus Nordmexiko bekannt sind, drohen künftig auch im Süden auszubrechen.

Bis heute gibt es keine detaillierten Auskünfte darüber, wie die Wasserversorgung und die Abwasser- und Müllentsorgung für die geplanten Städte funktionieren soll. Es handelt sich dabei keineswegs um Nebensächlichkeiten: Auf der gesamten Halbinsel besteht das gängige Modell der Abwasserentsorgung bislang nämlich nur aus Sickergruben. Eine Trinkwasseraufbereitung existiert nicht, der Müll wird oft verbrannt.


Militarisierung des widerspenstigen Südens

Federführend beim Projekt Tren Maya ist Fonatur, der Nationale Fonds zur Förderung des Tourismus. Diese Institution ist in Mexiko verantwortlich für die Planung und Entwicklung von Tourismusprojekten und eine Einrichtung zur Förderung von Investitionen. Unter anderem sind so die Urlaubsdestinationen Cancún, Ixtapa und Los Cabos entstanden. Hieß es anfangs noch, die Regierung werde bei der Mayabahn nur 10 Prozent der Kosten übernehmen und private Investoren den Rest, so kündigte Fonatur im Oktober 2019 an, dass der Regierungsanteil auf 30 Prozent erhöht werde. Schon zwei Monate später war offiziell bereits von 70 Prozent staatlicher Beteiligung die Rede. Dennoch behauptet Fonatur, man setze nach wie vor auf private Investitionen.

Carlos Slim, der reichste Mann Mexikos, mischt mit: Er hat einen neuen Streckenverlauf durchgesetzt, damit die Bahn nicht mit einer seiner gebührenpflichtigen Autobahnen konkurriert. Und im Mai 2020 erhielt eine seiner Unternehmensgruppen den Zuschlag für den Bau von 235 Gleiskilometern. Zusammen mit einer weiteren Firma namens ICA, die ebenfalls mit dem Bau des Tren Maya beauftragt ist, hatte Slim auch jene U-Bahn-Linie gebaut, die am 3. Mai dieses Jahres einstürzte, was mindestens 26 Menschen das Leben kostete.

Inzwischen steht fest, dass die mexikanische Armee einen Großteil des Tren Maya verwalten und zudem Gewinne aus dem Projekt erhalten soll. Gleichzeitig forciert diese Übertragung von Befugnissen an die Streitkräfte die weitere Militarisierung einer der konfliktreichsten Regionen des Landes. Im südlichen Bundesstaat Chiapas führt die mexikanische Armee seit Jahren einen Krieg "niederer Intensität" gegen die autonomen Gemeinden der Zapatistas. Auch das immer aggressivere Vorgehen der mexikanischen Regierung gegen Geflüchtete aus ganz Mittelamerika, ausgeführt durch das Militär, ist mit dem Projekt eng verflochten. Ein Korridor durch den Isthmus von Tehuantepec besteht aus Eisenbahntrassen und Fernstraßen für den Güterverkehr, die über die Landenge im Süden Mexikos Atlantik und Pazifik verbinden. Der Ausbau des Transportkorridors mit neuen Containerterminals, Straßen- und Schienenverbindungen sowie Industrieparks gehört neben dem Tren Maya zu einer Reihe strategischer Infrastrukturprogramme der Regierung. Kritiker vergleichen die geplante Bahnstrecke mit einer "Grenzmauer ohne Steine". Stellt man die verschiedenen Megaprojekte und Infrastrukturvorhaben auf der Landkarte dar, sieht man, dass sie zugleich Bausteine für eine Migrationssperre quer durch Südmexiko sind, mit der man die geopolitischen Interessen der USA bedienen will.


Deutsche Beteiligung kennt keine Skrupel

Auch deutsche Unternehmen greifen nach einem Stück vom Kuchen des milliardenschweren mexikanischen Megaprojekts. So ist ein Tochterunternehmen der Deutschen Bahn namens DB Consulting & Engineering als sogenannter Shadow Operator neben Aktivitäten in Katar, den Vereinigten Arabischen Emiraten, China, Brasilien oder Kolumbien nun auch in Mexiko aktiv. Die DB hat sich als Teil eines Konsortiums mit zwei ebenfalls staatlichen Unternehmen aus Spanien den Zuschlag für die Begleitung und Beratung des Projekts gesichert. Der Vertrag wurde zum 1. Dezember 2020 geschlossen, läuft bis Dezember 2023 und umfasst eine Auftragssumme von 8,6 Millionen Euro.

Dass diese Beteiligung der DB in Deutschland kaum thematisiert wird, dürfte mit dem Greenwashing des Unternehmens zusammenhängen, das sich ein klimafreundliches Image zugelegt hat. Dabei wird ein Viertel des gesamtdeutschen Bahnstroms aus dem Kohlekraftwerk Datteln IV geliefert, das Kohle aus Kolumbien verbrannt, wo Menschen vertrieben und ermordet werden, um die "Blutkohle" abbauen und exportieren zu können. Und wenn die DB nach offizieller Lesart Ökostrom verbraucht, handelt es sich um erkaufte Zertifikate, also wiederum einer Form kolonialer Auslagerung.

Siemens Mobility hat bereits 2018 eine Beteiligung am Tren Maya- Projekt angeboten, von der Energieerzeugung und -übertragung über Elektrifizierung, Signaltechnik und Automatisierung bis zu den Zügen an sich. Trotz erster Zuschläge für das französische Unternehmen Alstom besteht das Interesse weiterhin. Im März 2021 wurde über Änderungen im Ausschreibeverfahren durch Fonatur berichtet. Mehrere internationale Konzerne, darunter auch Siemens, die sich offenbar Zuschläge für weitere Abschnitte sichern möchten, baten daraufhin die Behörde, die Abgabefrist für die Einreichung der erforderlichen Unterlagen im Ausschreibungsprozess zu verlängern, da die Frist von drei Monaten unmöglich einzuhalten sei.

Auch der TÜV Rheinland hat schon 2018 Interesse am Tren Maya-Projekt gezeigt und bereits eine Beteiligung angeboten, bevor konkretere Pläne oder Studien etwa zu den Umweltproblematiken vorlagen. Die möglichen Aufgaben wirken dabei ähnlich umfangreich wie bei der DB oder Siemens. Sie reichen von der Vorkonzeption des Projekts, der Vormachbarkeit, der Durchführbarkeit, der Entwicklung von Materialien und allem, was notwendig ist, bis hin zur Prüfung und Ausführung der Arbeiten. Der deutsche TÜV hat in Mexiko ähnliche Aufgaben für die bereits erwähnte Metrolinie 12 in Mexiko-Stadt übernommen, die im Mai 2021 einstürzte. Auch außerhalb Mexikos nimmt der TÜV fragwürdige Überprüfungen vor. Bei einem Staudammbruch in Brasilien starben über 250 Personen, nachdem der TÜV Süd den Damm für sicher erklärt hatte.

Bei einer Darstellung der Beteiligung deutscher Unternehmen am Tren Maya-Projekt darf man Akteure, die nur auf den ersten Blick nichts mit dem Vorhaben zu tun haben, nicht vergessen. Die mexikanischen Streitkräfte, welche das gesamte Infrastrukturprojekt verwalten und die Gewinne erhalten sollen, sind ein häufiger Kunde bei europäischen und insbesondere auch bei deutschen Rüstungsunternehmen. Obwohl Konzerne wie Heckler & Koch in illegale Waffengeschäfte mit Mexiko verwickelt sind, genehmigte die deutsche Bundesregierung auch im vergangenen Jahr Rüstungsexporte in das Land. Ein Großteil der deutschen Waffen gelangt in besonders stark militarisierte Regionen wie Chiapas, wo das Militär in zahlreichen Stützpunkten rund um die Autonomiegebiete der Zapatistas präsent ist.

Deutschland hat am 15. April 2021 nach Jahrzehnten endlich doch die Konvention der ILO zum Schutz indigener Völker ratifiziert. Da es sich bei der Deutschen Bahn um ein staatliches Unternehmen handelt, würde eine konsequente Umsetzung des ILO-Abkommens einen Ausstieg der DB und ihrer Tochterfirmen aus dem Tren Maya-Projekt erfordern. Erst durch eine Anfrage der Abgeordneten Eva-Maria Schreiber von der Linkspartei im Bundestag wurde die Höhe der DB-Beteiligung im Mai 2021 öffentlich bekannt. "Von einer Regierung, die ein Lieferkettengesetz verabschiedet, sollte man mindestens erwarten können, dass ihre eigenen Unternehmen mit gutem Beispiel vorangehen", so Schreiber. Die Deutsche Bahn wich Anfragen der taz, ob sie die Vorwürfe der Gegner vor Ort kenne, aus und erklärte, das Projekt werde neben aller Kritik auch als Chance zur Entwicklung der Region gesehen. Zudem werde das Projekt von UN-Organisationen begleitet. Auch das Verkehrsministerium äußerte sich nicht zu den Vorwürfen, obwohl es für den Bund die Interessen als Eigentümer der Deutschen Bahn AG wahrnimmt. [6]


Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen

Ist der bereits 2018 begonnene Bau des Tren Maya wie so viele andere infrastrukturelle Großprojekte weltweit allenfalls zu bremsen, aber nicht mehr zu stoppen, sobald er Fahrt aufgenommen hat? Verzögert und verändert werden kann er durchaus, wie sich bereits abzeichnet. So rief ein offizieller Besuch des Präsidenten in Campeche, der Hauptstadt des gleichnamigen Bundesstaates, im Frühsommer heftige Proteste gegen das Bahnprojekt auf den Plan. Viele Menschen wehren sich gegen die Umsiedlung und fordern eine Änderung der Linienführung. [7] Durch derartigen Widerstand wurde in Yucatáns Hauptstadt Mérida die geplante Route durch das Zentrum der Stadt verhindert, der Bahnhof entsteht nun außerhalb der Metropole.

Vielerorts wächst der Protest gegen die Vertreibung der Menschen und Zerstörung der Natur. Indigene Organisationen wie der Regionale Indigene und Populäre Rat von Xpujil sowie das Kollektiv Tres Barrios haben geklagt, weil sie die Konvention 169 der ILO verletzt sehen. Andere Organisationen wie die Versammlung Múuch Xíinbal und das Kollektiv Chuun t'aan Maya zogen vor den Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof: Neben dem Verstoß gegen Konsultationsnormen seien Umweltverträglichkeitsprüfungen und Analysen zu langfristigen Auswirkungen auf soziale und wirtschaftliche Strukturen nicht ausreichend untersucht. Auch sollen laut dem mexikanischen Bundesrechnungshof mehrere Vergabeprozesse die Wettbewerbsbedingungen nicht erfüllt haben. Von insgesamt 33 Vertragspartnern seien 18 Verträge direkt vergeben und nur zwei öffentlich ausgeschrieben worden.

Der Nationale Indigenenrat, die Zapatistische Armee Nationaler Befreiung (EZLN) und sympathisierende Organisationen mobilisieren die Gemeinden, ihr Land und ihre Rechte zu verteidigen. Mit ihren Blockaden, den Klagen und der Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit könnten sie erreichen, dass die Bauarbeiten ausgesetzt werden. Einige Prozesse gegen das Projekt wurden bereits gewonnen, so dass es zu streckenweisen Aufhebungen der Bauarbeiten gekommen ist. Erst kürzlich wurden für den dritten Streckenabschnitt im Bundesstaat Yucatán die Arbeiten gerichtlich gestoppt. Die Konsequenzen für die Natur seien nicht genau einzuschätzen, so die Richterin in Mérida. Die Baustopps verzögern und verteuern das Projekt, zumal der mexikanische Staat Verträge mit den inländischen und ausländischen Firmen einzuhalten hat.

In ganz Mexiko haben sich Vereine und zivilgesellschaftliche Gruppen gegen das Projekt verbündet. Unverzichtbar ist auch eine Unterstützung in der Herkunftsländern beteiligter europäischer Unternehmen, wie sie die Reise der Zapatistas hervorgehoben hat. Entschieden wird der Kampf gegen das Megaprojekt durch den Widerstand vor Ort. Letztlich geht es darum, dass die dort lebenden Menschen selbst entscheiden können, welche Entwicklung sie benötigen und wünschen. Der bereits eingangs zitierte Maya-Aktivist Pedro Uc bringt es mit folgenden Worten auf den streitbaren Punkt: "Wir hören nicht auf, für unsere Überzeugungen zu kämpfen und für das Land, auf dem wir leben, denn das ist das Einzige, was wir haben."


Fußnoten:

[1] https://monde-diplomatique.de/artikel/!5697648

[2] https://www.jungewelt.de/artikel/414475.drei-jahre-regierung-obrador-das-neoliberale-fundament-bleibt-unangetastet.html

[3] https://www.nd-aktuell.de/artikel/1153428.eisenbahnprojekt-tren-maya-an-den-mayas-vorbei.html

[4] https://www.deutschlandfunkkultur.de/mexikos-megaprojekt-tren-maya-der-umstrittene-maya-zug.979.de.html

[5] https://www.ya-basta-netz.org/tren-maya-made-in-germany/

[6] https://taz.de/Geplante-Maya-Bahn-durch-Mexiko/!5791061/

[7] https://amerika21.de/2021/07/252447/tren-maya-proteste-amlo-campeche



1. Dezember 2021

veröffentlicht in der Schattenblick-Druckausgabe Nr. 170 vom 4. Dezember 2021


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