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LATEINAMERIKA/1992: Was erwartet uns in den Beziehungen zwischen Mexiko und den USA unter Obrador und Biden? (Raina Zimmering)


Was erwartet uns in den Beziehungen zwischen Mexiko und den USA unter Obrador und Biden?

von Raina Zimmering, 5. März 2021


Wer glaubt, dass sich die Beziehungen zwischen Mexiko und den USA unter der neuen Administration von Joe Biden weitgehend problemfrei entwickeln, irrt sich. Wenn auch nicht mehr der Bau einer Mauer das vorrangige Thema in den Beziehungen sind, so spielen langfristig wirkende Konfliktlinien am geographischen Übergang vom anglikanischen zum lateinischen Amerika, dem Scheidepunkt zwischen dem globalen Norden und globalen Süden und die geo-strategische Position Mexikos als Durchgangsland der Migrationsströme aus Mittel-, Südamerika und der Karibik in die USA eine sehr nachhaltige Rolle. Konkret müssen dabei die wirtschaftliche Abhängigkeit Mexikos von den USA und die unterschiedlichen entwicklungspolitischen Strategien zwischen den beiden Präsidenten Joe Biden und Lopez Obrador genannt werden. Rund 80 Prozent der mexikanischen Exporte gehen in die USA und ein Großteil der Auslandsinvestitionen kommen aus den USA. Für die USA nimmt Mexiko Platz Drei unter den Außenhandelspartnern ein. Zweitens ist ein weiterer gewichtiger Faktor für die Beziehungen das Thema der Auslandsüberweisungen der US-Mexikaner (Remesas) und die Migration. Circa 38 Millionen Mexikaner leben in den USA, die 2020 40,6 Milliarden US-Dollar nach Mexiko überwiesen. 13 Millionen US-Amerikaner machen jährlich Urlaub in Mexiko oder lassen sich dort medizinisch behandeln [1]. Diese Abhängigkeiten zwischen beiden Ländern erforderten schon immer besondere Beziehungen, die sich zwischen Annäherung und Entfernung bis hin zu Konflikten bewegten.

Wenn man sich diese Tatsachen vor Augen führt, scheint es nicht unlogisch, dass der mexikanische Präsident nach den US-Wahlen dem Sieger Biden nicht sofort gratulierte und sich auch bei der Beurteilung des Angriffes auf das Capitol in den USA zurückhielt. Er erntete dafür von der politischen Opposition harsche Kritik. Überwiegend von den ehemaligen großen Parteien wie PAN (Partei der Nationalen Aktion), PRI, (Partei der Institutionalisierten Revolution) und der PRD (Partei der Demokratischen Revolution), die einer neoliberalen Politik Vorschub leisteten und stets um gute Beziehungen mit den USA bemüht waren.


Ambivalente Beziehungen zur Trump-Regierung

Die Beziehungen zwischen Mexiko und den USA unter Trump waren vier Jahre lang äußerst ambivalent. Einerseits waren sie von den verbalen Beleidigungen durch Trump gegen "die" Mexikaner und lautstark vorgetragenen Drohungen gegen das Land geprägt. Den Bau der Grenzmauer sollte die mexikanische Regierung bezahlen. Trump drohte Mexiko ständig mit Sanktionen. Diese Vorgehensweise diente in erster Linie der Befriedigung des Trump-Lagers, das überwiegend rassistisch und latinophob eingestellt ist.


Hoher Grenzzaun mit Kreuzen - Foto: © Tomas Castelazo, www.tomascastelazo.com, via Wikimedia Commons, by CC BY-SA 4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/]

Mauer an der Grenze von Tijuana, Mexiko und San Diego; die Kreuze stehen für Migranten, die bei Überquerungsversuchen gestorben sind.
Foto: © Tomas Castelazo, www.tomascastelazo.com, via Wikimedia Commons, by CC BY-SA 4.0
https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/

Die andere Seite der Beziehungen ist viel weniger bekannt und hat sich mehr im Verborgenen, abgespielt, ist aber für Mexiko umso wichtiger. Als der mexikanische Präsident die USA besuchte, schien er sich mit Trump recht gut zu verstehen. Auf dem Treffen wurde über die Rolle Mexikos bei der Eindämmung der Migration beraten und für den Einsatz mexikanischer Militärs und die Bildung der Nationalgarde als Grenzschutzbehörden grünes Licht gegeben. Die USA verschoben somit ihre Grenzsicherung gegen die lateinamerikanische Migration nach Süden, wobei Mexiko die "Polizeiarbeit" für die USA übernehmen musste. Das mexikanische Militär und die Nationalgarde sollten die Migration sowohl an der Grenze zwischen den USA und Mexiko als auch an der Grenze zwischen Mexiko und Guatemala abwehren. Außerdem verpflichtete sich Mexiko, Migrant*innenlager zu errichten, von denen aus Asylanträge in die USA gestellt werden konnten. Mexiko erhält dafür finanzielle Unterstützung. Während der Pandemie, als die USA ihre Grenzen schlossen und keine Asylanträge mehr bearbeiteten, hatte Mexiko mit großen Problemen der Versorgung der Migranten und der Pandemieeindämmung zu kämpfen und begann, ähnlich wie die USA, Migrant*innen abzuschieben.

Die wichtigste Tatsache in den Beziehungen Mexikos zur Trump-Administration war das T-MEC-Abkommen mit den USA und Kanada als Nachfolger des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA. Bei dem neuen Abkommen konnte Mexiko einige Interessen unterbringen, die gegenüber NAFTA eine Verbesserung darstellten. Dazu gehören Arbeitsrechte mexikanischer Arbeiter in den USA. Außerdem hielt sich Trump nicht an die buchstabengetreue Umsetzung des Vertrages und überließ Mexiko einen relativ großen Handlungsspielraum bei der Umsetzung seiner "Vierten Transformation", die Industrialisierung und Sozialpolitik unter staatlicher Kontrolle bedeutet. Angesichts dessen rückte Trumps Rhetorik in den Hintergrund.

Ein weiterer Punkt ist, dass der mexikanische Präsident Lopez Obrador eine Militarisierung des Staates vorantreibt, die zum Kampf gegen die Drogenkartelle und Korruption dienen soll. Lopez Obrador löste die Bundespolizei auf und bildete aus einem Teil davon und aus Armee und Marine die Nationalgarde, die innere Aufgaben, insbesondere gegen den Drogenhandel und Korruption übertragen bekam und dem Verteidigungsministerium unterstellt wurde. In diesem Rahmen verpflichtete Obrador das Militär zur Übernahme einer großen Anzahl von öffentlichen zivilen und wirtschaftlichen Aufgaben wie z.B. Führungspositionen beim Bau des größten Flughafens Santa Lucia, der Kontrolle der Häfen, bei der Leitung des Zolls, von Kraftwerken und beim Bau des Maya-Zuges im Süden Mexikos, das als Tourismusprojekt ausgegeben wird, aber eher auf die wirtschaftliche Erschließung des Südens Mexikos abzielt. Das Militär beeinflusst zunehmend das zivile Leben: so verteilt es Schulbücher, wird in die Pandemiebekämpfung eingebaut und organsiert Baumbepflanzungsprojekte. Außerdem schränkt es in zunehmendem Maße die Existenzgrundlagen der indigenen Bevölkerung ein, auf deren Territorien die von dem Militär kontrollierten Megaprojekte entstehen. Dabei geht das Militär oft gewaltsam gegen die Bevölkerung vor, so dass es zu Vertreibungen, Vergewaltigungen, Einschüchterungen der politischen Aktivisten, Mord und Verletzung der Befragungsrichtlinien der indigenen Gemeinden kam. Die fundamentale Rolle des mexikanischen Militärs soll die "Vierte Transformation" absichern, die das transnationale Kapital unter nationaler Kontrolle stellen soll und sich von der neoliberalen Politik der vorausgegangenen Regierungen unterscheidet. Umweltstandards und Basisdemokratie werden dabei missachtet.


Neue Ambivalenzen in den Beziehungen zwischen Mexiko und den USA unter der neuen Biden-Regierung

Unter der neuen US-Regierung des Demokraten Joe Biden erhofft sich Mexiko eine bessere Rhetorik und Zusammenarbeit in internationalen Institutionen wie der WTO, OECD und der UNO. Dies ist für Mexiko von erheblicher Bedeutung, da es zwischen 2021 und 2023 Mitglied des Menschenrechtsrates der UNO, des UN-Sicherheitsrates und der G-20 sein wird.

Andrerseits sieht man bei einer Biden-Administration erhebliche Schwierigkeiten auf sich zukommen. Die Ambitionen der neuen US-Administration, ihren Führungsanspruch als "Weltordnungsmacht" und "Führungsmacht in der Hemisphäre" effizient durchzusetzen, werden sich auf den innen- und außenpolitischen Handlungsspielraum Mexikos auswirken. So werden die "Vierte Transformation" und die neue Rolle des Militärs in Mexiko großen Herausforderungen gegenüber stehen. Die wirtschaftlichen Mega-Projekte der Regierung, mit denen Obrador nationale Souveränität und staatliche Kontrolle zurück gewinnen will, werden durch die USA mit dem Verweis auf die Klimaauflagen des Pariser Klima-Abkommens und den Schutz der Unternehmensfreiheit im Rahmen des T-MEC bekämpft werden. Schon auf dem ersten virtuellen Treffen beider Präsidenten am 01.03.2021 verwiesen die USA unmissverständlich darauf, dass Mexiko mehr "Transparenz" und Berechenbarkeit für Unternehmen walten lassen soll. Ebenso verhält es sich mit der Militarisierung des Landes, das von Obrador als Weg zum Schutz eines anderen Entwicklungsmodells (Vierte Transformation), der Kontrolle der Drogenmafia und der Korruption gedacht ist. Gegenüber den USA wurde die Militarisierung durch die Absicherung der Grenzen gegen die Migration gerechtfertigt. Nun schlägt die US-Regierung einen Kurswechsel in der Migrationsfrage ein, bei der das Schwergewicht auf die Bewahrung der Menschenrechte und die Migrationsbekämpfung in den Herkunftsländern gelegt werden soll und eine militärische Absicherung unnötig macht. Doch hat die neue US-Administration trotz Maßnahmen zur Legalisierung der in den Lagern wartenden Migrant*innen keine Lösung für die nachrück enden Ströme, die wiederum nach Mexiko durchqueren. Eine von der kontinentalen Sicherheitsstrategie der USA und der NATO unabhängigen Militarisierung in ihrem Nachbarland, das diese zur Absicherung eines eigenen Entwicklungsweges einsetzt, werden die USA zukünftig versuchen zu verhindern.


Der Fall Cienfuegos - Feuerprobe der gegenseitigen Beziehungen

Die Auseinandersetzungen um die Souveränität Mexikos gegenüber den USA spiegeln sich besonders in dem Fall des ehemaligen Verteidigungsministers Salvador Cienfuegos wider. Dieser wurde wegen Drogenhandels und Geldwäsche, ohne vorherige Absprache mit Mexiko, während eines Urlaubsaufenthaltes in den USA verhaftet [2]. Die US-amerikanische Drogenschutzbehörde DEA (Drug Enforcement Administration) hatte Cienfuegos bereits 12 Jahre beobachtet. Die mexikanische Regierung kritisierte dieses Vorgehen der DEA, wie auch deren Agieren innerhalb Mexikos. Die DEA kam auch dem mehrfachen Ersuchen des mexikanischen Präsidenten nicht nach, über die Aktivitäten US-amerikanischer Kartelle in Mexiko zu informieren. Offensichtlich ist das Vertrauen in den Nachbarstaat durch diese US-amerikanische Behörde erheblich gestört. Die Verhaftung von Cienfuegos in den USA rief den Widerstand des mexikanischen Militärs hervor, was Obrador veranlasste, Cienfuegos' Auslieferung nach Mexiko zu erwirken, indem er die Beziehungen zu den USA in Frage stellte. Gleichzeitig versprach Obrador, den Prozess gegen Cienfuegos in Mexiko fortzusetzen. Nach der Prüfung des Falles durch die mexikanische Staatsanwaltschaft wurde Cienfuegos jedoch wegen fehlerhafter Beweise der DEA in Mexiko freigelassen. Um sich des Vorwurfs der Straflosigkeit zu entziehen, ließ Obrador die geheime Akte der DEA veröffentlichen und verabschiedete ein neues Sicherheitsgesetz, nach dem ausländische Geheimdienste nur in Zusammenarbeit mit den Behörden in Mexiko agieren dürfen, was zu erheblichen Unstimmigkeiten mit den USA führte. Mexiko stieß somit die US-Administration samt seiner Drogenschutzbehörde erheblich vor den Kopf, was wohl als Zeichen des Willens zur Verteidigung der Souveränität Mexikos gegenüber den USA zu verstehen ist. Allerdings macht der Fall Cienfuegos den durch das Militär abgesicherten Entwicklungsweges Mexikos und der Behauptung der "Sauberkeit" und Zuverlässigkeit des Militärs mehr als fragwürdig.

Die mexikanische Regierung befindet sich somit im Fadenkreuz zwischen ihrer Souveränitätspolitik gegenüber den USA und dem transnationalen Kapital auf der einen Seite und den sozialen Bewegungen, die von der Regierung die Wahrung der Menschenrechte der armen und verletzlichen Bevölkerungsgruppen und den Erhalt der Umwelt einfordern, auf der anderen Seite. Diese Zerreisprobe schwächt wiederum die Position Mexikos gegenüber den USA und macht das soziale Projekt Obradors fragwürdig. Das Zusammenwirken der Regierung mit emanzipatorischen Bewegungen im eigenen Lande und die Annäherung an progressive Regierungen in Lateinamerika könnte die Position Mexikos gegenüber den USA stärken.


Zur Autorin:
Univ. Prof. Dr. Raina Zimmering: Studium der Geschichte, Kunstgeschichte und Ethnographie. Vormals Frauenprofessorin an der HU Berlin, Profesora Asociada der UNAL in Bogotá, Universitätsprofessorin und Abteilungsleiterin an der Johannes Kepler Universität Linz in Österreich. Jetzt Senior Research Fellow am Institut für Internationale Politik in Potsdam (IIP) und Mitglied des Wissenschaftsrates von WeltTrends.


Anmerkungen:

[1] Weiss, Sandra: Obama hat mehr Mexikaner abgeschoben als Trump. Berliner Zeitung vom 10.11.2020.
https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/reaktionen-aus-mexiko-obama-hat-mehr-mexikaner-abgeschoben-als-trump-donald-trump-joe-biden-reaktionen-aus-mexiko-city-li.117665.

[2] Salvador Cienfuegos Zepeda war von 2012 bis 2018 für die Sedena verantwortlich. Er wurde am 15. Oktober auf dem Flughafen von Los Angeles verhaftet und vom Eastern District Court in New York wegen dreier Fälle von Verteilung und Verschwörung bei der Übertragung von Kokain angeklagt , Methamphetamin und Marihuana in den USA sowie eine für Geldwäsche.
https://www.infobae.com/america/mexico/2020/11/10/el-caso-que-pone-en-conflicto-a-mexico-y-eeuu-asi-impacto-la-detencion-de-cienfuegos/.


Erstveröffentlicht im ND (Neues Deutschland) Nr. 54 vom 5.3.2021
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1149099.usa-mexiko-beziehung-druck-aus-dem-norden.html

Der Schattenblick veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Autorin die Originalfassung des Artikels.

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Quelle:
© 2021 by Raina Zimmering
Mit freundlicher Genehmigung der Autorin und der ND-Redaktion


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. März 2021

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