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DERMATOLOGIE/761: Hautkrebsscreening - Past, Present, Future (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 6, Juni 2021

Hautkrebsscreening: Past, Present, Future

von Dr. Udo Hennighausen


DERMATOLOGIE. Demografischer Wandel trägt zur Zunahme der Hautkrebsinzidenz und -prävalenz bei. Hautkrebsscreening kann Mortalität senken und Lebensqualität steigern.


Hautkrebsscreening: Past, Present, Future", mit diesem Thema eröffnete Prof. Matthias Augustin, Direktor des Instituts für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP), UKE Hamburg, den Reigen der Vorträge des Hautkrebs-Updates der MedKomAkademie am 6. Mai dieses Jahres. Die Rationale der Gesetzlichen Früherkennung auf Hautkrebs (gHKS), eingeführt zum 1. August 2008, beinhaltete 1. leichte Erkennbarkeit suspekter Befunde, 2. reproduzierbare klinische Kriterien und 3. wenig Aufwand für die Diagnostik (klinischer Befund, Auflichtmikroskopie, Gewebeprobe). Eingeführt wurde das gHKS insbesondere wegen der stark gestiegenen Inzidenz des Hautkrebses in den vorausgegangenen zwei Jahrzehnten. Bis heute liegen jedoch noch keine kontrollierten klinischen Studien zum gHKS vor, und die gewonnenen Versorgungsdaten lassen sich nicht zweifelsfrei interpretieren, wenn die Mortalität als Endpunkt betrachtet wird. Augustin zitierte aus einer Arbeit, erschienen im New England Journal of Medicine, in der sich die Autoren kritisch zum Anstieg der Inzidenz des malignen Melanoms (MM) in den USA äußern. Unter anderem stellen sie den Anstieg der Inzidenz des MM um den Faktor 6 dem Anstieg des Risikofaktors UV-Exposition um den Faktor 2 in ein- und demselben Zeitraum kritisch gegenüber und vermuten eine "Überdiagnosen-Flut" [1]. Ausgehend von der Frage, ob diese Interpretation auch auf Deutschland übertragbar sei, erklärte der Vortragende die Lage in unserem Land und nahm Bezug auf Bedarfsanalyse, Situationsanalyse und Nutzenanalyse.

• Bedarfsanalyse bezüglich Früherkennung: Gemäß einer Hochrechnung der Barmer wurden für Deutschland 676 Todesfälle infolge eines Plattenepithel-Karzinoms und 2.826 Todesfälle infolge eines MMs für das Jahr 2012 geschätzt. Für 2014 entfielen in der Statistik für alle Krebsneuerkrankungen in Deutschland (abgesehen vom nicht melanotischem Hautkrebs, nonmelanoma skin cancer, NMSC) 4,4 % (männlich) und 4,5 % (weiblich) auf das MM der Haut. Allerdings wurden 2014 bei einer Melderate von etwa 230.000 Fällen an die Krebsregister circa 590.000 operierte Hautkrebs-Fälle - ICD-10 C43 (MM) und C44 (NMSC) codiert. Für die stationären Hautkrebsfälle wurde für die Zeitspanne von 2000-2015 ein Zuwachs auf mehr als 250 % gefunden. Die Diskrepanz zwischen den als inzidente Fälle an die Krebsregister gemeldeten und den tatsächlich versorgten Hautkrebsfällen liegt daran, dass viele Krebsregister keine Basalzellkarzinome und grundsätzlich keine Zweittumoren erfassen, was insbesondere die epithelialen Tumoren sehr häufig betrifft. Krebs-Melderegister erfassen somit nur einen Teil der zu versorgenden Tumorlast des Hautkrebses in Deutschland.

• Situationsanalyse der derzeitigen Versorgung: Daten der DAK für die Jahre 2008-2015 ergaben, dass 33,5 % der Versicherten innerhalb ihres Berechtigungszeitraums von zwei Jahren am gHKS teilgenommen haben. Schleswig-Holstein nimmt hierbei mit 37 % Platz 2 ein. Ab dem Alter von circa 64 Jahren nehmen mehr Männer als Frauen am gHKS teil. Von 2009 bis 2015 betrug gemäß dem Volldatensatz aller GKV-Versicherten in Deutschland der relative Zuwachs an MM in den verschiedenen Regionen Deutschlands (Großstädte, urbane, eher ländliche und dünn besiedelte Gebiete) zwischen 28,8 und 38,0 %, der an NMSC zwischen 49,5 und 54,7 %. Hautkrebs wurde auf Landkreisebene häufiger beobachtet, wenn ein höherer Akademikeranteil, ein höheres Haushaltseinkommen, eine geringere Sonnenlichtexposition und ein höherer Anteil Älterer zu verzeichnen waren. Die Assoziation mit der Inanspruchnahme des gHKS durch den Hautarzt ergab: Je höher die Bildung, desto mehr, je ländlicher die Region, desto weniger gHKS wurden durchgeführt. Die Häufigkeit der Hautkrebsscreenings auf Kreisebene war dabei nicht mit einer Zunahme der Diagnose des Melanoms assoziiert. Je länger die Fahrt zum Hautarzt gewesen wäre, umso mehr wurde die hausärztliche Praxis für das Screening aufgesucht. Auch hier zeigte sich ein mit den in der Hautarztpraxis gewonnenen Erfahrungen vergleichbares Bild.

• Nutzenanalyse, Outcome versus intendierter Nutzen: DAK-Daten von 2010-2015 zeigen, dass durch das gHKS die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von "High-Risk"-MM um 65 %, diejenige für das Auftreten von "High-Risk"-NMSC um 50 % reduziert wird. Die Kostenanalyse für die Behandlung der im gHKS erkannten MM-Fälle ergab um 47 % niedrigere Fallkosten; rechnet man erkannte MM- und NMSC-Fälle zusammen, lagen die Fallkosten um 10 % niedriger. Bezieht man jedoch die Kosten der Prävention mit ein, so ergeben die saldierten Gesamtkosten der Hautkrebs-Versorgung Zusatzkosten von 71,0 Euro pro HK-Fall, beziehungsweise 2,70 Euro Mehrkosten pro Versicherten.

Als Nutzen müssen dabei gemäß GBA-Beschluss jedoch nicht nur die Mortalität und die Kostenveränderungen, sondern auch die Reduzierung der Morbidität und die Verbesserungen der Lebensqualität durch eine frühe Erkennung von Hauttumoren mit der Folge einer besseren Prognose für die Betroffenen berücksichtigt werden. Für das gHKS spricht auch die Tatsache, dass in den Niederlanden, wo es die Früherkennung des Hautkrebses durch niedergelassene Dermatologen nicht gibt, bei ansonsten vergleichbaren klimatischen und sozioökonomischen Verhältnissen der Anteil der diagnostizierten und behandelten MM-Patienten, bei denen ein risikoärmeres MM (< 1 mm Tumordicke) diagnostiziert wurde, signifikant geringer gefunden wurde als in unserem Land. Entsprechend findet man dort auch eine höhere Letalität und Mortalität des Melanoms.

Vor allem der demografische Wandel trägt zur Zunahme der Hautkrebsinzidenz und -prävalenz bei, von einer anhaltenden "Überdiagnosen-Flut" durch das gHKS in Deutschland kann nicht gesprochen werden. Eine Kostensenkung bei der Hautkrebsversorgung - eines der erklärten Ziele - konnte nicht erreicht werden. Gelungen ist es dagegen, die Mortalität zu senken, vermutlich als Folge verbesserter Therapien; auch ein Gewinn an Lebensqualität für die Betroffenen wurde erreicht. Zudem muss der erwiesene primär-präventive Effekt des gHKS bei der Gesamtbeurteilung angemessen berücksichtigt werden [2]. Das "Schadenspotenzial" des gHKS (Belastung durch Warten auf einen Termin, durch die Untersuchung sowie durch eine Operation) ist nach den vorliegenden Studiendaten als gering zu werten, die Akzeptanz des gHKS in der Bevölkerung dagegen als hoch einzuschätzen.


Info

1. Welch HG, Mazer BL, Adamson AS (2021) The Rapid Rise in Cutaneous Melanoma Diagnoses. N Engl J Med 384(1): 72-79

2. Krensel M, Schäfer I, Zander N, Augustin M (2019) Primärprävention im Rahmen des Hautkrebsscreenings [Primary Prevention in the Context of Skin Cancer Screening]. Hautarzt 70 (6): 432-4

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 6, Juni 2021
74. Jahrgang, Seite 40-41
Herausgeber: Ärztekammer Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 3. August 2021

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