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INTERVIEW/014: 25 Jahre arte - Spannungsbogen Tradition und Fortschritt ...    Claire Isambert im Gespräch (SB)


Claire Isambert ist Leiterin der Hauptabteilung Kultur bei dem deutsch-französischen Sender arte mit Sitz in Strasbourg. Nach einer Pressekonferenz anläßlich des 25. Jahrestages der Gründung des Senders, auf der das arte-Programmangebot für das zweite Halbjahr 2017 vorgestellt wurde, beantwortete sie dem Schattenblick einige Fragen zu den kulturellen und kulturpolitischen Schwerpunkten des Senders.


Vor arte-Präsentationswand - Foto: © 2017 by Schattenblick

Claire Isambert
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Frau Isambert, könnten Sie einmal umreißen, wie Ihr Tätigkeitsfeld bei arte aussieht?

Claire Isambert (CI): Ich arbeite bei der Hauptabteilung Kultur mit Sendeplätzen wie dem für Musik, der im Grunde alle Genres wie Klassik, Pop, Rock und Jazz umfaßt. In der Mediathek werden unter arte Concert darüber hinaus viele Live-Auftritte angeboten. Einen anderen Schwerpunkt bilden die kulturellen Dokumentationen, worunter auch Popkultur fällt. Am Mittwoch und Sonntag senden wir alles, was Literatur, Kino, Malerei und Bildende Kunst abdeckt und auch das, was man in Frankreich Cinéma d'auteur nennt, also Autorenfilme wie Großer Dokumentarfilm, Gesellschaft und als Spätvorstellung die Carte Blanche, die Künstlern und Regisseuren gewidmet ist. Nicht zu vergessen sind die kulturellen Magazine wie Tracks, Abgedreht, Metropolis und Philosophie.

SB: In der Gestaltung des Senders hat der Programmdirektor wahrscheinlich das letzte Wort. Wie ist es mit Vorschlägen der Mitarbeiter?

CI: Die Programmkonferenz tagt einmal im Monat in Strasbourg und entscheidet darüber, welche Vorschläge tatsächlich in die Produktion gehen. Wir in Strasbourg haben die Aufgabe, uns alle Projekte anzuschauen und zu bewerten, die von arte France und arte Deutschland, das heißt von ZDF-arte und ARD-arte, kommen. Bei der Programmkonferenz wird dann entschieden, ob wir darüber noch diskutieren müssen, ob wir sie in die Produktion nehmen oder ablehnen. Der größere Teil der Produktion wird bei den sogenannten Polen arte France und arte Deutschland zu jeweils 40 Prozent gemacht, 20 Prozent werden in Strasbourg entwickelt. Wir haben auch die Besonderheit, daß wir mit neuen Partnersendern in ganz Europa zusammen Programme machen. Das sind die RTBF in Belgien, SSR und SRG in der Schweiz, ORF in Österreich, YLE in Finnland, RAI in Italien, RTE in Irland und CT in Tschechien. Wir selbst produzieren in Strasbourg relativ wenige Programme, sind aber für die gesamte Koordination und für die zweite Sprachfassung zuständig, was für den deutsch-französischen Sender natürlich extrem wichtig ist.

SB: Sie bieten auch Originalfassungen des Tons an, die man zuschalten kann. Gilt das für alle Programme?

CI: Bei Spielfilmen gibt es die Möglichkeit, die Sprachfassungen auszuwählen. Bei Dokumentationen ist es eher so, daß wir mit Untertitelung oder Voice-over arbeiten. Wir sind in Strasbourg dafür zuständig, daß die deutsche respektive französische Sprachfassung hergestellt wird. Von einer Abteilung in Strasbourg, die arte Europe heißt, werden einige Programme ausgewählt, die auf Englisch, Polnisch, Spanisch und bald auch auf Italienisch untertitelt werden, damit wir in Europa möglichst breit aufgestellt sind. Aber Deutsch und Französisch bleiben natürlich die Sprachen, in denen arte auf Antenne ausgestrahlt wird. Online ist es jetzt aber möglich, eine Auswahl des Programmangebots in den genannten Sprachen anzusehen.

SB: Mit dem Summer of Fish 'n' Chips haben Sie einen Programmschwerpunkt für britischen Pop gesetzt. Auf arte gibt es hier und da auch Konzerte mit Popmusik aus anderen Ländern, aber die angloamerikanische Kultur dominiert doch stark. Was ist der Grund dafür?

CI: Nun ja, Popmusik hat, wie es Oliver Schwehm heute erklärte, ihre Wurzeln in Großbritannien. Man braucht sich nur die Namen der wegweisenden Akteure wie Beatles, Stones, David Bowie und Adele anzuschauen. Die Popmusik ist extrem von der angloamerikanischen Welt geprägt. Das heißt natürlich nicht, daß Popkultur nur in englischer Sprache existiert. Wir hatten eine große Dokumentation über Francoise Hardy gebracht und werden jetzt eine über Tokio Hotel bringen. Vor kurzem haben wir auch eine Dokumentation über Tangerine Dream gesendet oder französische und deutsche Künstler als Ikonen der Popkultur gezeigt.

SB: Ist man in Frankreich nicht sehr darauf bedacht, die eigene nationale Kultur hochzuhalten und stark zu machen?

CI: Aber ARTE ist weltoffen. Es geht uns nicht darum, die französische oder deutsche Kultur in Europa hervorzuheben, auch wenn unser Auftrag natürlich zunächst einmal darin besteht, die Kultur des jeweils anderen Landes über den Rhein zu bringen. Aber in erster Linie wollen wir europäisch sein und die Kultur so gut wie möglich verbreiten oder anders gesagt, einfach Lust auf Kultur machen.

SB: In Frankreich gibt es eine große maghrebinische Minderheit, in Deutschland eine kurdische bzw. türkische. Spielen migrantische Communities in Ihren Überlegungen zur Programmgestaltung eine Rolle, um auch diese zu repräsentieren?

CI: Bei Themenabend und Geopolitik spielt das natürlich eine Rolle. So hatten wir vor kurzem einen Themenabend über Muslime in Europa. Wir wollen diese Themen auch im Sendeplatz Gesellschaft behandeln, denn es geht uns um die europäische Vielfalt. Europa ist nicht nur francais de souche, wie man sagt, frankofranzösisch, sondern besteht aus einer Vielzahl von Kulturen. Diese Vielfalt auf arte zu zeigen, erfolgt im Großen Dokumentarfilm, im Programmschwerpunkt Gesellschaft und am Themenabend.

Natürlich gilt das auch für Musik. So haben wir auf arte Concert die Performances vieler Hiphop-Tänzer aus den Vororten von Paris gezeigt oder von der Biennale de Lyon. In unseren Programmen, die mit Kunst, Tanz und Musik zu tun haben, zeigen wir Künstler von allen möglichen Festivals. Wir haben jetzt gerade beim Afrika-Festival in Würzburg sowohl online als auch on air Programme gezeigt, die andere Kulturen zum Inhalt haben.

SB: arte feiert heute 25jähriges Jubiläum. Sie sind seit 16 Jahren beim Sender. Wie beurteilen Sie den interkulturellen Anspruch eines deutsch-französischen Kanals? Den meisten Menschen in der Bundesrepublik sind die französische Kultur und Gesellschaft eher fremd, sie haben eher einen Zugang zur angloamerikanischen Welt. Hat arte Ihrer Ansicht nach dazu beigetragen, daß es mehr Verständigung und Interesse zwischen den beiden benachbarten Bevölkerungen gibt?

CI: Ich glaube, wenn man Leute nach Beispielen für deutsch-französische Kooperation fragt, würden viele arte und vielleicht noch Airbus nennen. Am Anfang hatten nicht viele Leute an den Sender geglaubt, weil er ein politisches Kind von Kohl und Mitterand war. Heute ist arte aus der Fernsehlandschaft nicht mehr wegzudenken. Wir versuchen in einer Welt, in der Europa immer mehr in Frage gestellt wird, eine feste Säule zu sein und auch aufzuzeigen, daß Europa weder langweilig ist noch eine Kulturkonfrontation darstellt. Die Dinge werden zwar komplizierter, aber dennoch ist man zu zweit immer reicher. arte ist keine ganz simple Struktur, wir arbeiten jetzt mit neun europäischen Partnersendern zusammen. Das macht das Leben manchmal nicht einfacher, aber dafür anspruchsvoller. Natürlich erfordert das immer auch eine Öffnung und den Respekt für die andere Kultur.

SB: Wie hat sich Ihrer Ansicht nach die filmische Repräsentation in den 25 Jahren der Existenz des Senders entwickelt? Die französische Filmkultur war einmal sehr berühmt und aufregend, viele Regisseure haben sich daran orientiert. Was bleibt von diesem Vermächtnis wie beispielsweise dem Regisseur Jean Luc Godard und der Nouvelle Vague?

CI: Wir machen immer wieder Retrospektiven über große Schauspieler und Regisseure. So haben wir gerade etwas über Michel Piccoli und Julien Duvivier gebracht, der in Deutschland nicht unbedingt bekannt ist. Jean Luc Godard wird bestimmt irgendwann wieder ein Schwerpunkt sein. Wir versuchen, eine Mischung aus Hommages an berühmte Filmemacher und Berichten über junge Talente in den Vordergrund zu stellen.

SB: Unabhängige Dokumentarfilmer klagen häufig über Schwierigkeiten bei der Verbreitung ihrer Filme. Wie bewerten Sie die Entwicklung des Dokumentarfilms?

CI: Ich glaube fest daran, daß der Dokumentarfilm extrem wichtig ist, weil er die Welt anders erklärt. Grundsätzlich will er uns die Realität zeigen. Nicht zufällig sind auch private Anbieter wie Netflix oder Amazon an Dokumentarfilmen interessiert. Das erzeugt natürlich eine starke Konkurrenz. Nun, wir nehmen das Beste aus dem Bereich der Großen Dokumentarfilme. Das ist keine reine Carte Blanche, aber es gibt uns eine große Freiheit.

Ich habe mir gestern die Pressebroschüre angeschaut, die arte France für das große französische Dokumentarfilmfestival Sunny Side of the Doc in La Rochelle vorbereitet hat. Auf 81 Seiten wird präsentiert, was arte im Bereich Dokumentation und Dokumentarfilm macht. Die Palette, die arte anbietet, ist sehr breit angelegt, von Investigation über Autorenfilme bis Kunstdokumentationen, auch Große Dokumentationen über Natur und Wissen. Mehr als 50 Prozent des Programmschemas von arte sind Dokumentationen und Dokumentarfilme.

SB: Frau Isambert, vielen Dank für das Gespräch.


Claire Isambert am Rednerpult - Foto: © 2017 by Schattenblick

arte-Kulturprogramm umfassend präsentiert
Foto: © 2017 by Schattenblick


Beiträge zur arte-Pressekonferenz im Schattenblick unter:
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14. Juli 2017


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