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BERICHT/010: Brand I - Waldschutz- und Emissionshandelsdebatten ... (SB)



Racialized others, especially women and the poor, already have a deep understanding of what it means to be priced as nature. Capitalism is a mode of production based on racialized, sexist, and colonialist economic hierarchies. Indigenous, Women, Black and Brown, Asian-Pacific Islander leaders have historically pointed out the importance of challenging capitalist schemes because capitalism is based on the free (or cheap) labor of underclass peoples or non-citizens (and non-humans), and, as Audre Lorde puts it, needs them as "surplus people".

Carbon Pricing - A Critical Perspective for Community Resistance [1]

"Brand I - Vom Eigentum an Land und Wäldern" lautet der Titel des ersten Teils der dokumentarischen Trilogie, mit der die Künstlerin Susanne Fasbender zu einer "Denkreise zum Kern der ökologischen Krise" einlädt. Wie zentral die Eigentumsfrage im allgemeinen und die Verfügungsgewalt über Land und Boden im besonderen für das Verständnis der strukturellen Grundlagen sozialökologischer Zerstörungsgewalt ist, wird in der Kritik der Politischen Ökonomie geschulten KapitalismuskritikerInnen ohne weiteres einleuchten. Die Komplexität der spezifischen Verwertungsbedingungen im Bereich nationaler Energieproduktion und weltweiter Rohstoffpolitik zu durchdringen macht es zudem erforderlich, die Funktionsweise hochgradig abstrakter Formen der Inwertsetzung von Natur wie Ökosystemleistungen oder Verschmutzungsrechte so zu entschlüsseln, daß ihr immanenter Zusammenhang zu gesellschaftlichen Gewaltverhältnissen greifbar und angreifbar wird.

Auch wenn kein Dokumentarfilm dies im Detail zu leisten vermag, konfrontiert Brand I das Publikum mit einigen grundlegenden Denkanstößen, anhand derer das Interesse an diesem höchst innovativen Feld administrativen Krisenmanagements geweckt und durch daran anknüpfende Fragen vertieft werden kann. Zwischen Bildern aus dem Antikohlewiderstand im Rheinischen Braunkohlerevier und der durch die Tagebaue zerstörten Lebenswelten wie den Wortmeldungen davon betroffener Menschen kommen ExpertInnen zu Wort, die die gesellschaftlichen Hintergründe des Naturverbrauchs und die Widersprüchlichkeit der Strategien des grünen Kapitalismus zur Bewältigung der daraus resultierenden Schäden analysieren und kritisieren.


Veranstaltungsplakat am MPZ - Foto: © 2018 by Schattenblick

Foto: © 2018 by Schattenblick

Am 17. Oktober luden die Gewerkschaftslinke Hamburg und das Medienpädagogik Zentrum Hamburg (MPZ) zu einer Aufführung von Brand I in die Räume des MPZ im Schanzenviertel ein. In der anschließenden Diskussion kamen mehrere Themen zur Sprache, an die an dieser Stelle in Form einer weiterführenden Diskussion und Kommentierung angeknüpft werden soll.


Originaltitel Bild von Teil 1 aus der Film-Trilogie BRAND - Foto: © 2018 by Susanne Fasbender

Foto: © 2018 by Susanne Fasbender


Verbrauchsgerechte Disziplinierung der Arbeitsgesellschaft

Bei dem eingangs diskutierten Argument der Arbeitsplatzsicherung, das im politischen Streit um die Braunkohleverstromung einen hohen Stellenwert hat, waren sich die Anwesenden schnell einig darüber, daß bei der notwendigen Konversion von fossiler zu erneuerbarer Energie zumindest nicht weniger Arbeitsplätze entstünden als diejenigen, die bei RWE abzubauen sind. Zu bezweifeln ist allerdings, daß dieses maßgeblich von der SPD in NRW angeführte Argument tatsächlich so zentral wie behauptet ist. So spielt die ressourcenstrategische Überlegung, einen staatlich administrierten Energiemix zu sichern, in dem Braunkohle mit ihren großen Lagerstätten innerhalb von Deutschland auf absehbare Zeit eine Rolle spielt, ebenso in die Debatte um die Frist des Kohleausstieges hinein wie die wirtschaftliche Logik einer Energieproduktion, deren Überschüsse in großer Menge ins europäische Ausland exportiert werden.

Wie unredlich das von der NRW-Regierung aus CDU und FDP wie der Oppositionspartei SPD ins Feld geführte Arbeitsplatzargument gehandhabt wird, zeigt sich auch daran, daß den Rationalisierungsmaßnahmen großer Konzerne, die Tausende von Lohnabhängigen bedrohen, weit weniger Widerstand aus den Staatsapparaten entgegenschlägt. Zugleich wird das Interesse der von den krankmachenden Auswirkungen der Braunkohle betroffenen Menschen nicht in gleicher Weise berücksichtigt wie das der Kohlekumpel an sicheren Erwerbsverhältnissen. Wie in der Debatte um die Emissionen mit Diesel betriebener PKWs, zu der Wolfgang Hien zugunsten der davon betroffenen Menschen unter kritischer Würdigung der Rolle der Arbeitsmedizin schlagende Argumente beisteuert [2], werden Partikularinteressen verallgemeinert und die Minderung der Lebenszeit einer nennenswerten Zahl von Menschen als Preis für das Erwirtschaften des gesellschaftlichen Gesamtproduktes in Kauf genommen. Im Endeffekt wird der lohnabhängige Mensch nicht nur mit seiner Arbeitskraft, sondern auch seiner Physis in Produktionsverhältnisse eingespeist, die er sich kaum aussuchen und deren grenzwertgeschützte Toxizität er nicht verhindern kann. Lohnarbeit einzufordern, aber von kapitalistischer Fremdbestimmung nicht sprechen zu wollen ist die Crux einer Sozialdemokratie, die seit jeher der Befriedung der Lohnabhängigenklasse verpflichtet ist.


Großdemo am Hambacher Forst von oben - Foto: © 2018 by Susanne Fasbender

Bislang größte Demonstration zur Verteidigung des Waldes am 6. Oktober 2018
Foto: © 2018 by Susanne Fasbender


Mit der Breite des Widerstandes stellen sich neue Fragen

Das in Brand I anhand der Stimmen von AktivistInnen aus dem Globalen Süden zur Sprache kommende Problem, daß der Reichtum in den hochindustrialisierten Ländern des Nordens auf dem Rücken der ungleich ärmeren Bevölkerungen im Trikont erwirtschaftet wurde und wird, findet in der deutschen Auseinandersetzung um den Strukturwandel in der Energieerzeugung zu wenig Berücksichtigung. Die Bedeutung des Eigentums an Land und Boden für soziale Kämpfe überall auf der Welt wie die Zukunft einer Postwachstumsgesellschaft wird in dem Film von einem Aktivisten betont, was auf den gesellschaftsverändernden Tenor ihres Kampfes verweist. Was den AktivistInnen der Wald- und Wiesenbesetzung des Hambacher Forstes am Herzen liegt, rührt so sehr an die Grundfesten der herrschenden Eigentumsordnung, daß ihre Diffamierung als unbelehrbar militante Außenseiter in der Logik ihres Erhaltes liegt.

So berührte das Gespräch mit der Regisseurin Susanne Fasbender auch aktuelle Fragen zur Zukunft dieses nun mit deutschlandweiter Aufmerksamkeit bedachten Konfliktes. Seit 2012 haben die AktivistInnen den Wald, nur unterbrochen von zwei Räumungen, besetzt, um ihn gegen seine Abholzung zu verteidigen und gegen den zerstörerischen Verbrauch fossiler Brennstoffe wie einer alle Lebewesen bedrohenden Gesellschaftsform zu protestieren. Sie haben unter einfachsten Bedingungen im Winter auf den Bäumen ausgeharrt, sich mit Lebensmitteln aus Spenden und Abfallcontainern zufriedengegeben, die Angriffe der RWE-Securities und Polizei überstanden, und damit die Kontinuität eines sozialen Widerstandes unter Beweis gestellt, der, lange bevor er hierzulande Schlagzeilen machte, in den Kreisen der Klimagerechtigkeitsbewegung und unter radikalökologischen AktivistInnen weltweit wahrgenommen und unterstützt wurde.


Schild zur Waldbesetzung, Zelte in Bäumen, Hausbau - Fotos: © 2012 by Schattenblick Schild zur Waldbesetzung, Zelte in Bäumen, Hausbau - Fotos: © 2012 by Schattenblick Schild zur Waldbesetzung, Zelte in Bäumen, Hausbau - Fotos: © 2012 by Schattenblick

Erste Waldbesetzung im Juni 2012
Fotos: © 2012 by Schattenblick

Nun, seit "Hambi bleibt" fast zu einer Marke geworden ist, sind die großen Umweltverbände und NGOs auf eine Weise in der Sache aktiv geworden, die in deutlichem Kontrast zu den Jahren steht, in denen die BesetzerInnen aufgrund ihrer herrschaftskritischen Einstellung und Praxis eher ignoriert oder bestenfalls mißtrauisch beäugt wurden. Seit die mehrwöchige Räumung der Baumhäuser durch die Polizei dafür gesorgt hat, daß die Bedeutung der Waldbesetzung für den Streit um die Zukunft des deutschen Braunkohletagebaus in der Kohlekommission wie bei landespolitischen Entscheidungsprozessen weithin sichtbar geworden ist, sind die AktivistInnen mit einer neuen Qualität der medialen Repräsentanz ihres Kampfes konfrontiert. Da fast täglich in den Hauptnachrichtensendungen des Fernsehens über die Räumung des Hambacher Forstes berichtet wurde, hat die Waldbesetzung endgültig die Nische eines regionalen oder politisch randständigen Ereignisses verlassen. Wer im Blickfeld des nationalen Leitmediums angekommen ist, befindet sich auf einem Feld, das üblicherweise von ExpertInnen für Öffentlichkeitsarbeit und PR-Management beackert wird.

Das bedeutet jedoch nicht, daß die in der Waldbesetzung aufgeworfenen Fragen zu einer postkapitalistischen Produktions- und Lebensweise in herrschaftskritischer Selbstorganisation in den Blickpunkt der Berichterstattung gerückt sind, ganz im Gegenteil. Hier existiert eine unsichtbare Grenze, die von einem Großteil der UnterstützerInnen insofern berücksichtigt wird, als niemand zugunsten eines möglichst breiten Aktionsbündnisses durch linksradikale Ansagen verschreckt werden soll. Wenn bei den Reden auf der bislang größten Demonstration von 50.000 Menschen für den Erhalt des Hambacher Forstes und die Beendigung der Braunkohleverstromung am 7. Oktober kein kritisches Wort zum Thema Kapitalismus fällt [3], dann zeigt sich daran auch eine politische Konformität, die dem grünen Kapitalismus nähersteht als einer Gesellschaft, die nicht mehr von Privateigentum und Kapitalakkumulation strukturiert wird.


Waldweg mit Personen im Mai 2014 - Foto: © 2018 by Schattenblick

Längst vom Hambacher Loch verschluckter Waldweg
Foto: © 2014 by Schattenblick

Um das Beste aus dem erreichten Stand an widerständiger Mobilisierung zu machen, ist die Kraft der sozialen Bewegung von unten unbedingt vonnöten [4]. Nach den erfolgreichen Urteilen zum Rodungsstop und zur Aufhebung des Demonstrationsverbotes herrscht der Eindruck vor, der Weg der Klimagerechtigkeitsbewegung verlaufe über die Gerichte des demokratischen Rechtstaates. Die Proteste, die mit Hilfe dieses Staates und im Interesse seiner Geld- und Funktionseliten auf höchst legale Weise unterdrückt wurden, besagen jedoch etwas anderes. Das Verbot der auch für den Antikohlewiderstand bedeutsamen Informationsplattform Indymedia linksunten im August 2017 ist ein exemplarisches Beispiel dafür, wie eng die Grenzen dieses Rechtstaates gezogen werden können, um relevante Kritik an seiner Gesellschaftsordnung mundtot zu machen. Grünen SpitzenpolitikerInnen, die zu diesem Zeitpunkt Wahlkampf am Hambacher Forst machten, war kein Wort der Kritik zu diesem Vorgang zu entlocken. Statt dessen wurde die Sprachregelung der Verbotsverfügung übernommen [5].

Die immer wieder gegen die AktivistInnen der Wald- und Wiesenbesetzung ins Feld geführte Gewaltfrage hat vor allem einen Zweck - zu spalten, was ansonsten so viel kollektive Bewegung entfalten könnte, daß realer Einfluß auf die herrschenden Machtverhältnisse genommen werden könnte [6]. Sie ernsthaft zu diskutieren bedeutete, die strukturelle Gewalt der fossilistischen Produktionsweise, ihren destruktiven Einfluß auf das Mensch-Natur-Verhältnis, ihre gesundheitschädlichen Auswirkungen wie ihre Verankerung in einer Partikularinteressen dienenden privatwirtschaftlichen Eigentumsordnung ebenso einzubeziehen wie die angebliche Gewalt, die von Menschen ausgeht, die Zugänge blockieren oder Bäume besetzen.


Baumstämme mit Aufschrift 'Killed by RWE' und 'Widerstand', Lichtung gefällter Bäume - Fotos: © 2014 by Schattenblick Baumstämme mit Aufschrift 'Killed by RWE' und 'Widerstand', Lichtung gefällter Bäume - Fotos: © 2014 by Schattenblick Baumstämme mit Aufschrift 'Killed by RWE' und 'Widerstand', Lichtung gefällter Bäume - Fotos: © 2014 by Schattenblick

Kahlschlag nach Räumung im März 2014
Fotos: © 2014 by Schattenblick

Das diesjährige Klimacamp im Rheinland wurde seitens der Kohlegewerkschaft IG BCE und Teilen von ver.di mit einer Kampagne begleitet, die die Antikohlebewegung unter dem Motto "Schnauze voll von Gewalt" kriminalisierte, obwohl nicht einmal Aktionen des zivilen Ungehorsams geplant waren. Am 17. Oktober demonstrierten rund 100 Kohlekumpel vor dem Wohnhaus der in der Kohlekommission sitzenden langjährigen Antikohleaktivistin Antje Grothus und brüllten fast eine Viertelstunde lang gegen sie gerichtete Parolen, was die Betroffene als sehr bedrohlich empfand. In einer Stellungnahme verwahrte sie sich gegen den seitens der Kohlekumpel beim Aufmarsch vor ihrem Haus erweckten Eindruck, nur ihr Leben werde vom Streit um die Braunkohle in Mitleidenschaft gezogen:

Wir von den Auswirkungen des Braunkohletagebaus Betroffene und unsere Familien sind keine Betroffenen zweiter Klasse. Wir sind direkt betroffen durch massive Wertverluste unserer Immobilien, Heimatverlust durch Zwangsvertreibung und Zwangsenteignung, durch die von der Kohleförderung und -verstromung ausgehenden Gesundheitsgefahren, und massive Beeinträchtigungen unserer Lebensqualität. Sowohl in Deutschland als auch weltweit vernichtet Kohle direkt und indirekt Existenzen, und die Klimakrise gefährdet Menschenleben. [7]


Mit Mikro eines Reporterteams in Menschenkette - Foto: © 2017 by Schattenblick

Antje Grothus auf der Rote-Linie-Aktion am 26. August 2017
Foto: © 2017 by Schattenblick


Blutige Kohle - der globale Extraktivismus geht über Leichen

Die Verteidigung der Kohleindustrie durch maßgebliche gesellschaftliche Interessen wird um so inakzeptabler, sobald sich der Blick auf die weltweiten Produktionsverhältnisse richtet, in die sie eingebettet ist. Die Menschen im Globalen Süden leiden ganz konkret unter den Auswirkungen von Rohstoffstrategien, die etwa im Falle des Steinkohleabbaus in Kolumbien durch den Betrieb deutscher Kohlekraftwerke bedingt sind. Am Anfang solcher Verwertungsketten stehen die raumgreifenden Erschließungs- und Abbaustrategien transnational operierender Bergbaukonzerne, die neben fossilen Brennstoffen Mineralien wie Seltene Erden für Mobiltelefone, Metalle für die Herstellung von Batterien für E-Autos und eine Vielzahl anderer Ressourcen für Industrie und Landwirtschaft aus der Erde reißen. Dieser Extraktivismus führt zur Vertreibung indigener Bevölkerungen, massiver Luft- und Wasserverschmutzung, der Ausbeutung billigster Lohnarbeit unter sklavenartigen Bedingungen und Tausenden von Opfern tödlich verlaufender Arbeitsunfälle.

Über 200 gesicherte Fälle der Ermordung dagegen protestierender AktivistInnen 2017 [8] zeigen, wie umkämpft die kapitalistische Ressourcenausbeutung und wie hart die Verteidigung des Landes, der auf ihm und von ihm lebenden Menschen, Tiere und Pflanzen gegen den globalen Extraktivismus ist. Diese Zahl sei lediglich die Spitze des Eisbergs, so die Organisation Global Witness, die diese Fälle dokumentiert, häufig aber keinen Zugang zu den erforderlichen Informationen erhält. Hinzu kommen Ressourcenkonflikte insbesondere um das knappe Gut trinkbaren Wassers, die Bürgerkriege wie auch bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Staaten mittelbar durch dürrebedingte Nahrungsmittelkrisen wie unmittelbar durch die Entnahme von zu viel Wasser am Oberlauf eines Flusses, dessen Unterlauf in einem anderen Land liegt, auslösen können. Wenn hierzulande behauptet wird, man wolle die Ursachen der Flucht in die EU beseitigen, dann handelt es sich auch um eine klimapolitische Aussage, wie gerne vergessen wird, wenn die Bundesregierung einmal mehr die schwachen Reduktionsziele anderer EU-Staaten unterbietet.


Baumhaus mit Rotbuche - Foto: © 2014 by Schattenblick

Baumhaus im Mai 2014
Foto: © 2014 by Schattenblick


Green Economy, Carbon Pricing ... des Kaisers neue Kleider

Doch nicht nur die Rohstoffproduktion macht den Bevölkerungen des Globalen Südens das Leben schwer. Eine weitere Achse der Verdrängung indigener Menschen von ihrem Land oder des Verbotes traditioneller und lebensnotwendiger Formen der Subsistenzwirtschaft ist die Kommodifizierung von Wäldern oder pflanzlichen wie tierlichen Bioorganismen, also der Inwertsetzung sogenannter Ökosystemleistungen, zur Kompensation von Treibhausgasen in den Industriestaaten. Wie in Brand I anhand der Proteste indigener Bevölkerungen gegen REDD (Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation) gezeigt, hat das seit 2005 bei Verhandlungen zur Klimarahmenkonvention (UNFCCC, United Nations Framework Convention on Climate Change) entwickelte Konzept, Waldschutzmaßnahmen monetär in Wert zu setzen, häufig schwerwiegende Nachteile für die Menschen mit sich gebracht, die in diesen Wäldern zu Hause sind oder deren Überleben von ihrer Nutzung abhängt. Ihre Lebenswelt wird quantifiziert und kommodifiziert, um ihren Bestand oder ihre nicht mehr erfolgende Nutzung in Form von Verschmutzungsrechten, sogenannten Carbon Offsets, handelbar zu machen, mit denen CO2-Emissionen, die in anderen Teilen der Welt entstehen, angeblich kompensiert werden.

Diese Vorstellung setzt voraus, daß das eine mit dem anderen überhaupt vergleichbar ist. Im Ergebnis wird an einer Stelle mit klimaschädlichen Produktionsformen fortgefahren, während an anderer Stelle unterstellte Verbrauchs- und Zerstörungsprozesse unterbleiben, die vielleicht niemals stattgefunden hätten. Die notwendige Verifikation der Vermeidung von Schäden und der Umwidmung dessen in Verschmutzungsrechte führt im Gegenteil häufig dazu, daß eine regelrechte Produktion potentieller Zerstörungsprozesse in Gang kommt, die angeblich unterlassen werden, um geldwerte Verschmutzungsrechte erwirtschaften zu können.


Biologin Jutta Kill von der Durban Group for Climate Justice untersucht REDD-Projekte, Dr. Clive Spash lehrt Ökologische Ökonomie an der Wirtschaftsuniversität Wien - Fotos: © 2018 by Susanne Fasbender Biologin Jutta Kill von der Durban Group for Climate Justice untersucht REDD-Projekte, Dr. Clive Spash lehrt Ökologische Ökonomie an der Wirtschaftsuniversität Wien - Fotos: © 2018 by Susanne Fasbender

Kritik der Ökonomisierung der Natur - Clive Spash und Jutta Kill in Brand I
Fotos: © 2018 by Susanne Fasbender

So werden Möglichkeiten geschaffen, die konkret überprüfbare Reduktion von Treibhausgasemissionen an ihrem Entstehungsort zu unterlassen, um anstelle dessen das Recht, eine klimaschädliche Produktion weiterzubetreiben, käuflich zu erstehen oder fiskalisch zu legitimieren. Durch die Schaffung neuer Märkte für CO2-Emissionen werden nicht nur konkrete Klimaschutzmaßnahmen unterlaufen, sondern die Finanzialisierung des Mensch-Naturstoffwechsels schafft anhand der Verwandlung von Zerstörungspotentialen in profitträchtige Transaktionen neue Anlage- und Geschäftsmöglichkeiten. So hat sich RWE zu einer Zeit, als der Preis für die Emissionszertifikate sehr niedrig war, so reichlich mit ihnen eingedeckt, daß die Kohleverstromung bis 2022 ohne zusätzliche Kosten für neue Emissionszertifikate gesichert ist [9]. Zudem erhalten Stromkonzerne wie andere energieintensive Industrien erhebliche Mengen dieser geldwerten Zertifikate auch in Zukunft kostenlos zugeteilt, was auf eine indirekte Subventionierung ihres Betriebes hinausläuft.

Die Analogie zur Bündelung von Schulden in handelbare Finanzprodukte, die zu unkontrollierbaren Kreditblasen führten und maßgeblich zur Eskalation der Krise 2008 beigetragen haben, liegt auf der Hand. Je abstrakter die Transformation von Verlusten in Gewinne durch bloße Vergleichs- und Rechenoperationen wird, je mehr die Kapitalakkumulation der Rückbindung an die Mehrwertproduktion durch Arbeit enthoben ist, desto schwerwiegender sind die Konsequenzen, wenn die Tragfähigkeit der zugrundliegenden Widerspruchskonstellation bricht.

Mit seiner marktförmigen Integration erweist sich das Krisenmanagement des Klimawandels nicht nur bei der neokolonialistischen Aneignung des Gemeingutes von Bevölkerungen des Globalen Südens als Herrschaftsprojekt. Während nichtweiße Menschen einem regelrechten Umweltrassismus ausgesetzt sind, weil sie der Ausplünderung ihrer Lebenswelt häufig wenig entgegenzusetzen haben und aus Kostengründen oft darauf angewiesen sind, an besonders gesundheitsschädlichen Orten in unmittelbarer Nachbarschaft von Tagebauen, Raffinerien, Großflughäfen oder Agroindustrien [10] zu leben, werden die sozialen Folgen einer Bepreisung von CO2-Äquivalenten, das sogenannte Carbon Pricing, alle Menschen betreffen, die beim Konsum von Verbrauchsgütern, beim Heizen und Autofahren zusätzlich zur Kasse gebeten werden. Die Umverteilung der Umweltkosten von oben nach unten hat nicht zur Folge, daß sie mehr verdienen, um die gestiegenen Preise ihrer Verbrauchsgüter bezahlen zu können, so daß die Lenkungswirkung des Carbon Pricing zu Lasten ihrer Lebensqualität geht.

Die Einführung einer neuen Währung in Form der Grundeinheit des CO2-Äquivalents, die allen geldförmigen Instrumenten zur Eindämmung des Klimawandels wie der Einführung von Kohlenstoffsteuern oder der Einrichtung von Emissionshandelssystemen zugrundeliegt, ist alles andere als eine ökologische Maßnahme. Es handelt sich um die Qualifizierung administrativer Verfügungsgewalt auf einer neuen Ebene der politischen Ökonomie, die als Kernstück der Green Economy der besonderen Analyse und Kritik bedarf. So ist die Bundesrepublik Mitglied in der Carbon Pricing Leadership Coalition, einer internationalen Organisation von Regierungen, Unternehmen und Initiativen der Zivilgesellschaft, die den Klimawandel so bewirtschaften wollen, daß ihr auf neoliberaler Wachstums- und Wettbewerbsideologie beruhendes Akkumulationsregime Bestand hat.

Es liegt in der Logik des damit gesetzten Rahmens marktförmiger Tauschverhältnisse, daß die unterstellte Lenkungswirkung der Bepreisung von Naturzerstörung niemals dafür ausreichen wird, die Grundlage der herrschenden Wirtschaftsordnung in Frage zu stellen. Innerhalb dessen bleibt es bei der Verwertung des Kapitals um seiner selbst willen. Der politisch bestimmte Charakter dieses Regulativ reflektiert die Interessen gesellschaftlicher Geld- und Funktionseliten, die nicht die derjenigen sind, die nichts als ihre Arbeitskraft zu verkaufen oder die Subsistenz ihres Daseins auf dem Flecken Land zu verlieren haben, von dem ihr Leben abhängt.


Transparent auf dem Klimacamp 2017 mit zwei Löwen vor Industriepanorama - Foto: © 2017 by Schattenblick

Klimagerechtigkeit in den Augen der Wildnis
Foto: © 2017 by Schattenblick


Antikolonialismus und Klimagerechtigkeit

Der Globale Süden wird auch in Zukunft das Nachsehen haben. Die Zeithorizonte, innerhalb derer es zu nennenswerten Reduktionen des Ausstoßes klimaschädlicher Gase kommt, strecken sich immer mehr in die Länge, weil die maßgeblichen Akteure, die führenden Industriestaaten, selbst in einer Klemme aus Überproduktion und Überschuldung stecken, so daß weitere Abstriche von der Kapitalproduktivität nur sehr schwer durchzusetzen sind. Wird hierzulande noch darüber diskutiert, ob man 2030 oder erst 2045 aus der Braunkohleverstromung aussteigen sollte, droht anderswo Millionen Menschen durch Nahrungsmangel und Trinkwasserverseuchung ein vorzeitiger Tod. Weitere Millionen werden zur Flucht in andere Weltgegenden getrieben, weil ihr Land für die fossile, mineralische und agrarische Rohstoffproduktion, für den Bau neuer Flughäfen, Autobahnen und Städte in Beschlag genommen wird oder ihre Siedlungsgebiete durch Überhitzung, Dürre oder Überflutung unbewohnbar geworden sind.

Wie auf den jährlich stattfindenden Klimakonferenzen offenkundig wird, ist die sozialdarwinistische Matrix der Überlebenskonkurrenz durch altruistische Appelle nicht zu überwinden. Da die Bevölkerungen der industriell hochentwickelten Weltregionen meist in klimatisch gemäßigten Zonen leben, kommt die Botschaft, der Klimawandel ließe sich auch ohne Einbußen an Wirtschaftswachstum und Wohlstandskonsum aufhalten, dort gut an. Der grüne Kapitalismus als angeblich bester Weg zum Erreichen des erklärten Ziels, die globale Erwärmung auf maximal 2 Grad gegenüber dem Niveau vor Beginn der Industrialisierung zu begrenzen, will die Entkopplung des Wirtschaftswachstums von Naturzerstörung vor allem durch technische Effizienzgewinne ermöglichen. Selbst wenn dies unter Laborbedingungen möglich wäre, müßten Wachstumsraten und Reboundeffekte durch eine Effizienzsteigerung der Ressourcennutzung überholt werden, die schon in Anbetracht des Anstiegs der CO2-Emissionen in den bevölkerungsreichsten Staaten der Welt, China und Indien, erkennen lassen, daß auch ein qualitatives Wachstum dem Klimawandel nicht im erforderlichen Maße Einhalt gebieten wird.


Klimaaktivistin Joanna Cabello von Carbon Trade Watch, KleinbäuerInnenaktivist und Präsident der Bangladesh Krishok Federation A.S.M. Badrul Alam, Aktivist Bakary Traoré in der Selbstorganisation von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern im Office du Niger und im transnationalen Netzwerk Afrique-Europe-Interact - Fotos: © 2018 by Susanne Fasbender Klimaaktivistin Joanna Cabello von Carbon Trade Watch, KleinbäuerInnenaktivist und Präsident der Bangladesh Krishok Federation A.S.M. Badrul Alam, Aktivist Bakary Traoré in der Selbstorganisation von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern im Office du Niger und im transnationalen Netzwerk Afrique-Europe-Interact - Fotos: © 2018 by Susanne Fasbender Klimaaktivistin Joanna Cabello von Carbon Trade Watch, KleinbäuerInnenaktivist und Präsident der Bangladesh Krishok Federation A.S.M. Badrul Alam, Aktivist Bakary Traoré in der Selbstorganisation von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern im Office du Niger und im transnationalen Netzwerk Afrique-Europe-Interact - Fotos: © 2018 by Susanne Fasbender

Stimmen des Trikont - Joanna Cabello, A.S.M. Badrul Alam und Bakary Traoré in Brand I
Fotos: © 2018 by Susanne Fasbender

In Sicht auf eine wirksame Reduktion der CO2-Emissionen wären Maßnahmen wie der schnelle Ausstieg aus der Kohleverstromung, die Einstellung der Mineralienextraktion in Tagebauen, die weitgehende Aufgabe des klimaschädlichen Flugverkehrs, die Verlegung des motorisierten Individualverkehrs und Gütertransports auf die Schiene, die Einstellung der industriellen Massentierhaltung und Verminderung des Tierverbrauchs wie der Übergang zur ökologischen Landwirtschaft dringend erforderlich. Was bei der Umstellung kapitalistischen Wachstums von brauner auf grüne Energie nicht in Rechnung gestellt wird, wenn anhand solcher Forderungen vor "Strukturbrüchen" und Arbeitsplatzverlust gewarnt wird, ist die akut lebensbedrohliche Situation in anderen Teilen der Welt.

So bleibt die grüne Fortschreibung der kapitalistischen Wirtschafts- und Produktionsweise Ausdruck national- und sozialchauvinistischer Ignoranz. Produziert wird nicht, um Bedürfnisse zu befriedigen, sondern um sie auszunutzen. Dem gesellschaftlich erzielten Reichtum liegt die Mühsal einer Arbeit zugrunde, die nicht adäquat zu dem von ihr erzeugten Produkt und der dabei aufgewendeten Arbeitszeit, sondern zu dem jeweiligen Interesse, das die Ware auf dem Markt erzeugt, entlohnt wird. Anders wäre es kaum denkbar, daß die entbehrungsreichen Strapazen eines Erntehelfers in Brasilien oder einer Näherin in Bangladesch mit dem Bruchteil des Verkaufsertrages vergolten werden, der am oberen Ende des Produktivitätsgefälles in der EU erzielt wird.

In einer von Klassenkämpfen bestimmten Geschichte gesellschaftlicher Entwicklung kann die Bewältigung des Klimawandels nicht auf eine technische Lösung reduziert werden, wenn sie keine soziale Katastrophe mit womöglich genozidaler Konsequenz zeitigen soll. Die ökologische Problematik entspringt zu einem Gutteil einem Kapitalismus, dem die materielle Basis des Wertwachstums so gleichgültig ist wie die dabei angerichtete Zerstörung menschlichen und natürlichen Lebens. Auch das Carbon Pricing und andere Formen der Inwertsetzung von Natur unterliegen einer Eigentumsordnung, in der die Besitzer der Produktionsmittel Verfügungsgewalt über die Lohnarbeit ausüben, deren Verkauf sich der jeweiligen Nachfrage zu unterwerfen hat. Selbst wenn eine Orientierung auf grünes Wachstum zur Reduktion klimawirksamer Gase führte, änderte dies an der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft und natürlicher Ressourcen nichts. Die Eigentumsfrage zu stellen ist auch in Zukunft die zentrale Voraussetzung einer gesellschaftlichen Veränderung, die die soziale Situation der großen Masse am Existenzminimum lebender Menschen verbessert.


Einfahrt zur besetzten Wiese mit Feldweg und Wohnwagen - Foto: © 2014 by Schattenblick

Was bleibt ... Wiesenbesetzung im Mai 2014
Foto: © 2014 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] Climate Justice Alliance and Indigenous Environmental Network, October 2017: Carbon Pricing - A Critical Perspective for Community Resistance, S. 56
http://www.ienearth.org/wp-content/uploads/2017/11/Carbon-Pricing-A-Critical-Perspective-for-Community-Resistance-Online-Version.pdf

(Zitat in eigener Übersetzung:)
Rassistisch stigmatisierte andere, insbesondere Frauen und Arme, verfügen bereits über ein tiefergehendes Verständnis dessen, was es heißt, als Natur in Wert gesetzt zu werden. Kapitalismus ist eine Produktionsweise, die auf rassistischen, sexistischen und kolonial-ökonomischen Hierarchien errichtet ist. Indigene, Frauen, schwarze und braune Menschen, asiatisch-pazifische Anführer haben schon früher hervorgehoben, wie wichtig es ist, kapitalistische Sichtweisen zu bekämpfen, weil der Kapitalismus auf der freien (oder billigen) Arbeit von Menschen der Unterklasse oder Nicht-Citizens (und Nichtmenschen) gegründet ist. Wie Audre Lorde es erklärt, benötigt er sie als "Überschußbevölkerung".

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/medizin/fachmed/m1ar0471.html
http://www.schattenblick.de/infopool/medizin/fachmed/m1ar0472.html

[3] https://www.jungewelt.de/artikel/341304.wir-wollen-nicht-eure-schei%C3%9Fe-fressen.html

[4] http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ticker/utwa0368.html

[5] http://schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0091.html

[6] http://schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1153.html

[7] http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/brenn/ubko0493.html

[8] https://www.nationalgeographic.com/environment/2018/07/environmental-defenders-death-report/?user.testname=none

[9] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1163.html

[10] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1156.html


21. Oktober 2018


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