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REZENSION/016: "Have You Ever Heard Of Wilhelm Reich" (Hörspiel/Video) (SB)



"Hast du jemals von Wilhelm Reich gehört?" fragt eine Geisha die andere, und die muß passen. "Wilhelm Reich, wer war das noch mal gleich?" Nun entspinnt sich ein Dialog, der in formelhafter Kürze Kernthesen des Werks des österreichischen Psychoanalytikers, Sexualkundlers und Naturforschers Revue passieren läßt. Sie fügen sich ein in ein Kaleidoskop aus Spielszenen, Textfragmenten und Klängen, das Andreas Ammer und die Band Console in einer Produktion des Bayrischen Rundfunks als Hör- und Sehstück inszeniert haben. Wem bei dem, was Radio oder Audio-CD zu bieten haben, der optische Reiz fehlt, der kann sich mit einer Video-DVD behelfen, auf der die Tonspur zu einem audiovisuellen Medienkunstwerk erweitert wird. Die ganz unjapanischen Geishas (Judith Huber & Eva Löbau) handeln beiläufig grundlegende, um "Liebe, Arbeit und Wissen" kreisende Fragen ab, nicht ohne sich auf eine Weise in die Haare zu bekommen, die ahnen läßt, daß alle Theorie grau ist. Ein in schwarzweißer Kulisse auftretender Schreibtischtäter (Marcus Calvin) verliest, alarmistisch flankiert von einem knallroten Feuerlöscher, alte FBI-Unterlagen, aus denen hervorgeht, wie sehr Wilhelm Reich von den US-Behörden drangsaliert wurde, obwohl er längst kein Kommunist mehr war. Die Stimme des Verfolgten (Stefan Kastner) wird anhand eines Polizeifotos illustriert. Nur der Mund vollzieht mechanische Bewegungen, der Rest des Gesichts bleibt unbelebt, was den gespenstischen Charakter der auf Band gesprochenen Worte effektvoll unterstreicht.

Wer von Wilhelm Reich gehört, wer ihn studiert hat oder mit den Ergebnissen seiner psychoanalytischen Arbeit in Berührung gekommen ist, bei dem wird das im Karlsruher ZKM uraufgeführte Medienkunstwerk vielleicht Erinnerungen an eine Zeit wachrufen, in der dieser Name für die Befreiung des Körpers von einer rigiden Sexualmoral stand, für Debatten um die gesellschaftliche Bedeutung der Familie und die Hoffnungen, die in ihre Überwindung gesetzt wurden. Von all dem findet sich wenig in der künstlerischen Aufbereitung seines Lebens, die sich fast ausschließlich auf die Zeit beschränkt, in der Wilhelm Reich in den USA lebte und mit der Erforschung der von ihm postulierten Lebensenergie Orgon befaßt war.

Diese steht, obwohl sie nur einen zudem als äußerst fragwürdig erachteten Teil seines Lebenswerks betrifft, im Mittelpunkt des Hörspiels "Have You Ever Heard Of Wilhelm Reich". Die mit einer aufwendig produzierten Tonkomposition akustisch untermalten Episoden und Anekdoten rund um die aus dieser Forschung hervorgegangenen Anwendungen und Theorien mögen amüsieren, sind jedoch von geringem Erkenntniswert, was Leben und Wirkung der Person Wilhelm Reich betrifft. Man hat es mit einem künstlerisch ambitionierten Kuriositätenkabinett um das finale Scheitern einer Lebensgeschichte zu tun, das mit bruchstückhaften Reflexionen auf Begebenheiten aufwartet, die aus historischer Sicht allemal von Interesse sind, zu denen sich der Zugang aber immer mühsamer zu eröffnen scheint.

Wer noch nicht von Wilhelm Reich gehört hat, der muß den Eindruck gewinnen, es mit einem der vielen esoterisch angehauchten Sonderlinge zu tun zu haben, die sich in exotische bis paranoide Wahnvorstellungen versteigen, um den Geheimnissen des Lebens doch nicht auf die Spur zu kommen. Selbst der dargestellte Konflikt zwischen Reich und dem FBI, der in einem mehrjährigen Gefängnisaufenthalt resultiert, währenddessen der Schüler Freuds einen einsamen Tod stirbt, nimmt keine zeitgeschichtliche Kontur an, die ersichtlich machte, warum man den österreichischen Exilanten für so gefährlich hielt, daß all seine Publikationen, in denen das Wort Orgon vorkam, verbrannt werden mußten.

Die kursorische, quasi im Schnelldurchgang abgehandelte Theoriebildung Reichs, die von der klassischen Psychoanalyse zu einer um die Forderung nach sexueller Befreiung erweiterten marxistischen Gesellschaftskritik und Faschismusanalyse führte, um schließlich über die von ihm entwickelte Charakteranalyse und Vegetotherapie in die Orgonforschung zu münden, bleibt bloßes Fragment. Durchaus unterhaltsam von den beiden Geishas, die in einem kargen Gewerberaum auf wen auch immer warten, in Szenen einer Ehe gesetzt, verdampfen Leben und Werk Wilhelm Reichs zu einer ironisch konnotierten Beliebigkeit, die mutmaßen läßt, daß dieser Anlaß für eine popkulturell avancierte Produktion so gut wie jeder andere auch war. Man freut sich darüber, daß Patti Smith dem österreichischen Wissenschaftler mit dem Stück "Birdland" Reverenz erwiesen hat, und genießt die von der Band Console intonierte Verbeugung, doch verbleibt die Emphase im vagen Raum bloßer Mutmaßungen über die Bedeutung Wilhelm Reichs für die Nachwelt.

In der Luftigkeit der Darbietung Spuren eines Konflikts zu finden, der die ernsthafte Auseinandersetzung lohnte, scheint kaum möglich und auch nicht gewollt zu sein. Dabei böte das Thema Reich gerade angesichts des therapeutischen, ins Weltanschauliche entufernden Anspruchs, den er anhand seiner energetischen Sicht auf den Körper, dessen vermeintlich durch unbefriedigte Sexualität verursachte Blockaden und deren aus orgiastischer Potenz zu erzielende Überwindung hin zu einem identischen Sein formulierte, reichhaltigen Stoff für weiterführende Überlegungen. Der in die Ahnengalerie der Psychoanalyse entrückte Wilhelm Reich hat den Keim zu einem bunten Strauß körperorientierter Therapieformen gelegt und damit einiges zur Arbeit an der Physis des Sozialen beigetragen. Heute wird deren Haut zu Markte eines florierenden Geschäfts mit Antworten getragen, die keiner Frage bedürfen, weil sie die Misere produzieren, die es zu behandeln gilt.

Daß Reich die Sexualität in der Tradition Freuds monokausal für fast alle Widrigkeiten des zwischenmenschlichen Verkehrs verantwortlich machte und zu einem Universalschlüssel für die Behebung dieser Probleme erhob, war Ergebnis der restriktiven Gesellschaft, in der er groß wurde. Sein Versuch, diese quasi von innen heraus, an der familiären Struktur ihrer Reproduktion, zu revolutionieren, verebbte im bürgerlichen Horizont dieser ihn selbst bestimmenden sozialen Matrix. Daß er in der Kommunistischen Partei nicht alt wurde und später, wie im vorliegenden Stück mehrmals zu vernehmen, nur noch von "roten Faschisten" sprach, war der Exklusivität des Blicks auf die menschliche Triebstruktur und ihre energetische Dynamisierung geschuldet.

Man könnte die These aufstellen, daß Reich der Vergeblichkeit des Versuchs, den Widersprüchen der kapitalistischen Gesellschaft mit der psychoanalytischen Kritik der sie perpetuierenden familiären Autoritätsstrukturen zu Leibe zu rücken, in die Metaphysik eines kosmologischen Entwurfs entfloh, anhand dessen er die Bedingungen der sozialen Malaise mit einem monokausalen Erklärungsmodell aufheben und ihrer politischen Sprengkraft entheben konnte. Seine Bedeutung für die Generation der 1960er und 1970er Jahre erschließt sich simultan dazu in der Regression in das vermeintlich Innere einer Physis, der das vermeintlich Äußere der Gesellschaft nicht nur eingeschrieben ist, sondern die von den Verbrauchs- und Verwertungsimperativen einer von materiellen Nöten und Schmerzen bestimmten Menschheitsentwicklung durchdrungen wird. Die von Reich postulierte Vervollkommnung des Menschen als ein seine körperlichen Bedürfnisse uneingeschränkt befriedigendes Wesen bot sich als Ausweg aus einem Dilemma an, das in der nicht in Angriff genommenen größeren Herausforderung der Emanzipation von seinen biologischen und gesellschaftlichen Bedingungen bestand.

Das der Sendung als Leitmotiv vorangestellte Zitat Wilhelm Reichs "Liebe, Arbeit und Wissen sind die Quellen unseres Lebens. Sie sollten es auch beherrschen." wirft die Frage auf, inwiefern Herrschaft überhaupt etwas hervorbringen kann, das den Menschen befähigt, seine Bedürftigkeit nicht gegen den anderen zu wenden. Das kapitalistische Paradigma der Verteilung für das Leben erforderlicher Güter und Ressourcen produziert Verhältnisse der Gegenseitigkeit, in denen der Mensch dem anderen im Zweifelsfall jener Wolf ist, der seit Thomas Hobbes die Verabsolutierung der Staatsgewalt legitimiert. Die Vision einer herrschaftsfreien Welt zu verwirklichen, bedarf mehr als einer sexuellen Revolution, als deren Protagonist Wilhelm Reich vor allem bekannt wurde. Der um seine Person entfachte Mythos erweist sich denn auch als quasireligiöses Streben nach Glaube, Liebe, Hoffnung. Dem kann mit der künstlerischen Inszenierung seiner vitalistischen Spekulationen durchaus entsprochen werden.


Ammer & Console
"Have You Ever Heard Of Wilhelm Reich?"
Hörspiel / Video
intermedium rec. 042
Stereo CD / 5.1 DVD / ISBN 978-3-939444-70-1
Text & Musik: Andreas Ammer, Kasper Brandner, Martin Gretschmann
Produktion: BR Hörspiel und Medienkunst 2009
Länge: 56:41
VÖ: 25.09.2009; Uraufführung (ZKM Karlsruhe): 26.09.2009
Ursendung (BR, Bayern2, hör!spiel!art.mix): 02.10.2009, 20.30 Uhr

1. Oktober 2009