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REZENSION/014: "Die Madoff-Affäre - Aufstieg und Fall einer Wall-Street-Legende" (Phoenix) (SB)


"Die Madoff-Affäre - Aufstieg und Fall einer Wall-Street-Legende" - Phoenix-Dokumentation




Ein Mann in einer New Yorker Straßenschlucht, umringt von einer Traube Reporter und Kameramänner. Mit der Aggressivität ihrer Jagd nach Soundbytes und Bildern lassen sie keinen Zweifel daran, daß der mit schwarzer Basecap und Jacke vergeblich Unsichtbarkeit vortäuschende graumelierte Herr eine kapitale Beute ist. Plötzlich stößt einer der Fotografen den alten Mann vor die Brust, so daß dieser einige Schritte zurücktaumelt, ohne sich anmerken zu lassen, wie verletzt er von dieser Mißachtung seiner Würde ist. Der Versuch des Fotografen, ein besseres Bild vom Objekt seiner Jagd oder gar einen spektakulären Schnappschuß der entgleisten Gesichtszüge seines Opfers zu erhalten, schlägt fehl. Bernard Madoff, der laut seinen Anklägern 4800 Kunden seiner Investmentfirma Bernard L. Madoff Investment Securities LLC um knapp 65 Milliarden Dollar betrogen hat, läßt sich nichts anmerken. Er weiß, wieso er als Zielscheibe einer Empörung fungiert, der, wiewohl bei seinen geschädigten Anlegern verständlich, eine gewisse Verlogenheit nicht abzusprechen ist.

Dem 71jährigen Finanzmagnaten ist, wie sein in allen 11 Anklagepunkten abgelegtes Schuldeingeständnis belegt, der moralisch verwerfliche Charakter seines Treibens wohlbewußt. Als an der Wall Street hochangesehener Finanzmanager, der es neben seiner einflußreichen Stellung als bedeutsamer Finanz- und Börsenmakler bis zum Vorsitzenden der von ihm mitbegründeten Technologiebörse NASDAQ brachte, als Philantroph, der zahlreiche Stiftungen und Wohltätigkeitseinrichtungen alimentierte, als respektables Mitglied der jüdischen Gemeinde New Yorks, die einen besonders hohen Anteil seiner direkten Kunden stellte, hat Madoff stets die Werte repräsentiert, die der moralischen Rechtfertigung kapitalistischer Wertschöpfung zugrunde liegen. Nach dem Zusammenbruch seines Schneeballsystems, das für zahlreiche Investoren viele Jahre lang eine gute Rendite abwarf, so daß man nicht eigens nachfragte, wie dies möglich wäre, wurde der honorige Geschäftsmann zum schwarzen Schaf einer Branche, die Erfolg so sehr vergöttert, wie sie Mißerfolg gnadenlos abstraft.

Die von dem gemeinnützigen US-amerikanischen TV-Network PBS produzierte und vom öffentlich-rechtlichen Fernsehsender Phoenix in deutscher Erstausstrahlung am 2. August um 22.30 Uhr gesendete Dokumentation "Die Madoff-Affäre - Aufstieg und Fall einer Wall-Street-Legende" schildert die Karriere des Finanzmanagers anhand von Interviews mit früheren Geschäftspartnern und Kunden, mit Journalisten, die Madoff schon vor Aufdeckung seiner betrügerischen Machenschaften auf die Spur gekommen sind, und Vertretern staatlicher Behörden, die drängende Verdachtsmomente auf unseriöse Geschäftspraktiken wenn nicht von vornherein ignorierten, dann in den mehrmals eingeleiteten Ermittlungen ungenügende Beachtung schenkten. Ergänzt werden diese Stellungnahmen durch Reportageelemente, die die bis nach Europa reichenden Auswirkungen des Zusammenbruchs seines Finanzimperiums illustrieren. Der für das renommierte TV-Magazin "Frontline" arbeitende Journalist Martin Smith und die Journalistin Marcela Gaviria legen mit dieser erst Mitte Mai fertiggestellten Fernsehproduktion einen spannenden Bilderbogen über das Leben Madoffs vor, dessen durchaus unterhaltsamer Charakter vor allem dem abenteuerlichen Selbstverständnis der mit Madoff zusammenarbeitenden Finanzmanager geschuldet ist.

So entsteht das Bild einer ganzen Klasse von Profiteuren, die mit dem lukrativen Treiben sehr einverstanden waren, so lange sie ihren Vorteil wahren konnten. Anhand der Aussagen ehemaliger Geschäftspartner und Gläubiger wird deutlich, daß die von Madoff bei Geschäften mit anderen Fondsverwaltern, die ihre Gelder bei ihm anlegten, verlangte Anonymität seiner Person ebenso gerne eingehalten wurde, wie direkte Kunden Fragen nach dem Quell des scheinbar unerschöpflich sprudelnden Geldsegens vermieden, um nicht Gefahr zu laufen, Zugang zu dieser Kapital aus Kapital schöpfenden Reichtumsmaschine zu verlieren.

Zwar bewegten sich die Renditen meist nicht in den schwindelerregenden Höhen, in die sich besonders risikofreudige Kunden einiger Hedge Fonds begeben, doch das hatte den Vorteil, den Eindruck eines soliden Geschäftsgebarens zu untermauern. Entscheidend für die Attraktivität seiner Investmentfirma war die Garantie eines dauerhaften Ertrags von etwa zehn Prozent der Einlagen. Da Madoff Forderungen nach Rückzahlung der investierten Gelder stets prompt nachkam, flog der Betrug erst auf, als die durch den stetigen Zustrom neuer Kunden gewährleistete Refinanzierung im Rahmen der Wirtschaftskrise ausblieb. Als seine Firma große Forderungen selbst klamm gewordener Investoren nicht mehr bedienen konnte, wurde Madoff von seinen eigenen Söhnen im Dezember 2008 angezeigt und daraufhin von der Finanzaufsichtsbehörde Securities and Exchange Commission (SEC) angeklagt.

Daß sich gerade die SEC schwerwiegender Versäumnisse schuldig gemacht hat, wird in der Dokumentation ausführlich belegt und läßt ahnen, daß Räuber und Gendarm zumindest auf systemischer Ebene sehr gut zusammengearbeitet haben. So wurden mit Beginn der Ära des deregulierten Finanzkapitalismus Anfang der 1980er Jahre, also just zu dem Zeitpunkt, an dem Madoff eigenen Aussagen nach seine bis dato seriös arbeitende Firma in ein "Ponzi scheme", so der nach einem legendären US-amerikanischen Finanzbetrüger der 1920er Jahre genannte englische Begriff für ein Schneeballsystem, verwandelte, alle Formen öffentlicher Kontrolle des Finanzmarkts zurückgefahren. Es handelte sich um eine politische Weichenstellung, mit der die Ära einer sozial verträglicheren Gesellschaftsordnung durch die Freisetzung aller Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge zur Kapitalverwertung abgelöst werden sollte. Man reagierte auf die in den frühen 1970er Jahren beginnende Krise der auf großindustrieller Güterproduktion basierenden fordistischen Wertschöpfung mit dem Übergang in einen neues, den Interessen des Kapitals noch mehr entgegenkommendes Akkumulationsregime. Durch die Ausweitung des Kredits, die Privatisierung öffentlichen Eigentums und staatlicher Aufgaben sowie die Liberalisierung des Welthandels konnte die mit der anwachsenden Verschuldung der Staaten, der Unternehmen und der Privathaushalte sowie den daraus resultierenden Einbrüchen am internationalen Finanzmarkt in Erscheinung tretende Überakkumulationskrise jedoch nicht aufgehoben, sondern lediglich aufgeschoben werden.

Die in diesem Rahmen erfolgte systematische Schwächung aller Organe der Finanzmarktaufsicht wird in der Dokumentation insbesondere am Beispiel des Finanzanalysten und Experten für Wirtschaftsbetrug Harry Markopolos deutlich. Er hatte die Börsenaufsicht SEC bereits im Jahr 1999 darauf aufmerksam gemacht, daß sich Madoff betrügerischer Praktiken bedienen mußte, um die von ihm garantierten Renditen zu gewährleisten. Trotz mehrfacher Vorlage gut belegter Verdachtsmomente blieb die SEC entweder untätig oder führte ihre Ermittlungen so nachlässig durch, daß Madoff stets mit einem blauen Auge davonkam. Letztlich fiel er der Wucht einer krisenhaften Entwicklung zum Opfer, die auch völlig legal operierende Banken, Fonds und Versicherungen kollabieren ließ.

Im Ergebnis könnte es den Geschädigten einerlei sein, ob sie wie im Falle Madoffs kriminellen Manipulationen aufgesessen sind oder sich durch illusionäre Gewinnverheißungen, die im neoliberalen Fantasma einer durch angeblich selbstregulative Märkte stimulierten endlosen ökonomischen Expansion wurzelten, in die Irre haben leiten lassen. Im Ergebnis fand und findet eine Umverteilung gigantischen Ausmasses statt, so daß der sensationelle Charakter des von Madoff verübten Betrugs eher seiner Brandmarkung als Krimineller denn dem Bruch mit einem ansonsten verläßlich kalkulierbaren System kapitalistischer Wertschöpfung geschuldet ist.

Das in dem Film aufgrund seiner Fertigstellung vor der Urteilsverkündigung am 29. Juni 2009 am Bundesbezirksgericht in Manhattan nicht erwähnte Strafmaß von 150 Jahren Gefängnis für Madoff erscheint denn auch als demonstrativer Versuch, die Legitimationskrise des Kapitalismus durch die besonders harte Maßregelung eines schwarzen Schafs zu bewältigen. Das geht auch aus der Straflosigkeit hervor, mit der die Verursacher offensichtlicher Wirtschaftsverbrechen wie im indischen Bhopal 1984, als viele tausend Menschen bei einem vermeidbaren Chemieunfall ums Leben kamen und Zehntausende bis heute unter schwerwiegenden Folgewirkungen leiden, davonkommen. Es gibt Hunderte von Fällen, in denen aus Profitgründen resultierende Versäumnisse oder Manipulationen zu schwerwiegenden Schädigungen von Mensch und Natur, zum ökonomischen Kollaps ganzer Volkswirtschaften und zu lebensbedrohlichen Mangelerscheinungen unter großen Teilen der betroffenen Bevölkerungen geführt haben, ohne daß die dafür verantwortlichen Manager zu einer auch nur annähernd so harten Strafe wie Madoff verurteilt wurden. Hier lassen sich fruchtbare Überlegungen zum herrschaftsförmigen Charakter einer Rechtsstaatlichkeit anstellen, deren Regeln und Gesetze bestimmenden Einflüssen unterliegen, die sich mit dem demokratischen Anspruch auf egalitäre Partizipation nicht vereinbaren lassen.

So ist das von Smith und Gaviria vor dem Zuschauer ausgebreitete Szenario ebensosehr als Sittengemälde einer Gesellschaft korrupter und rücksichtsloser Gewinner zu betrachten, als es implizite Anhaltspunkte für eine Systemkritik bietet, ohne die sich die Affäre Madoff nicht angemessen verstehen läßt. Auch wenn sich deren Hintergründe in 60 Minuten nur kursorisch berühren lassen, bieten die präsentierten Aussagen und Erklärungen dem interessierten Zuschauer genügend Anhaltspunkte, um nachzufassen. Dabei hat die mehrfach eingeblendete Szene des von der Pressemeute bedrängten Finanzmanagers durchaus Schlüsselcharakter, sagt sie doch etwas über den Mechanismus einer Skandalisierung aus, ohne die systemopportune Raubpraktiken nicht so wirksam als akzeptabler Normalfall ökonomischer Produktivität dargestellt werden könnten.


28. Juli 2009