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REZENSION/012: "Der Junker und der Kommunist" - Phoenix-Dokumentation (SB)


"Der Junker und der Kommunist" - Phoenix-Dokumentation




Zu dünn war das Band des gemeinsamen Widerstands gegen das NS-Regime, als daß es die dauerhafte Überwindung tiefgreifender gesellschaftlicher Widersprüche ermöglicht hätte. Die Begegnung zwischen dem kommunistischen Arbeiter Fritz Perlitz und dem monarchistischen Offizier Carl-Hans Graf von Hardenberg im KZ Sachsenhausen zeugt vom menschlichen Vermögen, Grenzen zu überwinden, wie von den politischen Bedingungen, die eben das verhindern sollen, um das Potential gemeinschaftlichen Widerstands unter Kontrolle der jeweiligen Herrschaftsform zu halten.

In der Dokumentation "Der Junker und der Kommunist" wird anhand der parallel geschilderten Biografien eines dem preußischen Adel entstammenden Mitverschwörers des 20. Juli 1944, der in der BRD als Vermögensverwalter der Hohenzollern standesgemäß gut aufgehoben war, und eines verdienstvollen Parteifunktionärs der KPD, der seinen klassenkämpferischen Idealen bis zu seinem Tod im Jahr 1972 treu blieb, ein denkwürdiges Zusammentreffen geschildert, wie es nur unter den außergewöhnlichen Umständen eines Kampfes möglich ist, in dem ein gemeinsamer Feind zumindest situativ bedingte Formen der Zusammenarbeit ansonsten antagonistischer Kräfte freisetzt.

Über die Hilfe, die Hardenberg im KZ durch kommunistische Gefangene zuteil wurde, hinaus hat sich jedoch aus dieser Episode des deutschen Antifaschismus nichts ergeben, das die tiefe soziale und politische Kluft zwischen den einzelnen Akteuren des Kampfes gegen Adolf Hitler hätte auflösen können. Warum menschliche Größe in Zeiten der Not keine gesellschaftlichen Veränderungen von womöglich grundstürzender Konsequenz zeitigt, kann dem Film von Ilona Ziok als unausgesprochener Subtext entnommen werden. Die notwendigen Konsequenzen aus der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs und der rassistischen Vernichtungspolitik der Nazis schlugen sich bei der Gründung der Bundesrepublik 1949 zwar noch in kapitalismuskritischen Entwürfen selbst der Christdemokraten nieder, wurden jedoch spätestens mit dem Parteiverbot der KPD 1956 vollends aus dem politischen Leben verbannt.

Dementsprechend aussageträchtig sind die unterschiedlichen sozialen Milieus, aus dem die befragten Zeitzeugen stammen. Eine der Töchter des 1958 in der BRD verstorbenen Hardenberg attestiert den Unterstützern ihres Vaters mit jener Gönnerhaftigkeit, die Schlimmeres ahnen läßt, daß Kommunisten auch Menschen seien, und verbleibt dementsprechend unbeirrt im neofeudalen Ambiente ihres nur formell mit Konstitution der Weimarer Republik aufgelösten Standes. Besonders deutlich wird die Diskrepanz zwischen der Familie Hardenberg und den im Film befragten Genossen, die als Interbrigadisten die spanische Republik gegen die erdrückende Übermacht der von Nazideutschland unterstützten Truppen des Putschisten General Franco verteidigten, nur um am Ende von Vichy-Frankreich an Deutschland ausgeliefert zu werden und im KZ zu landen, in jener Szene, in der ein devoter Bürgermeister des nun wieder Neuhardenberg genannten Ortes Marxwalde die in ihr Landschloß zurückkehrenden Hardenbergs untertänigst auffordert, doch Besitz von der nur vorübergehend kollektivierten Gemeinde zu nehmen.

Der Film verzichtet dankenswerterweise auf die im derzeitigen Wahlkampf offensichtlich unerläßliche Diffamierung der DDR, die den kommunistischen Widerstandskämpfern jene Ehrung zuteil werden ließ, die ihnen in der BRD vorenthalten wurde und wird. Er führt dem Zuschauer statt dessen vor Augen, daß Geschichte immer aus der Sicht der die gegenwärtige Gesellschaft bestimmenden hegemonialen Werten geschrieben wird. Während die Lebensleistung des Wehrmachtsoffiziers Hardenberg, der sich den Verschwörern des 20. Juli aus tiefempfundenen moralischen Skrupeln ob der Grausamkeiten, die Wehrmacht und SS der jüdischen Bevölkerung der in der Sowjetunion eroberten Gebiete antaten, anschloß, durch den Ex-Bundespräsidenten und ehemaligen Leutnant der Wehrmacht Richard von Weizsäcker gewürdigt wird, sind die kommunistischen Widerstandskämpfer damit konfrontiert, daß die Spuren ihres Kampfes im antikommunistischen Furor bundesrepublikanischer Geschichtsrevision untergehen.

Der am 18. Juli 2009 erstmals auf Phoenix ausgestrahlte Film ist ein sehenswertes Dokument deutscher Geschichte, weil die Regisseurin nicht den vom Historytainment Knoppscher Machart ausgefahrenen Propagandaspuren folgt, sondern sich um eine nüchterne Darstellung des Ausnahmecharakters dieser Begegnung bemüht. Zum Gegenstand einer aufklärerischen Dokumentation taugt das freundschaftliche Verhältnis zwischen Junker und Kommunist auch deshalb, weil es Klassengrenzen durch die Selbstverständlichkeit einander unter gemeinsamer Unterdrückung gewährter Solidarität transzendiert, um anhand der Fortdauer des gesellschaftlichen Grundwiderspruchs um so deutlicher zu machen, wie sehr die materiellen Lebensbedingungen das bürgerliche Credo einer lediglich auf Werten und Idealen beruhenden Freiheit dementieren.

Was sich zur journalistischen Verarbeitung als Ausnahme von der Regel besonders eignet, eröffnet den Blick auf die historischen Umstände und gesellschaftlichen Bedingungen, die den Klassenantagonismus zu einer Konstanten der deutschen Geschichte machen. Dementsprechend groß war die Distanz zwischen nationalkonservativem und kommunistischem Widerstand gegen das NS-Regime. Während es den Offizieren der Wehrmacht, von denen der größte Teil die anfänglichen Siege deutscher Kriegsaggression begeistert gefeiert hatte, um die Rettung Deutschlands als Garant ihres Standes und Bollwerk gegen den Bolschewismus ging, wollten die Aktivisten der KPD ein gänzlich anderes, von Klassenherrschaft letztlich befreites und mit seinen Nachbarn nicht mehr im Krieg liegendes Land. Die Tragik ihres Scheiterns drückt sich auch darin aus, daß der heute regierungsamtlich zelebrierte Antifaschismus im Kern reproduziert, was kommunistischen Widerstandskämpfern Mittel und Zweck faschistischer Herrschaft war - Militarismus und Kapitalismus.


28. Juni 2009