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STELLUNGNAHME/004: "Unsere Mütter, unsere Väter" - Geschichte ohne Kopf und Füße (SB)


Medien-Hype um den ZDF-Dreiteiler "Unsere Mütter, unsere Väter"

Keine Erinnerung an die Gegenwart



Darf es erstaunen, daß der Medien-Hype um den ZDF-Dreiteiler "Unsere Mütter, unsere Väter", der im März diesen Jahres über 7 Millionen Fernsehzuschauer vor den Bildschirmen fesselte, nicht einen einzigen Blick auf die heutigen Kriegseinsätze deutscher Soldaten, ob in Afghanistan, Mali, vor Somalia, an der syrisch-türkischen Grenze oder anderswo riskierte?

Das aufwendig gemachte, in drei Ländern abgedrehte Fernsehepos mit Produktionskosten von 14 Millionen Euro und über 2000 Komparsen schildert die Kriegsjahre zwischen 1941 und 1945 aus der Perspektive von fünf jungen Leuten um die zwanzig und will zeigen, was der Krieg mit ihnen und aus ihnen gemacht hat: den Brüdern Wilhelm und Friedhelm, der eine Offizier zwischen Pflicht und Moral, der andere eher Schöngeist und Idealist, der im Krieg zunehmend verroht, dem Juden Viktor, der sich mehr für den Spaß am Leben als für sein Judentum interessierte und der einmal die Schneiderei seines Vaters übernehmen sollte, seine Freundin Greta, die als Sängerin berühmt werden will und Charlotte, die sich, begeistert von der nationalsozialistischen Ideologie, freiwillig als Krankenschwester an die Front meldet und deren Zweifel wachsen, als sie merkt, welche Verbrechen im Namen ihres Vaterlandes begangen werden.

Für Frank Schirrmacher (FAZ) leitete der Film mit "unbestreitbarer Wucht und Monstrosität eine neue Phase der filmisch-historischen Aufarbeitung des Nationalsozialismus ein." [1], Spiegel-Redakteur Christian Buß sieht darin gar eine "Zeitenwende für das deutsche Fernsehen", das endlich das Schweigen der Generationen aus Scham und aus Schuldgefühl gebrochen habe. "Seit Fassbinder wurde nicht mehr so furios und doppelbödig über die Verführungskraft des Nationalsozialismus berichtet." [2]

In der Tat läßt einen die Geschichte der fünf Freunde, deren Wege sich 1941 trennen, in den Kriegswirren kreuzen und von denen am Ende die drei, die überlebt haben, am Ort ihrer gemeinsamen Jugend wieder zusammentreffen, kaum unberührt. Jenseits von platten Opfer-Täter-Klischees zeigt der Film die Protagonisten in ihrer ganzen Ambiguität und Ambivalenz - und die Verhältnisse, unter denen ein Mensch offenbart, was in ihm steckt. "Der Krieg wird nur das Schlechteste in uns zum Vorschein bringen", sagt Friedhelm am Anfang des ersten Teils und resümiert am Ende: "Ich hatte recht."

Nach Absicht der Macher (Drehbuch Stefan Kolditz, Regie Philipp Kadelbach, Produktion Nico Hoffmann, Musik Fabian Römer) versucht der Film heute erlebbar zu machen,

was dieser Krieg bedeutet haben muss - an der Front und Zuhause. Mit einem genauen Blick auf die Figuren, ihre Haltungen, Hoffnungen und Sehnsüchte ergibt das weit mehr als einen Kriegsfilm: "Unsere Mütter, unsere Väter" versucht das bewegende Porträt einer schuldhaft verstrickten Generation - eine epische Geschichte über Freundschaft und Erwachsenwerden in der dunkelsten Epoche unseres Landes. Schmerz, Schuld und Schweigen ziehen sich als Spätfolgen des kollektiven Traumas Zweiter Weltkrieg bis in unsere Gegenwart und hinein in unzählige Familiengeschichten. Und treffen, wie die moderne Forschung gezeigt hat, beileibe nicht nur die Generation der Kriegsteilnehmer selbst, sondern mitunter auch ihre Kinder und Enkel. [3]

Eine Ermutigung will er sein und eine vielleicht letzte Gelegenheit, mit der Generation der damals 20 - 30jährigen ins Gespräch zu kommen über das "Verschüttete, Verdrängte und Unaussprechliche." Man mußte sich beeilen, denn von den wenigen Überlebenden (allein von den Jahrgängen 1916-1925 fielen über 50 % der deutschen Soldaten in diesem Krieg), inzwischen um die 90 Jahre alt, dürfte bald niemand mehr da sein, den man befragen könnte. [4]

Zu Recht weist der Soziologe und Sozialpsychologe Harald Welzer in einem Interview mit Radio Bremen darauf hin, daß der ZDF-Dreiteiler beileibe nicht die erste Bearbeitung des Themas darstellt. Da gab es die US-Fernseh-Serie Holocaust von 1979, die kontrovers diskutierten Wehrmachtsausstellungen aus den Jahren 1995 und 2001, Buchveröffentlichungen wie Daniel Goldhagens "Hitlers willige Vollstrecker", Christopher Brownings "Ganz gewöhnliche Männer" oder "Das gespaltene Bewußtsein" von Hans Dieter Schäfer. Die Liste ließe sich fortsetzen. Welzer bemängelt eine historische Darstellung, die das Dritte Reich "als eine komplette Repressionsgeschichte" darstelle und damit ein Bild restauriere, das historisch längst aufgelöst sei. Der Film, und darin liege möglicherweise eins seiner Motive, könne allerdings eine Einladung zur Identifikation sein, der die Beteiligten als Opfer der Geschehnisse präsentiere. [5]

Für den Produzenten Nico Hoffman basierte der Reiz

auf Erzählungen meines Vaters, auf seiner Erfahrung der Gewalt und auf dem, was die Gewalt mit ihm und seiner Generation gemacht hat. Diese Generation hat getötet, mehrfach. Ein Freund meines Vaters hat die Episode aus dem Film erlebt, in der das Haus einer russischen Familie abgebrannt werden soll, und dort sitzt ein altes Ehepaar und bietet Tee an. Das ist wirklich so passiert. [6]

Johannes Werner Günther, heute 95 Jahre alt, kämpfte als Soldat der Wehrmacht. In einem Interview mit der FAZ erzählt er:

Schlimm war, wenn man verstümmelte Kameraden gesehen hat, wenn einer statt des Gewehrs seinen abgeschossenen Arm in der Hand hielt. Aber was der Zivilbevölkerung angetan worden ist - da kommen mir heute noch die Tränen, wenn ich bloß dran denke. Diese Bilder kann ich niemals vergessen und auch nicht überwinden. Wenn Sie sich vorstellen, tiefer Schnee, bis zu einem Meter hoch, eine Kälte von 40 Grad. Sie haben übernachtet in diesem Dorf südwestlich von Moskau, die Frauen und Kinder haben uns noch ihr kärgliches Essen mitgegeben. Und in der Früh wird das Dorf angezündet. Einfach nur die Fackel ans Strohdach halten. Die Frauen knien im Schnee und halten dir ihre Kinder entgegen. Die waren dem Tod geweiht. [7]

Nico Hofmann: "Stellen Sie sich vor, das wäre ungefiltert weitergelebt worden. Oder stellen Sie sich vor, es hätten alle nach 1945 kollektiv die Trauer zugelassen. Es wäre schlichtweg kein Staat aufzubauen gewesen. Die Bundesrepublik basiert auf einer manifesten Verdrängung." Dazu gehört auch das Alleinstellungsmerkmal, das der Zeit des Faschismus in Deutschland zwischen 1933 und 1945 in der historischen Rezeption zugedacht wird - gesuchte und gefundene Ablenkung davon, daß die Geschehnisse, ihre Ursachen und Auswirkungen keineswegs die ganz große Ausnahme, der einmalige Katastrophenfall für das deutsche Volk waren, sondern die logische Konsequenz einer auf Raub und Eroberung gerichteten Politik.

Als 1999 mit dem Überfall auf Jugoslawien die Bundesrepublik wieder in die Riege der kriegführenden Staaten eintrat, war damit ein Paradigmenwechsel unter aktiver Mithilfe der Grünen und somit eines Teils einer Generation vollzogen, die sich ursprünglich dem Frieden und einer emanzipatorischen Veränderung der Gesellschaft verschrieben hatte. Die Veränderung entpuppte sich als eine ganz anderer Art. Dem Vorsitzenden Joschka Fischer gelang es, auf einem Sonderparteitag der Grünen im Mai 1999 mit dem Verweis "nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz, nie wieder Völkermord, nie wieder Faschismus" seine Parteifreunde von der Notwendigkeit eines militärischen Angriffs auf ein anderes Land zu überzeugen.

Seitdem werden junge Deutsche wieder in Kriegseinsätzen für Interessen verheizt, die nicht die ihren sein können, wirbt die Bundeswehr mit den Verlockungen einer "Karriere mit Zukunft" und der Option, in einer starken Truppe ein Held werden zu können: "Wir.dienen.Deutschland." Heute wie damals. Und noch immer, wenngleich in geringerer Zahl, kommen Menschen aus Kriegseinsätzen zurück und sind nicht mehr die, als die sie losgezogen sind.

Rund 6.400 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr beteiligen sich derzeit an Einsätzen im Ausland. Unter der Maßgabe einer gewachsenen Verantwortung plädieren die Verteidigungspolitischen Richtlinien vom Mai 2011 dafür, "Auswirkungen von Krisen und Konflikten auf Distanz zu halten und sich aktiv an deren Vorbeugung und Einhegung zu beteiligen." [8] Nicht zu vergessen die nicht nur vom ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler geforderte Verteidigung freier Handelswege zur Wahrung eigener Interessen, auch unter Einsatz des Lebens. [9] Deshalb ist die Bundeswehr inzwischen wieder eine Armee im Auslandseinsatz - auf dem Balkan, über 4600 km entfernt in Afghanistan, in Afrika.

Was die aus dem 2. Weltkrieg heimgekehrten Soldaten hat schweigen lassen, wird heute unter dem Begriff einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) registriert und behandelt. Über tausend waren es im Jahr 2012. Aber: Derzeit wird ein Konzept erarbeitet, wie die psychische Fitness schon bei der Einstellung eines Soldaten bewertet und während der Dienstzeit erhalten oder gesteigert werden kann. [10] Was das im Einsatz bedeutet, läßt sich, zieht man denn die Erfahrungen der Vergangenheit zu Rate, leicht ausmalen.

"Das Handgreifliche des Faktischen", das Drehbuchautor Stefan Kolditz, der fast acht Jahre am Stoff für "Unsere Mütter, unsere Väter" recherchiert und geschrieben hat, in seinem Film zutage fördern will, man wünschte es sich für die aktuelle Lage. "War dieser Krieg nur ihr Krieg? Sind wir tatsächlich so anders?" Es geht eben nicht nur darum, unsere grausame Vergangenheit aufzuarbeiten, sondern darum, daß wir uns mit unserer grausamen Gegenwart konfrontieren. Und nicht darum, wie wir, wären wir damals in der gleichen oder vergleichbaren Situationen gewesen, gehandelt hätten, sondern wie wir heute handeln.

Anmerkungen:

[1] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/unsere-muetter-unsere-vaeter/unsere-muetter-unsere-vaeter-im-zdf-die-geschichte-deutscher-albtraeume-12115192.html

[2] http://www.spiegel.de/kultur/tv/zdf-weltkriegs-epos-unsere-vaeter-unsere-muetter-a-886932.html

[3] http://www.zdf.de/Unsere-M%C3%BCtter-unsere-V%C3%A4ter/Zeitgeschichte-zeitgem%C3%A4%C3%9F-erz%C3%A4hlt-26275822.html

[4] Rüdiger Overmans, Deutsche militärische Verluste im Zweiten Weltkrieg. München, 3. Auflage 2004

[5] http://www.radiobremen.de/nordwestradio/sendungen/nordwestradio_journal/audio108248-popup.html
Harald Welzer hat mehrere Bücher zum Thema veröffentlicht, darunter "Täter: wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden", 2007

[6] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/unsere-muetter-unsere-vaeter/filmproduzent-nico-hofmann-im-gespraech-es-ist-nie-vorbei-12118295.html

[7] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/unsere-muetter-unsere-vaeter/kriegserinnerungen-du-wolltest-ja-leben-12109080.html

[8] http://www.bundeswehr.de/portal/a/bwde/!ut/p/c4/04_SB8K8xLLM9MSSzPy8xBz9CP3I5EyrpHK9pPKUVL3UzLzixNSSqlT9gmxHRQDaMqaD/

[9] Horst Köhler am 22. Mai 2010 in einem Interview mit dem Deutschlandradio

[10] http://www.bundeswehr.de/portal/a/bwde/!ut/p/c4/FcfBCYAwDEDRWVwguXtzC_VSUhtq0MZCogWnt_J5h48r9pQeyeRyKZ0447LJGBvElhhY1Ij9ZageLfzrwhnMSVO4u0JmSnthxXpMwwdNOH_S/

23. April 2013