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PRESSE/148: Zukunft des Zeitungsmarktes (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 1+2/2013

Zukunft des Zeitungsmarktes

Von Norbert Bicher



Der Niedergang der "Frankfurter Rundschau" und der "Financial Times Deutschland" lösten zuletzt neuerliche Prophezeiungen über das Ende des Printjournalismus aus. Doch nirgendwo ist ein Geschäftsmodell in Sicht, das ohne eine starke Printgrundlage auskäme.


Für manche war es die längst überfällige Bestätigung, dass das prophezeite Zeitungssterben von den USA herüberschwappt und nicht vor Deutschlands Grenzen halt macht. Der Insolvenzantrag der Frankfurter Rundschau (FR) und das Aus der Financial Times Deutschland (FTD) als Beleg für das Ende der "Holzinformationszeit". Fast hysterisch zog sich der Modergeruch durch die Leitartikel der deutschen Blätter, ein wenig triumphierend durch die Blogs, die sich längst als die natürlichen Erben des Printjournalismus sehen. Bei so viel Pessimismus über die Zukunft der Branche zog der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) eilends eine Brandmauer. Es sei absurd, diese bedauerlichen Einzelfälle zu Zeugen eines Trends zu machen, ließ der Verband verlauten.

Natürlich lässt sich der Niedergang der beiden Blätter als unglückliche Geschichte von Einzelfällen erzählen. Denn die Geschichte der Frankfurter Rundschau ist spätestens seit den 90er Jahren die Chronik eines angekündigten Todes. Die Gründe sind vielfältig. Das linksliberale Blatt litt unter der Auflösung der gewerkschaftlich-sozialdemokratischen Milieus, bekam Konkurrenz durch die debattierfreudigere taz, konnte als überregionale Zeitung mit der Konkurrenz der Frankfurter Allgemeinen und Süddeutschen Zeitung nicht Schritt halten und spielte ihren wirklichen Vorteil - die starke Verwurzelung im hessischen Raum - nicht genügend aus. Eine Bürgschaft der CDU-geführten Landesregierung Roland Kochs konnte den Niedergang ebenso wenig stoppen wie der finanzielle Einstieg der SPD-Medienholding DDVG und des Kölner Verlagshauses NevenDumont. Auf der dringend notwendigen Suche nach neuen Lesern stieß man das alte Publikum vor den Kopf, wählte aus Angst vor dem Tod den Selbstmord.

Auch die FTD war, als sie 2001 gegründet wurde, eigentlich schon dem Untergang geweiht. Spekulierend auf satte Anzeigengewinne durch die Börsengänge der New Economy kam sie auf den Markt, als die Blase der Internet-Startups schon zu platzen begann. Die Zahl der Werbekunden und Leser blieb auch aus diesem Grund überschaubar. Von Anfang an hielt sich das Gerücht, die Auflage werde eher in Flugzeugen verteilt als am Kiosk verkauft. Die FTD stand für guten Journalismus, für den im Segment der Wirtschaftspresse aber kein Raum mehr war und der dem Verlag Gruner & Jahr jährlich neue Verluste in zweistelliger Millionenhöhe bescherte.

So unterschiedlich die Gründe und so untypisch beider Niedergang auch für den großen Rest der Branche gewesen sein mögen, ihre Probleme als bedauerliche Einzelfälle abzutun, ist schlicht Verdrängung. Zwar stirbt der Zeitungsmarkt nicht, aber er ist seit Jahrzehnten von Schwindsucht befallen. Vom Boulevard über Regionalzeitungen bis hin zu den sogenannten Leitmedien der Tagespresse gehen die täglichen Auflagen zurück: Von gut 23 Millionen vor zehn Jahren auf jetzt 18 Millionen.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Vor allem lässt sich der Sinkflug nicht auf die Geburt des Internets reduzieren, denn er begann lange bevor das Netz zur Konkurrenz für Print wurde. Die Lust auf Zeitung nahm schon vorher ab. Für schnelle, leichte Information sorgten zunehmend private Lokalrundfunk- oder Fernsehsender, an denen Zeitungsverleger oft beteiligt waren und daher den Auflagenschwund locker kompensieren konnten.

In Zeiten steigender Arbeitsiosenzahlen wurde die Zeitung für viele zudem zu einem Luxusartikel, der auf die Streichliste der knappen Haushaltskasse kam. Nicht umsonst waren und sind die Auflagenverluste bei Regionalzeitungen in Problemregionen wie dem Ruhrgebiet besonders groß. Darüber hinaus sank gerade in den Großstädten - bei ständig steigender Zahl an Single-Haushalten - die Bindekraft von Tageszeitungen.

Die Probleme lagen also auf dem Tisch, längst bevor die Online-Konkurrenz am Start war. Nicht von ungefähr versuchten die Verlage durch immer neue Layoutanpassungen, durch Farbdruck, immer kürzere Texte und Aktionen wie "Zeitung in der Schule" schon damals neue, vor allem jüngere Leserschichten zu gewinnen.

Nein, es ist nicht so, dass der Abwärtstrend erst mit dem Netz begann. Allerdings, das Netz verschärfte die Lage der Verlage von einer anderen Seite her. Das attraktive Anzeigengeschäft wanderte ab. Stellen-, Wohnungs-, Auto- und Partnerschaftsanzeigen fielen weg und konnten nicht kompensiert werden. Seit 2001 halbierten sich die Werbeeinnahmen im Printbereich nahezu. Das Schicksal vieler Regionalzeitungen liegt inzwischen in der Anzeigenbereitschaft einer Handvoll Großkunden. Die zu Beginn des Jahrhunderts noch mit Traumrenditen von teilweise mehr als 15% verwöhnte Branche muss jetzt mit Verdienstspannen unter 5% auskommen, wie sie in vielen anderen Wirtschaftszweigen üblich sind.


Sprengkraft des Internets

Kopf- und konzeptlos hatten die meisten Verlage die Sprengkraft des Internets unterschätzt. Jeder wollte dabei sein, stellte Inhalte kostenlos ins Netz, für die die Leser der Printprodukte zahlen mussten. In Wellenbewegungen wurde das Netz als Fluch oder große Chance verstanden. Mal wurden die Redaktionen angewiesen, "online first", dann wieder wurde den Zeitungsredaktionen untersagt, Inhalte an die eigenen Online-Auftritte zu liefern. Mal war der Ausbau der Online-Redaktionen eine Frage der Ehre, dann wieder wurden Stellen dort rigoros gestrichen. Eine Achterbahnfahrt - ohne Kurs, ohne Ziel. Statt gemeinsam nach einem Weg zu suchen, glaubte jeder Großverlag im Alleingang dem Netz und obendrein der Konkurrenz ein Schnippchen schlagen zu können.

Als das fehlschlug, entschied sich die Branche zum Klagen. Fast systematisch redeten Verlagsmanager, Medienwissenschaftler und Journalisten die Zukunft der Zeitung nieder. Eine Branche ergoss sich lustvoll in Nekrophilie, befeuert durch einige Blogger und Social Media-Päpste, denen die immer noch anhaltende Dominanz von Print und dessen immer noch, wenn auch schlechter funktionierendes Geschäftsmodell ohnehin ein Dorn im Auge war. Allzu häufig hatten Printjournalisten keine Lust und keine Kraft mehr, Gutenberg gegen Smartphones und Tablets zu verteidigen, Chefredakteure spekulierten nicht mehr darüber ob, sondern nur noch wann das Printzeitalter endet. Die Depression der Macher übertrug sich auf die Qualität des Produktes.

Die Alarmmeldungen von FR und FTD haben die Stimmung gedreht. Trotz Jahren der Melancholie werden dem Patienten zwar keine Genesung aber Überlebenschancen prophezeit. Und wenn schon nicht gedruckt, so habe der Journalismus dennoch die schönste Zeit noch vor sich, redete sich Springer-Vorstandschef Matthias Döpfner in eine wahre Euphorie. Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo machte Vorschläge, wie guter Journalismus überleben könne. Und FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher gab die Parole aus, der Untergang von Zeitungen, die nie Geld verdienten, sage nichts aus über Zeitungen. Und wenn sie - ob gedruckt oder im Netz - nicht mehr vermisst oder gebraucht würden, seien sie selber schuld. Soll heißen, guter Journalismus verdiene sich auch in Zukunft seinen Platz.

Nur, wo und wie? Fast scheint es, als sei der neue Glaube, guter Journalismus könne auch im Netz überleben, die nächste Lebenslüge. Denn nirgendwo ist ein Geschäftsmodell in Sicht, das ohne eine starke Printgrundlage auskommt. Nur mit einem starken Standbein Print lässt sich nach Meinung von Medienökonomen das digitale Spielbein entwickeln. Selbst die immer wieder als Musterbeispiel für die digitale Zukunft angeführte New York Times kann sich ihr Netzengagement nur erlauben, weil sie Dreiviertel ihrer Einnahmen immer noch im Printbereich erzielt.

Der Journalismus hat also nur dann eine Zukunft, wenn die Pflege des Patienten Zeitung gelingt. Dass dabei die momentane Vielfalt erhalten bleibt, glaubt niemand mehr. Selbst viele, die über Jahrzehnte vor weiteren Fusionen auf dem Pressemarkt gewarnt haben, sehen darin nun eine Genesungsmöglichkeit. Weniger Journalismus als Garant für guten Journalismus? Ein Ende der Debatte und ein Ende des Schrumpfens sind nicht in Sicht. Und eine Garantie, dass am Ende dieses Prozesses eine Gesundung für die Zeitung und den Journalismus steht, kann niemand geben.


Norbert Bicher (* 1951) arbeitete als Journalist, als Pressesprecher der SPD-Bundestagsfraktion und betreut heute die Arbeitseinheit "Medienpolitik" in der Politischen Akademie der FES.
Norbert.Bicher@fes.de

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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 1+2/2013, S. 68-70
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Februar 2013