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PRESSE/133: Journalismus auf der Couch (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 7-8/2010

Journalismus auf der Couch

Von Tissy Bruns


Der politische Journalismus befindet sich in einer Sinnkrise. Vor allem durch den digitalen Strukturwandel der Öffentlichkeit in eine Randlage gedrängt, sind die handelnden Akteure heute Getriebene, nicht Gestalter ihrer Berufswelt. Können sie die künftigen Herausforderungen überhaupt bestehen?


Ist Politik denkbar ohne Medien? Natürlich nicht. Je mehr die Gesellschaft sich differenziert, soziale und religiöse Bindungen ihre Kraft verlieren, desto mehr ist Politik auf Kommunikation, Vermittlung, Überzeugung über, in und mit Medien angewiesen. Sind Medien denkbar ohne Politik? Vorerst ist das nur ein Gedankenspiel. Medien brauchen keine Politik. In privaten Fernsehsendern sind die fast politikfreien Zonen bereits zu besichtigen. Die Quote, die auch in öffentlich-rechtlichen Sendern das Denken in den Führungsetagen beherrscht, ist mit nahezu allem leichter zu machen als mit politischen Themen.

Politik füllt Sendeplätze und -zeiten; doch nicht nur im Massenmedium Fernsehen muss sie sich formen und deformieren lassen, um mit den Unterhaltungsformaten halbwegs konkurrenzfähig zu sein. Den Anpassungszwang an die berühmte "Medienlogik" haben die medialen Akteure inzwischen so verinnerlicht, dass von ihnen kaum noch bemerkt wird, wie sehr ihr Bild von Politik deren Gemeinwohlanspruch latent untergräbt. Boulevardisierung und Verflachung sind mittlerweile "eingepreist", auch wenn das Unbehagen daran unter den Journalisten der Printmedien und öffentlich-rechtlichen Sendern groß ist. Die Ambivalenz, in der demokratische Politik ihre Kontroversen und Widersprüche nur austragen und entscheiden kann, ist den Medienmechanismen der Bildhaftigkeit und Emotionalisierung, dem Entweder-oder ein ewiges Ärgernis. Die Beschleunigungskraft der digitalisierten Medienwelt hat eine zusätzlich fatale Wirkung entfaltet: Ihre atemlose Suche nach Streit, Skandal, personalisierbaren Stoffen schafft es immer wieder, politische Vorgänge so zu zerhacken, dass die großen politischen Konflikte unserer Zeit unkenntlich werden. In hohem Maße präsent bleibt Politik trotzdem, durch die unendliche Vervielfältigung von Sendern und Netzen. Politiker und politische Journalisten sitzen als Verlierer der globalisierten und digitalisierten Mediengesellschaft in einem Boot. Gemeinsam ist ihnen aber auch, dass die mediale Vielfalt ihnen Kompensation für den Bedeutungs- und Gestaltungsverlust bietet. Mediale Präsenz, Ruhm, Aufmerksamkeit machen auch Journalisten zu bekannten öffentlichen Personen, sogar, siehe "Will" oder "Illner", zu eigenen Marken. Und jeder Hinterbänkler kann für einige Tage berühmt werden, wenn er seinem Fraktionschef widerspricht.

Wo es um Politik geht, verlieren die Medien auf der Jagd nach Zuschauern, Lesern, Zuhörern das interessierte Publikum. Gerade die politisch Engagierten und Gebildeten empfinden das unaufhörliche Hickhack, als das Politik ihnen dargeboten wird, als langweilige und ermüdende Veranstaltung. In der Wahrnehmung der meisten Bürger verschmelzen Politik und ihre mediale Darstellung: Sie sehen eine von ihren Lebensfragen weit entfernte Aufführung, begleitet von einem durchdringend negativen Chor, dargeboten von kaum unterscheidbaren Akteuren, auf die sie wenig Einfluss nehmen können. Die Alltagserfahrung sagt vielen Menschen (übrigens schon lange vor der Finanzkrise), dass zwischen dem medialen Auftritt des politischen Spitzenpersonals und seiner tatsächlichen Gestaltungskraft eine beträchtliche Kluft entstanden ist. Die Bürger wissen oder ahnen, dass die entscheidenden Fragen ihres Lebens sich dem Zugriff der gewählten Politiker entziehen, ja sie vermuten, dass die Politik nicht einmal versucht, ihre Macht überhaupt dafür einzusetzen.


Das Waterloo der Medienbranche

Der neue Strukturwandel der Öffentlichkeit hat Politik in den Medien in eine Randlage gedrängt. Dass die digitale technologische Revolution daran einen entscheidenden Anteil hat, ist unbestreitbar. Die Zukunft der Zeitungen steht tatsächlich erst wirklich in Frage, seit das Internet ihr ökonomisches Fundament, die Werbeeinnahmen, bedroht und sie ihr inhaltliches Angebot zudem im Netz frühzeitig kostenfrei präsentiert haben. Doch die heftig geführten Diskussionen um Twitter, Blogs, Bürgerjournalismus, neue Partizipation sind auch Verdrängungsleistungen. Denn die Sinnkrise des politischen Journalismus hat schon begonnen, als das Internet als schnellstes Kommunikationsmedium noch in den Kinderschuhen steckte. In Deutschland markiert der Regierungsumzug von Bonn nach Berlin den Beginn dieser Krise; Berlin war freilich nicht ihre Ursache, sondern nur der Katalysator, der Entwicklungen unübersehbar gemacht hat, die im gemütlichen Bonn verdeckt blieben.

Zehn Jahre nach diesem Umzug hat die Vierte Gewalt ein Waterloo erlebt und mit aller Kraft verdrängt. Nur wenige Wochen schlugen in Zeitungsredaktionen die Wellen hoch, dann gingen die Kontrolleure der Macht zum gewohnten Gang der Dinge über, ganz wie die Politik, wie die Wirtschaft, wie die Banker, die allesamt ein Interesse (wenn auch aus unterschiedlichen Motiven) daran hatten, dass die Fragen nach Ursachen und Konsequenzen nicht allzu tief gingen. Die Rede ist natürlich von der Finanzkrise. Die Debatte darüber, ob sie in erster Linie ein Markt- oder Staatsversagen war, verkam nach kurzer Zeit zu einem Schwarzer-Peter-Spiel, bei dem die Verantwortung der je einen auf die je andere Seite geschoben werden konnte. Dabei hatte sich in den Bildern vom Auszug der Lehman-Beschäftigten aus ihrem prächtigen Gebäude ein Markt- und fundamentales Demokratieversagen gezeigt. Die Politik hat das Primat verloren, weil sie sich dem erpresserischen Potenzial der globalisierten Wirtschaft so weit gebeugt hat, dass die Finanzakteure am Ende ganze Staaten in Geiselhaft nehmen konnten.

In der demokratischen Welt hatte sich über Jahre ein seltsames Denken breit gemacht. Maggie Thatcher hat es auf die Formel gebracht: "There is no alternative." Ihr (pseudo)pragmatisches Bekenntnis wurde zum Nebelvorgang, hinter dem ein übermächtiges politisches Paradigma den hoch dosiert ideologischen Anteil seines Denkens erfolgreich verbergen konnte. Denn nichts anderes als unbewiesene Ideologie war ja das Credo der freien Märkte, das - ob Bush oder Thatcher, Blair oder Schröder regierten - eine globalisierte Finanzwelt von jeder Verantwortung befreit hat.

Zu den unbearbeiteten Hinterlassenschaften der Finanzkrise gehört die Frage, wie im Wettbewerbs- und Konkurrenzsystem der Demokratien eine geistig-politische Konformität entstehen konnte, die heute, nachdem auf die Finanzkrise auch noch die Euro-Krise gefolgt ist, fast wie ein kollektiver Wahn scheint. Und diese Frage ist die nach der Rolle der Medien in der demokratischen Öffentlichkeit.

Sie gehören ja, im weiteren Sinne, zum System der gegenseitigen Kontrolle der Gewalten in der pluralen Demokratie. Die professionelle Öffentlichkeit, auch Vierte Gewalt genannt, soll den Mächtigen auf die Finger sehen und Garant einer offen geführten Debatte im geistig-politischen Wettstreit sein. Doch gerade Medien eiferten der Alternativlosigkeit des Deregulierungsparadigmas nach. Der Wirtschaftsjournalismus widmete seine Energien den Chancen der Global Players auf den entgrenzten Märkten. In deutschen Talkshows fand über Jahre so etwas wie eine öffentliche Publikumsbeschimpfung statt, bei der die Elite aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Publizistik die neue Freiheit gegen die kleinmütige Larmoyanz der Deutschen feierte - und dabei zu Menschen sprach, die im Unterschied zu ihnen längst mit Risiken und Anpassungsdruck der globalisierten Verhältnisse Bekanntschaft gemacht hatten. Die Zuschauer wiederum nahmen im Fernsehen Politiker und Journalisten als eine politisch-publizistische Kaste wahr, die, gut bezahlt, in sicheren Verhältnissen und jenseits aller Risiken, vom Leben der Bürger meilenweit entfernt war.

Wie die Politik gegenüber der Wirtschaft, so haben Medien in ihrer demokratischen Verantwortung gegenüber Politik und Wirtschaft versagt. Zwischen den beiden Krisen vom September 2008 und Mai 2010 war in Deutschland ein Bundestagswahlkampf möglich, in dem die Fragen nach den Konsequenzen aus der Finanzkrise nahezu ausgeklammert blieb, und der auch sonst ein Wahlkampf der erfolgreichen Politikvermeidung war. Der Niedergang der SPD und 30% Nichtwähler erlaubten Schwarz und Gelb den getrennten Marsch zum vereinten Wahlsieg, der am Wochenende der nordrhein-westfälischen Landtagswahl in das beispiellose Debakel der Euro-Krise mündete.

Demokratie ohne Alternativen ist eigentlich gar keine. Die frappierende Tatsache, dass nach dem September 2008 die Casinojongleure ungeschoren weitermachen konnten, ist nur damit zu erklären, dass die Rückendeckung auch des medialen Mainstreams bestehen blieb. Im letzten Bundestagswahlkampf konnte und wollte die Politik ihre Verantwortung nicht thematisieren - und die professionelle Öffentlichkeit konnte das nicht durchbrechen, weil sie ihren eigenen Anteil an der Finanzkrise nicht reflektieren wollte. Am Ende stand wieder eine Bundeskanzlerin vor dem Parlament und erklärte die Euro-Hilfe für alternativlos, zu der sie sich selbst erst nach sichtbaren Schwankungen durchgerungen hatte.

Journalisten sind, nicht anders als Politiker, heute die Getriebenen, nicht die Gestalter ihrer Berufswelt. Bestehen werden sie die drängenden Herausforderungen des Internets nur, wenn sie ihre Sinnkrise reflektieren. Dazu zwei Fragen: Nehmen wir die herausragende Aufgabe unseres Berufes ernst genug, den Menschen Öffentlichkeit zu verschaffen, die selbst keine Stimme in der Öffentlichkeit haben? Warum herrscht so oft ein fader Mainstream-Konformismus statt einer kontroversen und pluralen Debatte um die wichtigen Fragen? Es gab sie ja, die Kinder am Straßenrand, die gerufen haben, dass der Kaiser nackt ist. Wir haben ihnen nur kein Gehör verschafft.


Tissy Bruns (* 1951) ist Leitende Redakteurin des Tagesspiegel in Berlin. Sie veröffentlichte u.a. Republik der Wichtigtuer (2007).
tissy.bruns@tagesspiegel.de


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 7-8/2010, S. 33-36
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. September 2010