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FRAGEN/002: Adolf Winkelmann zum Film "Contergan" (fh-presse - FH Dortmund)


fh-presse - Zeitung der Fachhochschule Dortmund - Nr. 6, Dezember 2007

"Meine Studenten sind Spione in die Zukunft"

Interview mit Prof. Adolf Winkelmann zum Film über den Contergan-Skandal - Vorführung im Design


Der im November in der ARD gelaufene Film "Contergan" und sein juristisches Vorspiel hat für nachhaltiges Aufsehen gesorgt. Prof. Adolf Winkelmann erzählt im Interview, warum der Film einen alten Traum erfüllt.


FH-PRESSE: Herr Winkelmann, viele Zuschauer kennen Sie vornehmlich als Regisseur von Ruhrgebietskomödien oder Thrillern. Warum greifen Sie jetzt dieses ernste Thema auf?

WINKELMANN: Ich lasse mich in meiner Genre-Auswahl nicht festlegen, mache drei oder vier Filme eines Genres - das ist dann genug. Mit "Engelchen flieg" habe ich 2003 eine ähnliche Thematik verfilmt. Als Produzent Michael Souvignier den WDR für einen Film über Contergan gewinnen wollte, habe ich die Chance gesehen, einen beispielhaften historischen Film zu drehen - eben nicht einen dieser gängigen Event-Zweiteiler, die den historischen Hintergrund nur zu dem Zweck nutzen, wieder mal eine Dreiecks-Liebesgeschichte zu erzählen.

FH-PRESSE: Welchen Stellenwert hat dieser Film für Sie persönlich?

WINKELMANN: Ich habe schon häufig versucht, mit Film etwas zu bewirken oder zu verändern und eigentlich hatte ich mir die Hoffnung darauf längst abgeschminkt. Mit "Contergan" ist dieser alte Traum aber tatsächlich in Erfüllung gegangen. Nicht nur, dass die Menschen sich noch Wochen nach der Ausstrahlung darüber unterhalten. Es ist auch gelungen, die Firma Grünenthal dazu zu bringen, zurückzurudern, ihre Haltung zu ändern, jetzt erstmals mit Betroffenen zu reden und sich den Folgen der Contergankatastrophe zu stellen. Der Film hat mittlerweile eine politische Sogwirkung entwickelt, in der endlich auch über die finanzielle Versorgung der Betroffenen diskutiert wird.

FH-PRESSE: Ist das insofern Ihr erfolgreichster Film?

WINKELMANN: Ja, das kann man sagen, auch was die Zuschauerzahlen angeht: In der ARD-Ausstrahlung erreichte der Film Rekordquoten, und das bei einem derart sperrigen Thema.

FH-PRESSE: Haben Sie bei der Vorbereitung auf den Film Kontakt zu Betroffenen gesucht?

WINKELMANN: Nicht nur ich, sondern auch die Schauspieler haben das getan. Viel geholfen haben dabei auch die Gespräche mit der Mutter der kleinen Denise, unserer behinderten Hauptdarstellerin. Sie hat uns sehr anschaulich ihre Gefühle nach der Geburt von Denise beschreiben können.

FH-PRESSE: Im Film gibt es einige sehr drastische Aussagen, u. a. von Ärzten. Ist das filmische Überzeichnung?

WINKELMANN: Eher im Gegenteil - tatsächlich war es schlimmer. Es gibt eine Fülle von Berichten, die an Grausamkeit nicht zu übertreffen sind. Da wurden beispielsweise fehlgebildete Kinder nach der Geburt einfach auf den Boden abgelegt, nicht versorgt in der Hoffnung, sie würden sterben. Es gab ja vielerlei durch Contergan verursachte Schäden, auch an inneren Organen. Der Film ist, was derartig quälende Eindrücke betrifft, nicht überzeichnet, sondern eher zurückhaltend.

FH-PRESSE: War die Beschäftigung mit dem Thema nicht sehr niederdrückend?

WINKELMANN: Die Dreharbeiten haben sehr viel Spaß gemacht, es war oft sogar lustig. Andererseits habe ich jetzt vier 90 Minuten Filme über behinderte Menschen gemacht. Die emotionale Auseinandersetzung mit dem Thema raubt einem auf Dauer die Kraft. Deshalb wird mein nächstes Filmprojekt bestimmt ein völlig anderes sein.

FH-PRESSE: Auf Initiative von Prof. Gerald Koeniger wird "Contergan" jetzt am Fachbereich Design gezeigt. Wer steht für die Diskussion zur Verfügung?

WINKELMANN: Wichtige Projektbeteiligte haben mit unserer Hochschule zu tun: Produzent Michael Souvignier hat vor mehr als 20 Jahren bei mir studiert, Cutter Rudi Heinen hat vor etwa zehn Jahren sein Diplom an der FH gemacht und Martin Demmer ist Kamera-Student. In der Kameraabteilung war übrigens neben David Slama, den wir seit Jahren für Lehraufträge verpflichten, eine FH-Absolventin an der zweiten Kamera dabei.

FH-PRESSE: Binden Sie regelmäßig Studierende in Ihre Filmprojekte ein?

WINKELMANN: Das tue ich nur dann, wenn es passt. Ich kann mich während laufender Dreharbeiten nicht intensiv um Studenten kümmern. Ich bin dann extrem angespannt und muss mich voll auf das Projekt konzentrieren. Ich weiß daher nicht, ob es den Studenten etwas bringt, ob sie das Kabel bei mir oder anderswo tragen. An der FH arbeite ich mit den Studenten aber in praxisnahen Projekten.

FH-PRESSE: Was heißt das konkret?

WINKELMANN: Seit Jahren drehen wir jedes Jahr zusammen mit Schauspielstudenten der Folkwang-Hochschule einen Film in Spielfilmlänge, wir nennen das Kamera Acting Workshop. Tagsüber wird in mehreren Gruppen gleichzeitig gedreht und abends das Material gemeinsam angeschaut und kritisiert. Diese Vorgehensweise finde ich besser als die sonst übliche: Da drehen die Studenten nämlich ihre Kurzfilme weitgehend allein ab. Dabei kann es passieren, dass sich Fehler von der ersten bis zur letzten Szene durchziehen.

FH-PRESSE: Wieviele Studentinnen und Studenten sind beteiligt?

WINKELMANN: In diesem Jahr sind es etwa 25 Filmstudierende, 10 Szenografie-Studenten und acht Schauspielschüler der Folkwang Hochschule.

FH-PRESSE: Wie schaffen Sie es, Lehre und Filmen zu vereinbaren?

WINKELMANN: Was könnte ich lehren, wenn ich keine Filme machen würde? Man muss doch das, was man vermittelt erstmal selber können. Film ist ein junges Medium, die Filmsprache, die Technik, alles wandelt sich ständig. Wenn ich vor zehn Jahren meinen letzten Film gemacht hätte, wäre ich in der Lehre unrettbar verloren. Ich bin in der privilegierten Position, dass ich als Hochschullehrer keinen Film machen muss, sondern wählerisch sein kann. Alle zwei bis drei Jahre drehe ich einen Film: Das sind dann vier bis sechs Wochen Dreharbeiten, die ich in die Semesterferien lege oder im Rahmen eines Forschungsfreisemesters durchführe. Die sehr aufwendige Postproduktion kann ich mir zeitlich einteilen.

FH-PRESSE: Was bringt Ihnen die Arbeit mit Studierenden?

WINKELMANN: Ich genieße die Arbeit mit den Studenten. Sie sind meine Spione in die Zukunft. Mit ihnen kann man das Medium immer wieder neu erfinden und sich der Herausforderung stellen, mit kleinem Aufwand große Effekte zu erreichen. Es macht riesigen Spaß, immer wieder bei Null anzufangen - wenn da nicht die steife, unflexible Bürokratie der Hochschule wäre.


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Quelle:
fh-presse, 28. Jahrgang, Nr. 6, Dezember 2007, S. 3
Zeitung der Fachhochschule Dortmund
Herausgeber: Der Rektor der Fachhochschule
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Januar 2008