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INTERNATIONAL/196: Chile/Lateinamerika/Mexiko - Stimmen des Widerstands, Frauen in kommunalen Radios (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Chile / Lateinamerika / Mexiko
Stimmen des Widerstands - Frauen in kommunalen Radios

Von Mariana Cid


(Concepción, 20. Mai 2016, medio a medio) - Angesichts der medialen Bombardierung durch Bilder und Berichte voller Gewalt gegen Frauen, ergreifen diese in den Gemeinderadios selbst das Wort. Sie sprechen dabei von ihren Gefühlen, brechen gängige Mythen, bauen Netzwerke und auch sich selbst mit ihren eigenen Stimmen auf. Überaus divers sind die Erfahrungen, die sich in Chile und ganz Lateinamerika immer mehr ausbreiten und die daran ansetzen, Ideen und Diskurse über das Weibliche zu dekolonialisieren. Jede einzelne kämpft auf ihre Weise von ihrem Territorium und ihrem Radio aus - ein Raum, der in Chile immer noch kriminalisiert wird; ein Raum, der ihnen verweigert worden ist.

Generell finden sich in Chile in den klassischen Medien vor allem Karikaturen und Stereotype, die Frauen und Männern bestimmte Räume und Rollen auferlegen. Dadurch wird die Diversität der Gender-Diskurse im öffentlichen Raum unsichtbar gemacht und ignoriert; gleichzeitig wird damit die Möglichkeit genommen, über soziale Beziehungen anders nachzudenken. Im Fall der Frauen reicht das Spektrum vom Übergehen und reinem Auslassen in der Sprache bis hin zum plumpen Sensationsjournalismus über geschlechtliche Gewalt, mit Schlagzeilen wie: "Die Liebe und Eifersucht töteten sie", wie kürzlich bei einem Artikel über den Femizid an der jungen Kolumbianerin Yuliana Andrea Aguirre Acevedo.

Um diese Kultur der Diskriminierung zu verändern, müssen wir notwendigerweise die Räume der Kommunikation für Frauen in den Fokus nehmen. Gerade die kollektiven Medien spielen eine bedeutende Rolle darin, Strategien zu verfolgen, die von unten aus dem Subalternem kommen und Transformationen vom lokalen Bereich aus anstoßen. Nicht nur, um andere Diskurse in Umlauf zu bringen, sondern auch um Räume der Teilhabe und des Empowerments an Frauen zurückzugeben.


Das Wort der Frauen

Eine der ersten Radioprogramme mit einer Gender-Perspektive, welches in einem kommunitären Medienformat initiiert wurde, war die Sendung "Das Wort der Frauen" im Radio Placeres in den 1990er Jahren. Dieses emblematische Gemeinderadio wurde Ende 1989 in Chile gegründet, auf dem Berg Cerro Placeres von Valparaíso, als Projekt "Centro Cultural Arauco" (Kulturzentrum Arauco). Im Jahr 1996 nimmt das Radio Eliana Vidal mit dem Radio-Newsletter "El Dial" die Arbeit auf. In dieser Zeit wurde bereits die Sendung "Das Wort der Frauen" gesendet, unter der Regie von Margarita Plaza, die 1997 diese Aufgabe an Eliana Vidal weitergab. Die Sendung war als Plattform zum Informieren über Frauenrechte gedacht und leistete Pionierarbeit darin, aktuelle Diskussion aus Sicht der Frauen zu übertragen. Die Sendung lief bis 2013, aber Eliana Vidal ist bis zum heutigen Tag aktiv im Radio dabei.


Eliana Vidal

Wenn man sich vorstellt, dass heute die Gewalt gegen Frauen weit verbreitet und ihre politische und soziale Partizipation im öffentlichen Leben gering ist, so war das in jener Zeit weitaus schwieriger. Elena Vidal, Leiterin der Sendung, erzählt von den Veränderungen, die ihre Partizipation im Radio bewirkte - nicht nur in Bezug auf die Inhalte von "das Wort der Frauen", sondern auch aufgrund der Bedeutung, die ihre Präsenz, die Präsenz einer Frau, in einem Radio hatte, dessen interne Struktur vor allem aus Männern bestand: "Damals begann ich die Diskussion auf einer sehr alltagsnahen Ebene, zum Beispiel über die Sprache: In den Versammlungen und auf Sendung redete ich von den Bürgerinnen und Bürgern; in dieser Zeit waren es nicht gerade wenige, die nicht lachten, wenn jemand auf diese Art und Weise sprach, das war für sie ziemlich sonderbar. Vor allem den Erwachsenen fiel es schwer, das zu verstehen. Es war ein sehr wichtiger Kampf, denn so etwas war tief verwurzelt."


Radio Kimche Mapu: Das Wort dekolonialisieren

Die Partizipation von Frauen in öffentlichen Räumen und in Entscheidungsinstanzen ist ein Thema, das sich noch im Prozess befindet. Auch wenn zuletzt viele Frauen eine führende Rolle in solchen Räumen eingenommen haben, wie im Bereich der Politik oder den sozialen Bewegungen, hat sich bei genauem Betrachten der Strukturen des Alltags an der Situation der Ungleichheit nicht viel geändert; die Frauen werden weiterhin auf bestimmte Rollen und Räume beschränkt.

Radio Kimche Mapu ist ein Radio der Mapuche, das von der Comuna de Lanco (Gemeinde Lanco) im Süden von Chile aus sendet; zum vielfältigen Programm gehören auch Sendungen, die inhaltlich mit einer Geschlechterperspektive arbeiten. Mireya Manquepillan, Leiterin des Radios, kommentiert folgendes zur Partizipation von Frauen: "Hier sieht es einerseits so aus, dass das Thema Gewalt im eigenen Haus als etwas Normales angesehen wird. Die Räume wurden auch nicht in einer Weise geöffnet, dass die Frauen dort voll teilnehmen könnten, zum Beispiel in der Politik oder in den wichtigen Entscheidungen, die in der Gemeinde getroffen werden, da haben die Mapuche-Frauen immer noch keine Präsenz. Außerdem glauben viele hier, dass Frauen dazu da sind, für die Familie und die Kinder zu sorgen; daher wird es schlecht angesehen, wenn Frauen rausgehen, um Radio zu machen."

In diesem Kontext hat Mireya als einzige weibliche Mitarbeiterin von "Kimche Mapu" die Frauen in die Sprache integriert und sie über diese Plattform positioniert, mit Themen, die mit Gewalt und mit Teilhabe verbunden sind. Die Präsenz des Radios hatte große Auswirkungen auf verschiedene Bereiche der Gemeinde, erzählt die Radiomacherin: "Es gibt Dinge, die am Anfang vorausgesetzt wurden und die sich nun verändern. Es gibt jetzt das Phänomen, das die meisten aller Organisationen von Frauen angeführt werden, zumindest in dieser Gegend. Ich denke, das Radio hat dafür eine entscheidende Rolle gespielt. Wir haben auch stark damit angefangen, das Thema Gewalt zu bearbeiten und zu hinterfragen, vor allem von Seiten der Männer, die in dieser Region leben. Aber das Thema Radio ist sehr wichtig, da sich hier die Frauen gehört fühlen. Ich arbeite alle Tage dort und sie tauschen sich sehr viel zu ihren Fragen und Sorgen aus."

Jedoch bleibt es eine Herausforderung, die Struktur des Radios noch mehr durch Frauen zu formen, so Mireya. Das hängt auch stark mit ihrer Selbstwahrnehmung und daraus folgenden Implikationen zusammen: "Das ist eine der aktuellen Herausforderungen. Wir haben noch nicht erreicht, dass mehr Frauen sich trauen zum Radio zu kommen, um dort mitzumachen und zu sprechen. Davor haben sie viel Angst. Die Einwände, die sie nennen, sind zum Beispiel, dass sie nicht wissen, was sie sagen sollen; ich lade sie zum Beispiel zu einer Sendung ein und sie entschuldigen sich mehrmals, dass es schlecht laufen könnte oder wegen anderer Dinge. Wir kämpfen um die Räume zur Teilhabe, aber wenn sich ein so wichtiger Raum wie das Radio auftut, kommt bei ihnen viel Angst auf; das hängt mit der Gewalt zusammen, die sie immer erlebt haben".

Heute gibt es eine sehr starke Polizeigewalt und politische Gewalt in dem Territorium, was wiederum die Atmosphäre der Angst verstärkt. Dadurch tut sich eine weitere Barriere gegen die Ausbreitung dieser Räume auf, die gegenüber dem tendenziösen Medienpanorama eine Gegenöffentlichkeit bilden: "Wenn ich dabei bin eine Sendung zu machen, kommen sie und stellen sich mit ihren Waffen daneben. Das ist ein eindeutiger Einschüchterungsversuch. Niemals kommen sie jedoch, wenn gerade ein Mann die Sendung macht; sie kommen nur bei meinen Sendungen. Damit wollen sie mir Angst einflößen", betont Mireya.

Manquepillan ist bereits seit 2011 als Leiterin des Radios Kimche Mapu tätig; sie war formell die erste Frau in dem Radio; im gleichen Jahr sollte ihre Tätigkeit im Radio durch den Artikel 36B des Allgemeinen Kommunikationsgesetz (Ley General de Telecomunicaciones) kriminalisiert werden. Sie bewirkte eine Legalisierung ihrer Ämter vor dem Gericht von San José de la Mariquina in der Region Los Ríos Chile und in einer späteren Anhörung in Genf vor dem Kommittee zur Abschaffung von rassistischer Diskriminierung der Vereinten Nationen.


Das Wort im Radio: Frauen lenken Kommunikation

Auf lateinamerikanischer Ebene wurde das Radiomachen mit Gender-Perspektive mit hoher Partizipation angegangen; daraus haben sich neue Themen, Schwerpunkte und Formate entwickelt. So wie im Fall des "Palabra Radio" (Wort im Radio) in Oaxaca, das im Bundesstaat mit dem höchsten Anteil an Gemeinderadios in ganz Mexiko arbeitet. In diesen Gemeinderadios gibt es einen sehr hohen Anteil an Frauen, die mitarbeiten und sich freiwillig engagieren. Die Arbeit für das Empowerment der Frauen richtet sich zudem auf die Fortbildung der Frauen im technischen Bereich, damit sie lernen, auch diese Arbeitsfelder zu beherrschen, betont Loreto Bravo von Palabra Radio: "Ihre Teilnahme ist auf bestimmte Bereiche beschränkt; sie sprechen ins Mikrofon, können aber kein Mischpult bedienen, denn man geht davon aus, dass der technische Teil Männersache sei. In den Workshops setzen wir jedoch darauf, dass auch Frauen Kompetenzen im technischen Bereich erwerben können, um ihre Teilhabe zu stärken und ihnen Fortbildungen zu ermöglichen in Tätigkeitsfeldern, in denen sie sonst übergangen werden. Wir möchten, dass sie Entscheidungsträgerinnen sein können, oder auch Radioleiterinnen oder Koordinatorinnen, etc."

Loreto weist darauf hin, dass die Frauen, indem sie sich diese Räume der Teilhabe eröffnet haben, gleichzeitig das Radio auch mit neuen Formaten bereichert haben. Diese kommen durch die eigene Sprache der Frauen auf, außerdem schaffen sie es, bestimmte Themen zu positionieren, die im Allgemeinen übergangen werden und von denen sie sich identifiziert fühlen und in ihren Gegenden Sinn machen: "Ich glaube, dass die Arbeit der Frauen im Radio ziemlich unsichtbar ist, denn man spricht kaum über die Perspektive der Frauen, die Teilnahme der Frauen in diesen Radios und wie sie mit ihren Themen zu den Diskussionen in der öffentlichen Meinungsbildung beitragen. Sie spielen eine fundamentale Rolle in Themen wie die Verteidigung des Bodens, des Wassers, Themen wie sexuelle und reproduktive Rechte, ob sie Kinder haben möchten oder nicht, ob sie zur Schule gehen möchten oder nicht - das sind Themen, die über lange Zeit ein Tabu gewesen sind innerhalb unserer Völker."


La Radionetea - lokale Netzwerke stärken

Indem Frauen Kommunikationsräume einnehmen und es nicht externe Sprecher*innen sondern sie selbst sind, die die Diskurse schaffen, wandeln sich auch die Inhalte und Schwerpunkte. Es beginnen Veränderungen im Kern des Konflikts, denn dies trägt zu einer Transformation der Wahrnehmungen über sie selbst bei, sie werden von Randbeteiligten zu Protagonistinnen. Diese Situation konkretisiert sich in der Erfahrung des Gemeinderadios von Valparaíso, genannt "La Radioneta" - ein freies Radio, das seit dem Jahr 2001 auf Sendung ist. Das Radioteam hat mehrere Wechsel erlebt, bis es letztlich vor allem von Frauen gebildet wurde, was gleichzeitig zu einem bedeutsamen Wandel der Identität und der Arbeit des Radios geführt hat.

Silvia Gutierrez, Mitglied des Radios dazu: "Das Radio hat sein Projekt in letzter Zeit stark verändert. In dem Maß, in dem immer mehr Frauen eingestiegen sind, haben sich auch unsere Arbeitsweise und unsere Inhalte geändert. Zum Beispiel gab es bereits seit 2011 die Sendung "La revuelta", die zu Beginn am meisten über polizeiliche Gefahren auf lokaler Ebene gesprochen hat. In letzter Zeit jedoch fokussierte sich unsere Sendung vor allem darauf, über Abtreibung und sexuelle und reproduktive Rechte zu informieren. Wir unterstützen Kampagnen wie die des Misotrol und haben unser Augenmerk auf die Femizide gelegt und die Schweigemärsche - alles Dinge, die für die konventionellen Medien keine Bedeutung haben."

Die Erfolge von "La Radioneta" lassen sich vor allem auf lokaler Ebene verzeichnen; diese zeigen sich vor allem darin, dass sich Netzwerke zwischen Gruppen bilden, die hier einen gemeinsamen Bezugspunkt sehen und die bis dahin keine Kanalisierung im Radio gefunden haben, wodurch es ermöglicht wurde, eine solidere Organisationsbasis aufzubauen. In diesem Zusammenhang erzählt Silvia Gutierrez: "Ich glaube, es ist ein bedeutsames Instrument für viele Organisationen und für uns als Radio, denn wir spüren, dass es inzwischen viele Netzwerke gibt, die real und aktiv sind. Das hat uns sehr bestärkt bei unserer internen Arbeit und auch darin, als Kommunikationsmedium ein Werkzeug für andere Menschen zu sein, denn in diesem Raum nehmen sehr viel mehr Stimmen als nur unsere teil."

Im Angesicht des Schweigens und der Unfähigkeit des Staates eine Politik zu machen, die auf effektive Weise die Gewalt gegen Frauen bekämpft, sowie angesichts der Oberflächlichkeit, mit der die großen Medien das Thema angehen - sind es die Frauen, die sich den Raum in den Gemeinderadios nehmen um Dinge zu schaffen, Vorschläge zu machen und um Stereotype zu dekonstruieren. Dadurch erreichen sie es, einen eigenen Weg einzuschlagen - für sich selbst und für die, die ihnen zuhören.

Das Gemeinderadio ist einer der Räume, die wieder angeeignet werden sollten durch die Erzählungen und Stimmen der Frauen, aus verschiedenen Gebieten und Gemeinschaften, indem sie eine Gegenöffentlichkeit zu der hegemonialen maskulinen Sprache und sozialen Rollenmustern schaffen. Das ist der Weg, auf dem diverse Erfahrungen entstanden sind, die in Chile und Lateinamerika aufblühen, wo Frauen und diverse Gender-Identitäten zusammenfließen in einen freien Kommunikationsraum, der es erlaubt, über uns und unsere Realitäten nachzudenken und diese neu zu konstruieren.


URL des Artikels:
https://www.npla.de/poonal/stimmen-des-widerstands-frauen-in-gemeinderadios/


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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Februar 2017

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