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INTERNATIONAL/150: Die von Antonio Gramsci gegründete "Unità" kämpft um ihre Existenz (Gerhard Feldbauer)


Vom kommunistischen Kampfblatt zur Zeitung der Sozialdemokratie

Die vor 90 Jahren von Antonio Gramsci gegründete "Unità" kämpft um ihre Existenz

von Gerhard Feldbauer, 7. August 2014



Die links orientierte Tageszeitung "Unità" musste am 1. August ihre Druckausgabe einstellen (Schattenblick berichtete). Am 12. Februar 1924 wurde sie von Antonio Gramsci, 1921 Mitbegründer der Italienischen Kommunistischen Partei (IKP), als ihr Zentralorgan gebildet. Als im Januar 1991 die Revisionisten die IKP in eine sozialdemokratische Linkspartei umwandelten, teilte die "Unità" ihr Schicksal und wurde ihr Parteiblatt. Im Juni 2000 musste sie bereits einmal Konkurs anmelden. Damals ging sie in Privatbesitz über. Die Herausgeber wollen nun nicht länger das Minus von annähernd 20 Millionen Euro an Schulden tragen und haben Insolvenz angemeldet. Die Auflage betrug zuletzt noch etwa 21.000 Exemplare. Die rund 80 Mitarbeiter der Zeitung geben das Blatt vorerst als Online-Ausgabe heraus und werben für Abonnenten.


Sturz der Mussolini-Regierung gefordert

Den Namen "Unità" (Einheit) wählte Gramsci, um das Ziel des Kampfes gegen die Mussolini-Diktatur zu verdeutlichen. Im Untertitel stand "Proletarier aller Länder vereinigt Euch". Gramsci legte die Grundlagen für die Entwicklung der "Unità" zu einer Parteizeitung Leninschen Typs, die so befähigt wurde, einen herausragenden Beitrag im Kampf der IKP als führender Kraft der antifaschistischen Bewegung zu leisten. Davon zeugte als Erstes, wie sie den feigen Mord Mussolinis im Juni 1924 an dem Führer der Einheitssozialisten Giacomo Matteotti, entlarvte.

Sie veröffentlichte die Forderung "Weg mit der Regierung der Mörder" und den Aufruf zum Generalstreik. Bereits mehrfach verboten und 146mal beschlagnahmt, fiel sie nach der Errichtung der offen terroristischen Diktatur Ende 1926 unter das Verbot aller Oppositionsparteien und ihrer Zeitungen. Als einziges Blatt der Opposition erschien sie ab 1. Januar 1927 ununterbrochen illegal weiter.


Gramscis antifaschistische Bündniskonzeption propagiert

Die "Unità" informierte über die antifaschistische Bündniskonzeption Gramscis, über den wachsenden Widerstand der Arbeiter, so auf den Reisfeldern von Vercelli und Novarra oder die Arbeiterunruhen 1931/32, entlarvte die faschistischen Kriegsverbrechen während der Eroberung Libyens und Äthiopiens und die Teilnahme eines italienischen Expeditionskorps zur Niederschlagung der Spanischen Republik. Viele Seiten füllten die Berichte über den Kampf der italienischen Interbrigadisten gegen die Franco-Faschisten. Die "Unità" veröffentlichte die Rede des Vorsitzenden der Gruppe Giustizia e Libertà, Carlo Roselli, der über Radio Barcelona im November 1936 die prophetische Losung verkündete: "Heute in Spanien, morgen in Italien". Ausführlich widmete sich die "Unità" den Beratungen des VII. Weltkongresses der Komintern über den Kampf gegen die faschistische Gefahr und den imperialistischen Krieg, auf dem neben Georgi Dimitroff und Wilhelm Pieck Palmiro Togliatti zu den Hauptrednern gehörte.


Sprachrohr kleinbürgerlicher Schichten

Die "Unità" trug dazu bei, dass sich kleinbürgerliche Schichten, Angehörige der Intelligenz - Studenten, Wissenschaftler, Schriftsteller und Künstler - der antifaschistischen Bewegung anschlossen. Sie schrieb über Alberto Moravias Roman "Die Gleichgültigen" (1929), der den moralischen Niedergang der bürgerlichen Gesellschaft anprangerte, über Cesare Paveses aufrüttelnde Gedichte "Arbeit macht müde" und Renato Guttusos Gemälde "Erschießung", das dieser dem von den Franco-Faschisten ermordeten spanischen Dichter Federico Garcia Lorca widmete.


Aufruf zum Befreiungskrieg

Die von den Kommunisten in Aktionseinheit mit den Sozialisten formierte breite antifaschistische Bewegung, die zum Sturz Mussolinis ansetzte, veranlasste führende Kapitalkreise, sich im Juli 1943 des faschistischen Diktators in einer Palastrevolte zu entledigen. Die "Unità" propagierte umgehend die Forderungen nach demokratischen Rechten und Freiheiten, den Bruch mit der faschistischen Achse und den Übertritt Italiens auf die Seite der Antihitlerkoalition. Als die Hitlerwehrmacht Italien besetzte, verbreitete sie den Aufruf zum Befreiungskrieg gegen die deutsche Besatzungsmacht. Sie unterstützte die Initiative der IKP zum Eintritt in die Badoglio-Regierung (Wende von Salerno), mit dem ein Bekenntnis zum Antifaschismus durchgesetzt wurde. In den Redaktionen des Parteiorgans entstanden unzählige Kampfschriften, wurden Tausende Flugblätter, die die Massen zum Kampf gegen die Hitlerfaschisten und ihre italienischen Handlanger mobilisierten, gedruckt. Die "Unità" berichtete über die zahllosen Gefechte der Partisanen, die Bildung von Partisanenrepubliken, veröffentlichte den Appell zum allgemeinen bewaffneten Aufstand im April 1945 gegen die Hitlerwehrmacht und ihre italienischen Vasallen. Aus den Spalten der "Unità" erfuhren Italiens Antifaschisten, dass ein Partisanenkommando unter dem Befehlshaber der Garibaldi-Brigaden, Oberst Walter Audisio, am 28. April 1945 das vom Nationalen Befreiungskomitee über den "Duce" verhängte Todesurteil vollstreckt hatte.


Initiator der Gestaltung einer demokratischen und revolutionären Kunst

Nach 1945 initiierte die "Unità" eine intensive Debatte um die Gestaltung von Formen und Inhalten einer demokratischen und revolutionären Kunst, die das Schaffen von Filmemachern, Schriftstellern und Künstlern wie Roberto Rosselini, Luchino Visconti, Federico Fellini, Luigi Nono, Giacomo Manzù, Renato Guttuso, Dario Fo, Alberto Moravia Pier Paolo Pasolini und vieler anderer befruchtete.

1976 wählten zwölf Millionen Italiener (34 Prozent) die IKP, in der sie eine sozialistische Perspektive verkörpert sahen. Auf der Seite der Reaktion betrieb die eine halbe Million Mitglieder zählende Mussolininachfolger-Partei Movimento Sociale Italieno (MSI) eine "chilenische Lösung" für Italien. Gegen die faschistische Gefahr suchte IKP-Generalsekretär Enrico Berlinguer mit der großbürgerlichen Democrazia Cristiana eine "Historischer Kompromiss" genannte Regierungszusammenarbeit.


Folgen des Compromesso storicò

Auf die Gestaltung des Regierungsbündnisses nahm die nach den Wahlerfolgen entstandene sozialdemokratische Strömung den entscheidenden Einfluss. Kritische Stimmen, die in der "Unità" vor einer Klassenzusammenarbeit und der Aufgabe kommunistischer Positionen warnten, konnten sich nicht durchsetzen. Nach dem Scheitern des Compromesso storicò 1978/79 und dem Tod von Generalsekretär Enrico Berlinguer 1984 rissen die Revisionisten die Führung an sich, beseitigten 1990/91 die IKP und ihr Zentralorgan. 2007 vereinigte eine Mehrheit der Linkspartei sich mit der katholischen Zentrumspartei Margherita zur Demokratischen Partei (PD), was weitgehend die letzten Reste sozialistischer und linker Positionen beseitigte. Dass die "Unità" sich diesem Kurs nicht entgegenstellte, dürfte zum Verlust vieler ihrer resignierenden Leser beigetragen haben.


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Quelle:
© 2014 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. August 2014