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INTERNATIONAL/068: Mexiko - Studentenproteste vor den Wahlen, Demokratisierung der Medien gefordert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. Mai 2012

Mexiko: Studentenproteste vor den Wahlen - Demokratisierung der Medien gefordert

von Emilio Godoy



Mexiko-Stadt, 29. Mai (IPS) - Tausende Studenten sind in Mexiko auf die Straße gegangen, um frischen Wind in den flachen und oberflächlichen Wahlkampf zu bringen. Anfang Juli werden die Mexikaner einen Nachfolger von Präsident Felipe Calderón und ein neues Parlament wählen. Zentraler Kritikpunkt der Demonstranten ist die Medienkonzentration.

"Unsere Bewegung fordert eine Demokratisierung der Medien und eine unvoreingenommene Berichterstattung", sagt Sofia Alessio, die dem Organisationskomitee der Protestierenden an der privaten technischen Universität ITAM in Mexiko-Stadt angehört. "Dies ist eine unpolitische, friedliche Bewegung", betont sie.

Am 23. Mai fanden Proteste in etwa 20 mexikanischen Städten statt. In dem lateinamerikanischen Land mit insgesamt 112 Millionen Einwohnern gibt es etwa 2,5 Millionen Hochschüler. Der Anteil der Studenten in Mexiko ist damit einer der niedrigsten in der ganzen Region. Sieben Millionen junge Mexikaner haben weder eine Arbeit, doch machen sie eine Ausbildung.

Die größten Studentenproteste in der Geschichte des Landes ereigneten sich 1968, als Hunderttausende für Bildungsreformen und einen demokratischeren Staat demonstrierten. Damals regierte noch die Partei der Institutionellen Revolution (PRI), die von 1929 bis 2000 ununterbrochen an der Macht war.

Die Regierung von Präsident Gustavo Díaz Ortiz (1964-1970) ging mit brutaler Gewalt gegen die Demonstranten vor. Nach einwöchigen Protesten eröffneten Soldaten und Paramilitärs das Feuer auf friedlich protestierende Studenten auf dem Tlatelolco-Platz in Mexiko-Stadt. Für das Massaker, dem bis zu 300 Menschen zum Opfer fielen, wurde niemand zur Rechenschaft gezogen.


Kritik an Konzentration der elektronischen Medien

In diesem Jahr richtet sich der Unmut der Demonstranten vor allem gegen "die starke Konzentration elektronischer Medien" in den Händen Weniger, wie der Wissenschaftler Luis Vázquez von der Lateinamerikanischen Fakultät für Sozialwissenschaften (FLACSO) erklärt. "Die Informations- und Meinungsfreiheit ist beschränkt. Es ist notwendig, die Medien zu demokratisieren, um eine autoritäre Herrschaft zu verhindern."

Ausgelöst worden war die Protestwelle am 11. Mai durch einen Besuch des Präsidentschaftskandidaten Enrique Peña an der von Jesuiten geleiteten Iberoamerikanischen Universität (UIA). Die Hochschüler warfen ihm vor, nicht engagiert genug gegen Menschenrechtsverstöße während seiner Amtszeit als Gouverneur in dem Bundesstaat Mexico von 2005 bis 2011 vorgegangen zu sein.

Während die Medien die Demonstranten als "intolerant und sektiererisch" bezeichneten, warfen diese vor allem dem größten Fernsehsender 'Televisa' eine parteiische Berichterstattung vor.

"Junge Menschen können viel Macht bekommen, wenn sie sich zusammenschließen und politisch aktiv werden", meint Rolando Cordera, ein emeritierter Professor am der Wirtschaftsfakultät der Autonomen Nationalen Universität Mexikos (UNAM). "Es ist wichtig, dass ihnen bewusst wird, wie viel Einfluss sie in der Gesellschaft haben."

Am 1. Juli werden neben dem künftigen Staatschef auch die 500 Abgeordneten und 128 Senatoren gewählt. Calderóns Nachfolger wird sein Amt am 1. Dezember für sechs Jahre antreten. Außerdem werden in 15 der 32 Bundesstaaten Regional- und Kommunalwahlen abgehalten.

Etwa zehn Millionen der rund 77 Millionen registrierten Wähler werden in diesem Jahr zum ersten Mal an die Wahlurnen gehen. Laut dem Zensus von 2010 gaben in jenem Jahr fast 19 Millionen Mexikaner zwischen 20 und 29 Jahren zum ersten Mal ihre Stimme ab. In dem Land besteht Wahlpflicht.


Über soziale Netzwerke organisiert

Die Studentenproteste, bei denen es keine klar erkennbaren Anführer gibt, sind über soziale Netzwerke im Internet wie 'Facebook' und Twitter organisiert worden. Die Bewegung hat auch eine eigene Website, über die Informationen verbreitet werden.

"Wir wissen, dass einige Leute die Bewegung für politische Zwecke nutzen wollen. Das werden wir aber nicht zulassen", sagt Alessio. "Wir wollten, dass Studenten aus dem ganzen Land mitmachen, weil wir der Meinung sind, dass wir gemeinsam mehr erreichen. Und nicht nur junge Menschen werden von den Ergebnissen profitieren."

Der Name der Bewegung 'Yo soy 132' (Ich bin 132) erinnert an einen Protest von 131 Studenten während eines Besuchs von Peña in den USA. Die Gruppe hat einen Moralkodex veröffentlicht, indem versichert wird, dass sie an keine Partei gebunden ist, sich als friedlich versteht und eher individuelle als kollektive Ansichten vertritt.

Seit dem Protest an der UIA verfolgt die PRI eine ambivalente Strategie. Zum einen greift sie die Studenten verbal an und beschuldigt sie, von den Linken beeinflusst zu sein. Andererseits schlägt sie auch beschwichtigende Töne an und erklärt, dass alle Meinungen respektiert werden.

Die Aktion gegen Peña erinnert an die Ereignisse während eines Besuchs des damaligen Präsidenten Luís Echeverría an der UNAM 1975. Als Echeverría von den Hochschülern zum Verlassen des Campus gezwungen wurde, beschimpfte er sie als "Faschisten".

Am 23. Mai hatte Yo soy 132 zu Protesten in etwa 20 größeren Städten aufgerufen. Die Bewegung wird bereits als 'mexikanischer Frühling' bezeichnet, in Anspielung auf die Volksaufstände in der arabischen Welt. Mit der 'Occupy'- und 'Indignados'-Bewegung hat Yo soy 132 höchstens organisatorische Gemeinsamkeiten. Tiefgreifende Veränderungen im politischen und wirtschaftlichen System streben die Studenten nicht an. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:
http://yosoy132.mx/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=100807
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=107912

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 29. Mai 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Mai 2012