Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → FAKTEN

INTERNATIONAL/045: Visuelle Produktion im entwicklungspolitischen Kontext (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 118, 4/11

Bilder sind nicht ideologiefrei, klar!
Visuelle Produktion im entwicklungspolitischen Kontext

Von Petja Dimitrova


Um über Bilderproduktion im entwicklungspolitischen Kontext aktuell nachzudenken, wollen wir auf keinen Fall die alte banale Debatte zurück: Schluss mit der Abbildung armer schwarzer Kinder mit hilfslosem Blick! Die Kritik dieser Art Darstellung des globalen Südens bzw. der Lebens- und Menschenrechtssituation "dort" ist längst formuliert: Solche Bilder reproduzieren den weißen Herrschaftsblick und setzen somit koloniale Gewalt fort. Sie arbeiten stark mit der Darstellung Hilfsbedürftiger, im Elend versinkender und "unterentwickelter" schwarzer Menschen, die auf uns angewiesen sind.

Unsere politische Mitverantwortung und Mitinvolvierung in den dargestellten "katastrophalen Zuständen", die sich bis jetzt historisch fortsetzt, wird dabei ausgelassen. Das "Exotische Arme-Kinder-Genre" in der visuellen Produktion der entwicklungspolitischen Arbeit produziert nicht nur Klischees oder die Darstellung einer abstrakten "Wahrheit", sie infantilisiert den Süden und stabilisiert somit Ungleichheitsverhältnisse sowie den rassistischen Blick.


Tabula rasa gibt es nicht

Bilder sind eines der stärksten Instrumente zur Artikulation und Vermittlung eigener Inhalte. Sie sind auf keinen Fall macht- und ideologiefrei und können nicht von politischer Verantwortung entkoppelt werden. Sie vermitteln Wissen und behaupten "Realitäten", bei denen oft eine Weginszenierung von Macht versucht wird. Etwas darstellen bedeutet, es ins gesellschaftliche Bewusstsein zu holen und durch die Wahl einer bestimmten Repräsentationsform zu kennzeichnen. Wie, wann, wo und von wem Bilder produziert werden, ist für die Wahrnehmung und das Verstehen derselben sehr bedeutend. Kein Bild ist unschuldig oder neutral, keines entsteht aus der Tabula rasa.

Wie können wir Bilder als emanzipatorische, subversive und zur Veränderung bestehender Verhältnisse dienende Instrumente einsetzen? Was sind feministische, queere und antirassistische Bilderpolitiken, die sich u. a. als Teil eines Gesellschaftskampfes verstehen?

So kann z. B. geschlechterspezifische, visuelle Produktion kein reines Abbilden von "Frauen" heißen, weil niemand nur so "Frau" ist. In diesem Sinn schreibt etwa die Schriftstellerin und antirassistische Aktivistin Audre Lorde über die vielen Bezüge, in denen sie steht: "There is no such thing as a single issue struggle, because we don't live single issue lives." Und dabei sagt sie über sich selbst: "Ich bin schwarz, lesbisch, Feministin, Kriegerin, Dichterin, Mutter." Können wir auf der Suche einer progressiven Bilderproduktion als Teil der Arbeit von NGOs und von zivilgesellschaftlichen Organisationen an Denk- und Arbeitsweisen von Kunstpraxen anknüpfen, die neben künstlerischen auch aktivistische, wissenschaftliche, mediale u. a. Methoden einsetzen, um gesellschaftskritische Fragestellungen auf mehreren Ebenen wirksam werden zu lassen?


Komplexe Baustelle Gesellschaft

Ein Beispiel für einen diesbezüglich relevanten Versuch stellt das Projekt "Migrationsskizzen - postkoloniale Verstrickungen - antirassistische Baustellen" dar, das 2010 in Wien lebende bildende Künstlerinnen mit Migrationserfahrung auf Initiative des VIDC - Wiener Institut für Internationalen Dialog und Zusammenarbeit - entwickelt haben. Dieses Buchprojekt liefert eine kritische Skizze der österreichischen Gesellschaft aus einer feministischen und antirassistischen Perspektive, wobei es sich um Arbeitsweisen und Bildpolitiken handelt, die das Selbst-Empowerment, das Historisieren der eigenen Migrationsgeschichte, das kollektive Tun im kulturellen Feld, die Eroberung von Öffentlichkeiten, das Stellen politischer Forderungen, das Verbinden innovativer Forschungs- und Repräsentationsformen u. a. verstricken. Die Komplexität auf der Baustelle Gesellschaft wird durch visuelle Formen kritischen Denkens und Handelns verstärkt und verschärft dargestellt. Auch NGOs können sich auf der Suche nach neuen Bildern für ihre Arbeit aus diesen Praxen etwas abschauen.


*


Lesetipp:

Migrationsskizzen - postkoloniale Verstrickungen - antirassistische Baustellen.
Herausgeberinnen:
Achola/Bobadilla/Dimitrova/Güres/del Sordo. Wien 2010.


Zur Autorin:

Petja Dimitrova ist bildende Künstlerin und Aktivistin. Sie arbeitet mit diversen Medien wie Video, Zeichnung, Print und neuen Medien zwischen bildender Kunst, politischer und partizipativer Kulturarbeit zu aktuellen gesellschaftspolitischen Themen. Sie lehrt an der Akademie der bildenden Künste in Wien und ist Vorsitzende der IG Bildende Kunst sowie Redaktionsmitglied von "Kulturrisse". Außerdem ist sie Mitglied diverser Netzwerke wie "Netzwerk Kritische Migrationsforschung und Grenzregime", "MigrafonA" und "1. März Transnationaler MigrantInnenstreik". Seit 1994 lebt sie in Wien.


*


Quelle:
Frauensolidarität Nr. 118, 4/2011, S. 6-7
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Sensengasse 3, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org

Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro plus Porto
Jahresabo: Österreich 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Februar 2012