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INTERNATIONAL/037: "Infotainment" siegt über Information - Journalistenberuf zunehmend prekär (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. Oktober 2011

Medien: 'Infotainment' siegt über Information - Journalistenberuf zunehmend prekär

Von Mario Queiroz

Giovanni Melogli - Bild: © Katalin Muharay/IPS

Giovanni Melogli
Bild: © Katalin Muharay/IPS

Lissabon, 28. Oktober (IPS) - Das Erstarken von Medienunternehmen und ein zunehmend autoritäres Vorgehen der Behörden haben die Pressefreiheit in vielen Ländern erheblich eingeschränkt. Diese Entwicklung wurde bereits in zahlreichen internationalen Foren kritisiert. Die Internationale Journalistenallianz (AIJ) fordert die Medien auf, Verantwortung gegenüber der Gesellschaft zu zeigen und ihre Unabhängigkeit zu verteidigen.

AIJ wurde 2004 gegründet und unterhält eigenständige Zentren in Brüssel, Frankreich, Italien, Brasilien und Zentralasien. Einer der führenden Vertreter der Organisation ist der Italiener Giovanni Melogli, der kürzlich in Lissabon an der Konferenz 'Die Zukunft der Freiheit - Bürgerrechte im 21. Jahrhundert' teilnahm. Zu dem von unabhängigen Europaparlamentariern organisierten Treffen war auch Daniel Domscheit-Berg, der ehemalige Sprecher von 'Wikileaks', angereist.

Im Interview mit IPS erklärte Melogli, dass AIJ in erster Linie zu einem verantwortungsbewussteren, ethisch korrekteren und qualitativ höherwertigen Journalismus beitragen wolle. Der Italiener ist auch Mitglied der zivilgesellschaftlichen Organisation 'Europäische Alternativen', die sich für grenzüberschreitende politische und kulturelle Strategien einsetzt.

Melogli sieht es als große Gefahr für einen unabhängigen Journalismus, dass es "in vielen Ländern keine richtigen Verleger mehr gibt. Und dort, wo sie noch existieren, stehen sie unter dem Druck, zu verkaufen und ein Publikum zu haben." Oft hätten die Eigentümer von Zeitungen Interessen, die nichts mit Journalismus zu tun hätten, kritisierte er. Sie nutzten ihre Medien dazu, diese Interessen weiterzuverfolgen.

"Der Sieg des 'Infotainment' über die reine Information hat zusammen mit der Internet-Revolution viele Nachrichtenagenturen in die Knie gezwungen", sagte Melogli. Die Nachfrage nach 'Nachrichten', die eine audiovisuelle Ergänzung benötigten, spreche eher Gefühle als den Verstand an.


Sekundärer Analphabetismus nimmt rapide zu

"Der sekundäre Analphabetismus erreicht in vielen Ländern ein erschreckendes Ausmaß. In Italien fällt es 60 Prozent der Bevölkerung schwer, zu schreiben und komplexe Sachverhalte zu erfassen", so der Journalist. "Alle diese Faktoren gefährden grundlegende Prinzipien wie die Informationsfreiheit. In einigen Fällen zeigt sich dies noch auf viel subtilere Weise als durch den tyrannischen Verleger, der seine momentane Agenda durchsetzt, um sich dem Geschmack der Leser anzupassen, die mit Qualitätsjournalismus nichts mehr anfangen können." Diese Tendenz habe bereits der US-Autor Neil Postman in seinem Buch 'Wir amüsieren uns zu Tode' beschrieben.

Das sinkende Qualitätsniveau der Medieninhalte führt nach Ansicht von Melogli in einen "Teufelskreis". "Da Journalisten nicht mehr so viel wissen müssen wie früher, wird auch weniger in sie investiert. Um eine Agentur-Eilmeldung oder 'Infotainment' zu produzieren, braucht man keine Redakteure, die mindestens zehn Jahre Erfahrung in einem Fachgebiet gesammelt haben. Das kann schon ein Praktikant leisten."

Ein solcher 'Journalist' verbringe den Tag damit, Pseudonachrichten zu schreiben, ohne Zusammenhänge zu vertiefen, meint Melogli. Da auf diese Weise nicht mehr viele Mitarbeiter gebraucht würden, entstünden prekäre Arbeitsverhältnisse, die es den 'Journalisten' oft nicht mehr erlaubten, Fakten zu überprüfen oder gar zu vertiefen. Für die Mitarbeiter in den Redaktionen werde es zudem immer schwerer, sich zu organisieren, um sich den Diktaten der Chefetage zu widersetzen. Wie Melogli hervorhebt, arbeiten in Italien bereits mehr Journalisten in ungesicherten Arbeitsverhältnissen als mit unbefristeten Verträgen.


Interessenskonflikt zwischen Unternehmern und Redaktionen

Das Problem besteht laut dem AIJ-Vertreter darin, Redaktionen inhaltlich unabhängig von den Interessen der Geschäftsführungen von Medienunternehmen und von denen der Politik zu machen. Die Lage sei aber noch viel komplexer: Wenn Widerstand gegen die von dem Unternehmen angeordneten inhaltlichen Leitlinien geleistet werde, drohe die Schließung der betreffenden Medien.

Melogli beklagte zudem, dass sich private Medien - anders als etwa private Krankenhäuser - kaum an Regeln halten müssten. "Leider werden Nachrichten zunehmend als rein kommerzielles Produkt betrachtet. Angesichts der Bedürfnisse der Märkte werden ethische Prinzipien außer Acht gelassen. Daraus erwächst auch das Risiko der Medienkonzentration", sagte der Experte. "Der grundlegende Fehler besteht darin, die Tatsache aus den Augen zu verlieren, dass Information ein Allgemeingut und ein Grundpfeiler der demokratischen Basis unserer Gesellschaften ist." (Ende/IPS/ck/2011)


Links:
http://www.alliance-journalistes.net/article1.html
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=99447

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Oktober 2011