Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → FAKTEN

INTERNATIONAL/019: Volksaufstände rütteln an Stereotypen in westlicher Berichterstattung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. April 2011

Afrika/Nahost: Volksaufstände rütteln an Stereotypen in westlicher Berichterstattung

Von Cam McGrath


Kairo, 8. April (IPS) - Die ausführliche Medienberichterstattung über die Volksaufstände in Nordafrika und Nahost haben dazu beigetragen, Mythen und Stereotypen über Araber und Muslime zu überwinden. Zu diesem Schluss kamen Medienexperten auf einer Konferenz in Kairo.

Die Berichte über die Ereignisse in Ägypten und Tunesien, die inzwischen auch auf andere Länder übergesprungen sind, hätten eine Ost-West-Annäherung ermöglicht, "die Politiker über Jahre nicht zustande brachten", sagte Amr Moussa, Generalsekretär der Arabischen Liga, auf dem Treffen in der ägyptischen Hauptstadt am 6. April.

Die Tagung zum Thema 'Eine neue Ära für arabisch-westliche Beziehungen' befasste sich mit den Implikationen der sozialen Transformationen in der arabischen Welt und dem Potenzial für einen interkulturellen Dialog. Dabei wurde die Rolle unterstrichen, die den Medien bei der Überbrückung der kulturellen Kluft in den letzten Monaten zukam.

Podiumsgäste schilderten das historische Versäumnis der westlichen Medien, die Vielfalt der arabischen Welt, die geographischen Unterschiede und das reiche Spektrum an religiösen, ethnischen und kulturellen Identitäten herauszustellen. Das habe dazu geführt, dass sich die Menschen im Westen den Nahen Osten als eine Region vorstellten, die sich durch Wüsten, Kamele, religiösen Fanatismus und staatliche Willkür auszeichne.

Wie Roland Schatz, Geschäftsführer des deutschen Medienforschungsinstituts 'Media Tenor', erklärte, haben die internationalen Medien mit ihrer traditionell auf Gewalt und Repression fixierten Berichterstattung stereotype Bilder über Araber und Muslime am Leben erhalten. Die positiven und alltäglichen Dinge des Lebens seien ausgeblendet worden. "Gewaltsame Aufstände in der Region produzieren meist negative Nachrichten, wenn sie von westlichen Journalisten beschrieben werden."


Vorurteile abgebaut

In den letzten Monaten jedoch seien jedoch auch viele positive Botschaften und Bilder über die arabische Welt in die westlichen Wohnzimmer gelangt. Bilder und Videos von Demonstranten, die von repressiven Regierungen Demokratie und Transparenz verlangten, haben den Mythos zerstört, die arabischen Gesellschaften seien politisch apathisch und von Diktatoren und Islamisten leicht zu manipulieren, sagte Schatz.

"In den letzten zehn Jahren dominierten Bilder von Islamisten, von Osama (bin Laden) und Enthauptungen die internationale Berichterstattung, im Jahrzehnt davor zuvor waren es Verbrennungen US-amerikanischer Flaggen und Flugzeugentführungen", sagte Abdallah Schleifer, emeritierter Professor für Journalismus an der American University in Kairo, gegenüber IPS. Nun gebe es einen ermutigenden Wandel der Sichtweisen.


Vorbildfunktion

Der 'Arabische Frühling', der in Tunesien und Ägypten zum Sturz der politischen Führung und in Libyen zu einer alles entschlossenen Rebellenbewegung gegen den Machthaber Muammar Gaddafi führte und in Jemen, Syrien und Bahrain ebenfalls Demonstrationen nach sich zog, habe den freiheitlichen Gedankenfluss auch in Richtung Westen gelenkt.

Als Beispiel nannte Schleifer die Proteste von Zehntausenden Menschen im US-Bundesstaat Wisconsin gegen den Versuch des Gouverneurs, die Gewerkschaften durch ein Gesetz zu schwächen. Die Demonstranten hatten in Wisconsin unter anderem den Slogan 'Geh aufrecht wie ein Ägypter' skandiert. Dieser Spruch zeige, "dass die ägyptische Revolution zur Ikone für ähnliche Proteste auch in einem demokratischen Umfeld geworden ist".

Dalia Mogahed, Geschäftsführerin des Gallup-Zentrums für muslimische Studien, untermauerte das neue und andere Interesse an der arabischen Welt mit Beispielen und Zahlen. Das besondere Verdienst der Medien sei gewesen, ein Schlaglicht auf die Menschlichkeit der Demonstranten auf dem Tahrir-Platz zu werfen. "Die Forschung zeigt, dass 80 Prozent der US-Amerikaner mit den Demonstranten sympathisierten."

Hisham Hellyer, Wissenschaftler am Zentrum für die Erforschung ethnischer Beziehungen der Warwick-Universität, kritisierte auf dem Treffen die Quellenauswahl westlicher Medien. "Es gibt eine Tendenz unter jungen Journalisten, Interviewpartner auszusuchen, die für ihre flammenden Kommentare bekannt sind. Diese Leute haben keinen repräsentativen Wert. Sie liefern nur Sprüche." (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.mediatenor.com/
http://www.gallup.com/se/127907/gallup-center-muslim-studies.aspx
http://www2.warwick.ac.uk/fac/soc/crer/
http://www.theglobalexperts.org/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=55168

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 8. April 2011
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2011