Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → FAKTEN

FORSCHUNG/041: Medienwissenschaft (spektrum - Uni Bayreuth)


spektrum 1/07 - Universität Bayreuth

Medienwissenschaft an der Universität Bayreuth

Von Eva-Maria Hartmann und Jürgen E. Müller


Der audiovisuelle und digitale Sektor erweist sich gegenwärtig als ein ökonomischer Bereich mit einem großen Wachstumspotential, wobei die neuartigen Vernetzungen und Verbindungen zwischen traditionellen Massenmedien und digitalen Medien zu einer weiteren Beschleunigung der Entwicklung und damit zu einer erhöhten gesellschaftlichen Relevanz medienwissenschaftlicher Forschung im Zeitalter der digitalen Medien führen werden.


*


Audiovisuelle und digitale Medien besitzen Schlüsselfunktionen in unseren westlichen Gesellschaften. Sie dienen der Information, der Unterhaltung, der Produktion von Medien-Kunstwerken, der Konstitution sozialer und persönlicher Identitäten, der Speicherung von Elementen unseres gesellschaftlichen und kulturellen Gedächtnisses, der Manipulation und Beeinflussung von Meinungen, der Bildung sozialer Mythen, der Teilhabe an gesellschaftlichen Events, der ökonomischen und ideologischen Verbreitung neuer Technologien, der digitalen Selbstentäußerung von Individuen in Form von Weblogs und -sites, der Realisierung ökonomischer Ziele, der Entwicklung von Kultur- und Wirtschaftsräumen. Sie sind in vielfältigen, vernetzten Erscheinungsformen und Formaten auf nahezu allen sozialen, kulturellen, technologischen, juristischen und ökonomischen Ebenen unserer modernen Gesellschaften präsent und entfalten dort ihre Wirkung. Angesichts dieser Breite möglicher Funktionsfelder der Medien wird deutlich, dass ein so genanntes 'kleines' Fach mit einer sehr begrenzten personellen und sachlichen Ausstattung sich nur spezifischen medialen Erscheinungen und Funktionsfeldern annähern kann. Die zielorientierte Konzentration auf bestimmte Schwerpunkte bedeutet allerdings keine Reduktion auf eindimensionale Theorien und Methoden, vielmehr zeichnen sich die Forschungsperspektiven und Forschungsachsen der Medienwissenschaft an der Universität Bayreuth durch eine enge trans- und interdisziplinäre Kooperation mit Kolleginnen und Kollegen der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaft sowie mit benachbarten Fakultäten aus. Historiker, Ökonomen, Juristen, Informatiker sind in aktuelle Projekte der Medienforschung einbezogen, die in einem internationalen Rahmen stattfinden.


Medienbegegnungen

Im Diskurs der Medienwissenschaft und benachbarter Disziplinen hat sich im vergangenen Jahrzehnt zunehmend die Erkenntnis durchgesetzt, dass "Medien" nicht als isolierte Monaden, sondern als komplexe Netzwerke zu betrachten sind, die sich in vielschichtigen Interaktionen mit anderen Medien (Netzwerken) befinden. Die aktuellen Entwicklungen von Theorien und Forschungsachsen zu den Medienbegegnungen, zur "Intermedialität" und zur medialen "Hybridität", welche auf die Analyse und Rekonstruktion dieser Prozesse zielen, tragen diesen medialen und gesellschaftlichen Prozessen zunehmend Rechnung.

Wenn wir "Medien", ihre Formate und Gattungen als multi- und intermediale 'Zwischenspiele' zu betrachten haben, kommt der Untersuchung ihrer Begegnungen, d. h. von 'Formen' und 'Funktionen' der 'Media Encounters' ein entscheidender wissenschaftlicher Erkenntniswert zu. Die Rekonstruktion medialer Begegnungen wird damit zu einer zentralen Forschungsperspektive von Medientheorie und Medienhistoriographie.

Die Bayreuther Forschungen zu den Medienbegegnungen und zur Intermedialität zielen auf die komplexen Interaktionen zwischen medialen und kulturellen Identitäten - dies sowohl unter theoretisch-methodologischen als auch unter historischen Gesichtspunkten. Sie finden im Rahmen internationaler Forschungsnetzwerke und in Kooperation mit international fahrenden Forschungszentren, z. B. dem C.R.I. (Centre de Recherche sur l'Intermédialité Université de Montréal), der Sorbonne, der University of Exeter, der Hanyang Universität, Seoul, sowie des Internationalen Promotionsprogramms der Sprach- und Literaturwissenschaftlichen Fakultät, Kulturbegegnungen, statt, sie waren zudem Thema eines internationalen Kongresses, Media-Encounters, der im Frühjahr 2005 an der Universität Bayreuth veranstaltet wurde und dessen Akten in Kürze erscheinen werden.

In diesem Zusammenhang erweist sich die Rekonstruktion der 'gesellschaftlichen Funktionen' der medialen Interaktionen als eine besondere Herausforderung. Das Spektrum der Bayreuther medienwissenschaftlichen Forschungen umfasst daher nicht allein ästhetische, gattungshistorische, narratologische oder medienspezifische Schwerpunkte, sondern schließt explizit Fragen der sozialen Relevanz und sozialen Einbettung von Medienbegegnungen ein.

Eine Untersuchung der Interaktionen des "Fernsehens" mit den kulturellen Serien bzw. 'Medien', auf die es im historischen Kontext seiner Entstehungsgeschichte traf, etwa dem Kino, dem Rundfunk, dem Theater und dem Kabarett, fährt zu spezifischen technologischen und medialen Profilen und zu spezifischen in der Anfangsphase - noch gänzlich offenen Funktions- und Nutzungsprofilen, wie wir sie heute etwa mit Blick auf die Optionen digitaler Medien und des Internets kennen. Gesellschaftliche Prozesse der Institutionalisierung und der historischen Entwicklung von Medien-Konturen stehen im Zentrum dieser Forschungen. In interdisziplinärer Zusammenarbeit mit Historikern, Rechts- und Informationswissenschaftlern der Universität Bayreuth werden diese Untersuchungen eine Ausweitung auf die so genannten Neuen Medien erfahren.


Vernetzte Mediengeschichte

Der oben skizzierte Schwerpunkt steht in enger Beziehung zum Projekt einer integrativen Mediengeschichte. Eine vernetzte Mediengeschichte im 'Spannungsfeld zwischen Technik, Kultur, historischen Mentalitäten und Gesellschaft' befasst sich mit den historischen Funktionen audiovisueller und digitaler Medien und ihrer 'Formate'. Sie liefert mit ihren theoretisch-methodologischen Rahmungen von Cultural Studies, Technologie- und Mentalitätsgeschichte eine hervorragende Basis für die Untersuchung vergangener und gegenwärtiger Dynamiken der Medienlandschaft. Der von ihr initiierte trans- und interdisziplinäre Diskurs konzipiert Medien-Geschichte(n) nicht unter dem Aspekt des 'ersten' Erscheinens einzelner Medien, sondern bezieht deren 'Vor'-Geschichte(n) und mediale Interaktionen ein. Im Falle des medialen Paradigmas "Fernsehen" impliziert sie etwa die Untersuchung von utopischen und technologisch-apparativen Vor-Entwürfen, welche eine Brücke zur Kultur-, Technologie- und Literaturgeschichte schlägt. Medienwissenschaftliche Forschungen stützen sich in diesem Fall auch auf literaturwissenschaftliche und literaturhistorische Erkenntnisse und Ansätze, die sich für die Analyse der literarischen Utopien des Fernsehens (z. B. für Albert Robidas Roman 'Le Vingtième siècle', 1883) als sehr hilfreich erweisen. Zugleich vermitteln die Ergebnisse dieser vernetzten Mediengeschichte wertvolle Einsichten in sozial- und literaturhistorische Prozesse und in die wechselseitigen Beziehungen zwischen Print- und AV-Medien.

Das Forschungsfeld einer integrativen Mediengeschichte umfasst nicht allein die 'klassischen' audiovisuellen Medien, sondern auch die elektronischen oder digitalen Medien, die - in komplexen multi- und intermedialen Verschränkungen - zunehmend Einfluss auf die 'klassischen' Medien nehmen und deren Anwendungsfelder und Funktionsprofile verändern.

Eines der zentralen Merkmale der elektronischen Medien liegt bekanntlich darin, dass sie eine Verknüpfung und Manipulation von Medien und medialen Produktionen zu Multi-Medien-Werken bzw. zu Multi-Media- oder Hyper-Texten bewirken. Die digitalen Medien transformieren und recyceln in vielfältiger Weise Produkte, Intertexte und Geschichten (im doppelten Sinne) der 'alten' Medien.

Die Forschungen des Faches Medienwissenschaft betrachten diese Transformationsleistungen der digitalen Medien nicht aus rein technologischer, apparativer oder 'materieller' Perspektive, sondern zielen explizit auf 'Inhalt' und 'Struktur' der neuen Medienwerke. Dies impliziert, dass unter anderem Antworten auf die Frage gesucht werden, was mit unseren Geschichtsbildern geschieht, wenn sie im Internet und in zahlreichen Multi-Media-Werken einem permanentem Recycling ausgesetzt sind. Geisteswissenschaftliche Forschung stellt sich damit der Herausforderung einer wissenschaftlichen Rekonstruktion der 'sozialen Funktionen von analog und elektronisch recycelten Geschichtsbildern und Tönen'. Beispielhaft für Relevanz dieser Fragestellung seien an dieser Stelle die audiovisuellen und elektronischen Zirkulationen der Bilder des 11. September, des irakischen Gefängnisses Abu Ghureib oder der Hinrichtung von Saddam Hussein genannt.


Medien und (inter)kulturelle Prozesse

Audiovisuelle und digitale Medien fungieren als kommunikative Basis gemeinschaftlicher Kulturerfahrung, einschließlich der öffentlichen Konstitution, Repräsentation und Evaluation eigen- und fremdkultureller Verhältnisse. Medien sind nicht nur Teil der Kultur, sondern sie produzieren Kultur, sie generieren selbst '(inter)kulturelle' Prozesse, indem sie beispielsweise durch die Auswahl der Themen und die in deren Darstellung und Diskussion eingeschriebenen "Ideologien" Einfluss nehmen auf die Einschätzung eigener und fremder Kultur.

Nicht zuletzt aus den voranschreitenden Integrationsprozessen der Europäischen Union und ihren Beziehungen zu anderen Staaten und Staatenbünden und des daraus resultierenden wirtschaftlich-kulturellen Aufeinander-Angewiesenseins von Menschen unterschiedlicher Herkunft erwächst aus medienwissenschaftlicher Sicht eine ständige Herausforderung auf dem Gebiet (inter)kultureller Verständigung. Die Vermittlung der Fähigkeit, kulturelle Phänomene und ihre medialen Darstellungen kritisch, medienwissenschaftlich, zeichentheoretisch und plurizentrisch zu analysieren und einen wissenschaftlich fundierten Beitrag zur medialen Gestaltung dieser Phänomene leisten zu können wird daher zu einer Schlüsselaufgabe einer (inter)kulturell orientierten Medienwissenschaft: Spezifische Medienprodukte und -formate werden untersucht hinsichtlich des sie umgebenden kulturellen Kontextes, der (inter)kulturellen Einflüsse auf die Medienproduktion und -rezeption sowie der sozialen Funktionen medialer Selbst- und Fremdbilder in verschiedenen kulturellen Gemeinschaften.


Promotionsprojekte und anwendungsbezogene Forschungsschwerpunkte

Wie bereits erwähnt, liegt ein Schwerpunkt medienwissenschaftlicher Forschung und Lehre an der Universität Bayreuth in der kritischen (historischen und theoretischen) Reflexion der sozialen und kulturellen Dimensionen und Funktionen von Medien. Dies bedeutet, dass sowohl einzelne audiovisuelle Medien, insbesondere Film, Fernsehen, Radio und digitale Medien, mit ihren Gattungen und Darbietungsformen im Zentrum des Interesses stehen, als auch deren intermediale Vernetzungen und diskursiven Funktionen. Besonderes Augenmerk wird in diesem Zusammenhang auf interdisziplinäre und anwendungsbezogene Aspekte und auf die 'wissenschaftliche Reflexion und Simulation medialer Praxis im Bereich der Audiovisionen' gelegt.

Dieses besondere Profil der Bayreuther Medienwissenschaft manifestiert sich auch in einer Reihe von anwendungsbezogenen Lehrveranstaltungen. In ihnen erwerben die Studierenden Grundkenntnisse medialer Produktionsprozesse; sie nehmen Teil an Forschungsprojekten zu Produktionsformen und -abläufen spezifischer audiovisueller Formate sowie an Projekten zur audiovisuellen Darstellung und Gestaltung wissenschaftlicher Prozesse und Erkenntnisse verschiedener geistes- und naturwissenschaftlicher Disziplinen.

Die Verbindung von interdisziplinären, theoretischen und historischen Schwerpunkten mit spezifischen Anwendungsfeldern erweist sich somit als ein Spezifikum medienwissenschaftlicher Forschungen an der Universität Bayreuth. Die Relevanz dieser Forschungen ergibt sich aus einer kritischen Distanz zu aktuellen und historischen Prozessen der Medienlandschaft, aus theoretisch-methodologischer Reflexion dieser Prozesse sowie aus der kontrollierten Simulation medialer Praxen, wie sie z. B. mit dem - auch international - einzigartigen und erfolgreichen Universitätsprojekt 'Campus-TV' verfolgt wird. In diesem Projekt gestalten Studierende unter technischer und theoretischer Unterstützung und Leitung der Medienwissenschaft in Kooperation mit dem regionalen Fernsehsender TVO (TV-Oberfranken) eigenverantwortlich ein Fernsehformat, das sich aktuellen Ereignissen und Entwicklungen der oberfränkischen Hochschullandschaft widmet. Es erfolgt eine forschungs- und praxisorientierte Umsetzung theoretischer Kenntnisse und Fähigkeiten. Die Studierenden sammeln wertvolle Erfahrungen, die sie in korrespondierende Lehrveranstaltungen einbringen und dort kritisch reflektieren. Die im Projekt erworbenen Kenntnisse erweisen sich nicht nur für die wissenschaftliche Reflexion der Medienlandschaft sondern auch für eine eventuell anschließende Berufsausübung als äußerst relevant.

Medientheoretische und medienhistorische Forschungen haben sich den Herausforderungen der aktuellen Trends und Tendenzen der Medienlandschaft zu stellen. In welch besonderer Weise das Fach Medienwissenschaft diese Herausforderung annimmt, wird nicht zuletzt aus den Themenstellungen und der internationalen Ausrichtung der betreuten Promotions- und Habilitationsvorhaben ersichtlich. Promotionen und Habilitationen finden in Kooperation mit führenden Forschungszentren in Europa, USA, Kanada und Asien statt. Exemplarisch seien an dieser Stelle drei Projekte angeführt, die die soziale Relevanz der Bayreuther medienwissenschaftlichen Forschungen illustrieren.

Mit der University for Applied Sciences, Breda (NL) bestehen seit geraumer Zeit intensive Kontakte, die sich in der Planung und Durchführung von Forschungen zum Bereich der Digitalen Medien, insbesondere der "Game"- und Internet-Forschung, aber auch in Form von gemeinsamen Promotionsvorhaben manifestieren, die von der Professur für Medienwissenschaft an der Universität Bayreuth betreut werden. Diese Projekte zeichnen sich sowohl durch ein hohes wissenschaftliches Reflexions- und Abstraktionsniveau als auch durch gesellschaftliche Relevanz aus.

Im Promotionsprojekt 'The Logical and Semiotic Structures of Fictional Multimedia Stories' (Hans Bouwknegt) steht nicht allein die Entwicklung eines meta-semiotischen Modells im Zentrum, welches einen neuen diskursiven Rahmen für die Analyse von Zeichenprozessen und Prozessen der Simulation von 'Wirklichkeiten' bereitstellt. Darüber hinaus wird dieser diskursive Rahmen an verschiedenen Formaten von Hyper-Realitäten oder "Games" auf seine Brauchbarkeit überprüft. Theoretische Reflexion und mediale Anwendungsmöglichkeiten stehen hier in einer - im besten Sinne - dialektischen Beziehung zueinander.

Das Projekt illustriert zudem die bereits erwähnte Ausrichtung der Bayreuther Medienwissenschaft auf Transformationsprozesse von 'Zeichen', 'Inhalten' und 'Strukturen' analoger in digitale Medien, sowie auf multi- und intermediale Prozesse.

Das Promotionsvorhaben 'Ethnische Minderheitenmedien im 21. Jahrhundert. Zum Wandel der Funktionen am Beispiel der Brasil-Post' (Martin Wolff) wird im Rahmen des Internationalen Promotionsprogramms der Sprach- und Literaturwissenschaftlichen Fakultät, Kultur-Begegnungen durchgeführt. Es befasst sich am exemplarischen und paradigmatischen Einzelfall einer deutschsprachigen, in Sao Paolo herausgegebenen Zeitschrift mit den spezifischen sozialen Funktionen von (Print-)Medien für ethnische Minderheiten. Dieses Wochenblatt, welches heute immerhin noch in einer Auflage von 22.000 Exemplaren erscheint, spielt seit dem Jahre 1950 eine wichtige Rolle in der Community der Deutsch-Brasilianer.

In der Promotion wird auf der Basis einer interkulturell orientierten Theorie und Methodologie der Frage nachgegangen, welche identitätskonstituierende Rolle dieses Medium in seinem historischen und sozialen Kontext spielen konnte und auch heute noch spielt. Es wird darum gehen, Akzente und Akzentverschiebungen der Themen und der Berichterstattung herauszuarbeiten, die sowohl auf Dynamiken der interkulturellen Begegnungen zwischen deutschen Immigranten der ersten Generation und weiterer Generationen (und der daraus resultierenden neuen hybriden kulturellen Identitäten) als auch auf Veränderungen und Verwerfungen der globalen Kommunikationslandschaften (z.B. der neuen Möglichkeiten des Zugangs zu Informationen über Satelliten-TV und Internet) verweisen.

Das Projekt zielt somit anhand eines exemplarischen Falls auf ein äußerst relevantes Feld medialer und interkultureller Begegnungen, dem in der Forschung bislang nur unzureichend Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Die Verknüpfung von medien- und kulturwissenschaftlichen Forschungsachsen wird sich für das geplante Vorhaben als sehr hilfreich erweisen und zweifellos zu wichtigen Ergebnissen mit Blick auf die mediale Konstitution kultureller Identitäten führen.

Als zweites, im Rahmen des Internationalen PHD-Programms 'Kulturbegegnungen' durchgeführtes Promotionsvorhaben sei hier noch auf das Thema 'Zur Repräsentation des Mythos "Europa" in deutschen und französischen Fernsehnachrichten' (Anna Wiehl) verwiesen. Wie aus seinem Titel ersichtlich, zielt dieses Projekt auf das "Bild Europas", wie es in der Fernsehnachrichtenberichterstattung des Abendprogramms gezeichnet wird. Im Sinne der kulturtheoretischen Akzentsetzung der Medienwissenschaft wird Europa hier nicht primär als ein politisches, geographisches oder soziales 'Faktum', sondern als ein 'mentales Konstrukt' betrachtet, dessen 'Rolle für das kollektive Imaginäre in unseren Gesellschaften' es zu rekonstruieren gilt.

Dieses Projekt wird Facetten und Muster der medialen Konstruktion einer europäischen Identität zutage fördern, die sowohl einen zeitgenössischen Blick und 'synchronen' Schnitt auf den aktuellen Stand der Dinge und die Besonderheiten einer 'europäischen Identität' erlauben als auch in exemplarischer Weise die gesellschaftliche Funktion und Rolle des Fernsehens für die Konstitution von zentralen Elementen des kollektiven Imaginären rekonstruieren.


Graduate School

Des Weiteren wird gegenwärtig unter Federführung der Medienwissenschaft ein Konzept für einen Elite-Studiengang bzw. eine Graduate School 'Medienkultur und Medienwirtschaft' ausgearbeitet, der erstmals zum WS 2007/8 angeboten werden soll. An dieser interdisziplinär orientierten Graduate School sind Kolleginnen und Kollegen der Sprach- und Literaturwissenschaftlichen Fakultät sowie der Fachrichtungen "Geschichtswissenschaft", "Rechtswissenschaft", "Angewandte Informatik" und "Wirtschaftswissenschaft" beteiligt. Erste Entwürfe von Modulen und Prüfungsordnungen werden zu Beginn des Jahres 2007 vorgelegt. Die geplante und ausgearbeitete Graduate School 'Medienkultur und Medienwirtschaft' soll überdies als 'Andockstelle' für Kooperationsabkommen mit renommierten ausländischen Universitäten dienen.

Die geplante Graduate School will auf einer fundierten historiologischen und theoretischen Basis vertiefende Kenntnisse und Kompetenzen in den Bereichen der Medienkultur und der Medienwirtschaft vermitteln, die sowohl für einen qualifizierten Eintritt ins Berufsleben als auch für eine weitere wissenschaftliche Laufbahn von Relevanz sind. Zielsetzung und Aufbau der Graduate School 'Medienkultur und Medienwirtschaft' verleihen dieser im nationalen und internationalen Rahmen ein besonderes wissenschaftliches Profil, welches sich aus der Verbindung von medien-, kultur-, geschichts-, rechts-, wirtschafts- und informationswissenschaftlichen Schwerpunkten mit anwendungsbezogenen Aspekten ergibt, die das gesamte Spektrum audiovisueller Produktionen vom Film, über Radio und Fernsehen bis zu den digitalen Medien abdecken. Im Zentrum der Lehre und Forschung werden daher fächerüberschreitende Fragestellungen stehen, die Medien, Medienlandschaften und mediale Produkte in multidisziplinäre Diskurse einbinden.


Kultur der digitalen Medien

Insbesondere die so genannten "Neuen Medien" eröffnen in diesem Zusammenhang neue Möglichkeiten medialer Repräsentation, Rezeption und Interaktion. Es stellt sich beispielweise die Frage, welcher kulturelle Raum sich im Internet konstituiert, ob man überhaupt von einer spezifischen Netzkultur sprechen kann und wie sich eine solche computervermittelte Kommunikation auf die Konstruktion sozialer und kultureller Identität auswirkt. Des Weiteren gilt es, die gesellschaftliche und soziale Funktion, Relevanz und Akzeptanz bestimmter digitaler Formen, Formate und Anwendungsfelder, etwa sog. Multi User Domains, die Interaktion zwischen 'Subjekt', Hard- und Software in spezifischen sozialen und kulturellen Kontexten sowie verschiedene (inter)kulturelle Umgangsformen mit neuen digitalen Medien zu untersuchen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der wissenschaftlichen Analyse und Reflexion der komplexen Zusammenhänge zwischen den Produktionsbedingungen von Hard- und Software und den (inter)kulturellen Nutzungsformen der digitalen Medien.

Die Entwicklung und Ausbreitung digitaler Technologien bringt also nicht nur neue Potentiale künstlerischer Gestaltung mit sich, sondern damit einher geht die Entstehung neuer Medien, Formate, Nutzungsprofile und Umgangsformen. Dieser Sachverhalt dient als Ausgangspunkt für ein sich, in der Planungsphase befindliches Habilitationsvorhaben. Spezifische digitale Medienformen und -formate werden im Rahmen dieses Projekts nicht primär auf die ihnen zugrunde liegenden technologischen Entwicklungen untersucht, sondern sie werden in die sie umgebenden gesellschaftlichen, sozialen und kulturellen Kontexte eingeordnet. Dies impliziert eine Annäherung im Sinne der "teilnehmenden Beobachtung" der 'Cultural Studies' sowie das Arbeiten mit Fallbeispielen, wobei hier zum einen etwa unterschiedliche soziale Gruppierungen, verschiedene Altersgruppen sowie geschlechtsspezifische Verhaltensweisen analysiert werden sollen. Zum anderen soll die Untersuchung jedoch ausgeweitet werden auf einen interkulturellen Vergleich des Umgangs mit neuen digitalen Medien und Technologien.


Spezifika und Perspektiven des Faches "Medienwissenschaft" an der Uni Bayreuth

Die Schwerpunkte der Bayreuther Medienwissenschaft in Forschung und Lehre, die enge Vernetzung von wissenschaftlichen und anwendungsbezogenen Aspekten, verleihen dieser national und international gesehen eine große Attraktivität. Kultur- und geisteswissenschaftliche Ansätze bilden den Kern der Identität des Faches; sie besitzen eine Brückenfunktion für trans- und interdisziplinäre Kooperationen. Der Erfolg dieser Zusammenarbeit zeigt sich nicht zuletzt darin, dass Forschung und Lehre der Medienwissenschaft in engem Kontakt zu einer Reihe weiterer Disziplinen der Sprach- und Literaturwissenschaftlichen, der Kulturwissenschaftlichen, der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten sowie der Fakultät für Angewandte Naturwissenschaften (FAN) stehen. Die bereits auf den Weg gebrachten hausinternen und internationalen Kooperationen werden in naher Zukunft - insbesondere auf dem Gebiet der Erforschung der sozialen Funktionen der neuen digitalen Technologien in ihrem gesellschaftlichen, kulturellen und historischen Umfeld - eine weitere Vertiefung erfahren. Um diese Aufgaben wahrnehmen zu können wird sich der von Anbeginn geplante weitere Ausbau der Disziplin zu einer adäquat ausgestatteten Einheit als unumgänglich erweisen.


*


Quelle:
spektrum 1/07, Seite 30
Herausgeber: Der Präsident der Universität Bayreuth
Redaktion: Pressestelle der Universität Bayreuth, 95440 Bayreuth
Tel.: 0921/55-53 23, -53 24, Fax: 0921/55-53 25
E-Mail: pressestelle@uni-bayreuth.de
Internet: www.uni-bayreuth.de

"spektrum" erscheint dreimal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. August 2007