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VORWÄRTS/1593: Schweiz - Status F, Sackgasse für die Integration


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 19/20 vom 5. Juni 2020

Status F - Sackgasse für die Integration

von der Redaktion


Die Monitoring- und Anlaufstelle für vorläufig aufgenommene Personen (map-F) veröffentlichte Ende Mai ihren dritten Monitoringbericht. Darin befasst sich map-F mit Integrationsmöglichkeiten und Hindernissen von vorläufig aufgenommenen Personen im Kanton Zürich.


Vorläufig aufgenommene Personen (Status F) sollen sich schneller in die hiesige Gesellschaft integrieren. Das sagt der Bund und stellt den Kantonen für deren Integrationsförderung massiv mehr Geld zur Verfügung. Doch: Investitionen in die Integration von vorläufig aufgenommenen Personen verfehlen ihre Wirkung, solange diesen eine angemessene Existenzsicherung verwehrt bleibt. Wer nicht genügend Geld zum Leben hat, profitiert von teuren Integrationsprogrammen kaum. Fehlende verbindliche Richtlinien für Gemeinden und ein starker Fokus auf den Arbeitsmarkt verschärfen die Situation für vorläufig aufgenommene Personen zusätzlich.


Asylfürsorge als Integrationshindernis

Die Lebensumstände in der Asylfürsorge behindern die Integration von vorläufig aufgenommenen Personen massiv. Das Budget, das Betroffene als "Asylfürsorge" für ihren Lebensunterhalt erhalten, reicht nur knapp für die Deckung der notwendigsten Auslagen des Alltags, wie Essen, Hygieneartikel und Kommunikation.

Von einer minimalen Teilhabe an der Gesellschaft - so wie sie allen anderen armutsbetroffenen Menschen in der Schweiz zugestanden wird - werden vorläufig aufgenommene Personen hingegen ausgeschlossen. Kosten für den öffentlichen Verkehr, einen Vereinsbeitrag oder Museumseintritt und Zeitungsabonnemente - Fehlanzeige. Verschärft wird diese Situation durch die Unterbringung von vorläufig aufgenommenen Personen in Kollektivunterkünften. Dort fehlt es an Privatsphäre, Ruhe und selbstgewählten sozialen Kontakten. Um sich in die hiesige Gesellschaft integrieren zu können, um am wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Leben in der Schweiz teilhaben zu können, ist eine ausreichende Existenzsicherung jedoch zwingend notwendig. Meint es die Politik tatsächlich ernst mit der Integrationsförderung vorläufig aufgenommener Personen, so müssen die integrationsfeindlichen Lebensumstände in der Asylfürsorge sofort behoben werden.


"Gemeindelotterie"

Vorläufig aufgenommene Personen, die auf Asylfürsorge angewiesen sind, dürfen ihre Wohngemeinde nicht selber wählen und stehen deshalb in einem starken Abhängigkeitsverhältnis zu der Gemeinde, der sie zugewiesen wurden. Dies umso mehr als dass Bund und Kantone den Gemeinden die Hauptverantwortung für die Integrationsförderung vorläufig aufgenommener Personen übertragen. Analog zur Ungleichbehandlung, die bei der Ausrichtung der Asylfürsorge und der Unterbringung von vorläufig aufgenommenen Personen bereits besteht, beobachtet map-F auch bei der Integrationsförderung grosse Unterschiede zwischen den Gemeinden im Kanton Zürich. Die Möglichkeit, ausreichend gefördert und im Integrationsprozess professionell begleitet zu werden, hängt stark von der Fähigkeit und individuellen Gesinnung der zuständigen Wohngemeinde ab. Um vorläufig aufgenommenen Personen nicht erneut einer "Gemeinde-Lotterie" auszusetzen, braucht es dringend einheitliche und für die Gemeinden verbindliche Richtlinien betreffend Ziele, Umfang und Qualität der Integrationsförderung.


Integration heisst mehr als nur arbeiten

Die Massnahmen der aktuellen Integrationspolitik zielen primär darauf ab, Personen mit "Erwerbspotential" in den Arbeitsmarkt zu bringen. Ältere Personen, Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen, Kinder und Personen mit Betreuungsaufgaben, insbesondere Frauen*, stehen kaum im Fokus staatlicher Integrationsförderung. Die Bereitschaft, genügend Geld für die Förderung der sprachlichen und sozialen Integration von vorläufig aufgenommenen Personen auszugeben, fehlt.

Insbesondere für vorläufig aufgenommene Personen ohne Aussichten auf einen baldigen Übertritt in die Arbeitswelt hat dies schwerwiegende Folgen. Da das Budget in der Asylfürsorge nur für das Allernötigste reicht, leben diese Menschen auf unbegrenzte Zeit am äussersten Rand der Gesellschaft. Um eine Ausgrenzung älterer und kranker Menschen sowie Kinder und Frauen zu verhindern, müssen von der Politik unabhängig vom "Erwerbspotential" einer Person ausreichende Mittel für die Förderung der sprachlichen und sozialen Integration zur Verfügung gestellt werden.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 19/20 - 76. Jahrgang - 5. Juni 2020, S. 5
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juni 2020

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