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VORWÄRTS/1324: Lust auf Sichtbarkeit und Politisierung


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 33/34 vom 12. Oktober 2017

Lust auf Sichtbarkeit und Politisierung

von Sabine Hunziker


"The Future is Queer": Das Luststreifen Queer Film Festival in Basel feiert seinen zehnten Geburtstag. Ein Rückblick sowie ein Gespräch mit Ledwina Siegrist, die für das Filmprogramm des Festivals verantwortlich ist.


Aus einem kleinen Filmwochenende ist heute ein grosses Filmfestival mit über 1000 BesucherInnen geworden. Dieses Jahr konnten zehn Kerzen auf dem Kuchen ausgeblasen werden und ein Wunsch stand frei - der natürlich nicht verraten werden durfte. Das Team "Luststreifen Queer Film Festival" hatte auch in diesem speziellen Jahr mit dem Fokus "The Future is Queer" ein spannendes Programm zusammengestellt, das vom 28. September bis am 1. Oktober im Neuen Kino in der Klybeckstrasse oder im Kult.Kino Camera gezeigt wurde. Am Schluss stieg im Turbinenhaus in der Aktienmühle eine Party. Gezeigt wurden 13 Spiel- und Dokumentarfilme und zwei Kurzfilmprogramme.


Eine starke Gegenbewegung

"The Future is Queer" bezieht sich auf die Protestmärsche, die dieses Jahr auf der ganzen Welt stattgefunden haben. Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht die LGBT-Community und ihre Rechte angegriffen werden - in Form von Hassverbrechen bis hin zu ausschliessenden oder diskriminierenden Auflagen oder Umsetzungen des Gesetzes. Ein prominentes Beispiel dazu ist Donald Trump: Der Präsident liess bei Amtsantritt die Webseite des Weissen Hauses komplett überarbeiten. Dabei "verschwanden" mehrere Unterrubriken wie die Webseite der LGBT-Community. Barack Obama hatte die Seite whitehouse.gov/lgbt einrichten lassen, um sich für die Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender (LGBT) stark zu machen. Unter dem Link wurde u.a. über anstehende Veranstaltungen informiert wie beispielsweise den LGBT-Pride-Monat.

Glücklicherweise formiert sich in dieser schwierigen Zeit auch eine starke Gegenbewegung, die dieser Menschenfeindlichkeit Grenzen setzt und sie bekämpft. Nicht nur die Verteidigung der Rechte steht im Zentrum, sondern auch die LGBT-Kultur wird gestärkt und sichtbar gemacht. AktivistInnen, PolitikerInnen, Studierende und WissenschaftlerInnen haben eine starke Gemeinschaft aufgebaut; LGBT-Kultur steht im Zentrum ihrer wissenschaftlichen und politischen Arbeit. Der gegenwärtige mediale Hype zeigt ein neues Selbstbewusstsein der queerfeministischen Bewegung, welche mittels Demonstrationen oder politischen Vorstössen und juristischen Mitteln erfolgreich den öffentlichen Diskurs mitgestalten. Diese Erfolge stärken das Selbstbewusstsein der Community und widerspiegeln sich auch im diesjährigen Filmfestival: Bei Filmen, Ausstellungen und bei der Gestaltung der Plakate wurde die Ikonografie von Demonstrationsschildern aufgenommen. Luststreifen stellt sich damit in die Reihen der Protestierenden.


"Eine Wucht"

vorwärts: Welcher Film war euer absoluter Liebling und ihr wart besonders stolz, ihn zeigen zu können?

Ledwina Siegrist: Wir zeigten die Schweizer Filmpremiere des Dokumentarfilms "Diaspora/Situations" von Tarek Lakhrissi, in dem KünstlerInnen und AktivistInnen zwischen Montreal, Paris, Brüssel und London über ihre Diasporaerfahrung und die damit verbundenen Auswirkungen auf ihr alltägliches Leben reflektieren. Der Film ist eine Wucht und eröffnet neue Perspektiven auf unsere Herkunft, Vorfahren, Erinnerung, Sprache und Identität. Im Anschluss an den Film fand ein Gespräch mit dem Visual Artist, Poeten und Regisseur Tarek Lakhrissi aus Paris statt. Ein weiteres Highlight ist "The Student" von Kirill Serebrennikov, er thematisiert die Radikalisierung der Jugend einmal anders: Ein Schüler in Kaliningrad wird zum fundamentalen orthodoxen Christen. Auch im Kurzfilmblock "Queer Shorts" zeigten wir ein hochkarätiges internationales Programm, an Animation-, Spiel-, Dokumentar- und Performancefilmen, dem keinerlei Grenzen gesetzt sind.

vorwärts: Am Festival Luststreifen gab es nicht nur Filme, sondern auch Workshops und eine Ausstellung. Welcher Programmblock durfte auf keinen Fall verpasst werden?

Ledwina Siegrist: Für alle Kunstinteressierten hätte ich den Workshop "In/Out of Cadrage" mit den Künstlerinnen und Filmschaffenden Katja Lell und Riikka Tauriainen empfehlen können. In einem filmisch-performativen Laborsetting werden mit Stimme und Körper Grenzen des im Bildausschnitt Sichtbaren erkundet und transformiert. Am Ende steht ein Film, eine Performance oder etwas dazwischen.

Der Festivalauftakt am Donnerstag, 28. September hätte auch auf keinen Fall verpasst werden dürfen. Nach dem Film "Bar Bahar" von Maysaloun Hamoud wurde neben der Eröffnungsrede eine Musikperformance von Lila Lisi aus Zürich gemacht, wir schnitten unsere riesige Geburtstagstorte an und tränkten uns in Prosecco.

Der Festivalbrunch am 1. Oktober wurde ein toller Ort zum Diskutieren: In einem Artist Taik mit Klaus Händl tauschten wir uns über queeres Filmschaffen, die Arbeit am Festival und aktuelle queerfeministische Filmtrends aus.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 33/34 - 73. Jahrgang - 12. Oktober 2017, S. 4
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. November 2017

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