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VORWÄRTS/1299: Datenschutz gilt hier nicht


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 23/24 vom 7. Juli 2017

Datenschutz gilt hier nicht

Von Tarek Idri


In der Stadt Zürich soll die Observation von SozialhilfebezügerInnen wieder möglich gemacht werden. 2016 musste sie nach einem Urteil des EGMR eingestellt werden, weil sie keine gesetzliche Grundlage hatte.


Wie im Film: SchnüfflerInnen stellen den Zielpersonen nach, verfolgen sie auf Schritt und Tritt, fotografieren ihren Alltag, belauschen Gespräche. Das ist Praxis bei den Sozialversicherungen. Werden LeistungsbezügerInnen von NachbarInnen oder SozialarbeiterInnen verpfiffen, setzen die Behörden oder die Versicherungen sogenannte InspektorInnen auf sie. Datenschutz gilt für sie nicht.

Sieg beim EGMR

In der Stadt Zürich werden seit 2007 "bei konkretem Verdacht auf missbräuchlichen Bezug von wirtschaftlicher Sozialhilfe" Observationen durchgeführt. Im Oktober 2016 wurden die Observationen allerdings eingestellt aufgrund eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Eine IV-Rentnerin hatte gegen die unrechtmässige Verletzung ihrer Privatsphäre Klage eingereicht und Recht bekommen. 1995 wurde die Frau von einem Motorrad angefahren. An den Folgen leidet sie noch immer und diese verunmöglichen ihr die Arbeit. Die Unfallversicherung der Frau wollte die Leistungen einstellen. Da die Betroffene eine erneute Abklärung verweigerte, engagierte die Unfallversicherung einen Privatdetektiv. Die Betroffene wurde an vier Tagen überwacht und dabei gefilmt. Das Foto- und Videomaterial wurde von der Versicherung genutzt, um ihr die Leistungen zu streichen. Die IV-Rentnerin akzeptierte das nicht und ging bis vor den EGMR.

Das Urteil hatte Folgen: Unfallversicherer wie die Suva stellten alle Beschattungen ein. Zwei Zürcher Bezirksgerichte anerkannten heimlich gemachte Foto- und Videoaufnahmen nicht mehr als Beweise. Und die Stadt Zürich stellte die verdeckte Überwachung von SozialhilfebezügerInnen ein. Denn Zürich hatte solche Observationen nicht gesetzlich geregelt. Das möchten die Sozialbehörde und der Stadtrat ändern, heisst es in einer Mitteilung von letzter Woche. Sie beantragen beim Gemeinderat, die entsprechende Gesetzesgrundlage zu schaffen, um wieder Observationen durchführen zu können.

Hauptgrund: Nebeneinkünfte

Die Stadt stellt das Inspektorat als "wichtiges und wertvolles Instrument in der Missbrauchsbekämpfung" dar. Die häufigsten Gründe für die Observationen sind nichtdeklarierte Nebeneinkünfte und der unerlaubte Besitz von Autos. Man macht also Jagd auf die Schwächsten der Gesellschaft, weil diese ihr Sackgeld aufbessern wollen. Die Zürcher Sozialbehörde prahlte an einer Pressekonferenz 2008 damit, dass einer Frau die Sozialhilfe gestrichen werden konnte, weil aufgedeckt wurde, dass sie sich gelegentlich prostituierte.

Insgesamt geht es bei diesen Schummeleien um einige hunderttausend Franken. Bei den echten VerbrecherInnen, den Reichen, die Steuern hinterziehen, die den Staat um Milliarden betrügen, bei denen es schon im Einzelfall um Hunderttausende Franken geht, gibt es keine Inspektorate. Es gibt keine Observationen für sie, weil sie diejenigen sind, die bestimmen, wer observiert wird.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 23/24 - 73. Jahrgang - 7. Juli 2017, S. 2
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. August 2017

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