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VORWÄRTS/1024: Klassenkampf im Zugabteil


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 19/20 vom 23. Mai 2014

Klassenkampf im Zugabteil

von David Hunziker



"Snowpiercer", schon wieder ein marxistischer Film? Denn der ökodystopische neue Streifen des südkoreanischen Regisseurs Bong Joon-ho erzählt schliesslich die Geschichte der Revolution einer ausgebeuteten Klasse. Dennoch lautet die Antwort nein, denn was fehlt, ist die Ökonomie.


Kritik ist in - zumindest im Mainstreamkino. Dieses hat in letzter Zeit immer wieder Filme hervorgebracht, die sich mit klassenkämpferischen oder sonst wie kritischen Storys hervorgetan haben. Da gab es 2011 etwa den Science-Fiction-Thriller "In Time" mit Justin Timberlake und Amanda Seyfried, an dem Marx seine Freude gehabt hätte. Der Film beschreibt eine zukünftige Gesellschaft mit einem Wirtschaftssystem, in dem die individuelle Lebenserhaltung direkt an die Arbeitszeit gebunden ist, indem die Lebenszeit zur einzigen Währung wird. Lebenszeit ist in dieser Gesellschaft ungleich verteilt und so bilden sich sogenannte Zeitzonen, also Klassen, heraus, gegen die sich das Volk am Schluss des Films auflehnt.

Auch in "The Hunger Games" (2012) wird eine Klassengesellschaft gezeichnet, in der die Herrschenden Jugendliche aus den unteren klassen zum Amüsement und zur Einschüchterung der Bevölkerung als Gladiatoren gegeneinander kämpfen lassen. Auch der südafrikanische Regisseur Neill Blomkamp hat zwei Filme über Klassengesellschaften in einer Science-Fiction-Welt gedreht. In "District 9" (2009) fungiert die Geschichte eines Alien-Besuchs als Allegorie der Rassendiskriminierung im Apartheit-Regime und in "Elysium" (2013) haben sich die Herrschenden auf einen heilen Planeten zurückgezogen, während die Bevölkerung auf der in Trümmern liegenden Erde schmort. Und sogar ein Schrottfilm wie "Iron Man 3" (2013) lässt sich ein Quäntchen progressive politische Analyse nicht entgehen, wenn sich ein vermeintlicher islamistischer Terrorist plötzlich als ein im Dienst von Machtinteressen engagierter Schauspieler entpuppt und der schwächliche Macho-Held von Frauen und einem Kind gerettet werden muss. Nicht zu vergessen die auf der Leinwand inszenierte Revolution in Lego-Land (vorwärts Nr. 17/18).


Kampf zur Spitze des Zuges

Auch "Snowpiercer", dem derzeit in den Schweizer Kinos zu sehenden Film des südkoreanischen Regisseurs Bong Joon-ho, eilt der Ruf voraus, ein marxistisch inspirierter Film zu sein. Seine Geschichte spielt in einer nicht allzu fernen postapokalyptischen Zukunft, in der sich die Temperatur auf der Erde durch ein missglücktes Experiment zur Verhinderung des Klimawandels drastisch gesenkt hat, wobei fast die gesamte Menschheit erfroren ist. Alles, was von ihr übrig geblieben ist, sind die Passagiere eines Zuges, der nun bereits im siebzehnten Jahr nach der Katastrophe seine Runden um die Erde dreht. Der komplett selbstversorgende Zug war bereits vor der Katastrophe entwickelt worden und verfügt über einen Motor, der aus unerklärten Gründen ohne Energiezufuhr auskommt.

Doch in dem Zug sind nicht alle gleich. Die verbliebene Menschheit hat ihre Klassenstruktur in den Zug hinübergerettet, die Oberen sitzen in den vorderen Abteilen, die Unteren in den hinteren. Die Geschichte ist aus der Sicht von Curtis (Chris Evans) erzählt, einem Bewohner der hintersten Sektion des Zuges. Gleich zu Beginn wird klar: Hier hinten herrscht bereits ein Klassenbewusstsein und Curtis plant den Aufstand. Auch Gilliam (John Hurt), so etwas wie der geistige Führer des Zugproletariats, ermuntert dazu, die soziale Hierarchie im Zug endlich einmal gehörig aufzumischen. Als sich die Gelegenheit dazu ergibt, überwältigen Curtis und seine MitstreiterInnen die Wachen und beginnen, sich langsam in Richtung Zugspitze voranzukämpfen.

Die Gruppe dringt immer weiter vor und erkundet auf ihrem Weg das ausgeklügelte Innenleben des Zuges, in dem sich eine Wasseraufbereitungsanlage, Obstplantagen, ein als harmonisches Ökosystem funktionierendes Aquarium und gleich dahinter eine Sushi-Bar befinden. Auch ein Klassenzimmer, in dem die Kinder der Oberschicht mit hohler Ideologie abgefüllt werden, treffen die Aufständischen auf ihrem Weg an. Hier wird der Nachschub für den dekadenten Lebensstil der BewohnerInnen der vordersten Zugabteile produziert. Immer wieder stösst die Gruppe aber auch auf Gegenwehr und ihre Zahl dezimiert sich laufend, sodass das Ziel, die Unterdrückten zu befreien, langsam aber sicher nur noch der reinen Neugier weicht, wie das andere Ende des Zuges aussieht. Es ist schlicht nichts mehr zu befreien übrig geblieben.


Untergang oder Herrschaft

Zuvorderst angelangt, trifft Curtis auf Wilford (Ed Harns), den Erbauer und Beherrscher des Zuges. Von dem er erfährt - Achtung, fetter Spoiler! - dass er und Gilliam unter einer Decke stecken und sie die Revolution im Zug gemeinsam geplant haben, weil dies der beste Weg ist, die Zugbevölkerung von Zeit zu Zeit um ein paar Nasen zu dezimieren. Wilford hält ein Plädoyer für den zur Erhaltung der restlichen Menschheit notwendigen Sozialdarwinismus, dem ab und zu auch ein paar Kinder der untersten Schicht zum Opfer fallen, weil diese - quasi als Ersatzteile - zum weiteren Betrieb der Maschine eingesetzt werden müssen. Curtis lehnt Wilfords Angebot, die Herrschaft im Zug zu übernehmen, ab, und der Zug wird mit einer Explosion zum Entgleisen gebracht. Nur zwei Menschen überleben. Sie treten aus dem Zug in die Schneewüste hinaus und erblicken - das die letzte Einstellung des Films - einen Eisbären.

Ist das nun ein marxistischer Film? Eher nein, müsste man darauf antworten. Zuerst einmal wirkt der ökodystopische Rahmen der Erzählung reichlich fatalistisch. Was spielt es schon für eine Rolle, was innerhalb des Zuges für eine Gesellschaftsform herrscht, wenn sich die verheerende Zerstörung der Natur nicht rückgängig machen lässt und ausserhalb des Zuges der sichere Tod wartet? Vielleicht die letzte Einstellung könnte einen utopischen Ausweg andeuten. Oder ist sie nur ein Mahnmal speziezistischer Hybris?

Wichtiger aber ist, und das lässt sich gut zeigen, dass in dem Zug zwar eine politische, jedoch keine ökonomische Klassengesellschaft herrscht. Zwar braucht die Maschine ab und zu neues Kinderfutter aus der Unterschicht, ansonsten sind die BewohnerInnen des hintersten Zugteils aber entbehrlich. Die Zuggesellschaft basiert nicht auf einer kapitalistischen Produktionsweise, sondern ist eine durch quasigöttliche Produktion aufrechterhaltene Feudalgesellschaft. Die Reproduktion der gesellschaftlichen Verhältnisse wird von der Maschine besorgt, zu deren kollektiver Aneignung offenbar keine Möglichkeit besteht. Der Revolutionär Curtis kann sich für die totale Herrschaft oder den Untergang der Menschheit entscheiden - irgendwie eine beschissene Auswahl. Die revolutionäre Kraft wird derweil zur systemimmanenten Notwendigkeit degradiert.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 19/20/2014 - 70. Jahrgang - 23. Mai 2014, S. 8
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juni 2014