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VORWÄRTS/976: Reformprojekt "Altersvorsorge 2020" macht Renten zum Luxusgut für Wenige


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 43/44 vom 6. Dezember 2013

Nein "lieber" Herr Berset ...

von Siro Torresan



Am 20. November hat der Bundesrat sein Reformprojekt "Altersvorsorge 2020" der Presse vorgestellt. Was als "ausgewogenes Paket" bezeichnet wird, ist in Tat und Wahrheit ein massiver Leistungsabbau. Die Renten verkommen immer mehr zu einem Luxusgut für Wenige. Will die Linke den Kampf um die Altersvorsorge gewinnen, muss sie den Rahmen des "Sozialstaates" sprengen. Sonst tritt an Stelle der Rente eine lauwarme Bettelsuppe.


Mitte September 2012 war im vorwärts folgendes zu lesen: "Der grosse Feldzug gegen die AHV hat begonnen und die Aussichten auf Erfolg scheinen so rosarot wie noch nie in der Geschichte zu sein." So frohlockte auch der Tagesanzeiger vom 14. September 2012: "Sozialdemokraten haben es einfacher, an Sozialwerken zu rütteln, als Bürgerliche (...) So gesehen ist die Konstellation personell günstig, wenn der Bundesrat die Eckpunkte für eine umfassende Reform der AHV und der zweiten Säule vorlegen wird (...)".


Ein Gruselpaket

Dieses Reformprojekt liegt nun vor. "Wie es zu vermuten und zu befürchten war, schreibt die Partei der Arbeit der Schweiz (PdAS) in ihrer Stellungnahme, "besteht das vom Bundesrat vorgestellte Projekt aus massiven Sparmassnahmen, die wie folgt auf den Punkt gebracht werden können: Die arbeitende Bevölkerung zahlt mehr ein und die Rentner erhalten weniger!" Wenig überraschend ist auch die Tatsache, dass der Bundesrat, angeführt vom sozialdemokratischen Innenminister Alain Berset, seine Sparmassnahmen als "ausgewogen" bezeichnet, auch wenn diese mehr einem Gruselpaket gleichen:

  • Das Rentenalter für Frauen wird innerhalb von sechs Jahren von heute 64 Jahren auf 65 Jahre angehoben. Was vom Bundesrat als "Anpassung an das Rentenalter der Männer" definiert wird, ist ein massiver Leistungsabbau auf Kosten der Frauen.
  • Der Mindestumwandlungssatz der beruflichen Vorsorge wird von heute 6,8 Prozent auf 6 Prozent gesenkt. Mit diesem Entscheid spuckt der Bundesrat auf den Volksentscheid vom 7. März 2010, als die geplante Senkung des Umwandlungssatzes mit 72,7(!)Prozent an der Urne wuchtig abgeschmettert wurde.
  • Weil die AHV angeblich längerfristig trotz der verschiedenen Sparmassnahmen zusätzliche finanzielle Mittel braucht, soll die Mehrwertsteuer um 2 Prozentpunkte erhöht werden. Die Mehrwertsteuer ist eine höchst unsoziale Steuer und trifft die Bevölkerungsschichten mit einem schwachen Einkommen besonders stark.

Eine Frage des politischen Willens

Wie immer wenn es um einen sozialen Kahlschlag geht, wird der Finanzteufel an die Wand gemalt: Wenn wir jetzt nicht sparen, dann können wir uns die Rente in Zukunft nicht mehr leisten. So die bekannte Lüge. Diese Lüge wird gar als solidarischer Akt für die kommenden Generationen verkauft. Und so kann der Innenminister Berset gar behaupten, dass für die Finanzierung der Altersvorsorge "Kompromissbereitschaft gefragt" sei. Kompromissbereitschaft zwischen wem, Herr Berset? Zwischen der Raumpflegerin, die für 17 Franken die Stunden arbeiten muss, und dem Multimillionär, der auf dem Golfplatz seine Freizeit verbringt? Nein "lieber" Herr Berset, bei der Finanzierung der Renten geht es nicht um die Frage der Kompromissbereitschaft, sondern ausschliesslich um die Frage des politischen Willens: Die Eidgenossenschaft weist mit 9,9 Prozent weltweit die zweithöchste Millionärsdichte auf. Dies zeigt eine im Juni 2011 erschienene Studie der UNO Universität (UNU). In absoluten Zahlen bedeutet dies: Es gibt in der Schweiz 330.000 Millionärs- und 352 superreiche Haushalte mit einem Vermögen von über 100 Millionen Dollar. Hinzu kommen die Vermögen in schier unvorstellbarer Höhe der grossen Schweizer Weltkonzerne wie Nestlé oder Xstrata, um nur zwei Beispiele zu nennen. Eine progressive Besteuerung von wenigen Promille dieses immensen Reichtums würde reichen, um die Finanzierung der Altersvorsorge auf Jahrzehnte hinaus zu sichern!


Ein Mittel im Klassenkampf

Wie das Projekt "Altersvorsorge 2020" so bilderbuchmässig zeigt, folgt die Entwicklung der Altersvorsorge der Logik des Neoliberalismus. Die Renten werden immer mehr "privatisiert", indem sich der "Sozialstaat" aus der Verantwortung zurückzieht. Die Altersvorsorge wird somit zu einem Luxusgut, das sich nur noch jene wenige leisten können, die eine private Altersversicherung abschliessen können. Es ist die Zementierung der Zweiklassengesellschaft in der Altersvorsorge, so wie sie im Gesundheitsbereich schon seit längerem zu beobachten ist. Statt die Scheindebatte über die Finanzierung der Altersvorsorge zu führen, muss der Sinn und Zweck der Rente ins Zentrum der Diskussion gestellt werden. Dabei gilt es zu unterstreichen, dass die Rente keine gütige Führsorgeleistung der Reichen ist. Sie ist einerseits die finanzielle Leistung, um das von der Schweizer Verfassung garantiertes Recht auf ein würdiges Leben im Alter zu ermöglichen. Anderseits ist die Rente ein Mittel im Klassenkampf, um sich einen möglichst grossen Teil des Kuchens, des gesellschaftlich produzierten Mehrwerts und dem vorhandenen gesellschaftlichen Reichtum, anzueignen. Der Kampf um die Altersvorsorge ist daher nicht der Kampf, um den Sozialstaat innerhalb des Kapitalismus zu retten. Vielmehr ist die Altersvorsorge mit folgender Grundsatzfrage zu verbinden: Wer produziert den Profit und wer eignet ihn sich an? In der Debatte um die Altersvorsorge muss daher der immer enger werdende Rahmen des "Sozialstaates" innerhalb der neoliberalen, kapitalistischen Logik gesprengt werden. Tut es die Linke nicht, hat sie den Kampf um die Altersvorsorge bereits heute verloren und im 2020 wird es für den Grossteil der Bevölkerung, den ArbeiterInnen, eine lauwarme Bettelsuppe statt eine Rente geben.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 43/44/2013 - 69. Jahrgang - 6. Dezember 2013, S. 1
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
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Internet: www.vorwaerts.ch
 
vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
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Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Dezember 2013