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VORWÄRTS/921: Der böse Deutsche ist zurück


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.15/16 vom 26. April 2013

Der böse Deutsche ist zurück

Von David Hunziger



Es ist in Europa wieder salonfähig geworden, ein offen feindliches Verhältnis zu bestimmten Nationen zu proklamieren. Am schnellsten zur Hand ist dabei das Bild des bösen Deutschen. Der renommierte italienische Philosoph Giorgio Agamben weiss auch, was gegen die deutsche Übermacht hilft: ein "lateinisches Reich".


"Die Deutschen konnten Europa während des Krieges nicht erobern, jetzt machen sie es auf zivilem Weg", hat mein Grossvater immer gesagt. "Und was ist mit den Russen, hast du die nie als Feinde gesehen?", habe ich ihn gefragt, um zu prüfen, ob seine Gut-Böse-Landkarte von einer naheliegenden überlagert wurde. "Überhaupt nicht", hat er erwidert, "die Russen waren doch unsere Verbündeten - die Feinde waren immer die Deutschen." Peng! Gut, habe ich mir gedacht, immerhin hat dieser Mann in den Vierzigerjahren unter britischer Flagge in Italien gegen die Deutschen gekämpft. Die Erfahrung, alle VertreterInnen einer bestimmten Nationalität erschiessen zu müssen, geht wohl so tief, dass selbst die übersichtlichen Fronten des Kalten Kriegs bei ihm keinen Anklang fanden.

Seitdem Russland zu einem zwar teilweise noch widerständigen, alles in allem aber gefügigen Gegenüber verkümmert ist, zeigt sich wieder deutlich, dass mein Grossvater mit seinen Ängsten stets in guter Gesellschaft war. Der Tod Margret Thatchers ermöglichte eben erst die Veröffentlichung bisher geheim gehaltener Akten, die die britischen und französischen Reaktionen auf die Wiedervereinigung Deutschlands dokumentieren. Thatcher hat der Wiedervereinigung sehr besorgt entgegengesehen. Im Britischen Foreign Office war von der "dunkleren Seite des deutschen Charakters" die Rede. Thatcher befürchtete einen neu aufflammenden gesamtdeutschen Nationalismus - in diesem Punkt zumindest war sie sich mit den Antideutschen einig.


Die Furcht der Franzosen

Ähnlich dachte auch François Mitterrand, der zur Zeit der Widervereinigung französischer Staatspräsident war. Vordergründig zelebrierte er die Männerfreundschaft mit Helmut Kohl, zu Hause malte er Katastrophenszenarios aus. Es ist etwa dokumentiert, dass Mitterrand 1990 die Angst äusserte, die "schlechten Deutschen" könnten einen Weg einschlagen, die dem modernen Deutschland mehr Macht verschaffen würde, als Hitler jemals hatte. Dafür, dass er der Wiedervereinigung zustimmte, die aufgrund der Zusagen Bush Seniors und Gorbatschows eh bereits beschlossene Sache war, wollte Mitterrand eine Bedingung verwirklicht sehen: eine europäische Gemeinschaftswählung, die Deutschland einbinden würde.

Ironischerweise haben nun gerade die Verstrickungen um den Euro zu neuen Feindseligkeiten gegenüber Deutschland geführt, die meist der Festigung eines eigenen Nationalismus' dienen. Wir erinnern uns an die Darstellungen Merkels mit Hakenkreuz und Hitler-Schnäuzchen in Griechenland oder die Wahlerfolge rechtsradikaler Parteien in ganz Europa. Der linke Journalist Tomasz Konicz hat diese Tendenzen in dieser Zeitung (vorwärts Nr. 1/2) als Teil eines breiteren Barbarisierungsprozesses bestimmt, der aufgrund des akkumulierten Zerstörungs- und Vernichtungspotentials eine elementare Bedrohung darstelle.


Das "lateinische Reich"

Noch einen Schritt weiter ging der renommierte italienische Philosoph Giorgio Agamben. In der Zeitung La Repubblica forderte er neulich, dass sich Frankreich mit Italien und Spanien zu einem "lateinischen Reich" zusammenschliessen solle, um die deutsche Übermacht in Europa zu beenden. Agambens Vorschlag geht auf einen Text des französischen Philosophen Alexandre Kojève aus dem Jahr 1945 zurück. Die Deutsche Übermacht entspringt für Agamben einer rein ökonomischen Rationalität, der es - im Gegensatz zu Frankreich - an einem kulturellen Fundament mangle.

Agambens Kritik ist ökonomisch und nationalistisch zugleich: "Einer Mehrheit von Ärmeren werden die Interessen einer Minderheit von Reicheren aufgezwungen, die zudem meistens mit denen einer einzigen Nation zusammenfallen", schreibt er. Wenn das Bewusstsein von Klassen weit und breit fehlt, ist eine solche Position gefährlich.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 15/16 - 69. Jahrgang - 26. April 2013, S. 14
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Mai 2013