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VORWÄRTS/905: Kampf der Willkür auf den Sozialämtern!


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.09/10 vom 15. März 2013

Kampf der Willkür auf den Sozialämtern!

Von Michi Stegmaier



Immer mehr Menschen fallen durchs soziale Netz und sind auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Anwälte für die Armen gibt es wenige und oft sind die Betroffenen mit dem komplexen Sozialhilferecht überfordert. Die neugegründete "Unabhängige Fachstelle für Sozialhilferecht" (UFS) will da Abhilfe schaffen.


Sozialer Druck, Stigmatisierung sowie Verelendung sind auch in der reichen Schweiz unterdessen Realität. Gemäss dem "Bundesamt für Statistik" waren 2011 rund 237.000 Menschen auf Sozialhilfegelder angewiesen. Hinzu kommen etwa 600.000 Menschen, die trotz Arbeitsplatz und geregeltem Einkommen knapp das soziale Existenzminimum erwirtschaften oder gar darunter liegen, Tendenz steigend. Die "Unabhängige Fachstelle für Sozialrecht" (UFS), welche von 2009 bis 2012 in der IG Sozialhilfe integriert war, hat auf den 1. März den eigenständigen Betrieb aufgenommen. Die seit 1994 aktive IG Sozialhilfe konzentriert sich seit anfangs Jahr wieder vorwiegend auf das ursprüngliche Kerngebiet, die Langzeitbetreuung von Armutsbetroffenen, was zu einer Neuorientierung der Beratungsstelle führte und letztendlich in die Gründung der Unabhängigen Beratungsstelle für Sozialrecht mündete.


Grosses Bedürfnis

Wie wichtig die UFS für Betroffene ist, belegen die eindrücklichen Zahlen der vergangenen Monate. So haben alleine in den ersten drei Quartalen 2012 die Beratungen explosiv zugenommen und sich gegenüber 2011 gar verdreifacht. Trotz Erhöhung der Stellenprozente von 50 auf 80 Prozent sowie hunderten Stunden Freiwilligenarbeit, mussten in der Vergangenheit Rat- und Hilfesuchende abgewiesen werden. Um den effektiven Bedarf an Beratung, Begleitung und Unterstützung von Armutsbetroffenen abzudecken und der grossen Nachfrage gerecht zu werden, wären schon heute rund 200 Stellenprozente notwendig, so eine Schätzung der UFS. Das zeigt deutlich die Notwendigkeit einer unabhängigen Beratungsstelle, welche sich einerseits klar auf der Seite der Betroffenen positioniert, sie über ihre Rechte informiert und andererseits bei der Durchsetzung von fundamentalen Grundrechten entsprechenden Druck auf die fehlbaren einzelnen Ämter ausübt. So sieht der Stellenleiter Andreas Hediger vor allem bei den Sozialämtern Handlungsbedarf. "Oft müssen wir ernüchtert feststellen, dass einzelne MitarbeiterInnen nicht mal die kantonalen Weisungen betreffend der Umsetzung der Sozialhilfe kennen", weiss Hediger aus der Praxis zu berichten.


Willkür und Unwissen

Die Folge, dass einzelne MitarbeiterInnen ihre Hausaufgaben nicht machen, sind grosse Willkür sowie Rechtsungleichheit, oft mit katastrophalen Folgen und dramatischem Einschnitt in den Lebensalltag der Betroffenen. Hediger führt diese Willkür auch auf die komplexe und für Laien oft nur schwer verständliche Materie des Sozialhilferechts zurück. Es kommt aber auch vor, dass Betroffene gezielt schikaniert und ihrer Rechte beraubt werden. "Immer wieder werden wir von Menschen kontaktiert, deren Rechtsanspruch auf soziale Unterstützung einfach auf die lange Bank geschoben wurde. In der Regel wirkt es, wenn sich die UFS in solchen Fällen einschaltet", erklärt Hediger. Nebst der rechtlichen Beratung sowie der Unterstützung von Armutsbetroffenen bei der aktiven Wahrnehmung der eigenen Rechte, ist deshalb der Kampf gegen die Willkür auf den Sozialämtern ein weiteres Standbein der UFS. So betont Hediger die Notwendigkeit, den Ämtern genau auf die Finger zu schauen und auf Qualitätssicherung zu pochen. Gerade der massive Leistungsabbau und Spardruck bei der Invalidenversicherung hat zu einer explosiven Verschärfung bei der Sozialhilfe geführt. So ist es heute mehr Regel als Ausnahme, dass selbst klarste Fälle, die vor ein paar Jahren noch ohne grosses Gezetere eine IV-Rente zugesprochen bekommen hätten, heute in der Sozialhilfe landen. Und auch dort bleiben. Zwar werden dadurch effektiv Milliarden eingespart, die negativen Randerscheinungen dieser äusserst kurzsichtigen Politik lassen sich hingegen nur schwer beziffern, eine gute und adäquate Lösung für alle beteiligten Parteien wird so letztlich bewusst verunmöglicht.


Da sich die UFS ausschliesslich aus Spenden und privaten Beiträgen finanziert, ist sie auf breite Unterstützung und Solidarität angewiesen. Für mehr Infos, Spenden sowie Mitgliedschaften siehe:
www.sozialhilfeberatung.ch

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 09/10 - 69. Jahrgang - 15. März 2013, S. 5
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. April 2013