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VORWÄRTS/801: Das ägyptische Volk will Rache


vorwärts - die sozialistische Zeitung, Nr.05/06 vom 10. Februar 2012

Das ägyptische Volk will Rache

Von Michi Stegmaier


Schon Tage vor dem Jahrestag des Beginns der ägyptischen Revolution sieht man auf den Strassen keine Soldaten oder Polizisten mehr. Selbst in den touristischen Hotspots scheinen die Sicherheitskräfte wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Angespannt und kämpferisch ist die Stimmung vor dem 25. Januar 2012. Es liegt etwas in der Luft. Viele sind elektrisiert, viele sagen, dass sei die Ruhe vor dem grossen Orkan. Eine Reportage aus Kairo.

Auf dem Tahrir hat es in den Vortagen zum Jahrestag des Aufstandes gegen Hosni Mubarak wenig Leute. Seit November ist der Platz wieder besetzt. An jeder Ecke werden nun Fahnen, T-Shirts und allerlei revolutionäre Merchandiseartikel geboten. Fahrende Händler verkaufen Snacks, Zigaretten und so ziemlich alles, was das Herz begehrt. Der Eindruck, dass mit der Revolution auch gut Geld gemacht wird, täuscht nicht. Immer wieder kam es in den vergangenen Wochen deshalb zu schweren Krawallen und Spannungen zwischen den Händlern und den jungen DauerbesetzerInnen um die Hoheit auf dem Platz. Der Tahrir ist jetzt vor allem Ausgangspunkt für die vielen Demos, die tagsüber von hier aus durch Downtown meist zum Obersten Gerichtshof ziehen. An der Spitze der Umzüge oft das Konterfei von Che Guevara sowie die Fahne der "Revolutionären Sozialistinnen", welche seit dem Novemberaufstand eine wichtige Rolle spielen. Unter den Aktivistinnen auf dem Platz hat es auch viele "NasseristInnen", sowie Angehörige der Märtyrerfamilien. Viele sind jung, sehr jung, gerade die Anführer. Sie wirken oft abgekämpft, gezeichnet durch die vielen Kämpfe und Entbehrungen der letzten Monate.


Generäle unter Druck

Sie wollen den Platz nicht verlassen und verlangen nicht nur Rache für die vielen Toten der ägyptischen Revolution, sondern ebenso unverhohlen den Kopf von Feldmarschall Tantawi. Die Stimmung in Kairo ist deutlich und die Botschaft klar. An jeder Wand Parolen gegen den Obersten Militärrat (SCAF). Selbst an Regierungsgebäuden oder dem Obersten Gericht fordern Parolen wie "No SCAF" den Sturz der verhassten Generäle, die vor einem Jahr noch für viele Hoffnungsträger waren. Und anders als in Tunis wischt hier niemand die Parolen weg, selbst an den öffentlichen Gebäuden nicht. Der Mythos der "heroischen" ägyptischen Armee, die zehntgrösste der Welt, ist gebrochen. Wo vor einem Jahr noch "Das Volk und die Armee sind eine Hand" durch die Strasse hallte, ertönt nun der Ruf: "Das Volk will den Sturz des Militärregimes". Die Generäle sind entzaubert. Schon seit Wochen wird zu den Knästen mobilisiert und dazu aufgerufen, am Jahrestag des Beginns des Aufstandes die politischen Gefangenen zu befreien. Und wie so oft in den vergangenen Monaten macht der Militärrat in letzter Sekunde eine seiner grotesken Pirouetten. Der SCAF verkündet zwei Tage vor dem Jahrestag, 1950 politische Gefangene zu begnadigen und in den frühen Morgenstunden des 25. Januars gar weitestgehend die Aufhebung der Notstandgesetze, welche seit dreissig Jahren in Kraft sind. Damit erfüllt er zwei der zentralsten Forderungen. Unter den Begnadigten ist auch der 26-jährige Blogger Maikel Nabil Sanad, der sich während seiner Haftzeit vier Monate lang im Hungerstreik befand. Maikel ist einer der Wenigen im Westen bekannten Gesichter der ägyptischen Revolution. Er wurde zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, weil er öffentlich die Rolle des Obersten Militärrates (SCAF) anprangerte, aber auch, weil er Ägyptens erster Militärdienstverweigerer ist.


V wie Vendetta

Schon in den frühen Morgenstunden des 25. Januars füllt sich der Tahrir mit Menschen. Heute ist es, nach kalten Tagen, sommerlich heiss. Schon Stunden bevor die 25 Grossdemos sternmarschförmig Richtung Tahrir aufbrechen, ist der Platz brechend voll. Es sind vor allem viele Familien mit Kind und Kegel, welche schon in den frühen Morgenstunden auf den Platz der Befreiung strömen, zu Hunderttausenden, wenn nicht gar Millionen. Es herrscht den ganzen Tag lang ein grosses Kommen und Gehen. Angesichts der Aufhebung der Notstandsgesetze und der Generalamnestie ist die Stimmung nun gelöst und entspannt. Man sieht viele glückliche Gesichter. Endlich, endlich wieder, werden sich viele sagen. Alle politischen Spektren sind an diesem Tag vertreten. Und es hat sehr viele linke Gruppen, die heute auf dem Platz präsent sind und in grossen Umzügen durch Downtown ziehen. Vom alternativen Kleidungsstil her leicht auszumachen. Viele Tragen die Zeichen der Anarchistinnen. Sie zogen sich in den vergangenen Monaten, frustriert vom langsamen Prozess und dem Wahlerfolg der Islamisten, merklich von den Protesten zurück. Heute sind sie aber stark vertreten.

Nur von den Bärtigen sieht man wenige, auch wenn die westlichen Medien etwas anderes erzählen. Sie fallen vor allem durch merkwürdige grüne Plastikhüte auf, die nicht wirklich zur Islamistenkluft passen. Modebewusst scheinen die Salafisten nicht zu sein. Mir ist es zu heiss und zu voll. Ich bummle durch Downtown. Vier Frauen in Burkas gekleidet kommen mir entgegen, drei tragen eine Guy-Fawkes-Maske, bekannt aus dem Film "V wie Vendetta", welche schon die Hackergruppe Anonymous und die Occupy-Leute inspirierte. Die Vierte trägt die Maske aus der Horrorfilm-Persiflage "Scream". Sprachlos und bezaubert, suche ich hastig nach meiner neuen Digicam und verfluche mich, weil ich wieder mal zu faul war, die Bedienungsanleitung zu lesen. Als ich die Kamera endlich an habe, sind die vier Frauen schon in der Menschenmasse verschwunden. "Das wird mir wieder mal niemand glauben", seufze ich vor mich hin. Und doch, einige Stunden später Treff ich eine der vier Frauen - oder ist es eine andere? - vor dem KFC. Bereitwillig lässt sie sich fotografieren, Kultfaktor 10! Vielleicht sind es gerade die vielen kleinen und grossen Widersprüche, welche die ägyptische Revolution so einzigartig und spannend machen. Welten, die aufeinander prallen und wo auf den ersten Blick eine Koexistenz als unmöglich erscheint, stehen sie heute doch wieder Seite an Seite auf der Strasse.


Gedenken an die Toten

Viele Protestierende tragen Bilder der während der Revolution Getöteten mit sich. Ein Lastwagen mit einem grossen Obelisk mit den Namen der 840 Opfer des Aufstandes bahnt sich einen Weg durch die Menschenmenge. Und viele, ob jetzt säkulare, christliche oder islamische Gruppen, tragen das Bild des bekannten Theologen Scheich Emaf Effat mit sich. Er ist zur Symbolfigur des November-Aufstands gegen den SCAF geworden. Er wurde während der brutalen Auflösung eines Sit-Ins vor dem Kabinett am 24. November 2011 durch Schüsse in den Brustkorb getötet. Viele sind der Meinung, dass er gezielt von einem Scharfschützen erschossen wurde. Der als modern geltende Geistliche Scheich Emaf Effat war stellvertretender Generalsekretär der Al Azhar Universität und in dieser Institution tätig, welche islamische Rechtsgutachten (Fatwas) verfasst. Er war einer der jüngsten Rechtsgelehrten in der Geschichte dieser wichtigen sunnitischen Institution. Das zeigt, wie tiefschürfend schon heute die Veränderungen in Ägypten sind. Wie Khaled Said, der zur Symbolfigur gegen das Mubarakregime wurde, so ist es nun Scheich Emaf Effat beim kommenden Aufstand gegen Tantawi. Die Stimmung ist fröhlich und gelöst. Viele fühlen sich in die Februartage des vergangenen Jahrs versetzt, als aus einer Revolution ein Volksfest wurde und selbst die Konservativsten zu tanzen und singen begannen, eigentlich für Strenggläubige ein schwerer moralischer Fauxpas.


Die Medien wollen Action

Ich lerne den freischaffenden, italienischen Fotografen Alessandro kennen. Einer der wenigen Journalistinnen, der sich direkt auf den Tahrir traut. Wir sitzen vor dem Steinwall, welcher die Strasse in Richtung Innenministerium versperrt, gleich neben der "American University of Cairo" (AUC). Eine Gruppe Gays quatscht uns an und ich frage sie, ob es als Schwuler nicht gefährlich in Ägypten sei? "Heute ist uns das egal", singen und klatschen sie mit einem Lachen. Ein Riese stösst zu uns. Trotz seiner zwei Meter beeindruckt noch mehr der Brustumfang. Auch der Titan gehört zur Gruppe der Gays; wer solche Freunde hat... Auch in den nächsten Tagen werde ich immer wieder von Gays mitten auf dem Tahrir angesprochen. Ich kaufe mir eine Wollmütze. Nun werde ich die ganze Zeit auf arabisch nach dem Weg gefragt. Vielleicht sollte ich mich doch wieder mal rasieren oder mir die Haare schneiden.

Später in der Nacht wird vor der AUC eine bengalische Fackel gezündet. Es sind die Ultras von Al Ahly, wobei viele Aktivistinnen eher zu Zamalek tendieren. Rasch bildet sich ein grosser Kreis und die jungen Wilden beginnen zu hüpfen und zu tanzen. Sie rennen wie eine Herde junger Fohlen voller Lebensfreude auf dem Platz der AUC hin und her. Oder starten, ganz zum Ärger einiger Bärtiger, eine Polonaise quer über den Tahrir. Angesichts der vielen Menschen, die auch spät nachts noch auf dem Tahrir ausharren und den vielen RednerInnen zuhören, ist das durchaus nicht ganz unproblematisch. Die westlichen Medien werden über die grösste Demonstration nach Mubaraks Sturz vor allem über die sexuellen Übergriffe und Schlägereien, welche die Revolutionsfeier überschatten, berichten. Ich ärgere mich über diese Berichterstattung. Vorerst. Auch Alessandro ist am nächsten Tag zerknittert. Er hatte extra 100 ägyptische Pfund bezahlt, um auf das Dach eines der Häuser direkt beim Tahrir zu kommen, und nun will keine Agentur die Fotos - zu wenig Action. Ein Redaktor meinte gar, der volle Platz sehe ja genau so aus wie vor einem Jahr, da könne man ja gleich die Bilder vom letzten Jahr aus dem Archiv nehmen. Auch ich winke ab: Der vorwärts ist eine arme Zeitung.


Kampfzone Tahrir

Heute Abend (26. Januar) hat es wenig Leute auf dem Tahrir. Ich unterhalte mich gerade mit einem eingefleischten Supporter von Zamalek über die Rolle des Fussballs für die Revolution. Eine junge Frau kommt aufgeregt ins Zeltdorf der Dauercamper. Offenbar stürzen sich gerade zwei Dutzend junge Männer auf einer Frau, versuchen ihr die Kleider vom Leib zu reissen und überall mit ihren Finger einzudringen. Einige meinen, es sei eine Touristin, welche fotografiert hätte, andere glauben, es sei die ägyptische Ex-Frau eines anderen. Rasch eilen alle zur Hilfe. Es kommt zu einer wilden Schlägerei und angesichts der vielen Beteiligten ist es schwierig, sich gegenseitig die Holzlatte auf den Kopf zu hauen. Immer mehr Leute stossen hinzu, die Souvenirverkäufer schütten Wassereimer in die Menge. Dann das Knistern der Elektroschocker, die unterdessen an jeder Ecke von Downtown verkauft werden und sich grosser Beliebtheit erfreuen. Nach einer halben Stunde gelingt es, den Mob vom Tahrir zu drängen. Es werden Menschenketten gebildet und "friedlich, friedlich" gerufen. Die betroffene Frau muss mittels eines Krankenwagens aus einem Haus evakuiert werden und ich habe das ungute Gefühl, dass der Mob der "thugs" - des Gesindels - grosser als jener der "Good Guys" war. Ich bin perplex und ratlos. Sind es gekaufte Provokateure, Zivilpolizei, die jungen Wilden vom Tahrir selbst? Oder ist es gar der "Muchabarat", die ägyptische Staatssicherheit, die offiziell längst aufgelöst ist und von vielen hier SS genannt wurde? Die Wahrheit dürfte irgendwo dazwischen liegen. Ich verstehe jetzt, wieso auch für viele junge Revolutionäre die Gruppe "die vom Tahrir" einen schalen Beigeschmack hat und nicht nur vom SCAF als "thugs" bezeichnet werden. Am nächsten Tag kündigt die "Brooterhood" an, den Platz zu verlassen. Auch andere Gruppen wie der "6. April" oder die "demokratische Front" ziehen sich gleichentags vom Tahrir zurück. Auch mir ist nicht klar, ob es auf dem Platz mehr Leute hat, die mit der Revolution vor allem gutes Business machen oder aus idealistischen Gründen hier sind. Der Mythos Tahrir scheint gebrochen und vielleicht ist das auch gut so.


SpongeBob Schwammkopf

Anders als vor einem Jahr sieht man jetzt überall die ägyptischen Frauen, ob im Strassencafé, beim Shoppen oder beim gemütlichen Quatschen an der Strassenecke. Zurück auf dem Tahrir überlege ich mir, ob ich bei einem der Souvenirhändler ein Revolutionsshirt kaufen soll, doch die Typen wirken auf mich dubios und ich lass es bleiben. Doch ein T-Shirt sticht zwischen all dem anderen Revolutionskrimskrams immer wieder hervor. Und passt auf den ersten Blick so gar nicht in die Produktpalette. Ich bin etwas irritiert. Was hat dieser gelbe Schwamm mitten unter all den Revolutionsshirts zu suchen? Als ich gar an Ständen vorbeikomme, die ganz der lustigen gelben Comicfigur gewidmet sind und ihn in allerlei Kampfposen zeigen, frage ich bei der sympathischen Mei an der Rezeption meines netten Hostels nach. Sie sagt genau den Satz, den ich gerne für meine Reportage hätte: "Alle ägyptischen Kinder lieben SpongeBob Schwammkopf".


Die Revolution ist modebewusst

Da das Spiel Zamalek gegen Ismaily der ägyptischen Premiereleague erneut verschoben wurde, bummle ich durch die Stadt. Ich komme zur El Sherefein Strasse, die sich wenige Hundert Meter hinter dem Tahrir befindet. Hier trifft sich die revolutionäre Jugend Kairos. Jede Gruppe hat ihr eigenes Stammcafé in einer der Strassen im Borsa-Quartier. An der Wand einer Mauer steht in grosser Schrift auf Englisch: "Wir werden unsere Helden nie vergessen" und "Das Volk will den Sturz des Regimes".

Die engen Strassen sind links und rechts mit gelben und blauen Stühlen zugepflastert. Es ist ein bunter, lebenshungriger Haufen, der sich hier zum Shisha-Rauchen, Diskutieren und Philosophieren trifft. Es geht laut und fröhlich zu, in den Strassen, wo sich die revolutionäre Avantgarde trifft. Auch hier fällt mir das jugendliche Alter vieler auf. Und nirgendwo in Ägypten habe ich so viele modisch-chic gekleidete Menschen gesehen wie hier. Welch Kontrast zu den DauerbesetzerInnen vom Tahrir! Es wird Fliessend englisch gesprochen und viele waren schon in den ersten Stunden der Revolution mit dabei. Am 25. Januar 2011, als viele der aktiven Linken - und das waren damals sehr wenige - zu Hause blieben und sich über die Facebook-Jugend amüsierten, die tatsächlich denken, dass man einfach ein Datum festsetzen und zu einer Revolution aufrufen könne. Wie dämlich! Diese Jugend, von der viele meinten, dass sie nichts tauge und sowieso nur den ganzen Tag vor dem PC sitzt und "game" (spiele), Popcorn fresse und nichts anderes im Kopf hätte, als sich zu amüsieren. Die Jugend, sie galt als egoistisch und politisch völlig desinteressiert. Bis zum 25. Januar 2011, als aus dem Nichts die Revolution kam und als sich das Ägypten der Anständigen und der Schweigenden der mutigen Jugend anschloss und sich erhob. Als die Sofapartei, wie die schweigende Mehrheit in Ägypten gerne genannt wird, vom Sturz des Regimes in Tunesien inspiriert, die Flimmerkiste abstellte und zu Hunderttausenden auf die Strassen strömte.


Die Sanduhr läuft bald ab

Als ich in den frühen Morgenstunden Kairo verlasse, gehe ich nochmals beim Tahrir vorbei. Es sind nur noch wenige der DauerbesetzerInnen da. Die ersten Souvenirhändler kommen auf den Platz. Nun sind auch wieder die Verkehrspolizisten da. Man grüsst sich und gibt sich Küsschen. Schon klar. Das Regime Mubarak macht auch aus einer Niederlage noch ein profitables Geschäft. Ich schlendere Richtung Busterminal, gleich hinter dem ägyptischen Museum. Ich habe wieder viel erlebt. Gutes und Ungutes. Und doch: Ich gehe mit einem guten Gefühl. Ägypten hat seine Seele nach Jahrhunderten der Unterdrückung und Fremdbestimmung wieder. Es wird sie nie mehr hergeben. Niemals. Die Angst, sie ist gebrochen, für immer. Islamistischer Gottesstaat? Papperlapapp.

Wer die lebensfrohen, bombastischen Kurven der Ultras, die stolzen jungen Ägypterinnen mit ihrem Lächeln, ihren offenen Gesichtern und selbstsicheren Körperhaltung gesehen hat, der weiss: Für Ägypten wird es nur ein vorwärts in die Zukunft geben. Und ich verstehe nun, wieso die Muslimbrüder mit ihrer Partei "Freiheit und Gerechtigkeit" bei den Wahlen so gut abgeschnitten haben. Sie sind derzeit tatsächlich eine der wenigen Alternativen für ein neues Ägypten, so merkwürdig das nun klingen mag. Noch kämpft das alte Regime mit allen Mitteln, lässt ein Sicherheitsvakuum entstehen und stiftet gekonnt Unruhe. Sie verstehen ihr Handwerk und sind Meister ihres Faches, die alten Garden und die Profiteure. Die kleinen und grossen Gauner, ob jetzt mit oder ohne Uniform. Die herrschende Klasse. Doch die Sanduhr, läuft bald ab. Lange wird in Ägypten niemand mehr warten. Noch hoffen alle auf ein Einlenken der Generäle. Niemand will hier noch mehr Tote.

Kaum ist der Ausnahmezustand aufgehoben, kommt es in Port Said zur Tragödie nach einem Fussballspiel*. Alle hier sagen, es sei ein vom SCAF inszeniertes Massaker. Das neue ägyptische Parlament hat schon in seiner ersten Woche viel zu tun. Die Debatten werden live übertragen und in den Cafés schauen die Menschen gebannt auf den Bildschirm. Spätestens wenn die "Brotherhood" die Geduld mit dem SCAF verliert, dann wird sich ganz Ägypten erneut erheben und explodieren. Dann wird der Spuk hier, nicht etwa in wenigen Tagen, sondern in wenigen Stunden ein Ende haben. Noch hoffen alle auf einen geordneten Übergang zur Demokratie, wünschen sich Sicherheit, Ruhe und Rechtsstaatlichkeit. Spätestens im Juni wird sich dieses Zeitfenster schliessen.


* Im nächsten vorwärts folgt ein Hintergrundartikel zur Fussballtragödie von Port Said und zur Rolle der ägyptischen Ultras während der ägyptischen Revolution.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 05/06/2012 - 68. Jahrgang - 10. Februar 2012, S. 4-5
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Februar 2012