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VORWÄRTS/794: Die Trennung von Arbeit und Einkommen


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 03/04/2012 vom 27. Januar 2012

Die Trennung von Arbeit und Einkommen

von Johannes Supe


Das bedingungslose Grundeinkommen (bGE) verspricht die Emanzipation des Menschen von der Arbeit. In seiner Auseinandersetzung mit dem Thema zeigt der vorwärts auf, wie das bGE zwangsläufig einen idealistischen und illusionären Charakter annehmen muss.


Die Menschen sollen nicht mehr von der Arbeit abhängig sein, um ein Leben zu führen - um ein Leben zu führen bedarf es allerdings der Mittel, es zu finanzieren, also eines Einkommens; woraus folgt: Wenn die Menschen unabhängig von der Arbeit sein sollen, muss ihr Einkommen von der Arbeit unabhängig sein. So oder ähnlich ist die Überlegung der BefürworterInnen des bedingungslosen Grundeinkommens.

Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens ist die Idee der vollständigen Trennung von Arbeit und Einkommen. Das bedingungslose Grundeinkommen soll an alle gezahlt werden ohne eine Form von Gegenleistung - also Arbeit - zu verlangen. Auch wer nicht arbeitet und auch, wer nicht arbeiten will, soll ein Einkommen haben. Das wäre tatsächlich ein radikaler Bruch mit der bisherigen Logik der Verwertbarkeit von Menschen für das Kapital. Das erscheint sehr begrüssenswert, gar nobel. Jedoch: "Das bedingungslose Grundeinkommen erscheint einfach und logisch - auf den ersten Blick... Es ist so wenig einfach wie der Markt, auf den seine Befürworter setzen, ob sie es wissen oder nicht." (Michael Krätke, Widerspruch 52)

Die Idee der Trennung von Arbeit und Einkommen ist bestenfalls idealistisch, praktisch gesehen hingegen illusorisch unter der Beibehaltung von kapitalistischen Eigentums- und Marktverhältnissen. Verfolgen wir die Vorstellung der Trennung von Arbeit und Einkommen in ihren Implikationen.


Der Reichtum der Gesellschaft

Worauf beruht der Reichtum der kapitalistischen Gesellschaft? "Der Reichtum der Gesellschaften, in welchem kapitalistische Produktionsweisen herrschen, erscheint als eine ungeheure Warensammlung, die einzelne Ware als seine Elementarform." (Karl Marx, Kapital 1) Nun ist die Sache mit der Ware eine Trickreiche: Sie muss produziert werden. Ohne Produktion keine Ware, deshalb "erscheint" der Reichtum "der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweisen herrschen" auch nur als Ware. Tatsächlich liegt dieser Reichtum in der Arbeit begründet, die die Waren herstellt. Dieser Fakt ist einleuchtend. Wir werden aber sehen, dass die BefürworterInnen eines bGE ihn geflissentlich ignorieren.

Geld ist kein Reichtum. Geld an sich ist nichts mehr als eine Art Gutschein für die Waren, die diese Gesellschaft produziert. (Wir wissen, dass Geld durchaus zu Kapital werden kann, in der Argumentation des bGE spielt dies kaum eine Rolle.) Als Gutschein hat das Geld nur dann einen Wert, wenn es eingelöst werden kann - eben: gegen Waren. Waren, die produziert werden müssen. Das Einkommen der Menschen, der Arbeitenden; das ist die geringe Verteilung von Gutscheinen an sie, damit sie sich Teile dessen, was sie produzierten, auch tatsächlich aneignen können.


Keine Gesellschaft ohne Arbeit

Das bedingungslose Grundeinkommen berührt die kapitalistischen Produktionsverhältnisse nicht. Es lässt sie intakt wie sie sind; es lässt die Produktionsmittel weiterhin in den Händen der Bourgeoisie. Indem es aber die Produktionsmittel unberührt lässt, lässt es auch die Lage der Arbeiterklasse unberührt: Sie wird weiterhin von der Lohnarbeit abhängig bleiben.

Warum? Das bGE will das Einkommen unabhängig von der Arbeit machen, um den Menschen von der Arbeit zu emanzipieren. Wir haben aber gesehen, dass dieser Reichtum in der Form von Waren erscheint und in der Arbeit der Menschen begründet liegt; die Menschen jetzt wirklich von der Arbeit zu emanzipieren würde bedeuten, sie vom Reichtum zu emanzipieren. Wenn das bedingungslose Grundeinkommen wirklich erfolgreich wäre, also angenommen, die Menschen müssten und würden nicht mehr arbeiten gehen: Ihr Einkommen wäre wertlos. Das Geld, das sie erhielten, also ihre Gutscheine, könnten nicht mehr eingelöst werden, da die Waren, gegen die man sie tauscht, nicht produziert werden. Konsequent bedeutet das nichts anderes, als dass eine Gesellschaft, die nicht arbeitet, nicht möglich ist.


Zwei Möglichkeiten eines bGE

Arbeit ist also die Grundlage der Gesellschaft. Das Grundeinkommen will die Menschen unabhängig von der Arbeit machen. Es wird nur zwei Möglichkeiten des bGE geben.

Wenn das bedingungslose Grundeinkommen tatsächlich die Trennung von Einkommen und Arbeit vollzieht, wenn es allen Menschen genug Geld zuteilt, dass sie ohne Sorge leben könnten, dann verteilt es wertlose Scheine an die Menschen, dann verteilt es Geld, für das es kein Äquivalent gibt. Das wird nicht geschehen. Ein einfacher Grundsatz: Herrschendes Recht ist niemals höher als die herrschenden ökonomischen Verhältnisse.

Die zweite Möglichkeit ist die, die sich durchsetzen wird. Das bedingungslose Grundeinkommen verteilt an die Menschen Geld, das Wert hat, dafür muss dieser Wert erarbeitet werden, und in diesem Fall können die Menschen nicht unabhängig von der Arbeit sein. Die Emanzipation wäre eine Scheinbare, eine Illusion. Es erscheint nur so, als müsste ich nicht mehr arbeiten gehen. Tatsächlich besteht der Zwang weiterhin. In die Realität übersetzt, drückt sich dieser Zwang dadurch aus, dass es keinen einzigen Vorschlag eines bGE gibt, der mehr als eine "ausreichende Existenz" und einen gewissen Grad der "gesellschaftlichen Teilhabe" will. Sie haben es noch nicht theoretisch verstanden. In der Praxis wissen die BefürworterInnen aber sehr genau, dass sie nicht ein bGE fordern können, das "ein gutes Leben ohne Sorgen" ermöglicht.

Die Grundlage des Geldes, welches das bGE verteilen will, ist die Arbeit; von dieser Arbeit will es die Menschen frei machen; müsste sich also von seiner eigenen Grundlage frei machen, kann dies aber nicht und wird so zwangsläufig zwiespältig, heuchlerisch, illusionär.


Kein Fortschritt für die Arbeiterklasse

Wir haben schon oben gesagt, dass die Lage der arbeitenden Klasse sich nicht - insbesondere nicht zum Besseren! - ändern wird. Die Emanzipation der Menschen von der Arbeit in der kapitalistischen Gesellschaft, wie wir skizziert haben, ist illusionär. Deshalb also ein niedriges bGE in sämtlichen Vorschlägen, ein Existenzminimum, kein Lebensmaximum. Wer aber will arm sein? Die Emanzipation ist nur scheinbar, sie ist ein Betrug, denn sie lautet eigentlich: "Sei frei und arm, oder arbeite und bekomm etwas." Damit aber bleiben auch sämtliche Zwänge der kapitalistischen Gesellschaft erhalten. Jedoch verschleiert. Eine Illusion ist eine Illusion: Sie verbirgt die wirklichen Zustände. Das bGE bedeutet keinen Fortschritt für die Arbeitenden. Es bedeutet jedoch durchaus einen Fortschritt für die Bourgeoisie: Der Kapitalismus würde keinen Deut besser, er würde aber besser erscheinen. Das ist das bedingungslose Grundeinkommen. Und das ist wirklich noch seine beste Seite.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 03/04/2012 - 68. Jahrgang - 27. Januar 2012, S. 7
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Februar 2012