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VORWÄRTS/790: Sechs Wochen Ferien für alle!


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 03/04/2012 vom 27. Januar 2012

Sechs Wochen Ferien für alle!


tho. Eine Initiative des Gewerkschaftsverbandes "TravailSuisse" fordert sechs Wochen Ferien für alle ArbeiterInnen in der Schweiz. Die Vorlage wird dem Stimmvolk am 11. März zur Abstimmung vorgelegt. Sie ist auch aus kommunistischer Perspektive interessant.


Das Arbeitsleben vom Einstieg bis zur Pensionierung dauert in der Schweiz in der Regel zwischen 40 und 50 Jahren. Wer diese allzu oft anstrengenden und mühseligen Jahre schadlos überstehen will, der muss seine Kräfte haushälterisch einteilen. Denn wegen der stetig steigenden Belastung, dem Druck und dem Stress sind gesundheitsbedingte Ausfälle keine Seltenheit: Mit 63 Jahren ist nur noch die Hälfte der Menschen erwerbstätig. Etwa 20 Prozent der Männer bezieht vor der Pensionierung eine IV-Rente und rund 40 Prozent aller vorzeitigen Pensionierungen erfolgen aus gesundheitlichen Gründen. Der Gewerkschaftsdachverband "TravailSuisse" will diesem Trend entgegenwirken und legt für die Abstimmung vom 11. März eine Initiative vor, die sechs Wochen Ferien für alle in der Verfassung verankern soll. Zwar wurde die Initiative vom Stände-, National- und dem Bundesrat verworfen, doch für die Abstimmung stehen die Chancen gar nicht so schlecht. Nach einer Umfrage wollen drei Viertel der Bevölkerung und fast 90 Prozent der ArbeiterInnen mehr Ferien. 57 Prozent würden heute der Initiative zustimmen. Das darf nicht zu sehr erstaunen, schliesslich ist der grösste Teil der Bevölkerung direkt oder indirekt von der Lohnarbeit abhängig und würde daher von der Verfassungsänderung profitieren. Man darf sich deswegen allerdings nicht zu sicher sein, schliesslich hat das Stimmvolk in der Vergangenheit schon einige Male bewiesen, dass es durchaus gegen seine eigenen Interessen zu stimmen bereit ist.


Die üblichen GegnerInnen

Die Interessen der GegnerInnen, die sich aus VertreterInnen der bürgerlichen Parteien und aus Wirtschafts- und Arbeitgeberverbänden zusammensetzen, sind klar. Sie argumentieren einmal mehr mit vermeintlichen oder tatsächlichen Sachzwängen des Wirtschaftsstandortes. FDP-Sprecher Noé Blancpain erklärt: "Diese Initiative kostet viele Arbeitsplätze und gefährdet KMUs in ihrer Existenz. Wir können uns die Mehrkosten von sechs Milliarden Franken nicht leisten - erst recht nicht in der Krise." Natürlich muss die Krise herhalten für die Angstmacherei der GegnerInnen. Fakt ist: Die zusätzliche Ferienwoche erhöht die Lohnsumme um zwei Prozent und kostet umgerechnet gerade mal fünf Franken pro Tag und ArbeiterIn. Dafür verhindert sie Kosten im Gesundheitsbereich, denn "heute kostet Stress am Arbeitsplatz in der Schweiz zehn Milliarden Franken pro Jahr", rechnet die Initiantin "TravailSuisse" vor.

Auf die wirtschaftlichen Sachzwänge sollte eine konsequente Vertretung der ArbeiterInneninteressen aber sowieso pfeifen. Es geht auch innerhalb des Bestehenden darum, die Interessen auch gegen die Zwänge des Wirtschaftsstandortes durchzusetzen und einen grösseren Teil vom Reichtum der Gesellschaft abzubekommen. Schlussendlich steht man mit einer so konsequenten Haltung aber vor einem Dilemma: Wenn die Anforderungen des Wirtschaftsstandortes Verbesserungen tatsächlich nicht mehr zulassen, sie aber trotzdem durchgesetzt werden, dann droht man mit der Schädigung der kapitalistischen Nationalökonomie die eigene meist recht klägliche Existenzgrundlage mitzuzerstören. Aus diesem Dilemma führt nur ein Weg hinaus: Die potentielle und schliesslich die tatsächliche Überwindung dieser Gesellschaftsordnung und damit die Entkoppelung der eigenen Reproduktion von der Reproduktion des Kapitals. So plakativ es klingen mag: In Zeiten der Krise ist die Frage nach Verbesserungen der Lebensbedingungen eng mit der Frage ums Ganze verknüpft.


In die Offensive

Nebst den konkreten Verbesserungen für die ArbeiterInnen ist die Initiative aus kommunistischer Sicht auch sonst interessant. Zwar spielt sich das ganze Tauziehen auf parlamentarischer Ebene ab und es wurde auch diesbezüglich nicht anderweitig mobilisiert. Doch die Forderung nach sechs Wochen Ferien hat zwei interessante Aspekte: Einerseits kommt damit die Arbeiterklasse aus ihrer Defensive, in welcher sie nicht erst seit der Krise steckt. Die jüngeren Kämpfe waren fast sämtliche Kämpfe gegen Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen oder gleich gegen Massenentlassungen und Betriebsschliessungen. Jetzt in die Offensive zu kommen und Verbesserungen zu fordern, kann die Arbeiterklasse und die Zuversicht die eigenen Kräfte für den Kampf zur Verbesserung der Lebensbedingungen stärken helfen. Zudem ist die Forderung nach sechs Wochen Ferien eine Forderung, die die ganze Klasse betrifft. Es spielt keine Rolle ob man ungelernt oder gelernt ist, ob man auf dem Bau, im Büro oder in der Fabrik schuftet, die Verbesserung kommt allen zugute. Damit werden Spaltungen und Fragmentierungen überwunden und das Interesse der ArbeiterInnen als Teil einer Klasse artikuliert.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 03/04/2012 - 68. Jahrgang - 27. Januar 2012, S. 3
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Februar 2012