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VORWÄRTS/784: Neue Modelle aus Davos?


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.01/02 vom 13. Januar 2012

Neue Modelle aus Davos?

Von Thomas Schwendener


Auch am diesjährigen World Economic Forum (WEF) wird sich wohl trotz anderslautender Beteuerungen fast alles um die Krise drehen. Doch die "Global Leaders", die sich in Davos treffen, werden auch gemeinsam keinen Ausweg aus der ökonomischen Misere finden.


Das WEF steht auch dieses Jahr ganz unter dem Zeichen der Krise. Wenn sich vom 25. bis zum 29. Januar führende VertreterInnen aus Wirtschaft und Politik im abgeschotteten Davos treffen, werden sie unter dem bezeichnenden Motto "Die grosse Transformation: neue Modelle gestalten" darüber diskutieren, wie der kapitalistische Karren aus dem Dreck zu ziehen ist. Doch die etwas ehrlichere Einschätzung des WEF-Gründers Klaus Schwab reicht nicht an das hochtrabende Motto heran. In einem Interview mit dem "Tagesanzeiger" meinte er offenherzig: "Vergessen Sie auch nicht, dass ich in der Eröffnungsrede am WEF 2009 gesagt habe, dass wir uns schämen müssen. Mehr kann man nicht tun." Und weiter: "Ein Politiker wird in einer Demokratie nicht dafür gewählt, dass er den Leuten den Spiegel vorhält. Er muss so tun, als ob er alles lösen könnte". Und genau so verhält es sich mit den "Global Leaders": Unter grossartigen Mottos versammeln sie sich, um sich gegenseitig Lösungsmodelle vorzutragen, bloss um im nachhinein festzustellen, dass sie keinen Ausweg aus der Krise kennen. Und natürlich um sich bei Sekt und Hummer gemeinsam ein wenig zu schämen. Das Problem ist eben kein Managementproblem, dem man bloss "neue Modelle" entgegensetzen müsste, wie es auf der WEF-Homepage erklärt wird. Die Krise liegt in der kapitalistischen Produktionsweise selbst begründet, die seit den 70er Jahren in einer strukturellen Überakkumulationskrise steckt. Diese zeigte sich immer wieder an der Oberfläche und will seit der Eruption von 2008 als manifeste Krise nicht mehr aus dem Bewusstsein der aufgescheuchten Weltöffentlichkeit verschwinden.


Krise allenthalben

Weltweit zeigen sich die verschiedenen Symptome der Krise deutlich. Griechenland droht seit längerem der Staatsbankrott und auch den übrigen sogenannten PIIGS-Staaten Portugal, Italien, Irland und Spanien drohen ernste ökonomische Schwierigkeiten. Die eilig geschnürten Rettungspakete konnten die Probleme bisher bloss aufschieben und den Euro halbwegs stabilisieren. Erste Auswirkungen der Krise sind auch in der Schweiz zu spüren. So vermeldete nicht nur der Leiter der Direktion für Arbeit des "Staatssekretariats für Wirtschaft" kürzlich eine negative Trendwende bei der Arbeitslosigkeit, auch die regelmässig in den Schlagzeilen auftauchenden Massenentlassungen sprechen eine deutliche Sprache. Die seit Jahren dauernde sukzessive Verschärfung sozialstaatlicher Disziplinierungssysteme oder ihre Ersetzung durch nackte soziale Repression, ergänzen diesen Trend. Die massive Staatsverschuldung wird eben spätestens dann zum Problem, wenn die betroffenen Staaten den Finanzmärkten, auf denen sie sich refinanzieren müssen, nicht beweisen können, dass sie harte Einschnitte und Einsparungen durchsetzen können. Dass aber diese Sparmassnahmen die Krisenspirale bloss weiter drehen, kann man aktuell besonders an Griechenland sehen. Die feindlichen Brüder - einerseits Konkurrenten, anderseits gemeinsam interessiert am reibungslosen Funktionieren des Kapitalismus -, die sich am WEF treffen, werden um diese Probleme nicht herum kommen. So dürfte auch diskutiert werden, wie denn die Profitraten der Unternehmen wieder saniert werden können und wie die staatlichen Schuldenprobleme in den Griff zu kriegen sind. Ersteres ist ein Problem, weil das akkumulierte Kapital nicht mehr mit den notwendigen Profitraten in die sogenannten Realwirtschaft investiert werden konnte und so in den aufgeblähten und hochspekulativen Finanzsektor strömte, wofür man 2008 die Rechnung präsentiert bekam. Letzteres wächst sich dann zum akuten Problem aus, wenn die Refinanzierung auf den Finanzmärkten nicht mehr mit den notwendig tiefen Zinsen garantiert ist. Zu beiden Problemen scheint es eine einfache Formel zu geben: Je mehr man den Proletarisierten abnimmt, desto mehr bleibt auf der anderen Seite der Gleichung übrig. Es bleibt also zu erwarten, was zu erwarten war: Am WEF diskutiert die Elite darüber, wie man sich an den Arbeiterinnen und Arbeitern möglichst schadlos hält und wie man die anstehenden "Restrukturierungsmassnahmen" in Staat und Wirtschaft möglichst reibungslos über die Bühne bringt - in bezug auf die Krise aber wohl mit relativ wenig Erfolg.


Und der Widerstand?

Seit Jahren wird das WEF begleitet von Protesten. Doch die "Antiglobalisierungsbewegung" mit all ihren Beschränkungen erreichte ihren Zenit um das Jahr 2001, als die Proteste gegen den G8-Gipfel in Genua mit massiver Repression niedergeschlagen wurden. Seither ist es auch zunehmend ruhiger um die WEF-Proteste geworden. In den letzten Jahren scheinen die Proteste im grossen und ganzen nur noch getragen von einigen linksradikalen Gruppen. Dieses Jahr gesellt sich die Occupy-"Bewegung" dazu, die in Davos ihre Iglus aufbauen will. Parallel zum stagnierenden Protest gegen die Treffen der globalen Elite, entstanden in den letzten Monaten soziale Bewegungen, die ein zunehmendes allerdings sehr diffuses Unbehagen an dieser Gesellschaft und ihrer aktuellen Entwicklung zum Ausdruck bringen. Doch auch diese Bewegungen dürften den WEF-Protesten nur schwer neues Leben einhauchen können. Wichtiger dürfte ohnehin sein, wie sich die sozialen Bewegungen mit den reellen Klassenauseinandersetzungen verbinden und im kapitalistischen Alltag verankern können.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 01/02/2012 - 68. Jahrgang - 13. Januar 2012, S.
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Januar 2012