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VORWÄRTS/782: Castortransport nach Gorleben - "Die Proteste waren ein würdiger Abschluss"


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 45/46/2011 vom 23. Dezember 2011

"Die Proteste waren ein würdiger Abschluss"

von Johannes Supe


Sandra (26) ist Umwelt-Ingenieurin und hat Umweltschutz studiert. Sie ist aus der Schweiz ins deutsche Wendland gefahren, um den Castortransport nach Gorleben aufzuhalten. Was sie antreibt und wie ihre Erlebnisse aussahen, erzählt sie dem vorwärts.


FRAGE: Sandra, was hat dich angetrieben, ins Wendland zu fahren, um den Castortransport aufzuhalten?

SANDRA: Was mich antreibt, das ist, dass sich einem wirklich die Frage stellt, ob Castortransporte und Atomkraft die Lösung für unsere Energieprobleme sind. Je mehr man sich einliest, desto mehr kommt man auf diese Frage. Es ist ja nicht so, dass nur der Natur geschadet wird. Auch das Leben der Menschen wird durch die Castortransporte beeinflusst. In Gorleben gibt es Anwohner, da ist es ein unfassbares Privileg, es sich herauszunehmen und zu sagen, dass wir den Atomstrom brauchen, während wir gleichzeitig nicht an die Menschen denken, denen damit geschadet wird. Noch trifft es nur sie, aber irgendwann uns alle. Es gibt Studien, die belegen, dass die Kinderkrebsrate bei Anwohnern um ein AKW um ein Drittel höher ist als normal. Trotzdem wird noch immer kein Zusammenhang zwischen beidem hergestellt. Zudem ist es wichtig zu wissen, dass Gorleben als Lager für Atommüll nicht sicher ist - allein schon wegen des Grundwasseraustritts.

FRAGE: Wie sah für dich der Ablauf der Blockaden aus? Was hast du genau gemacht?

SANDRA: Am Freitag bin ich aus der Schweiz losgefahren und habe noch drei Freunde abgeholt. Schon auf der Bundesstrasse kam mir Polizei-Autokolonne um Autokolonne entgegen. Erst zehn Autos, dann zwanzig Autos und alle Richtung Wendland. Die Polizei war überall präsent, immer wieder Wasserwerfer. In der Nacht sind wir dann in einem der Camps nahe den Gleisen angekommen. Über einen weiteren Freund wurden wir vermittelt: Wir konnten in einer Kirche schlafen. Am nächsten Morgen wurden wir dann einer Gruppe zugeteilt. Anfangs waren wir etwa 400 Leute, es kamen aber immer mehr und später waren wir um die 700, während der Nacht dann 4000. Dann ging es zu den Gleisen. So gegen 14.00 Uhr haben wir uns durch die Polizeireihen durchgekämpft und die Gleise besetzt. Wir blieben die ganze Nacht, bis zum nächsten Morgen. Wir lagen dort und sassen, haben die ganze Strecke blockiert. Nachdem wir einmal auf den Gleisen waren, wurde alles viel lockerer. Wir konnten sogar umhergehen und Feuer machen, um uns aufzuwärmen. Die Polizei war zwar präsent, hat uns aber nicht mehr wirklich gestört. Bei uns gab es dann die Volksküche, die uns mit fantastischen veganen Köstlichkeiten versorgt hat. Es sah ein wenig wie ein Festival aus, mit Musikkapellen und Musikwagen, damit wir auch auf jede erdenkliche Art unterstützt wurden. Man hat uns Planen und Decken für die Nacht gegeben. Ich habe ihn zwar nicht gesehen, aber Klaus, der Geiger hat dort auch für uns gespielt. Erst am Sonntagmorgen, um 7.00 Uhr, wurden wir von der Polizei geräumt und im Kessel festgehalten. Aber abends kamen wir wieder raus, nachdem unsere Anwälte Druck gemacht haben.

FRAGE: Wie haben sich denn die 20.000 Polizisten verhalten? Hast du etwas von Polizeigewalt gemerkt?

SANDRA: Sie waren erstmal super durchorganisiert. Als wir am Samstag ankamen, warteten schon zwei Reihen von Polizisten auf uns. Erst die normalen Polizisten, hinter ihnen dann die Reiter. Um zu den Gleisen zu kommen, mussten wir einen kleinen Berg hoch, das heisst: die Polizei stand schon über dir und hatte natürlich einen Vorteil. Aber die haben genau so wie wir gewusst, dass es nur ein Zeitspiel ist. Es war von Anfang an klar, dass wir auf die Gleise kommen würden; da wurde das nur zu einem Machtspiel der Polizei. Sie haben versucht, uns zurückzuhalten und haben uns auch geschubst. Mich hat man an den Haaren gepackt und gezogen. Aber dass sie uns direkt geschlagen hätten, habe ich nicht gesehen. Ich bin mir aber sehr wohl bewusst, dass es genau das an diesem Wochenende auch gegeben hat.

Später auf den Gleisen haben die Polizisten auch einen Nasengriff bei uns angewandt. Einem Freund von mir griff ein Polizist so ins Gesicht, dass er es vor Schmerzen zurückziehen musste. Daraufhin hat ihn der Polizist gefragt: "Und, ist das angenehm?" Das sind natürlich reine Machtspiele. Als es dann darum ging, uns abzutransportieren, als sie uns also räumen mussten und sich die Leute nur haben wegtragen lassen, da kamen sie zu uns. Die Journalisten waren mittlerweile weg und die Polizisten haben gesagt, ganz offen und unverblümt: "Wenn sie jetzt nicht aufstehen, dann greife ich zu anderen Mitteln, dann wird es ungemütlich." Viele von uns sind dann freiwillig gegangen, zumal der Transport noch sehr weit von uns entfernt war. Es wurde eben sehr gut blockiert. Dann landeten wir von 7.00 Uhr bis um 16.00 Uhr im Polizeikessel. Wir waren vielleicht 1000 oder 2000.

FRAGE: Die Proteste im Wendland sind dafür bekannt, Kuriositäten hervorzubringen. Sind dir besonders kreative Protestformen aufgefallen?

SANDRA: Am witzigsten waren wohl die Bauern des Wendlands. Die haben zum Beispiel "aus Versehen" grosse Kartoffelsäcke voller Sand auf dem Weg der Polizei fallen lassen - die dann von den Polizisten weggeschleppt werden mussten. Ein anderer Bauer hat seinen Traktor mitten auf der Strasse stehen gelassen. Als die Polizei dann versucht hat, ihn wegzufahren, musste sie feststellen, dass der Bauer den Anlasser ausgetauscht hatte: Anstatt dass der Traktor weggefahren werden konnte, entlud sich der ganze Mist vor den Polizisten. Gerade die Bauern, gerade die alten Bauern, die sind der Wahnsinn. Aber ich fand alles super. Ich war so übermannt, wie sie das alles organisiert haben, dass ich gar nicht sagen kann, was mir am besten gefallen hat.

FRAGE: Bekanntlich war dieser 13. Castortransport der vorläufig letzte durchs Wendland. Ihr habt ihm einen neuen Rekord verpasst: 196 Stunden brauchte er für seine kurze Strecke. Was sagst du, wenn du jetzt auf den Protest zurückschaust?

SANDRA: Das setzt Akzente. Ich freue mich natürlich, wenn dadurch noch mehr Druck aufgebaut wird und etwas erreicht werden kann. Wir haben schon gut blockiert. Ich denke, das war ein würdiger Abschluss. Ich kann nur hoffen, dass man sich nun mehr Gedanken macht, wo all der Strom herkommt. Es ist eben keine Selbstverständlichkeit, wenn wir den Lichtschalter umlegen. Die Menschen müssen bewusster damit umgehen. Wenn man abends etwa, statt auf Standby zu drücken, die Geräte wirklich ausschalten würde, könnte man Strom im Produktionsumfang eines AKWs einsparen. Unglaublich, wie einfach sich der Strom sparen liesse und traurig, dass es einfach von vielen nicht realisiert wird.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 45/46/2011 - 67. Jahrgang - 23. Dezember 2011, S. 5
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Januar 2012