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VORWÄRTS/761: Propaganda für die revolutionäre Sache vom parlamentarischen Rednerpult


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 35/36 2011 vom 7. Oktober 2011

Propaganda für die revolutionäre Sache vom parlamentarischen Rednerpult

von Siro Torresan


In der Deutschschweiz tritt die Partei der Arbeit in den Kantonen Bern und Zürich mit einer eigenen Liste bei den Nationalratswahlen vom 23. Oktober an. Genosse Rolf Zbinden kandidiert in Bern gar für den Ständerat. Der vorwärts sprach mit ihm und dem Genossen Marcel Bosonnet, dem Spitzenkandidat der PdA Zürich.


FRAGE: Marcel, was ist deine Motivation und was sind die Gründe, als Spitzenkandidat der PdA Zürich für die Nationalratswahlen zu kandidieren?

MARCEL: Ich war tatsächlich lange der Ansicht, dass in der ausserparlamentarischen Opposition die einzige politisch sinnvolle Aktivität möglich ist. Gleichzeitig ist mir jedoch auch bewusst, dass richtige Entscheidungen nicht aufgrund eines Dogmas, sondern aufgrund der jeweiligen historischen Situation getroffen werden müssen. Der Krisensommer 2011 offenbarte exemplarisch den desaströsen Zustand unserer Demokratien. Eine übermächtige Finanzwirtschaft führt Politik und sogenannte Eliten vor. Wir erkennen überdeutlich, dass dies die direkte Auswirkung der Diktatur des Kapitalismus ist. Tatsächlich erkennen immer mehr Leute, dass der Kapitalismus direkt für die Krise verantwortlich ist. Sie erkennen auch, dass die meisten Parteien keine Alternative zur aktuellen Krise anzubieten haben. Auch jene nicht, die aus populistischen Gründen bei jeder Windänderung ihr politisches Programm ändern. Gleichwohl sehen immer mehr Leute, dass auch in Krisenzeiten die Reichen reicher und sie selbst immer ärmer werden. In dieser historischen Situation ist es notwendig, dass die Partei der Arbeit aufzeigt, dass es durch den Kommunismus ein Leben ohne Unterdrückung und Ausbeutung gibt. Ohne Systemwechsel und ohne Umverteilung gibt es wohl regelmässige Krisen, aber keine Gleichheit und Gerechtigkeit.

FRAGE: Rolf, du kandidierst für den Ständerat, um ihn abzuschaffen. Was soll an seiner Stelle kommen?

ROLF: Wir wollen die Demokratie stärken - und zwar in jedem gesellschaftlichen Bereich. Da gibt es keinen Platz für dieses Bollwerk ständischer Privilegien. Dies gilt für uns grundsätzlich und unabhängig von der konjunkturellen Stimmung zu Einzelfragen: Der Ständerat war, ist und bleibt eine Dunkelkammer der Lobby-Politik und will sich ja nicht einmal in die Abstimmungskarten blicken lassen. Ein Blick auf die Wahlpropaganda zeigt zudem, auf welchem erbärmlichen Niveau da praktisch auf allen Seiten für "Köpfe" geworben wird. Auf diese Beleidigung für die Intelligenz der Leute antworten wir mit einem politischen Programm. Dass unter solchen Umständen auch auf dem rot-grünen Ticket politische Weichspüler stehen, braucht wirklich niemanden zu erstaunen. Dialogfähigkeit, Kollegialität, Brückenbauerqualitäten und was uns sonst noch an Etiketten geboten wird. Letztlich werden uns hier Charaktermasken schmackhaft gemacht, welche für das Phantom des Klassenkompromisses stehen.

FRAGE: Die PdA hat in der Deutschschweiz keine Chance, einen Sitz zu gewinnen. Warum ist für dich trotzdem richtig, dass sie an den Wahlen teilnimmt?

MARCEL: Wichtig ist, dass die PdA aufzeigen kann, dass sie als einzige Partei einen radikalen Wechsel der Gesellschaft anzubieten hat. Wechsel, der zu tatsächlichen Veränderungen führt. Es ist Aufgabe der PdA den Personen aufzuzeigen, dass es ein alternatives Gesellschaftssystem gibt, dass es auch für sie ein menschenwürdiges Leben ohne tagtägliche Unterdrückung gibt. Immer mehr Familien können sich keine Ferien mehr leisten, deren Kinder ist es verunmöglicht Vorbereitungskurse für Gymnasien zu besuchen.

Die Jugendlichen sehen, dass ihre Freiräume immer mehr eingeengt werden und das Strafrecht als Repressionsinstrument eingesetzt wird. Beispielhaft scheint mir jene Zürcher Gemeinde, die das Jugendhaus schloss und dann gegen die "Jugendgewalt" ein Dorfpolizisten einsetzte.

ROLF: Mit diesen Wahlen überschreiten wir die Grenzen der Gemeinde Bern, auf die wir uns bisher in Wahlkampagnen konzentrierten. Der Gratisversand des Wahlmaterials in über 750.000 Haushalte stellt eine Möglichkeit dar, unsere Positionen im ganzen Kanton publik zu machen. Wir können dabei auch unter Beweis stellen, dass wir uns nicht auf städtische Themen reduzieren lassen, sondern Antworten auf Fragen zur Diskussion stellen, welche die Menschen in Stadt und Land beschäftigen. Unsere Ständeratskandidatur steht ebenfalls unter diesem Vorzeichen. Mit unserem Wahlprogramm brauchen wir uns nicht zu verstecken! Auch wenn wir von den grossen Berner Medien regelrecht geschnitten werden - im Oberland und im Berner Jura werden wir interessanterweise recht fair behandelt. Nach den Wahlen wird es darum gehen, all die Kontakte mit neuen SympathisantInnen und Kontaktpersonen zu vertiefen und die Partei in grösseren und kleineren Städten besser zu verankern.

FRAGE: Welch Rolle und Aufgaben haben KommunistInnen in bürgerlichen Parlamenten?

MARCEL: Alle bürgerlichen Parteien sind mit jenen Waschpulver-Paketen in den Einkaufsläden vergleichbar. Die Konsumentinnen und Konsumenten haben schon lange erkannt, dass sich hinter der unterschiedlich farbenfrohen Verpackung mehr oder weniger das gleiche Pulver befindet. Es ist Pflicht der Kommunistinnen und Kommunisten auch im Parlament aufzuzeigen, dass die angeblich schönsten Kleider des Kaisers nicht anderes als ein Lügengespinst sind. Zum Beispiel wäre im Parlament aufzuzeigen. dass die wichtigen wirtschaftlichen Entscheidungen bis heute entgegen allen Beteuerungen nicht vom Parlament getroffen werden. Es könnte in den Gesetzesberatungen auch aufgezeigt werden, dass von den Gewählten ein Arbeitsgesetz in Kraft gesetzt wurde, dass den Arbeitenden den schlechtesten Kündigungsschutz in ganz Europa gibt, obwohl die Schweiz das reichste Land ist. Transparenz müsste hergestellt werden. Dabei würde für die Bevölkerung erkennbar, dass sich die bürgerlichen Parteien von der aktuellen gesellschaftlichen Basis losgekoppelt haben und zu staatlichen Vereinigungen wurden.

ROLF: Die schnelle Antwort kennen alle: Propaganda für die revolutionäre Sache vom parlamentarischen Rednerpult. Das hat immer noch seine Gültigkeit, auch wenn die Berichterstattung dir diese Rolle ziemlich leicht vermiesen kann. Ein weitere Aspekt scheint mir da etwas verdeckter, jedoch nicht so abhängig von den Medien: Wir können in den Parlamenten unter Beweis stellen, dass die Interessen des Volkes konsequent verfolgt werden können - ohne dass wir uns durch Lobbys und Privilegien korrumpieren lassen. Es kann sich so sogar die etwas paradox anmutende Situation ergeben, dass wir als Kommunistinnen und Kommunisten die einzigen konsequenten VerteidigerInnen der bürgerlich-demokratischen und parlamentarischen Rechte werden. Und einen weiteren Aspekt will ich auch nicht verschweigen: Die parlamentarische Arbeit zwingt uns dazu, Antworten auf Fragen zu entwickeln, denen wir uns sonst wohl kaum so ernsthaft zuwenden würden. Dies führt innerhalb der Partei zu einem Bildungsprozess, der sehr viel mit politischer Verantwortung zu tun hat.

FRAGE: Die PdA ist eine kleine Partei. Was muss sie tun, damit sie in zehn Jahren 5 Prozent der WählerInnenstimmen erreicht? Muss und soll sie das überhaupt anstreben?

MARCEL: Wichtig erscheint mir, dass die ausserparlamentarische Opposition nicht zu Gunsten der Tätigkeiten im Parlament aufgegeben werden darf. Ob in fünf Jahren die Fünfprozent-Marke erreicht werden kann, hängt im wesentlichen an den Genossinnen und Genossen und an der Frage inwieweit es gelingt, die Bevölkerung von den Zielen dieser Partei zu überzeugen. Es muss uns gelingen, die Lohnabhängigen anzusprechen und ihnen darzulegen, dass ohne grundsätzliche Umverteilung der Güter keine Gerechtigkeit erreichbar ist. Die Welt ist aufgrund des Kapitalismus aus den Fugen geraten. Durch den erpresserischen Druck der Finanzakteure, die jeglicher parlamentarischen Kontrolle entzogen sind, werden die Risiken immer bei den Steuerzahlern abgesichert. Demokratie verliert ihren eigentlichen Sinn in einer gesellschaftlichen Ordnung, in der die arbeitenden Leute nicht über ihr Leben selbst mitbestimmen und entscheiden können. Wer dies erkannt hat, wird daran mitwirken, unser Gesellschaftssystem zu verändern.

ROLF: Wir richten uns nicht aus nach Prozenten und Sitzen. Entscheidend ist für uns eine stärkere Verankerung in einer grösseren Zahl sozialer und geografischer Bereiche. Bei dieser Zielsetzung schliessen sich parlamentarische und ausserparlamentarische Aktivitäten überhaupt nicht aus. Wir sind weder in Regierungspolitik noch in andere Macht- und Interessenklüngel verwickelt. Die Interessen der breiten Bevölkerung lassen sich aber auch nicht an Parlamente delegieren. Exemplarisch hat das der Kampf gegen die Atomkraft gezeigt: Nur die direkte Mobilisierung der Bevölkerung, die Verknüpfung unterschiedlicher Widerstandsformen kann die Atomlobby und ihre Lügenbarone stoppen - daran hat sich seit Kaiseraugst nichts Wesentliches geändert. Wenn wir Mühleberg noch in diesem Jahr endgültig stoppen, dann haben wir gemeinsam etwas erreicht, das sich nicht in Wahlprozenten rechnen lässt. Dann haben wir gemeinsam einen neuen Kampfzyklus eröffnet, der nicht mit Mühleberg endet. Und nicht mit der Atomfrage. Denn dann werden wir nicht ruhen!

FRAGE: Rolf, du bist nun seit fünf Jahren im Berner Stadtrat. Welche Bilanz ziehst du? Und was hat dein Sitz der PdA Bern für Vorteile gebracht?

ROLF: Seit 2007 sitze ich im Berner Stadtparlament. Am Ende meines ersten Jahres gab es im Rat verschiedene Vorstösse, um mich nach dem verhinderten "Marsch auf Bern" der SVP aus dem Berner Stadtrat zu schmeissen. Und genau in diese Zeit fiel auch die Auseinandersetzung um die 560.000 Franken an die Fussball-Euro 08. Obschon wir diesen Kredit im 80köpfigen Rat nur zu dritt ablehnten, scheiterte unser Referendum nur äusserst knapp. Das zeigte uns, dass wir offensichtlich doch nicht einfach an den Leuten vorbeipolitisierten. Dass wir im Stadtrat mit eigenen Vorstössen mehrheitsfähig werden könnten - das liessen wir uns damals allerdings nicht träumen. Das geschah dann mit den PdA-Motionen "Musikunterricht für alle" und "Mühleberg stilllegen - und zwar sofort!". Letztere verpflichtete im vergangenen Frühjahr die Berner Stadtregierung darauf, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um das Atomkraftwerk sofort aus dem Verkehr zu ziehen. Die Räumung des Anti-AKW-Camps vor den BKW zeigte dann jedoch auch auf, wie stark wir uns auf parlamentarische Mehrheitsentscheide und rot-grün dominierte Regierungen verlassen können. Das war ein ganz konkreter Lernprozess. Und immer klingen da natürlich auch Bertolt Brechts Verse an die Nachgeborenen nach: "Ich vermochte nur wenig. Aber die Herrschenden / Sassen ohne mich sicherer, das hoffte ich."


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 35/36 2011 - 67. Jahrgang - 7. Oktober 2011, S. 3
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Oktober 2011