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VORWÄRTS/741: 3. Marsch der Sans-Papiers - "Also, ich wäre dafür!"


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.23/24 2011 vom 24. Juni 2011

"Also, ich wäre dafür!"

Von Johannes Supe


Am Samstag, dem 18. Juni fand der "3. Marsch der Sans-Papiers" in Basel statt. Unter dem Motto "Schluss mit der Heuchelei!" sammelten sich gut 200 Menschen, um die Regularisierung der Papierlosen zu fordern.


Es gab eine subjektive Notwendigkeit für den "3. Marsch der Sans-Papiers": Da war ein Mann, nicht ganz ordentlich, nicht ganz rasiert, etwas heruntergekommen und prinzipiell sympathisch. Doch dann fing er an zu reden, laut vor sich hin und zwar über die "Wirtschaftsflüchtlinge", darüber, dass die "die eine Berechtigung hätten, aus ihren Ländern zu fliehen, das nicht können" und also die Sans-Papiers, die hier sind, doch nur "des Geldes wegen da" sind. Und das weiss er natürlich, denn er "war doch selbst mal in Libyen". Es entsteht eine lautstarke Auseinandersetzung mit einigen DemonstrantInnen. Der Mann geht. Ein Mann, der für Tausende stehen dürfte die Demonstration richtete sich genau an ihn.


Erlebnisse eines Sans-Papiers

Es waren gut 200 Menschen, die meisten UnterstützerInnen aber auch einige Sans-Papiers, welche die Demonstration bildeten. Von der Wiese des Schützenmattparks, wo zu Beginn ein kleines Konzert gegeben wurde, zog man zur Kirche am Claraplatz. Dabei bewegte sich der Demonstrationszug mitten durch die Innenstadt. Mit Parolen, mit Gesang - "Kein Mensch ist illegal!" - machte man auf sich aufmerksam. Es verging keine stille Minute, die beiden Hauptanliegen, sofortiger Stopp der Ausschaffungen und kollektive Regularisierung der Sans-Papiers, wurden allzeit genannt.

Es sprachen nicht nur die OrganisatorInnen vom "Bleiberecht". Auch die Sans-Papiers selbst meldeten sich zu Wort: "Ich kam vor 15 Jahren mit meiner Familie aus Ecuador. Ich war arbeitslos und habe für mich und meine Familie in Ecuador keine Zukunft gesehen. Ich kam in die Schweiz. Nach fünf Jahren kamen wir in eine Polizeikontrolle. Man wollte uns ausweisen. Die Schweiz zu verlassen, das kam nicht in Frage, denn die Schweiz war unsere Heimat geworden. Also suchten wir uns Unterstützung in der Sans-Papiers-Bewegung. Wir besetzten eine Kirche und die Reaktionen aus der Bevölkerung waren sehr positiv. Nach einem langen, langen Kampf haben wir endlich gewonnen und eine Aufenthaltsbewilligung bekommen. Ich bin stolz, dass meine Kinder auch Papiere haben. Aber viele haben nicht so viel Glück gehabt wie wir. Allein in Basel gibt es 10.000 Sans-Papiers. Deshalb kämpfen wir. Wir kämpfen für Papiere für alle!"


Objektive Notwendigkeit

Auf den zwei Kundgebungen wurden Fakten genannt: Da leben 100.000 Sans-Papiers in der Schweiz, allein 10.000 in Basel. Von ihnen allen wurden lächerliche 1.400 durch Härtefallgesuche "regularisiert"; eine Quote von weniger als 2 Prozent spricht für sich. Da leisten die Sans-Papiers Tausende Stunden an gesellschaftlich notwendiger Arbeit, hüten Kinder, sind beim Bau. Sie sind kriminalisiert, sie haben keine Arbeitsbewilligung und das macht es möglich, sie mit lächerlichen Löhnen abzuspeisen. "Vielen Ländern ist dieser Widerspruch sehr angenehm" - und das kam nicht mal von sozialistischer Seite. Hören konnte man auch, wie Anträge "vergessen oder verloren" gegangen sind: "Seit 2005 haben wir in Basel eine rot-grüne Regierung. Das hat mich anfangs optimistisch gestimmt, aber nun bin ich ernüchtert." Weil nichts geschehen ist. Weil es immer wieder des Drucks der Strasse bedarf.


Reaktionen

Hoffnungsvoll stimmt die Meinung der Unbedarften. Die Reaktionen der PassantInnen waren nicht negativ, man schwankte wohl zwischen Verwunderung und Unwissen. Zwei junge Frauen, durch die Demo zum ersten Mal auf das Problem aufmerksam geworden, meinten zur Frage der Regularisierung: "Also, ich wäre dafür. Wenn sie hier arbeiten wollen, dann bin ich dafür." Das ist das positive Fazit des Tages: Es lässt einen glauben an "eine offene Schweiz, in der alle ohne Furcht vor Ausschaffung leben können".


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 23/24 2011 - 67. Jahrgang - 24. Juni 2011, S. 3
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juli 2011