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VORWÄRTS/738: Wie einst der Pariser Mai 1968?


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.21/22/2011 vom 10. Juni 2011

Wie einst der Pariser Mai 1968?

Von der Redaktion


Von der Presse totgeschwiegen fanden von London über Prag bis nach Südamerika Solidaritätskundgebungen für die "Bewegung 15. Mai" statt. Die Ereignisse in Spanien können und sollten in einen globalen Widerstand gestellt werden. Es gibt Gemeinsamkeiten wie das Hinterfragen des Status quo und das Erproben neuer Gesellschaftsmodelle.


Die Protestbewegung hat mittlerweile die Grenzen von Spanien überschritten und ist in anderen Ländern angekommen. In Griechenland demonstrierten am 25. Mai etwa 100.000 Menschen auf dem "Syntagma Platz" beim Parlament in Athen und hielten eine grosse Versammlung ab. Die Medien spielten die Zahl der TeilnehmerInnen massiv herunter, sofern sie überhaupt über die Massendemonstration berichteten. Die Volksversammlung vom "Syntagma Platz" stellt in einer Erklärung vom 28. Mai fest: "Wir werden die Plätze nicht verlassen, bis diejenigen zuerst gehen, die uns hierher gebracht haben", womit alle gemeint sind, "die uns ausbeuten". Ein paar Stimmen von DemoteilnehmerInnen am "Syntagma Platz": "Die Menschen, jede und jeder von uns, die ohne Angst diskutieren, so befällt und kriecht die Furcht in sie hinein, dort oben, im Parlamentsgebäude", "Das System begünstigt wenige und unterdrückt viele. Wir müssen Diskussionen und Versammlungen in jeder Nachbarschaft abhalten", "Heute Nacht, auf dem Syntagma Platz, fühle ich mich glücklich. Lasst uns damit beginnen, dass wir unsere Fernseher abschalten. Und lasst uns damit beginnen, uns zu koordinieren". Nachdem die bisherigen Proteste in Griechenland von Parteien und Gewerkschaften organisiert wurden, sind die nach spanischem Vorbild durchgeführten Aktionen für Griechenland etwas Neues. Solidaritätskundgebungen fanden in zahlreichen, weiteren Städten auf der Welt statt, so etwa in London, Prag, Brüssel, Berlin, Amsterdam, Buenos Aires, Bogotá, Rabat und Budapest.

Und selbst in Österreich hat die Bewegung der "Indignadas" erste Lebenszeichen von sich gegeben. Kundgebungen in Solidarität mit der spanischen Protestbewegung, die von AuslandsspanierInnen organisiert wurden und an denen über 100 Menschen teilnahmen, fanden am 21. Mai bei der spanischen Botschaft in Wien und am 22. Mai am Stephansplatz statt. Im Zuge der Kundgebung bei der Botschaft fand auch eine Versammlung auf der Strasse statt, bei der die DemoteilnehmerInnen eine Diskussion begannen. Am 22. Mai versammelten sich etwa 100 Personen auf dem Hauptplatz in Graz, um auf die Situation in Spanien hinzuweisen. Die DemonstrantInnen entschieden sich, auf dem Platz zu übernachten, wurden jedoch am nächsten Morgen von der Polizei vertrieben.


Eine neue Perspektive

Während bürgerliche Medien zunächst zu den Protesten in Spanien gänzlich geschwiegen haben, versuchten sie schliesslich die Ereignisse als rein spanisches Phänomen klein zu reden. Man könnte nun mit dem Hinweis auf verschiedene Entwicklungen kontern, welche die "Spanische Revolution" der "Empörten" begünstigt und vielleicht auch vorweggenommen haben und die dagegen sprechen, die Vorfälle als isolierte spanische Angelegenheit zu vereinfachen. Als Eckpunkte wären an dieser Stelle die Rebellion der Zapatistas in Chiapas, die Antiglobalisierungsbewegung und der Aufstand in Argentinien vom Dezember 2001 zu erwähnen. Diesen Prozessen gemeinsam ist nicht nur das Hinterfragen des Status-quo und die Perspektive einer "anderen Welt", sondern auch die theoretische Diskussion und praktische Erprobung alternativer gesellschaftlicher und basisdemokratischer Modelle. Dazu gehören die zapatistischen autonomen Kommunen in Mexiko genauso wie die Zusammenkünfte auf dem "World Social Forum" und die Stadtteilversammlungen, die im Verlauf der argentinischen Revolte entstanden sind. Genauso zählen dazu die vielen auf der Welt verstreuten lokalen Initiativen von Menschen und sozialen Basisbewegungen, die sich für Autonomie, soziale Gerechtigkeit und direkte Demokratie engagieren - und jetzt reihen sich auch die Versammlungen auf den Plätzen der spanischen und griechischen Städte unter dem Stichwort "Democracia Real Ya!" in diese aufmüpfige Welle ein. Ein duftendes Mailüftlein liegt in der Luft - wird der Madrider Mai 2011 Geschichte schreiben wie der Pariser Mai 1968?

Quelle: echte-demokratie-jetzt.de; indymedia.ch, kommunisten.ch


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 21/22/2011 - 67. Jahrgang - 10. Juni 2011,
Extrabeilage der Empörten, S. 8
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juni 2011