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VORWÄRTS/658: Auf deiner Festplatte klebt Blut


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 22/23/2010 vom 11. Juni 2010

INTERNATIONAL
Auf deiner Festplatte klebt Blut


mgb. Foxconn ist der grösste Hersteller von Computerhardware weltweit. In den vergangenen Wochen erhielt der taiwanesische Multi allerdings wegen einer wesentlich traurigeren "Leistung" öffentliche Aufmerksamkeit. Am Hauptproduktionsstandort Shenzen nahmen sich seit anfangs Jahr zwölf Angestellte das Leben.


Foxconn gehört zu jenen Unternehmen, bei denen die Verbreitung ihrer Produkte den Bekanntheitsgrad der Firma übersteigen. Viele im reichen Westen haben ein Foxconn-Produkt zu Hause, die wenigsten wissen davon. Der Multi stellt unter anderem das iPhone, den iPod und diverse andere Apple-Produkte, Videospielkonsolen (wie die X-Box 360, die Playstation3 und der Nintendo Wii), sowie verschiedene Computer und Computerkomponenten von HP und Dell her. Dies macht das Unternehmen des taiwanesischen Multimilliardärs Terry Guo zum weltweit grössten Hersteller von Computerhardware.

Der Computer-Multi mag zwar in Taiwan sesshaft sein, Hauptproduktionsstandort ist jedoch Festlandchina mit seiner immensen Reservearmee an günstigen Arbeitskräften. In Shenzen unterhält Foxconn eine Firma von der Grösse der Stadt Zürich: 300.000 Arbeiterinnen und Arbeiter stellen dort "Spielzeug" für pubertierende Computerfreaks und ihre midlifekriselnden Eltern her. Die Produktionsstätte gleicht einer eigentlichen Stadt in der Stadt, mit eigenen Strassen, eigenen Läden, einem eigenen Kino, eigenen Unterkünften für die Angestellten - sowie eigenen Stadtmauern und eigenem Sicherheitspersonal, welche das Gelände hermetisch abriegelt.


Selbstmordserie

In den vergangenen Wochen rückte ein trauriger Fakt diesen Mammutbetrieb in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit: Seit anfangs 2010 gab es bereits 16 Selbstmordversuche von Foxconn-Angestellten auf dem Firmengelände. Allesamt waren sie noch sehr jung, zwischen 18 und 25 Jahren alt. Bloss vier von ihnen überlebten. Die meisten beendeten ihr Leben, indem sie von einem der höheren Firmengebäuden sprangen. Daneben wurden 20 weitere Fälle von Suizidversuchen bekannt, die jedoch noch rechtzeitig von anderen Angestellten oder dem Sicherheitsdienst vereitelt werden konnten.

Diese Serie warf ein ungutes Licht auf das Unternehmen. Guo sah sich genötigt, Ende Mai höchstpersönlich vor Ort nach dem Rechten zu sehen. Mit einem Tross handverlesener Journalistinnen und Journalisten im Schlepptau inspizierte er das Firmengelände, das für Medienschaffende zuvor stets eine verbotene Stadt war. Öffentlichkeitswirksam beaufsichtigte er die Installation von Sicherheitsnetzen unter den Gebäuden, die den Sturz künftiger SelbstmörderInnen bremsen sollen. In einem Atemzug verkündete er dabei, dass er einerseits mehr Beratungspersonal anheuern möchte, um das Arbeitsklima zu verbessern, dass aber andererseits die Selbstmorde in keinster Weise mit dem Betriebsklima zusammenhängen würden. Vielmehr seien es private Probleme, welche diese jungen Menschen in den Tod getrieben habe. Um dies zu rechtfertigen, versteckte er sich hinter Statistiken. Die Zahl von zwölf Selbsttötungen sei angesichts der Suizidraten in China und der Anzahl in Shenzen Beschäftigten "innerhalb des normalen Bereiches". (Die WHO geht in China von einer Rate von 14 Selbstmorden auf 100.000 Einwohnende aus, was im internationalen Vergleich sehr hoch ist.)


Moderne Sklaven

Schaut man sich die Aussagen ehemaliger Angestellter über die Arbeitsbedingungen bei Foxconn an, kommen einem berechtigte Zweifel ob dieser Interpretation. So beträgt der Einstiegslohn bei Foxconn gerade mal 900 Yen (150 Franken) pro Monat. Verglichen mit anderen Arbeitgebern in Shenzen ist dies eher wenig. Dennoch heuern viele WanderarbeiterInnen aus den verarmten ländlichen Regionen Chinas bei Foxconn an. Viele von ihnen haben eine Familie zu versorgen und müssen deshalb schnell viel Geld verdienen können. Die Chance, sich durch Überstunden was dazu zu verdienen, macht das Unternehmen für diese Menschen attraktiv.

Wesentlich schlimmer als die materielle Ausbeutung scheint die totale Kontrolle, der sich die Angestellten praktisch während 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche ausgesetzt sehen. Die Firma verfügt über ein perfide ausgeklügeltes Disziplinierungssystem. Wer zu spät zur Arbeit erscheint oder während der Arbeit mit anderen Mitarbeitenden redet, kann mit Bussen von bis zu 100 Yen bestraft werden. Wenn die finanziellen Anreize für Überstunden nicht genügen, so zwingt Foxconn seine Angestellten schlichtweg dazu. 18-Stunden-Arbeitstage - und das an sechs bis sieben Tagen der Woche - sind eher die Regel, denn die Ausnahme.

Ihre knapp bemessene Freizeit verbringen die Angestellten hauptsächlich, in ihrer Wohnbaracke. Sich mit den anderen Mitarbeitenden unterhalten, können sie auch hier kaum. Foxconn legt Wert darauf, Menschen aus möglichst verschiedenen Regionen Chinas und mit möglichst verschiedenen Sprachen und Dialekten miteinander einzuquartieren. Denn die Firma hat Angst, dass es sonst zu Absprachen zwischen den Arbeitenden über Streiks oder andere Formen des Widerstandes käme. Wie die konservative britische Zeitung "The Daily Telegraph" am 27. Mai berichtete, bestätigte ein chinesisches Untersuchungsteam viele dieser Vorwürfe. Junge WanderarbeiterInnen, die sich durch äussere Umstände gezwungen sehen, bei Foxconn zu arbeiten, finden sich also weit weg von zu Hause und ohne jede Bezugsperson in einem stressigen Job. Die knappe Freizeit, die ihnen bleibt, verbringen sie in einer Baracke mit wildfremden Menschen, die sie nicht verstehen können. - Selbstmord aufgrund rein privater Probleme?


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 22/23/2010 - 66. Jahrgang - 11. Juni 2010, S. 5
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juli 2010