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VORWÄRTS/644: Verblaßte Glorie der feministischen Presse?


vorwärts - die sozialistische zeitung, 1.-Mai-Ausgabe vom 29.04.2010

Verblasste Glorie der feministischen Presse?

Von Silvia Nyffenegger


Der autonome Feminismus hat einige seiner Presseerzeugnisse verloren. Es mangelt an Geld und freiwilligem Engagement. Doch die Vielfalt neuer Fachzeitschriften weist still darauf hin, dass der autonome Feminismus zum Teil überholt ist und schlank weiter existiert.


Simone de Beauvoir hat das Geschlecht des Körpers zum Objekt ihrer geisteswissenschaftlichen Analyse gemacht. Mit ihrem Werk "Das andere Geschlecht" machte die Philosophin Furore. 1981 gründete de Beauvoir zusammen mit vier Mitstreiterinnen die "Nouvelles Questions Féministes", ein französisch-schweizerisches Periodikum, welches auch heute theoretische und politische Standpunkte der feministischen Bewegungen vertritt. De Beauvoirs Errungenschaft ist die Weiterentwicklung von Friedrich Hegels Konzept des Menschen. Ihr Denken begreift den Mann als Subjekt und die Frau als das Andere. Aus deren ungleichen Wertigkeit ergibt sich eine ausbeuterische Beziehung. So die These der radikalen Feministin. Sie lebte von 1908 bis 1986.


Die Basis schmilzt dahin

De Beauvoir kam rechtzeitig zum Beginn der neuen - autonomen - Frauenbewegung. Im Lauf der 68er-Bewegung und den 70er-Jahren bildeten sich in der Schweiz wie in anderen westlichen Ländern autonome Frauengruppierungen. Unabhängige Presseerzeugnisse und Mitgliederzeitschriften wurden gegründet. Die feministische Presse, in der Regel in Form von Abonnementzeitschriften, entstand.

Manches autonome Presseerzeugnis hat seinen Zenit überschritten. Das zeigt eine Übersicht über einige autonome feministische Zeitschriften. Diese Blätter können kaum mehr existieren. Dabei sind sich die Schliessungsgeschichten ähnlich: Für die "emanzipation. Feministische Zeitschrift für kritische Frauen" ging es zu Lebzeiten darum, "all das sichtbar zu machen, was ohne feministische Perspektive daherkam". Die Zeitschrift war 1977 aus der "OFRA Organisation für die Sache der Frau" entstanden. Die Redaktion der EMI, der "emanzipation", schreibt im Dezember 1996, dass die Budgetdefizite und fehlende Abonnemente das Weitermachen verunmöglichen. Tiefgründiger war das ursprüngliche "Kampfblatt", eine "Zeitschrift ohne Bewegung", geworden. Diese Letztere hatte sich zersplittert und vielfältigen neuen feministischen Themen zugewandt. Die Redaktion verjüngte sich zudem, ohne dass EMI eine jüngere Leserinnenschaft gewann. Zum Schluss schwebte EMI ohne ihre Basisorganisation OFRA und ohne Verlag im freien Raum. Die Zeitschrift "musste ins Gras beissen", wie die Redaktion schreibt. Heute lagern die Hefte der "emanzipation" sowie die vier folgenden Zeitschriften im Gosteli-Archiv in Worblaufen, Bern.


Mehr Zeitschriftensterben

Bei vier anderen Zeitschriften sind die Gründe der Schliessung ähnlich. "NORA. Die Frau in Leben und Arbeit" publizierte ihre Abonnement-Hefte seit den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Über 70 Jahre vergingen bis zur Schliessung im September 2000. Ursache waren die hohen Produktionskosten.

Die Mitarbeiterinnen von "FRIDA. Frauen Info die Agenda" verabschieden sich im März 2007. Für Frauen gab es ab diesem Zeitpunkt keine "Veranstaltungs-Hinweise für den Raum Winterthur, Zürich und die Ostschweiz" mehr.

Die Frauenzeitung FRAZ, Nachfolgerin der 1975 gegründeten Fraue-Zitig, teilt ihren Leserinnen im Oktober 2009 mit, dass Geldnot und der Mangel an neuen Mitarbeiterinnen zur Schliessung geführt haben.

Eine zweite Zeitschrift aus der ersten Frauenbewegung - ein Mitgliederblatt - ging im Jahr 2002 über hundertjährig unter. "Die Staatsbürgerin" stellte ihr Erscheinen ein, weil die Mitglieder starben, der finanzielle Engpass und das Desinteresse junger Frauen weitere Ausgaben des Hefts nicht mehr rechtfertigten. Die erste Frauenrechtswelle hatte die Gesellschaft um den Jahrhundertwechsel Ende des 19. und anfangs des 20. Jahrhunderts erfasst.


Institutionalisierung im Feminismus

Allein aufgrund der eingegangenen fünf Hefte von einem Zeitschriftensterben zu sprechen, ist nur bedingt richtig. Seit 1990 kristallisiert sich eine neue feministische Welle um das Thema der Menschenrechte. Diese neue Strömung steht im direkten Zusammenhang mit den UNO-Weltfrauenkonferenzen. Claudia Michel, Menschenrechtsforscherin und Autorin einer Studie über die Schweizer Frauenorganisationen von 1990 bis 2005, sagt, dass sich der heutige Feminismus in der Professionalität engagierter Berufsfrauen äussert. Zudem habe sich der Feminismus ausdifferenziert, einzelne Themen herausgebildet, wie beispielsweise die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, der Feminismus und die Musik, Männer und Feminismus. Anstelle von autonomen Zeitschriften haben sich Fachpublikationen herausgebildet. Ähnliches gilt auch für die Zeitschriften der akademischen Gender Studies.

Angesichts solcher Verlagerungen kann von einer Professionalisierung und Akademisierung im Feminismus gesprochen werden, in Koexistenz mit einer abgespeckten autonomen Bewegung. Schade nur, dass eine neue autonome feministische Zeitschrift in der Schweiz nicht zu finden ist. Der Ruhm der feministischen Blätter ist doch etwas verblasst.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
1.-Mai-Ausgabe (Beilage) - 66. Jahrgang - 29. April 2010, S. 16
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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vorwärts erscheint 14-täglich,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Mai 2010