Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

VORWÄRTS/634: Keine Spaltung zwischen "Schweizern" und "Ausländern"!


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 13/14/15/2010 vom 3. April 10

Keine Spaltung zwischen "Schweizern" und "Ausländern"!


luk. Der Gegenvorschlag unterscheidet sich von der ursprünglichen Ausschaffungsinitiative der SVP nicht gross. Wie kann es dazu kommen, dass ausländerfeindliche Kampagnen nicht nur von rechten Kräften lanciert, sondern von allen Bürgerlichen mitgetragen und von einem grossen Teil der einheimischen Bevölkerung unterstützt werden?


Am 18. März hat der Ständerat einen direkten Gegenvorschlag zur Ausschaffungsinitiative der Schweizerischen Volkspartei (SVP) beschlossen. Einen Gegenvorschlag, bei dem man sich fragen kann, was denn überhaupt der Unterschied zur SVP-Initiative ist: Sowohl der Gegenvorschlag als auch die Initiative verlangen, die Ausschaffung von Menschen, welche nicht im Besitz der Schweizer Staatsangehörigkeit sind und "kriminell" werden, in der Verfassung festzuschreiben. Beide setzen dabei die Gründe, welche jeweils zur Ausschaffung führen, schon bei geringfügigen Straftaten an. Beide sehen schon Sozialbetrug als Grund für die Ausschaffung.

Die Unterschiede hingegen sind klein: Der Gegenvorschlag verlangt, dass das Völkerrecht und die Grundrechte beachtet werden müssten. Wobei man sagen muss, dass dies eigentlich schon heute der Fall sein sollte, dies augenscheinlich jedoch nicht der Fall ist (siehe Artikel Seite 1) (*). Ebenfalls mahnt der Gegenvorschlag die AusländerInnen zur Integration und verpflichtet die Behörden, ihre Integration zu fördern.

Mit der Verschärfung der Bestimmungen zu den AusländerInnen in der Verfassung wird verfestigt, was in der Schweiz gelebte Realität ist: Menschen, welche nicht den Schweizer Pass besitzen, sind Menschen zweiter Klasse, unterscheiden sich von den Schweizerbürgern in ihren Rechten und Pflichten, sind höchstens tolerierte "Gäste". Verstossen sie gegen Gesetz, bekommen sie nicht nur die staatliche Repression zu spüren, sie werden womöglich ausgeschafft. Sie haben kein garantiertes Recht auf Aufenthalt und sie haben keine politischen Rechte. Im öffentlichen Leben sind sie Diskriminierungen ausgesetzt, sei es durch Hetze von politischen Kräften, sei es auf der Arbeitsstellen- oder Wohnungssuche, sei es durch tendenziöse Berichterstattung in den Medien, sei es im Alltagsleben im Umgang mit "Einheimischen".


Arbeitskräfte, keine Menschen

Für die Kapitalbesitzenden stellen MigrantInnen willkommene Produktivkräfte dar: In Zeiten des innerkapitalistischen Aufschwungs werden neue Arbeitskräfte benötigt, damit profitable zu schaffende Arbeitsplätze besetzt werden können. Die Arbeitskräfte dafür muss man sich im Ausland holen, weil im Inland zu wenige verfügbar sind. MigrantInnen sind zudem viel eher als die Einheimischen bereit, schlecht bezahlte oder schwere Arbeit zu leisten.

Die Widersprüche, welche die Migration mit sich bringt, treten jedoch dann offen zu Tage, wenn sie als Arbeitskräfte nicht mehr benötigt werden. Viele MigrantInnen und ihre Kinder finden so keine Arbeit, haben keine Perspektive. Daraus können Elend und soziale Spannungen mit all ihren Nebenfolgen entstehen. Was dann natürlich überhaupt nicht im Interesse der herrschenden Klasse liegt. Regulierend kann sie aber nur schwer auf die Migration einwirken, weil sie ja nicht vorhersehen können, wann sie neue Arbeitskräfte brauchen und wann nicht. Also beschränken sie sich darauf, die ungewollte Zuwanderung zu beschränken (illegale und asylbedingte Migration) sowie die Rückschaffung derjenigen AusländerInnen zu ermöglichen, welche den Anforderungen als Arbeitskraft nicht entsprechen - zum Beispiel, weil sie straffällig wurden oder dem Staat Geld kosten. Letzteres wird eben durch die Ausschaffungsinitiative und ihren Gegenvorschlag bezweckt.


Spaltung der Arbeitenden

Grundsätzlich ist es so, dass die ArbeiterInnen auf der ganzen Welt die gleichen Interessen haben: in einer Welt zu leben, in welcher sie und nicht einzelne Kapitalbesitzer über die gesellschaftlichen Mittel verfügen. Dies wird jedoch dadurch torpediert, dass MigrantInnen in gewisser Weise eine Konkurrenz auf dem kapitalistischen Arbeitsmarkt zu ihnen darstellen, so wie natürlich jeder Arbeiter im Kapitalismus in gewisser Weise seinem Nächsten ein Konkurrent ist. Doch der kleinbürgerliche Geist der einheimischen Proletarier scheint zu überwiegen: Sie stellen ihren eigenen kleinen Profit, den sie sich auf dem Arbeitsmarkt und anderswo ergattern, wenn sie sich strukturell besser als AusländerInnen stellen, höher als das gemeinsame, eigentlich überwiegende Interesse aller Arbeitnehmenden. Damit sind die Arbeitnehmenden gespalten und ein grosser Teil ihrer Kampfkraft ist verloren.


Rassistischer Konsens

Aus den realen Interessen der Kapitalbesitzenden und dem kleinbürgerlichen Bewusstsein inländischer Proletarier ergibt sich ein rassistischer Konsens. Beide haben das Interesse, AusländerInnen als Menschen zweiter Klasse zu sehen. Die Bürgerlichen, weil es ihren ökonomischen Bedürfnissen entspricht, die Arbeitnehmenden, weil sie im Niedrighalten der MigrantInnen ihren eigenen, kleinen ökonomischen Vorteil wittern.

So arbeiten die beiden eigentlich gegensätzlichen Seiten auf eine eigentümliche Weise zusammen, wenn es um die Beschneidung der Rechte von MigrantInnen geht: Tatsächlich hat dies zu einem Ja einer Mehrheit der stimmenden SchweizerInnen zu einer Verschärfung des Asylgesetzes oder zum Minarettverbot geführt. Es wird wahrscheinlich auch zu einem Ja zur Ausschaffungsinitiative oder mindestens seinem ebenfalls krassen Gegenvorschlag führen.

Doch Wahlen und Abstimmungen spiegeln nicht die tatsächlichen Interessen der Stimmenden wieder, sondern ihr momentanes. Dieses ist im Moment derart von kleinbürgerlichem Denken, von einem rassistischen Konsens durchdrungen, dass irgendeine Übereinstimmung mit der Realität, mit den tatsächlichen Interessen der Arbeitnehmenden fehlt. Und da gilt es aufzuzeigen - und das kann man nicht im Abstimmungsbüro oder Parlament -, dass die Grenze nicht zwischen den Völkern oder Nationen, sondern eben zwischen oben und unten verläuft. Dass Zusammenhalten und gemeinsam Kämpfen schlussendlich viel mehr nützt als sich gegenseitig und vor allem den MigrantInnen oder anderen Minderheiten auf den Deckel zu geben.


*


Ausschaffung

Ab wann wird ein Ausländer weggewiesen? Die SVP-Initiative verlangt, dass bei schweren Sexual- und Gewaltdelikten sowie bei Einbruchsdelikten die Wegweisung erfolgt. Auch wer "missbräuchlich" Sozialleistungen bezogen hat, verliert das Aufenthaltsrecht. Man bedenke, dass dabei schon ausgewiesen wird, wer in einen leerstehenden Gartenschuppen einbricht und eine herumstehende Flasche Bier mitgehen lässt. Oder wer sozialhilfeabhängig ist und dabei falsche Angaben macht, auch wenn der erschlichene Betrag nur 50 Franken beträgt.

Der Gegenvorschlag verlangt die Wegweisung bei schweren Delikten oder mehreren kleinen Delikten. Bemerkenswert ist, dass ausgewiesen wird, wer ein schweres Delikt überhaupt begangen hat, unabhängig davon, ob er dafür nun aufgrund schuldmildernder Umstände eine Geldstrafe, keine Strafe oder eine zehnjährige Haftstrafe bekommt.

Die beiden Vorschläge finden auf alle Ausländer Anwendung: auf Asylbewerber, auf Arbeitsmigranten, auf Jugendliche, Schwerkranke, und auch auf solche, welche hier geboren wurden und schon 40 Jahre in der Schweiz leben.


(*) Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Im Schattenblick finden Sie den oben genannten Artikel unter:
SCHATTENBLICK -> INFOPOOL -> MEDIEN -> ALTERNATIV-PRESSE
VORWÄRTS/633: Ausschaffen - um jeden Preis


*


Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 13/14/15/2010 - 66. Jahrgang - 3. April 2010, S. 3
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: Vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77, Fax: 0041-(0)44/242 08 58
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch

vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) 110.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. April 2010