Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

VORWÄRTS/633: Ausschaffen - um jeden Preis!


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 13/14/15/2010 vom 3. April 10

Ausschaffen - um jeden Preis!


mic. Am 17. März sollte ein geleaster Jet von "Hello" mit 16 Afrikanern an Bord nach Nigeria starten. Vor Ort in Kloten ist auch Alard du Bois-Reymond, der neue Chef des Bundesamts für Migration (BFM). Er will sich ein eigenes Bild über einen dieser teuren Sonderflüge machen. Das Gebotene wird ihm nicht gefallen haben.


Zürcher Kantonspolizisten fesseln gewaltsam einen 29-jährigen Nigerianer. Er wehrt sich. Er will um keinen Preis dorthin zurück, wo er hergekommen ist. Er muss geschrien und gefleht haben. Die Polizisten fesseln mit Gewalt seine Hände, legen ihm Fuss- und Kniefesseln an, befestigen seine Arme an einem Bauchgurt und setzen ihm einen Helm auf. Am Werk sind Zürcher Polizisten. Sie sind routiniert, haben Erfahrung im Fesseln und eine spezielle Schulung für Sonderflüge. Sie sind zuständig, dass die Ausschaffungshäftlinge sachgerecht zu einem "Päckli" verschnürt werden, wie es im Fachjargon so schön heisst. Ein Paket wird dieses Mal jedoch nicht ausgeliefert werden. Der Mann, der zum "Päckli" geschnürt werden soll, stirbt, wird getötet!


Seit Wochen im Hungerstreik

Brisant ist, dass der getötete Nigerianer offenbar schon seit mindestens drei Wochen - und nicht nur einige Tage, wie es die Behörden behaupten - im Hungerstreik war. Das sagen mehrere Mithäftlinge des Verstorbenen und unabhängige Quellen. Trotzdem wurde er vom zuständigen Arzt für transportfähig befunden. Bestätigt wird seitens der Kantonspolizei, dass der Getötete während der Vorbereitung für den Sonderflug und bei der zwangsweisen Fesselung ums Leben kam. Es muss also befürchtet werden, dass der Nigerianer durch brachiale Gewalt seitens der Beamten zu Tode kam. "Angesichts der Zustände und der Art und Weise, wie die Betroffenen minutiös verschnürt und misshandelt werden, ist es ein Wunder, dass es nicht schon viel früher den nächsten Toten gegeben hat", hält Christoph Hugenschmidt, Sprecher der Menschenrechtsgruppe "augenauf" fest. Der 29-jährige Tote, über dessen Identität noch gerätselt wird, ist der dritte Mensch in der Schweiz, der in den letzten Jahren bei einer Zwangsausschaffung ums Leben kam. Im März 1999 erstickte der Palästinenser Khaled Abuzarifa auf einen Rollstuhl gefesselt und mit Gaffa-Tape verklebtem Mund jämmerlich. Und zwei Jahre später starb in Sinn der Nigerianer Samson Chukwu während einer Zwangsausschaffung. Als Reaktion auf die beiden Todesfälle wurde schliesslich das so genannte Zwangsanwendungsgesetz eingeführt. Zwar sind gemäss dem Gesetz allerlei denkbare Formen von Gewalt - von bissigen Hunden bis hin zur Folterung mit Elektroschockern - erlaubt, jedoch sind jegliche Formen von Gewaltanwendungen, welche die Atmung behindern könnten, ausdrücklich verboten. Trotzdem deutet einiges erneut auf einen "plötzlichen Erstickungstod" hin, auch wenn die Ergebnisse der Obduktion des Institutes für Rechtsmedizin noch Wochen, wenn nicht Monate, auf sich warten lassen werden.


Rassistische Stimmungsmache

Und wie sooft setzen die Behörden alles daran, den Fall zu vertuschen und den Verstorbenen zu verunglimpfen. Im gleichen Atemzug, wo die Behörden ihre Betroffenheit über den "tragischen Todesfall" äussern, wird suggeriert, dass der Verstorbene ein Dealer und "wegen Drogenhandels verzeichnet" war. Was immer das heissen mag, aber offensichtlich wurde der 29-jährige nie rechtskräftig verurteilt. Hugenschmidt von "augenauf" kritisiert die Informationspolitik der Behörden scharf: "Das Vorgehen der Kapo und des BFM zeigt einmal mehr auf, wie man gezielt ein Opfer zum Täter macht, um damit den gewaltsamen Tod eines afrikanischen Flüchtlings in den Hintergrund zu verdrängen. Und das Schweizer Fernsehen spielt brav mit. In einem unsäglichen Rundschau-Bericht nur ein paar Tage später wird etwa nicht über die tödliche Ausschaffung selbst berichtet, sondern über einen chaotischen Ausschaffungscharter, der medial schon mehrfach breitgetreten wurde und im vergangenen Herbst passierte. Damals eskalierte die Situation nach der Landung in Nigeria und 63 schweizer Polizisten mussten vor 27 aufgebrachten und misshandelten Nigerianern aus dem Flugzeug fliehen. Kein Wort im Schweizer Fernsehen über die Torturen, Qualen, Todesängste und Erniedrigungen, die die Ausschaffungshäftlinge während Stunden über sich ergehen lassen mussten. Dagegen schildert ein unbekannter Mann, offenbar ein Polizist, ausführlich, dass solche Flüge wie Krieg seien, von Lebensgefahr für die Polizisten, der Gruppendynamik der Nigerianer und ihrem robusten Körperbau. Fehlte eigentlich zum Schluss nur noch die Aussage, dass diese schwarzen Wilden mit einem einzigen Biss sogar einen hundert Kilogramm schweren Schweizer Polizisten mit Haut und Haar runterschlucken können.


Wir, die Guten

Was genau an jenem Tag im Ausschaffungsgefängnis Kloten passiert ist, wird wohl nie vollends aufgeklärt werden. Dafür hätten die beteiligten Beamten nach der Tat sofort getrennt und durch eine unabhängige Instanz befragt werden müssen. Eine unabhängige Kommission wird auch von Amnesty International und "augenauf" gefordert. Bis jetzt sind die Behörden diesem Anliegen nicht nachgekommen. Nebst einem sofortigen Ausschaffungsstopp fordert Hugenschmidt von "augenauf" aber auch, dass die anderen Nigerianer, die ebenfalls mit besagtem Sonderflug hätten ausgeschafft werden sollen, umgehend freigelassen und als Zeugen befragt werden.

Und irgendwie wird man den gruseligen Eindruck nicht los, dass, wenn den Amis in Guantanamo der gleiche "Lapsus" passiert wäre, die Betroffenheit und Anteilnahme mit dem Opfer hierzulande wohl um einiges grösser gewesen wäre. Aber stimmt, ganz vergessen, wir sind ja die Guten...

Mehr Infos unter:
www.augenauf.ch


*


POSITIONEN

LASSEN WIR NICHT ZU,
dass Menschen, nur weil sie keine Papiere oder eine andere Hautfarbe haben oder weil sie Drogen nehmen, gejagt und eingesperrt und manchmal sogar getötet werden.

LASSEN WIR NICHT ZU,
dass Menschen, die aus welchen Gründen auch immer zu uns geflüchtet sind in Zivilschutzbunkern, in Containern und anderen weit abgelegenen menschenverachtenden Unterkünfte eingepfercht werden, ohne sinnvolle Beschäftigung und mit gerade mal einem 10 Franken Migros-Gutschein in der Tasche.

LASSEN WIR NICHT ZU,
dass Menschen tage-, ja monatelang in Transiträumen und Ausschaffungsknästen eingesperrt werden, um sie dann rücksichtslos und gewaltsam mit Charterflügen der Fluggesellschaften Hello und Swiss auszuschaffen, bewacht von einer Polizei-Horde; im Verhältnis zwei Polizisten auf einen gefesselten Gefangenen.

LASSEN WIR NICHT ZU,
dass man Menschen, die sich gegen ihre Abschiebung wehren, verprügelt, mit Medikamenten vollstopft, mit Mund - und Fussfesseln knebelt, oder wie im Fall Khaled Abuzarifah und Samson Chukwu und wie jetzt Alex, tötet oder wie Hamid Bakiri der in Chur in den Selbstmord treibt.

WEHREN WIR UNS GEMEINSAM
gegen Repression, gegen Ausgrenzung und Zwangsmassnahmen.

Fordern wir gemeinsam und mit Nachdruck das Bleiberecht für Flüchtlinge und sofortige Schliessung der Ausschaffungsgefängnisse.

Am besten man reisst diese Knäste sofort ab... Wir alte hier helfen gerne dabei!! Wehren wir uns HIER und JETZT und ÜBERALL gegen Rassismus, Sexismus und Antisemitismus.

Es lebe die antinationale Freundschaft und Solidarität!


*


Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 13/14/15/2010 - 66. Jahrgang - 3. April 2010, S. 1
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: Vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77, Fax: 0041-(0)44/242 08 58
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch

vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) 110.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. April 2010