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VORWÄRTS/593: Dem Frauenhandel entgegentreten


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 25/26/09 vom 26. Juni 2009

Dem Frauenhandel entgegen treten

Von Silvia Nyffenegger


Die Migration in die Schweiz ist mehrheitlich weiblich. Dabei machen die prekären Lebensumstände eines Teils der Migrantinnen dieselben gegenüber Menschenhändlern verwundbar. Runde Tische beim Opferschutz und der Strafverfolgung sollen für eine bessere Kooperation bei der Bekämpfung sorgen.


Verurteilungen wegen Frauenhandel in der Schweiz zeigen bloss die Spitze des Eisberges. Sie sagen mehr über die Strafverfolgung der Polizei aus, als über das effektive Vorkommen der Delikte. Auch darüber, was Menschenhandel oder Menschenschmuggel überhaupt ist, gibt es unterschiedliche Interpretationen. Sicher sei jedoch, dass der Frauenhandel einen grossen Teil des Menschenhandels ausmacht, sagt Denise Efionayi, Projektleiterin und Vizedirektorin des Schweizerischen Forums für Migrations- und Bevölkerungsstudien SFM der Universität Neuenburg.

Sicher ist auch, dass Menschenhandel ein schweres Verbrechen ist. Runde Tische nehmen deswegen einen wichtigen Platz ein, weil sie zur Sensibilisierung über den Frauenhandel beitragen. Sie ermöglichen interdisziplinäre Diskussionen im geschützten Rahmen über die Prävention, sagt Efionayi. Ziel sei es, allen betroffenen Frauen in der Praxis Zugang zu Rechten zu verschaffen, nicht nur in der Theorie. Der Frauenhandel sei in der Schweiz überall anwesend, aber schwer erfassbar, fährt Efionayi fort. Es gebe grosse Widersprüche bei der Strafverfolgung und dem Opferschutz. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Feminisierung der Migration die Gestaltung des Opferschutzes beeinflusst. Zudem räumen die Runden Tische mit der falschen Feststellung auf, wonach es den Menschenhandel in "unserem" Kanton nicht gibt und einzelne Akteure deshalb keinen Grund sehen, aktiv zu werden. "Runde Tische sind Kooperationsmechanismen. Hier handeln Opferschutz und Strafverfolgung komplementär", fasst Denise Efionayi zusammen.


Behörden und Zivilgesellschaft raufen sich zusammen

Kritiker fragen sich sogar, ob das Thema wichtig sei. Denn zwischen 2002 und 2006 gab es gerade 28 Verurteilungen wegen Menschenhandels, so die FIZ, Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration, Zürich. Doch der Menschenhandel ist eine gravierende Verletzung der Menschenwürde und ein Offizialdelikt. Die Sexarbeit selbst kennt eine Arbeitsteilung, wonach die Schweizerinnen legal und die Frauen aus Drittländern illegal arbeiten.

Am Runden Tisch bringen Politik und Behörden flexible operative Vorgehensweisen ein und koordinieren ihre Praxis mit den Erkenntnissen von NGOs und den öffentlichen Opferhilfestellen. Gemäss dem Bundesamt für Polizei fedpol, Bern gibt es in der Schweiz fünf Runde Tische, je einen in den Kantonen Aargau, Bern, Basel-Land, Basel Stadt und Freiburg.

Die an dieser Stelle besprochene Fachtagung "Frauenhandel in der Schweiz. Strategien der Bekämpfung" vom 11. Juni im Zürcher Volkshaus zeigte beispielhaft die interdisziplinäre Zusammensetzung Runder Tische auf Am ersten von zwei Podiumsgesprächen sassen die Spezialfahndung der Kantonspolizei Bern, die Untersuchungsrichterin des Kantons Freiburg, die Leiterin Opferhilfe, Amt für soziale Sicherheit, Solothurn und die Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration Zürich FIZ, nebeneinander am Tisch. Das zweite Podium war ebenso interdisziplinär besetzt.

Yvonne Gendre, Untersuchungsrichterin in Freiburg macht klar, dass nicht alle Prostituierten Opfer des Frauenhandels sind. Doch bei Frauen, die in der Schweiz schwere Gewalt und Drohungen - unter anderem auch gegen ihre Familie im Ausland - erleben, könne der Opferschutz weit gehen. In Zusammenarbeit mit den Behörden könne es sein, dass sie eine neue Identität sowie eine Aufenthaltsbewilligung erhalten. Im Alltag fällt allerdings die häufige Ausschaffung betroffener Frauen auf.

Die Fachbereichsleiterin Opferhilfe, Amt für soziale Sicherheit, Solothurn, Rose Majidzadeh, sagt über den Runden Tisch, dass sich die Zusammenarbeit der verschiedenen Stellen dank ihm verbessere. Doppelspurigkeiten würden ausgemerzt, und das Verständnis der Problematik vertiefe sich. Doch es brauche eine gesamtschweizerische Lösung.


Keine Alibiübung

"NGOs glauben den Opfern alles", bekennt sich der Chef Spezialfahndung, Kantonspolizei Bern, Christian Brenzikofer, zu seinem anfänglichen Vorurteil. Der Runde Tisch habe ihm dann allerdings eröffnet, was die Beteiligung der anderen Institutionen bringen kann. "Die Ergebnisse der Strafverfolgung verbessern sich. Runde Tische bauen überdies Druck in der Ressourcenfrage auf, sodass beispielsweise ein spezielles Dezernat geschaffen werden kann", erklärt Brenzikofer. Doch die Runden Tische müssten regional gut abgestützt sein. Der Berner Tisch sei paritätisch zusammengesetzt. Er bestehe zu 50 Prozent aus staatlichen Behörden und zu 50 Prozent aus privaten und öffentlichen Organisationen. Zudem sei die 2003 gegründete Koordinationsstelle gegen Menschenhandel und Menschenschmuggel KSMM des Bundesamtes für Polizei, Bern am Runden Tischen vertreten. Diese Stelle vereint die verschiedenen staatlichen Initiativen gegen Menschenhandel in der Schweiz, zum Beispiel die Kantone.

"Bringt die Zusammenarbeit mehr Opferschutz", fragt Doro Winkler, Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration? "Nein! Doch ist kein Runder Tisch eine Alibiübung", erklärt Winkler. "Das Ziel, den Frauenhandel zu bekämpfen, ist bei allen Teilnehmenden transparent. Zwar haben nicht alle Kantone einen Runden Tisch, dafür gibt es mehr Stellen bei Polizei und Gericht." Winkler kritisiert, dass es weder ein umfassendes Opfergesetz noch einen aufenthaltsrechtlichen Schutz gebe. Zudem sei die Zusammenarbeit gefährdet, wenn Opfer des Frauenhandels in ihre Heimat zurückkehren müssen, was der Normalfall sei. "Für traumatisierte Frauen ist eine stabile Lebenslage das Allerwichtigste", spricht Doro Winkler den konkreten Opferschutz an. "Die Runden Tische tragen zu einer Stabilisierung der Opfer bei." Zudem trete man den Opfern heute sensibilisiert entgegen, ganz im Gegensatz zu früher, als die betroffenen Frauen moralisch abgewertet und vorverurteilt wurden, was einer Retraumatisierung entspreche, sagt Winkler. Sie führt fort, dass dank der Runden Tische mehr Opfer identifiziert werden. Zudem gebe es heute durch die Runden Tische ein Problembewusstsein auf politischer Ebene.


Labor für Lösungen

Christoph Keller, Redaktor DES 2 moderierte die nationale Veranstaltung. Er stellte das Vorhandensein des Willens zum Opferschutz fest, doch greife dieser nicht immer. Handlungsspielräume sowie die Härtefallregelung würden zwar genutzt, sagte der Journalist, doch die Kantone legen diese Instrumente unterschiedlich aus. Keller beschrieb die Runden Tische als bewährte Lösungsstrategie auch für andere Zusammenhänge und schliesslich als Labor für massgeschneiderte Lösungen. Je ein Referat über den Frauenhandel in die Sexarbeit von Stella Jegher, Amnesty International Schweiz, und über Frauenhandel in die Zwangsarbeit von Anne Pawletta, Internationale Arbeitsorganisation IAO, Augsburg sowie drei Workshops gehörten zur Fachtagung.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 25/26/2009 - 65. Jahrgang - 26. Juni 2009, S. 4
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juli 2009