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VORWÄRTS/581: Frauenleben in Syrien - drei Portraits


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 09/10 vom 6. März 2009

Frauenleben in Syrien - drei Portraits


as. Es gibt in Syrien viele Frauen, die selbstbewusst und selbständig sind, die einer eigenen Arbeit nachgehen, und ihr eigenes Leben führen. Drei davon habe ich gefragt, was sie den Menschen in der Schweiz aus ihrem Leben erzählen würden, um den gängigen, durch die Massenmedien verbreiteten Bildern von arabischen Frauen etwas entgegen zusetzen.


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Natürlich gibt es auch die stereotypen Frauenbiographien in Syrien: Mädchen kommen zur Welt, gehen zur Schule, vielleicht später an die Uni, danach heiraten sie, haben Kinder, arbeiten als Hausfrau und Mutter. Anders aber als in vielen arabischen Ländern sind in Syrien die sozialen Rechte der Frauen schon lange festgeschrieben. Die Politik der mehr oder minder sozialistischen Baath-Partei ist nicht das Problem. Es sind viel mehr die gesellschaftlichen Vorstellungen, die die Möglichkeiten der Frauen einschränken. Ihre Handlungsspielräume sind zudem stark abhängig von Ort, wirtschaftlichen Möglichkeiten und Bildungshintergrund ihrer näheren Umgebung. Das Leben auf dem Land ist anders als in der Stadt, es ist in Kleinstädten anders als in der Hauptstadt Damaskus, es ist in einem Damaszener Viertel anderes als im nächsten. Syrien ist ein heterogenes Land und die drei folgenden Porträts zeichnen ein individuelles Bild dreier starken, eigenwilligen Frauen.


Mona, Studentin, 21

"Freiheit bedeutet für mich ein selbstbestimmtes Leben, und dass mich die Gesellschaft mit diesen Wünschen akzeptiert."

Mona ist 21 Jahre alt, studiert Anglistik an der Universität Damaskus und arbeitet. Wenn sie im Sommer mit dem Studium fertig ist, möchte sie arbeiten und sich ihr eigenes, unabhängiges Leben aufbauen. Auf keinen Fall möchte sie jetzt heiraten. Es ist schon möglich, meint sie, dass sie irgendwann heirate und eine Familie habe. Aber das gehört nicht zu den Zielen ihres Lebens. An der Uni sei sie eine der wenigen, die so denkt. Nur noch eine ihrer Freundinnen teilt ihre Ansicht.

Mona kommt aus einer eher traditionellen Familie, kann aber über ihr Leben zu grossen Teilen selbst bestimmen. Ihre Eltern akzeptieren ihre Ideen und Zukunftspläne. Das sei nicht immer so gewesen, erzählt Mona, früher hätten sie anders gedacht: Ihre älteren Schwestern haben nach dem Studium geheiratet und haben jetzt Kinder. Das war damals der normale Weg. Ihre Schwestern haben ein gutes Leben und seien soweit damit zufrieden, das sei gar nicht der Punkt: "Aber ich finde es schade, dass sie keine Zeit für sich haben. Ihr ganzes Leben steht im Zeichen der Familie." Dazu kommt, dass die Hausfrauen und Mütter finanziell von ihren Männern abhängig sind. Mona möchte für sich ein anderes Leben.

Ihr Vater sagt manchmal, seine Tochter sei nicht für das Leben in der syrischen Gesellschaft geboren, aber sie sieht das anders. Sie möchte hier leben und wünscht sich, damit etwas zur Veränderung der Gesellschaft beizutragen: "Die Gesellschaft muss aufhören, die Frauen immer nur im Zusammenhang mit einem Mann zu sehen, egal ob Vater oder Ehemann. Sie muss lernen, den Frauen mehr zuzutrauen. Ich möchte mein Leben ohne Hilfe von Männern leben und ich möchte mir und vor allem auch der Gesellschaft zeigen, dass das auch in Syrien sehr wohl möglich ist." Auch wenn sie manchmal zweifelt, möchte sie nicht aufgeben und meint, dass die syrische Gesellschaft immer offener werde und für alternative Lebensentwürfe immer mehr Raum vorhanden sei.


Bassima, Ärztin, Hausfrau und Mutter, 46, ein Gespräch im Bus

Sie steigt in den Bus und setzt sich auf den Platz neben mich. In Syrien erhalten allein reisende Frauen wenn immer möglich einen Platz neben einer anderen Frau. Die Frau neben mir meinte dazu: "Ich möchte das eigentlich nicht. Ich möchte sitzen, neben wem ich will, egal ob Mann oder Frau." Bassima fällt auf. Sie trägt enge, farbenfrohe Kleidung und hochhackige Schuhe, ihr langes Haar ist aufwändig frisiert und sie ist stark geschminkt. Manche drehen sich beim Einsteigen nach ihr um. Auf den ersten Blick repräsentiert sie ein Frau, die vor allem auf Äusserliches Wert legt.

Während der ersten Hälfte der Reise sitzt sie neben mir und schläft. Danach beginnen wir ein Gespräch. Bassima ist Kinderärztin, arbeitet vormittags in einem staatlichen Spital, Nachmittags in ihrer eigenen Praxis. Sie ist verheiratet, also neben ihrem Beruf auch Hausfrau und Mutter von drei 12-jährigen Jungs. Sie ist in Damaskus aufgewachsen und wohnt mit ihrer Familie in Lattakia, der Heimatstadt ihres Mannes. Sie würde lieber in Damaskus wohnen, es gäbe dort bessere Arbeitsmöglichkeiten und ihre Eltern wohnen auch dort. Aber ihr Mann wollte nicht von seinen Eltern wegziehen. Und so hörte ich ihr erstes "As you like" als Standardantwort für ihren Mann, wenn sich unterschiedliche Ansichten des Paares anders nicht unter einen Hut bringen lassen: Es ist ihr Mann, der letzten Endes die Entscheidungen trifft und Bassima fügt sich. Jedenfalls bei diesem Thema.

Es gibt andere Dinge, gegen die sie in ihrem Leben ankämpft. Zum Beispiel bestand sie vor der Heirat auf die Klausel im Ehevertrag, dass sie immer ihren Beruf ausüben kann. Sie meint, ohne ihre Arbeit als Ärztin wäre sie nicht zufrieden mit sich und ihrem Leben. Sie brauche eine intellektuelle Herausforderung und das Gefühl, etwas zu leisten. Auch wenn das zusammen mit der Arbeit als Hausfrau und Mutter sehr viel Zeit in Anspruch nimmt und sie oft sehr müde sei. Deswegen habe sie auch die ersten zwei Stunden der Reise geschlafen.

Ihre Kinder beklagen sich manchmal über die wenige Zeit, die sie mit ihnen verbringen kann. Sie wünschten sich ihre Mutter zu Hause, so wie die Mütter der meisten ihrer FreundInnen. Auch Bassima hätte gerne mehr Zeit für ihre Kinder. Aber sie möchte auch, dass ihre Jungen stolz auf sie sind: "Später werden sie verstehen, wie viel ich geleistet habe."

Die Hausarbeit erledigt sie manchmal nachts. Nein, ihr Mann sei darin keine grosse Hilfe und der Ansicht, dass Hausarbeit Frauenarbeit ist. So kocht sie während die anderen schlafen das Essen für die nächsten zwei Tage. Anders als der Vater helfen die Söhne oft bei der Hausarbeit. So können Sie Zeit mit ihrer Mutter verbringen und ihr gleichzeitig etwas Arbeit abnehmen. Bassima wünscht sich, dass ihre Jungs mal Ehemänner werden, die zu Hause mit anpacken.

Als Studentin hätte sie die Möglichkeit gehabt, mit einem Stipendium in den USA zu studieren. Aber ihre Eltern hatten das nicht zugelassen, dass sie alleine ins Ausland reise. Sie habe sich schweren Herzens gefügt, "as you like". Manchmal bereut sie diese Entscheidung. Sie stünde jetzt beruflich an einem ganz anderen Ort, hätte sie damals die Gelegenheit wahrgenommen. Statt dessen träumt sie nun davon, ihren Jungs eine Ausbildung an den besten Unis zu ermöglichen. Sie sollen mal erfolgreiche Ärzte werden, alle drei.


Rania, Produzentin und Regisseurin am Theater, 25

"Ich wohne in Syrien, bin Muslima, trage kein Kopftuch, gehe nicht in die Moschee und es gibt niemand, der oder die mir sagt, was ich tun oder lassen soll." Rania hat vor kurzem ihre Ausbildung an der Theaterhochschule abgeschlossen und schon während des Studiums beim Theater gearbeitet. Seit etwa neun Monaten kann sie von ihrer Arbeit leben. Daneben studiert sie Arabistik an der Uni, aber das mehr nebenbei. Viele StudentInnen hier eignen sich den Stoff selbständig an und gehen nur zu den Prüfungen an die Uni. Ranias Arabischstudium ist so eine Art Konzession an die Gesellschaft - aber die einzige, die sie einzugehen bereit ist. Es gibt Menschen, erzählt sie, denen sie zu beginn nicht gesagt hat, dass sie an der Theaterhochschule studiert. Kunst zählt nicht zu den gängigen Lebensentwürfen, weniger noch für eine Frau. Ranias Tante zum Beispiel wollte sie immer wieder überreden, ihre Pläne zu ändern. "Wenn sie mich nach dem Studium fragt, und ich ihr erzähle, dass ich die Theaterhochschule abgeschlossen habe, winkt sie genervt ab und sagt: "Ach das. Das meine ich nicht. Ich spreche von deinem Arabischstudium." Sie will, dass ich es abschliesse, als Lehrerin arbeite, um nach der Pensionierung eine staatliche Rente zu erhalten und so für den Rest meines Lebens versorgt zu sein. Aber das ist nicht mein Lehen." Ihre Eltern denken zum Glück anders. "Wenn nicht, wäre es sicher schwieriger, mich für meine Träume und meine Zukunft einzusetzen. Aber auch dann wäre es irgendwie möglich. Mein Leben gehört mir, ich entscheide darüber und ich trage die Verantwortung dafür."

Rania beobachtet in der syrischen Gesellschaft einen grossen Unterschied zwischen Männern und Frauen: Männer können hier viel einfacher erreichen, was sie wollen, für sie stehen viele Türen offen. Und oft hätten sie keine grossen Zukunftspläne: Sie wollen Arbeit, Familie, ihr kleines, beschauliches Leben. Frauen hingegen haben andere Ziele und müssen kämpfen, um sie zu verwirklichen. Sie müssen flexibel sein, stark, von ihren Wünschen überzeugt. Vor allem am Anfang einer Idee investiere und riskiere man viel. Aber wenn es klappt, sei die Befriedigung danach umso grösser. Es ist ein selbst erarbeiteter Erfolg, auf den sie zu recht stolz sein kann. Dazu kommt, dass viele genau wissen, gegen welche Widerstände sie sich durchgesetzt hat und das durchaus zu schätzen wissen.

Ranias Arbeit am Theater ist sehr persönlich: "Wir schaffen uns im und mit dem Theater eine andere Welt. Manchmal sind sie schöner, manchmal schrecklicher als die Wirklichkeit." Alleine mag es schwierig sein, etwas eigenes aufzubauen. Aber beim Theater gebe es viele Leute, die einen kritischen Blick auf die Gesellschaft haben. "Beim Theater habe ich FreundInnen, auch aus dem Ausland, die denken wie ich, denen ich mich und meinen Lebensentwurf nicht immer wieder erklären muss." So bietet das Theater Rania die Möglichkeit, sich mit der Gesellschaft auseinanderzusetzen und sie zu hinterfragen. Sie hält den ZuschauerInnen auf der Bühne einen Spiegel vor, ermöglicht ihnen einen Blick auf ihr eigenes Leben. "Oft zeigen wir auf der Bühne Szenen aus dem Alltag. Die Menschen stecken ja normalerweise mitten drin und denken oft gar nicht darüber nach. Ich möchte mit solchen Szenen niemandem sagen, was richtig und was falsch ist. Aber ich möchte die Phantasie der Leute anregen, möchte, dass sie über die Gesellschaft nachdenken. Vielleicht beginnen sie eines Tages ja auch, ihren Alltag zu verändern." An solchen Veränderungen arbeitet Rania, sei es im Theater oder in ihrem realen Leben.


Eigenes Leben, eigene Träume

In Syrien ist es wie anderswo auch: die Konventionen, wie Frauen ihre Lehen zu gestalten haben, gibt es. Sie sind hier vielleicht sogar stärker als in europäischen Ländern. Aber es gibt auch hier Frauen, die sich den gängigen gesellschaftlichen Vorstellungen widersetzen, sich Freiräume erkämpfen und ihr eigenes Leben leben. Eine der drei Frauen meinte am Ende des Gespräches: "Manchmal gibt es schon Momente, wo ich drüber nachdenke, ob es sich lohnt oder nicht. Aber ich werde mich immer für mein eigenes Leben, meine eigenen Träume und Wünsche einsetzen. Mein Freiheitsdrang kommt von ganz tief innen. Ohne ihn kann ich nicht leben." Diese Worte treffen auf das Leben aller drei Frauen zu.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 09/10, 65. Jahrgang, 6. März 2009, Seite 6
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
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vorwärts erscheint 14-täglich,
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Jahresabo: Fr. 160.-
reduziert (AHV, Studenten): Fr. 110.-


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Mai 2009