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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1945: "Wie können wir für uns selber laufen?"


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 7/8, Juli/August 2015
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

"Wie können wir für uns selber laufen?"
Ein Kollege der Daimler AG in Bremen über den Kampf gegen Leiharbeit und Werkverträge

Von Jochen Gester


Bei Daimler in Bremen gibt es eine heftige Auseinandersetzung, in der sich Teile der Belegschaft gegen Outsourcing und Prekarisierung der Arbeitsbedingungen zur Wehr setzen (siehe SoZ 2/2015). Über die aktuelle Situation nach den spontanen Streiks und den darauf folgenden Abmahnungen sprach Jochen Gester mit dem Bremer Daimler-Kollegen Kai Lührsen(*).
Das Interview besteht aus zwei Teilen. Im zweiten Teil geht es um die Arbeit des Portals von Labour-Aktivisten "Bremen macht Feierabend", um die Frage, ob Interessenvertretung und Gewerkschaften unverzichtbar sind, und um die Frage, ob junge Linke für eine andere Praxis im Betrieb stehen als die Älteren. Das vollständige Interview gibt es auf SoZ-online.


SoZ: Seit Ende des letzten Jahres ist der Bremer Standort des Daimler-Konzerns, zweitgrößter im Unternehmen, Schauplatz eines außergewöhnlichen Arbeitskampfes. Ein Teil der Belegschaft hat mit sog. wilden Streiks gegen die Umwandlung von geschützten Beschäftigungsverhältnissen in Werkverträge protestiert. Kannst du als Daimler-Kollege nochmal verständlich machen, wie es zu den Streikaktionen gekommen ist?

Kai Lührsen: Um eine Sache vorweg zu nehmen: einen länger andauernder Arbeitskampf gegen die Machenschaften des Daimler-Konzerns gab es und gibt es im Moment leider nicht. Es gab von Sommer 2014 an eine Reihe von Aktionen, Versammlungen auf dem Werksgelände und Demonstrationen, mit denen die Belegschaft sich klar gegen Fremdvergabe und immer höhere Arbeitsbelastung positioniert hat. Da war schon viel Druck dahinter, weshalb die ersten Aktionen auch noch von der Vertrauenskörperleitung (VKL) teils geduldet, teils mitorganisiert wurden und somit zumindest offiziell, dem Logo nach, von der IG Metall unterstützt wurden. Zwar bekamen bereits im November 75 Logistiker, die beim Betriebsrat gegen Fremdvergabe protestierten, eine Abmahnung, aber die wurden nach der Solidarität von ein paar hundert anderen Vertrauensleuten wieder fallengelassen.

Die Protestaktion der Nachtschicht im Dezember 2014 wurde vor allem von Unternehmerseite, aber auch von der IG Metall als "wild" diffamiert, weil hier die Unterstützung der IG Metall im Gegensatz zur Aktion der Frühschicht am gleichen Tag gänzlich fehlte. Die VKL-Vorsitzenden und viele Betriebsräte beteiligten sich nicht einmal, sondern waren nur durch den Druck und durch Anrufe aus den Hallen "zufällig" in der Nähe - Solidarität sieht anders aus.

Die Triebfeder für die Arbeitsniederlegungen war der Frust, der sich über die letzten Jahre bei uns Daimler-Kollegen angestaut hat. Seit 2012 ist Fremdvergabe von Tätigkeiten im Bremer Werk massiv ein Thema, weil ganze Bereiche, vorneweg die Logistik, ausgegliedert werden sollen. Es war der Beginn, die "Leadership" Programme des Vorstands massiv vor Ort durchzuprügeln.

Das wurde im Jahr 2013 dann in den Logistikbereichen von Presswerk und Rohbau umgesetzt. Danach war leider erstmal Ruhe, was den Protest anging. Im Herbst 2013 gab es noch mal eine große Protestwelle, weil das Thema Fremdvergabe auch auf andere Bereiche (Anbauteile C-Klasse) ausgeweitet werden sollte. Diese Welle wurde von der IG Metall, von der VKL-Leitung und Betriebsratsspitzen massiv ausgebremst - diese Leute setzten eine Aktionspause durch.

Bis zum Sommer 2014 ist dann nichts mehr passiert, obwohl klar war, dass es von Unternehmerseite langfristig kein bisschen Ruhe geben wird. Deshalb waren alle sauer, als nicht nur die Fremdvergabe im dritten Jahr in Folge Thema war, sondern auch die Produktion massiv ausgelastet werden sollte. Konkreter Anlass für den "wilden Streik" war auch die Ankündigung der Werkleitung, uns zwei Jahre später 92 Sonderschichten abverlangen zu wollen. Das konnte mit den immer gleichen Parolen der Betriebsratsspitzen und des Bevollmächtigten der IG Metall von "Lösungen am Verhandlungstisch" nicht mehr aufgefangen werden, da glaubt jetzt niemand mehr dran, vor allem weil der Bremer Werkleiter als best bezahlter Hausmeister Bremens diesen Spielraum gar nicht hat. Seine Chefs in Stuttgart können halt nur erreicht werden, wenn die Bänder stehen.


SoZ: Der Arbeitgeber hat auf die Arbeitsniederlegung mit 761 Abmahnungen reagiert. Mit der Rechtmäßigkeit dieser Disziplinierungen bzw. der Legalität des Streiks beschäftigt sich jetzt das Bremer Arbeitsgericht. Was ist der juristische Kern des Streits vor Gericht?

Kai Lührsen: Das ist schnell gesagt. Der juristische Kern der beim Arbeitsgericht eingereichten Klagen gegen die Abmahnungen ist die Frage, ob eine Arbeitsniederlegung legal ist, wenn sie nicht von einer als solche anerkannten Gewerkschaft organisiert bzw. ausgerufen wird. Die deutsche Rechtsprechung sagt dazu, dass ein Streik nur ein Druckmittel in Tarifverhandlungen zwischen Gewerkschaften und "Arbeitgebern" sein kann. Wenn es keine Tarifverhandlungen gibt, so sieht es auch Daimler, gibt es nur den individuellen Verstoß gegen den Arbeitsvertrag, der zum Beispiel mit einer Abmahnung bis hin zur Kündigung geahndet werden kann.

Im europäischen Recht wiederum steht der Streik als Mittel der Durchsetzung von "Arbeitnehmerinteressen" allen zu - egal, ob ein Gewerkschaftslogo drunter steht oder nicht. Diese Frage soll im besten Fall juristisch geklärt werden. Dann würde sich die Frage, ob Gewerkschaften auch dann sinnvoll sind, wenn sie eigentlich auf der Unternehmerseite stehen, zumindest rechtlich von selbst klären. Sollte das Vorhaben der klagenden Kollegen scheitern, geht es nur um die individuellen Abmahnungen jedes einzelnen: sind Uhrzeit, Vorgang, Verstoß als Vorwurf gerechtfertigt oder nicht?

Gerichte fällen Grundsatzentscheidungen nur sehr ungern und drängen gerne zu "gütlichen" Einigungen - deswegen ist es sinnvoll, öffentlichen politischen Druck auszuüben und mit den klagenden Kollegen solidarisch zu sein, denn darum, die eigene Abmahnung wegen Formfehlern verschwinden zu lassen, geht es niemandem. Viel Hoffnung in juristische Debatten sollte man dabei trotzdem nicht haben. Richter haben einen Spielraum im Rahmen der Gesetze und Gesetze werden für eine Wirtschaftsordnung gemacht, von der vor allem die 1% Reichsten der Weltbevölkerung profitieren.


SoZ: Als ich die Berichte darüber im Labournet las, hatte ich das Gefühl, Zeuge eines Befreiungsschlags zu sein, in dem sich eine linke gewerkschaftliche Basis dagegen wehrt, sich für immer mit prekären Arbeitsverhältnissen abfinden zu müssen. Denn die IG Metall stellt ja seit langem Leiharbeit und Werkverträge an sich gar nicht mehr in Frage, sondern fordert lediglich deren Begrenzung und Regulierung. Auch musste man den Eindruck haben, dass die Belegschaft selbst auf den Betriebsversammlungen über den Verlauf des Konflikts abstimmen kann. Wäre das nicht genau das, was Basisgewerkschaftern das Herz höher schlagen lässt?

Kai Lührsen: Das kann ich nur für mich selbst beantworten. Ich habe beschrieben, warum Druck im Kessel ist. Der wird jedes Jahr ein paar mal impulsiv rausgelassen. Das ist auch gut so, und es ist wichtig, dass immer weniger Kollegen auf das Versprechen reinfallen, es würde bei Verhandlungen irgendwelche "tragbaren Lösungen" geben. Die kann es nicht geben, wenn ein Konzern im weltweiten Wettkampf gegen andere Kapitalisten über Leichen geht (in Argentinien früher ja sogar wortwörtlich).

Der Frust schlägt sich jedoch noch lange nicht in Formen von Organisierung nieder, die unserer Lage entsprechen. Wenn sich zeigt, dass sich IG-Metall-Funktionäre offen gegen Streiks aussprechen und Betriebsräte die Lebenszeit und Gesundheit von Kollegen für ganz tolle Deals im Verhandlungszimmer verkaufen, dann ist für mich klar, dass wir uns anders zusammentun müssen als über solche Strukturen. Es ist z.B. niemand im Werk für sich allein, es gibt Fahrgemeinschaften, Skatrunden, Fußballtreffs, familiäre und freundschaftliche Kontakte weit über die Fachbereiche und Hallen verteilt. Diese Macht, die wir damit hätten, Diskussionen und Informationen viel effektiver zu verbreiten, als es jemals freigestellte Betriebsräte oder Vertrauensleute könnten, ist uns noch nicht bewusst genug. Daran könnte man ansetzen, das würde mein Herz noch höher schlagen lassen.


SoZ: Wie siehst du die weitere Entwicklung des Arbeitskampfs und was sollten die wichtigsten Schritte sein?

Kai Lührsen: Der wichtigste Schritt ist für mich, immer wieder zu betonen und in den Hallen zu diskutieren, dass es keine Ruhe in der Bude geben kann. Es gibt keine Pause für uns, Produktion und Logistik werden teilweise im Abstand von wenigen Wochen durchrationalisiert; gerade Ende Mai hat der Betriebsrat durchgewunken, dass für die nächsten zwei Jahre ein Regelsamstag mit der Werksleitung verhandelt wird. Dafür gibt es, ihren Argumenten nach, tolle neue Investitionen in das Werk (manche davon waren schon Teil alter Planungen und werden einfach nochmal präsentiert) und einige Festeinstellungen.

Beides sind Dinge, die die Manager brauchen, um ihre Produktionszahlen zu erreichen. Das wäre ein heftiger Anlass für neue Arbeitsniederlegungen. Leider schlägt sich der Unmut über solche Maßnahmen des Betriebsrats auch in lethargischen Sprüchen: "Früher bin ich immer mitgelaufen, jetzt tu ich keinen Handschlag mehr für die IG Metall" nieder. Stattdessen müssten wir diskutieren: Wie können wir für uns selbst "laufen" und unsere wirklichen Themen durchsetzen, wenn viele Kollegen nicht mehr nach dem Motto "gute Arbeit - gute Butter" demonstrieren wollen. Es gibt viele Vorschläge aus den Hallen, was man alles tun könnte. Jetzt ist meiner Meinung nach Praxis gefragt, ausprobieren, vernetzen und Erfahrungen für alle zugänglich machen.

(*) Der Name wurde auf Wunsch des Kollegen geändert.

*

Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 7/8, 30. Jg., Juli/August 2015, S.10
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
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Internet: www.sozonline.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juli 2015

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