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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1923: Griechenland - Kriegsschuld verjährt nicht!


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5 - Mai 2015
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Kriegsschuld verjährt nicht!
Griechenland fordert 278,7 Milliarden für Reparationen und Zwangsanleihe

Von Paul Kleiser


Die neue, von SYRIZA geführte Regierung hat ein Thema wieder auf die Tagesordnung gesetzt, das die Vorgängerregierungen eher mit Samthandschuhen angefasst haben: Die Kriegsschulden des Deutschen Reichs bei Griechenland aus der Zeit der Besatzung 1941-1944 sowie die Entschädigung für die Verbrechen und Zerstörungen der Wehrmacht, die eine breite Blutspur durch das Land gezogen hat.


Kein nichtslawisches Land hat im Zweiten Weltkrieg einen so hohen Blutzoll bezahlt wie das der Griechen. Es wurden etwa 1600 Ortschaften und bis zu 400.000 Häuser zerstört; etwa eine Million Einwohner wurden durch den Krieg obdachlos, zehntausende wurden getötet.

In den vergangenen Jahrzehnten hatten Opfer der bestialischen Verbrechen in Distomo, Kalavrita, Kommeno usw. letztlich vergeblich versucht, vor Gerichten zu ihrem Recht zu kommen. Bereits 2012 hatte der heutige Ministerpräsident Alexis Tsipras in Kalavrita angekündigt, im Falle eines Wahlsiegs die Frage der Reparationen und Kriegsschulden wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Auch der vormalige griechische Staatspräsident Karolos Papoulias konfrontierte im März 2014 Bundespräsident Gauck beim gemeinsamen Besuch im niedergebrannten Dorf Lingiades in der Nähe von Ioannina mit der Forderungen nach Reparationszahlungen, was Gauck sichtlich peinlich war.


Die Lügen...

Griechenland kann sich auf eine ganze Reihe von unstrittigen Fakten berufen. Die griechische Staatsbank musste im März 1942 der deutschen Besatzungsmacht einen zinslosen Zwangskredit von insgesamt 568 Millionen Reichsmark gewähren; im Vertrag wurde eindeutig die Verpflichtung zur Rückzahlung geregelt. Bis zum Abzug der Wehrmacht waren 92 Mio. zurückgezahlt worden, so dass noch 476 Mio. Reichsmark offen standen. Diese Sicht der Dinge wurde kurz vor Kriegsende, am 12. April 1945, vom Auswärtigen Amt bestätigt.

Doch die Bundesregierung hat in mehreren Anfragen von Abgeordneten des Deutschen Bundestags wahrheitswidrig behauptet, der Kredit sei gemäß Art.49 des Haager Abkommens für die Verwaltung der "eroberten Gebiete" verwendet worden und sei daher zu den Reparationskosten zu zählen. Diese seien jedoch durch den Zwei-plus-vier-Vertrag von 1990 restlos erledigt. Denn in diesem Vertrag sei "die endgültige Regelung der durch den Krieg entstandenen Rechtsfragen" erfolgt; Griechenland sei nicht Vertragspartei gewesen, habe aber im Rahmen der KSZE den Vertrag in der Charta von Paris akzeptiert, denn es habe keinen offiziellen Einspruch erhoben.


...und die Fakten

Hier gibt es ein doppeltes Problem: Erstens hat Griechenland niemals auf seine Forderungen aus der Kriegszeit verzichtet, das hat das Bundesfinanzministerium noch im Februar 2014 selbst bestätigt. Zweitens hat Griechenland weder direkt noch indirekt an den Verhandlungen von 1990 teilgenommen. Entsprechende Verträge binden das Land also gemäß Völkerrecht nicht.

Dabei geht es nicht um Peanuts: Die genannte Summe wäre heute etwa 11 Mrd. Euro wert, hinzuzurechnen wären die Zinsen, bei einer (eher geringen) Verzinsung von 3% beliefe sich die Summe, die Deutschland allein aus diesem Kredit Griechenland schuldet, auf etwa 70 Mrd. Euro.

In den Pariser Verhandlungen von 1946 wurde den Griechen ein Anteil von 7,1 Mrd. Dollar an den gesamten von Deutschland einzufordernden Entschädigungen zugesprochen. Natürlich wurden auch diese Reparationszahlungen niemals erbracht. Im Londoner Schuldenabkommen vom 27. Februar 1953, das ganz im Zeichen des Kalten Krieges stand, wurden der BRD rund 60% der vor 1933 und nach 1945 aufgelaufenen Schulden bei den Westalliierten (USA, Großbritannien, Frankreich) erlassen. Die Regelung der Frage der Reparationen aus der Zeit des "Dritten Reichs" wurde auf die Zeit nach einem Friedensvertrag verschoben.

Auch bei diesem Posten sind inzwischen Forderungen Griechenlands in der Höhe von rund 110 Mrd. Euro aufgelaufen. Die Bundesregierung bemüht sich aus durchsichtigen Gründen, zu bestreiten, dass es sich bei dem Zwei-plus-vier-Vertrag um einen Friedensvertrag gehandelt habe.

Inzwischen hat ein Ausschuss des griechischen Parlaments Deutschlands Reparationsschuld aus dem Zweiten Weltkrieg auf 278,7 Milliarden Euro beziffert. Nach Angaben des griechischen Vizefinanzministers Dimitris Mardas setzt sich die Schuld folgendermaßen zusammen:

- 10,3 Mrd. Euro betrage der Wert der Zwangsanleihe (da sind die Zinsen nicht eingerechnet!);
- die restliche Summe betreffe Entschädigungszahlungen für die Angehörigen der Opfer und Schadenersatz für die zerstörte Infrastruktur.

Mardas stützt sich bei diesen Angaben auf den Bericht eines sechsköpfigen Expertenteams des griechischen Rechnungshofs, der dafür 50.000 Dokumente geprüft hat.


Die deutsche Renitenz hat Geschichte

Nach Ende des griechischen Bürgerkriegs 1949 bereitete das Land Prozesse gegen 900 deutsche Kriegsverbrecher vor. Die Adenauer-Regierung erpresste das ausgeblutete Land und verlangte die Einstellung der Prozesse, damit die Wirtschaftsbeziehungen wieder aufgenommen würden. Die griechische Seite verlangte Reparationszahlungen, die von der BRD abgelehnt wurden. 1957 reiste Max Merten, der für die Deportation der griechischen Juden aus Thessaloniki zuständig gewesen war, nach Griechenland, wo er umgehend verhaftet wurde. Ein Gericht verurteilte ihn wegen seiner Verbrechen zu 25 Jahren Haft. Nun kam Bewegung in die deutsche Seite: Sie lehnte Reparationen mit Verweis auf das Londoner Abkommen weiterhin ab, war nun jedoch bereit, Entschädigungen für Opfer zu leisten, die "aus Gründen, der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung" verfolgt worden waren. Das betraf vor allem die griechischen Juden, denn die BRD wollte auch ihr Verhältnis zu Israel "normalisieren".

Im März 1960 wurde schließlich ein Abkommen vereinbart, wonach die BRD 115 Mio. Mark für die genannte Bevölkerungsgruppe zahlte; die Verteilung des Geldes sollte durch den griechischen Staat vorgenommen werden. Nach Ratifizierung des Vertrags wurden Merten und andere Kriegsverbrecher entlassen und nach Deutschland ausgeflogen, wo die Justiz sie in Ruhe ließ. Kein deutscher Verbrecher, der in Griechenland gemordet hat, ist je von einem deutschen Gericht belangt worden. Welch eine Schande!

Sogar der Wissenschaftliche Dienst des deutschen Bundestags ist der Meinung, dass Griechenland Reparationsforderungen an Deutschland stellen kann. Auch er verweist auf die Tatsache, dass in der "Charta von Paris" (1990) die Frage der Reparationen mit keinem Wort erwähnt ist; ob die Kenntnisnahme des Vertrags durch Griechenland als Zustimmung zu werten ist, darf ebenfalls mit Fug und Recht bezweifelt werden.

Daraus ergibt sich, dass nicht Deutschland gegenüber Griechenland, sondern Griechenland gegenüber Deutschland Forderungen erheben kann. Alle gerecht denkenden Menschen sollten sich also dafür einsetzen und Druck auf die Regierung ausüben, dass der Zwangskredit aus dem Zweiten Weltkrieg umgehend zurückgezahlt wird und die überlebenden Opfer entschädigt werden.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5, 30. Jg., Mai 2015, Seite 15
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2015

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