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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1814: Verfassungsreferendum in Ägypten - Absage an die Muslimbrüder


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3 - März 2014
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Verfassungsreferendum in Ägypten
Absage an die Muslimbrüder

Von Bernard Schmid



Kommt nach der Kaiserin Sissi nun der Imperator Al-Sissi? Solche ironischen Wortspiele richtet die internationale Presse nun des öfteren an die ägyptische Politik. Ihr neuer starker Mann ist der frühere General - und seit dem 27. Januar zum Marschall beförderte - 59jährige Berufsmilitär Abdelfattah Al-Sissi. Er gilt als Kandidat für die Präsidentschaftswahl, die voraussichtlich im April dieses Jahres stattfinden soll.


Am 27. Januar 2014 versammelte sich die ägyptische Armeeführung und erteilte Al-Sissi das "Mandat", sich bei der Präsidentschaftswahl zu bewerben. Am Vortag hatte der amtierende Übergangspräsident Adly Mansour, ein weitgehend machtloser Strohmann der Militärs, einen anderen wichtigen Beschluss bekanntgegeben. Der frühere Richter und Interimspräsident verkündete da, der geplante Ablauf der kommenden Wahlgänge werde umgedreht: Die Direktwahl des künftigen Staatschefs wird vor den Parlamentswahlen stattfinden. Damit werden die Weichen für eine betont auf den zukünftigen "starken Mann" zugeschnittene Präsidialherrschaft gestellt. Am Ausgang der Wahl bestehen relativ wenig Zweifel, auch wenn der Linksnationalist und Nasserist (und Kandidat von 2012), Hamdine Sabbahi, inzwischen ebenfalls seine Bewerbung angekündigt hat.

Den Weg für diese Schritte zur Konsolidierung der Macht des Militärs hatten die Ergebnisse der Volksabstimmung vom 14. und 15. Januar dieses Jahres geöffnet. Bei dem Referendum war über die Vorlage für eine künftige Verfassung abgestimmt worden, die den 2012 von der damaligen Regierung der Muslimbrüder ausgearbeiteten Verfassungstext ersetzen soll.

Dem Referendum voraus ging eine intensive Propagandaschlacht von seiten der Regierung. Laut offiziellen Angaben stimmten 98,1% der Wahlbeteiligten mit "Ja" - was sogar zutreffen könnte, da niemand aufrief, mit "Nein" zu stimmen, die Gegner der Verfassung hatten nur einen Wahlboykott für sinnvoll gehalten. Die Wahlbeteiligung betrug, wiederum laut offiziellen Angaben, diesmal 38,6%. Damit hätte sie höher gelegen als beim Referendum, das die Regierung der Muslimbrüder angestrengt hatte, allerdings kann bei einer Beteiligung in solcher Höhe sicher nicht von einem Triumph gesprochen werden. Junge Ägypter und Menschen aus den sozialen Unterklassen enthielten sich überdurchschnittlich stark der Stimme. Vor Bekanntgabe der Ergebnisse hatten die in die Opposition verbannten Muslimbrüder von einer Wahlbeteiligung in Höhe von "10-15%" gesprochen, unabhängige Nichtregierungsorganisationen hingegen sprachen von "rund 37%", was ja auch annähernd dem amtlichen Ergebnis entspricht.

Es ist sogar wahrscheinlich, dass eine deutliche Mehrheit der Abstimmenden den Verfassungstext "durchwinken" wollte, und dass ein starkes Drittel der Bevölkerung teilgenommen hat. Im Vorfeld hatten sich nur sehr wenige Stimmen enthusiastisch zustimmend über den Inhalt des Verfassungstexts geäußert: Die allermeisten Ägypter dürften der Überzeugung gewesen sein, dass der Text kein guter sei, dass es aber auch keinen besseren geben werde und dass der "Parteienstreit" darum endlich zu den Akten gelegt werden solle, um sich dann wichtigeren Dingen wie der desolaten ökonomischen Lage zuwenden zu können.

Der aus Sicht der Militärs positive Ausgang des Referendums ist allerdings weniger ein Vertrauensvorschuss für diese, sondern vor allem eine Absage an die nun wieder in die Opposition verbannten Muslimbrüder.

Die Islamistenpartei, die seit Juli/August 2013 permanent den Widerstand gegen die neuen Machthaber anzustacheln versucht, zieht sich den Hass bedeutender Bevölkerungsteile zu. Dabei kommen mehrere Faktoren zusammen - allen voran die Antiterrorismusrhetorik der regierenden Militärs, vermischt mit nationalistischer Demagogie: Die Muslimbrüder wurden mitunter als "Agenten der USA und des Zionismus" hingestellt. Daneben jedoch haben sich die Muslimbrüder in ihrer nur einjährigen Regierungszeit viele Feinde gemacht: Ihre Vertreter handelten oft auf politisch irrationale Weise, stellten ihre Ideologie allzu sichtbar über Sachentscheidungen, versuchten, in das Kultur- und Alltagsleben der Ägypter einzugreifen.

Im Nachhinein erscheint da der Autoritarismus der regierenden Militärs, die sich fest an die Staatsmacht klammern, aber die Menschen in ihrem Privatleben tendenziell in Ruhe lassen, vielen als "kleineres Übel". Hinzu kommt eine wirklich abgrundtiefe Enttäuschung. Nach achtzig Jahren in der Opposition (und deswegen scheinbar "unverbraucht") und mit vermeintlich "göttlicher Hilfe" ausgestattet, hinterließen die Muslimbrüder in ihrer relativ kurzen Regierungszeit jämmerliche Ergebnisse. Die in sie gesetzten Erwartungen waren teilweise so hoch, dass ihr Fall nur schmerzlich tief ausfallen konnte.

Am 25. Januar, dem dritten Jahrestag des Beginns der Massenproteste, die zum Sturz von Ex-Präsident Hosni Mubarak führten, kam es auf den Plätzen im Zentrum von Kairo zu heftigen Zusammenstößen. Sie forderten 49 Tote. Diesmal besetzten allerdings nicht die Anhänger der Opposition, sondern die der Regierung den Tahrir-Platz. Polizei und Militärs, aber auch an ihrer Seite agierende, bewaffnete Zivilistenmobs gingen gewaltsam gegen die in der Nähe protestierenden Muslimbrüder vor. Die Revolutionäre von 2011, oder jedenfalls ihre progressiven Fraktionen, drohen zwischen den beiden Blöcken zerrieben zu werden - wenngleich sie sich etwa mit der Gründung der "Front des revolutionären Weges" im September 2013 intensiv um die Herausbildung einer dritten Kraft bemühen.

Starke potenzielle Sprengkraft steckt allerdings nach wie vor in der sozialen Frage, wie nicht zuletzt der Streik von 12.000 Textilarbeiterinnen am 9. Februar in der riesigen (staatlichen) Textilfabrik von Mahalla al-Kubra und an einigen anderen Orten im Nildelta zeigt. Sie forderten die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns, nachdem das Regime diesen im September 2013 für die öffentlich Bediensteten von zuvor umgerechnet 80 auf 150 Euro angehoben hatte, um "die Wogen zu glätten" und sich einen vorläufigen sozialen Frieden zu erkaufen.

Damals sorgte auch die Persönlichkeit des amtierenden Arbeitsministers Kamal Abu Aita, der ursprünglich aus der unabhängigen Gewerkschaftsbewegung kommt, die eine wichtige Rolle beim Sturz Mubaraks und seiner Vorbereitung gespielt hat, für die Einbindung von Widerstandspotenzialen. Im Sommer 2013 erreichte er noch Zugeständnisse zugunsten der abhängig Beschäftigten. Anfang dieses Jahres wurde er jedoch mit der Ausarbeitung einer neuen Arbeitsgesetzgebung beschäftigt, die laut Aussagen der prominenten unabhängigen Gewerkschafterin Fatma Ramadan "schlimmer als die alte" ausfällt.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3, 29. Jg., März 2014, S. 17
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. März 2014