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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1784: Interview - Anja Smetanin vom VCD nimmt Stellung zur Pkw-Maut


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 12 - Dezember 2013
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

DAS GESPRÄCH
"Es braucht einen Anreiz, kleine Benziner mit wenig CO2 zu fahren"

Anja Smetanin vom VCD nimmt Stellung zur Pkw-Maut



Kommt sie, kommt sie nicht? Deutschland gehört zu den acht EU-Staaten, in denen es noch keine Pkw-Maut gibt, ähnlich dicht besiedelt sind davon nur die Benelux-Staaten. Horst Seehofers Vorschlag, sie nur für Ausländer zu erheben und Inländer nicht damit zu belasten, ist nicht praktikabel. Es erhebt sich dann die Frage, ob an dieser Schraube dennoch weiter gedreht wird.
Wie steht ein ökologischer Verkehrsclub grundsätzlich zur Pkw-Maut? Welche Vorschläge macht er, um die ökologischen Belastungen durch den Pkw-Verkehr abzubauen und wie kann dies sozialverträglich geschehen?
Die SoZ sprach darüber mit Anja Smetanin, der Pressesprecherin des ökologischen Verkehrsclubs VCD.


SoZ: Im Wahlkampf wurde Horst Seehofers Vorschlag einer Pkw-Maut für ausländische Fahrzeuge noch als EU-widrig abgetan, Brüssel werde einer solchen Diskriminierung nicht zustimmen. Jetzt hat Brüssel gesagt, die Maut ist möglich, muss aber für alle gelten. Wenn Deutschland sie den Haltern deutscher Fahrzeuge erstatten will, ist das sein Bier. Damit ist eine wichtige Hürde für die Einführung einer Pkw-Maut in Deutschland gefallen - wir sind ja eines der wenigen EU-Länder, in denen es sie noch nicht gibt. Was sagt der VCD dazu?

Anja Smetanin: Das muss man präzisieren: Die Europäische Kommission hat gesagt, das geht nur, wenn Ausländer und Inländer zum gleichen Zeitpunkt verpflichtet werden, die Vignette zum gleichen Preis zu kaufen, und dies nicht gleichzeitig mit einer Absenkung der Kfz-Steuer kombiniert wird. Darin liegen aber genau die Probleme. Erstens müssten die Sätze für die Kfz-Steuer nachträglich angepasst werden. Andererseits bleibt die Frage offen, wie mit den Haltern umgegangen wird, die bereits heute ein umweltfreundlicheres Auto fahren und somit wenig Kfz-Steuer zahlen. Für sie kann die Kfz-Steuer gar nicht mehr so stark gesenkt werden, dass die Kosten für die Vignette ausgeglichen würden. Die Bundesregierung müsste in diesen Fällen also Geld zurücküberweisen, das aber ist europarechtlich nicht erlaubt.


SoZ: Die Europäische Kommission spricht von einer Vignette. Ist das die einzige Form einer Pkw-Maut, die bisher in der Diskussion ist?

Anja Smetanin: Die Europäische Kommission spricht von der Vignette, weil die Deutschen die Vignettenform bei der EU-Kommission haben prüfen lassen. Natürlich gibt es auch andere Modelle. Wir vom VCD sagen, dass das Vignettenmodell genau der verkehrte Weg ist. Wenn eine Pkw-Maut kommt, muss sie fahrleistungsbezogen erhoben werden, ähnlich wie bei der Lkw-Maut: Es muss gemessen werden: Wieviel bin ich auf der Straße unterwegs? Danach muss sich richten, wieviel ich zu bezahlen habe. Wer viel fährt, zahlt viel, wer wenig fährt und die Straßen weniger belastet, zahlt weniger!


SoZ: Wäre eine Autobahngebühr für den VCD akzeptabel? Die ist zwar für alle Fahrzeugtypen gleich, aber natürlich insofern fahrleistungsbezogen, als sie nur dann fällig wird, wenn ich die Autobahn auch befahre.

Anja Smetanin: Nein, wäre sie nicht. Denn das erzeugt Ausweichverkehre, es werden dann wieder mehr Landstraßen genutzt. Auf der anderen Seite bleiben Vielfahrer gegenüber Wenigfahrern im Vorteil. Mit der Autobahngebühr können Sie Einnahmen generieren und z. B. die Autobahnen sanieren, aber es bleibt trotzdem sozial ungerecht. Der Vielfahrer im Mercedes, der jeden Tag hin und her fährt, bezahlt genauso viel wie etwa der Rentner, der mit seinem VW-Golf nur 1000 Kilometer im Jahr auf der Autobahn unterwegs ist. Das wäre sozial nicht gerecht.


SoZ: Wenn ich Sie recht verstehe, schlagen Sie vor, nicht nur die gefahrenen Kilometer mit einer Maut zu erfassen, sondern auch PS oder Hubraum.

Anja Smetanin: Haargenau. Wenn ich ein Auto habe, das einen hohen CO2-Ausstoß hat, muss das berücksichtigt und ein anderer Preis dafür gezahlt werden. Und zwar ein höherer.


SoZ: Das wäre genauso gut über die Kfz-Steuer machbar?

Anja Smetanin: Genau. Ja. Das haben wir im übrigen schon ansatzweise. Schon heute ist die Kfz-Steuer so angelegt, dass diejenigen, die wenig CO2 ausstoßen, weniger bezahlen und die, die viel ausstoßen, mehr. Dieses Instrument funktioniert ja, und es jetzt auszuhebeln indem man sagt, wir erstatten die Kfz-Steuer, wäre extrem bedauerlich. Denn es ist ein Instrument, das wirklich eine Lenkungswirkung erzeugt.


SoZ: Was wäre Ihr Modell für eine Pkw-Maut?

Anja Smetanin: Wir sind grundsätzlich gar nicht für eine Maut. Wir haben heute die Kfz-Steuer und die Mineralölsteuer. Beides sind Instrumente, die einen Anreiz erzeugen, ein umweltfreundliches Fahrzeug zu kaufen. Die Mineralölsteuer bewirkt darüber hinaus, dass der, der viel fährt, viel bezahlt. Diese Instrumente gilt es zu nutzen und auszubauen, bevor man daran denkt, eine Pkw-Maut einzuführen.

Wir sagen nur: Wenn überhaupt eine Pkw-Maut eingeführt und die bisherigen Instrumente nicht weiter ausgebaut werden sollen, dann sollte diese fahrleistungsbezogen sein, ähnlich wie bei der Lkw-Maut. Dann müssten in Pkw ähnliche Systeme eingebaut werden - also im Prinzip in jedes Auto ein Sender, der aufschreibt, wieviel Kilometer auf der Autobahn gefahren wurden, das Auto ist registriert und am Ende des Jahres wird abgerechnet. Das wäre fair und es gäbe auch einen Anreiz, nicht zuviel mit dem Auto zu fahren.


SoZ: Es gibt viele Menschen in Deutschland, gerade im ländlichen Raum, die auf das Auto angewiesen sind und nicht die Möglichkeiten haben, auf den öffentlichen Nah- oder Fernverkehr umzusteigen.

Anja Smetanin: Denen könnte man einen Anreiz geben, sich einen kleinen, effizienten Benziner mit nicht allzu viel CO2 Ausstoß anzuschaffen. Sie sparen direkt beim Spritverbrauch und zusätzlich bei der Kfz-Steuer. Aber klar ist auch, alle Verkehrsmittel müssen ineinandergreifen. Dazu gehört auch ein gut funktionierender ÖPNV und/oder Carsharing im ländlichen Raum.


SoZ: Wenn Sie nun aber die Mineralölsteuer anheben wollen...

Anja Smetanin: ...gleicht sich das aus mit der Kfz-Steuer. Nehmen Sie mal einen VW-Golf, einen 1,4 TSI, da bezahlen Sie bei Zulassung heute gerade einmal 28 Euro Steuern.


SoZ: Aufs Jahr gerechnet macht die Anhebung der Mineralölsteuer mehr aus, als was ich durch die Kfz-Steuer einsparen kann.

Anja Smetanin: Ja, Sie sparen aber auch Sprit.


SoZ: Dennoch würde am Ende eine höhere Belastung herauskommen, das würden Sie nicht bestreiten.

Anja Smetanin: Das würde sicherlich so sein, aber dann müssen Sie uns auch als ökologischen Verkehrsclub verstehen: Wir wissen, dass einige Menschen auf das Auto angewiesen sind, aber in unserem Sinne ist es nicht, den Autoverkehr noch mehr zu fördern, sondern wir wollen, dass man darüber nachdenkt, wann ist die Nutzung des Pkw sinnvoll, wann brauche ich das Auto wirklich und wann kann ich auf Alternativen zurückgreifen.


SoZ: Meine Frage bezog sich darauf, ob die Verteuerung des Autofahrens letzten Endes wirklich eine ökologische Steuerungswirkung hat?

Anja Smetanin: Müsste sie haben, denn damit werden nicht so sehr die Kleinen getroffen. Es gibt unheimlich viele Menschen, die mit großen Autos durch die Gegend fahren, die sie überhaupt nicht benötigen, für die soll es einen Anreiz zum Umdenken geben.


SoZ: Das löst nicht das Problem, dass wir eigentlich vom privat genutzten Pkw generell weg müssen.

Anja Smetanin: Wir sollten es weniger nutzen, komplett weg, das wäre eine Illusion. Wir müssen uns auch immer wieder vor Augen halten, dass es im derzeitigen Streit um die Pkw-Maut darum geht, eine weitere Einnahmequelle zu generieren. Alle Modelle, die bislang vorliegen, zeigen aber, dass am Schluss gar nicht viele Einnahmen übrig bleiben.


SoZ: Wäre es im Sinne eines ökologischen Umsteuerns nicht einfacher und vielleicht auch wirkungsvoller, wenn man den Schwerpunkt eher darauf legte, generell den Pkw-Verkehr bedeutend zu vermindern?

Anja Smetanin: Natürlich, etwa durch den Ausbau des Schienenverkehrs mit Ergänzung durch Fernbusse, durch Carsharing usw. Dann würden auch die Straßen weniger belastet, wir bräuchten weniger Geld dafür, diese instand zu setzen - das ist aber ein ganz anderes Thema.


SoZ: Könnte die aktuelle Diskussion über die Pkw-Maut ein Hebel sein, um eine Abkehr vom Pkw-Verkehr zu befördern oder sehen Sie da wenig Möglichkeiten?

Anja Smetanin: Im Moment ist das leider nicht der Fall. Jetzt geht es nur darum, dass die CSU versprochen hat, für Ausländer soll es eine Maut geben, denn wir müssen im Ausland ja auch zahlen. Aus dieser Diskussion lässt sich gar kein Honig saugen, diese andern Impulse, von denen Sie sprechen - Eindämmung des Verkehrs, die Herstellung umweltverträglicher Autos - all das wird momentan überhaupt nicht diskutiert. Es ist allerdings an der Zeit, dass das auch mit einfließt.


SoZ: Gibt es bei Ihnen Vorstellungen, wie die Diskussion anders gewendet werden könnte?

Anja Smetanin: Wie wir anfangs gesagt haben: Wenn wir diese anderen Vorstellungen in die Debatte über die Pkw-Maut mit einfließen lassen wollen, dann müssen wir über eine fahrleistungsbezogene und fahrzeugabhängige Maut diskutieren. Dann kommen wir in die Diskussion, was kann eine Maut wirklich bewirken. Dann muss sich unsere Bundesregierung auch für andere Fragen öffnen, etwa über das Verkehrsaufkommen auf den Straßen reden und in der Debatte um die CO2-Grenzwerte ihre große Nähe zur Autoindustrie aufgeben. Allein über die Pkw-Maut wird das aber nicht zu schaffen sein.


SoZ: Die Pkw-Maut wird bei vielen Menschen in Deutschland auf Ablehnung stoßen.

Anja Smetanin: Momentan steht es 50 zu 50. Die Hälfte sagt: Wenn ich entlastet werde und für die Maut nichts groß bezahlen muss, dann machen wir das. Die Meinungen gehen sehr auseinander, das liegt auch daran, dass die Regierung momentan sagt, ihr bekommt die Maut geschenkt.


SoZ: Wenn die Bundesregierung dann ihre Vorschläge auf den Tisch legt und die Leute anfangen zu rechnen, werden sie sehen, dass die Maut nicht umsonst sein wird. Dann wird das Heulen groß sein und es wird auch Widerstand geben, der kann aber natürlich in verschiedene Richtungen gehen, der muss nicht zwangsläufig ökologisch orientiert sein. Haben Sie Instrumente entwickelt, um in einer solchen Debatte gegenzusteuern?

Anja Smetanin: Das Wichtigste für uns ist, dass wir darüber aufklären: Was steckt hinter der Pkw-Maut, was kann sie bewirken und was nicht? Kampagnen haben wir noch keine entwickelt, weil es derzeit zwar viel und auch emotionale Diskussion über die Pkw-Maut gibt, aber das Paket noch lange nicht geschnürt ist. Erst wenn wir wissen, wie die neue Regierung dazu stehen wird, können wir darüber nachdenken. Im Moment glaubt noch keiner wirklich daran, dass sie überhaupt kommen wird. Dafür gibt es noch viel zu viel Unklarheiten.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 12, 28. Jg., Dezember 2013, S. 5
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Dezember 2013