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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1686: Bobby Marie zum Marikana-Massaker in Südafrika


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 10 - Oktober 2012
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Grobe Fahrlässigkeit auf allen Seiten
Bobby Marie zum Marikana-Massaker in Südafrika



Rolf Euler, selbst ehemaliger Bergmann, sprach in Frankfurt am Main mit Bobby Marie von der südafrikanischen Benchmarks-Stiftung über das Massaker bei der Mine Lonmin (siehe auch SoZ 9/2012).[*]


SOZ: Woher kommen Sie und worin besteht Ihre Tätigkeit?

Bobby Marie: Ich komme aus Johannesburg und arbeite für die Benchmarks-Stiftung, eine von Kirchen gegründete NGO. Deren Arbeit besteht darin, Minen - Gold-, Platin- und Kohleminen - zu überprüfen, sicherzustellen, dass sie ihren Verpflichtungen gegenüber den angrenzenden Städten und Landstrichen nachkommen und auf den Umweltschutz achten. Ich selber arbeite mit jungen Leuten, die in den Dörfern rund um die Minen leben, und lehre sie, auf die Auswirkungen der Minen auf die jeweiligen Ortschaften zu achten und aktiv zu werden, wenn sie der Ansicht sind, dass Grundrechte missachtet werden.

Erst kürzlich haben wir einen Bericht über die Bedingungen im Bergbau und in den umherliegenden Gemeinden veröffentlicht, das war im Juli, viele Medien haben sich darauf gestützt und ihn zitiert [auch die SoZ].

SOZ: Die Ereignisse rund um den Streik der Arbeiter der Mine Lonmin in Marikana haben einen großen Schock in Ihrem Land ausgelöst.

Bobby Marie: In der Tat, denn im Kampf gegen die Apartheid gab es viele so schlimme Massaker und wir dachten, dass nur eine rassistische Apartheidregierung zu so etwas fähig wäre. Die Leute wollen wissen, wie das passieren konnte in einem Land, von dem wir dachten, dass es demokratisch sei und wo die Menschen das Recht haben, ihren Unmut zu äußern.

SOZ: Erklären Sie die Schießereien mit den ökonomischen und sozialen Problemen, die sich im Bereich des Rohstoffabbaus aufgestaut haben?

Bobby Marie: Ich will eine Metapher verwenden: Man kann in einem Wald ein Streichholz anzünden, ohne dass etwas passiert, doch wenn der Wald trocken ist und das Gras ausgedorrt, dann kann ein Streichholz die ganze Gegend entflammen.

Wenn man sich die Situation genauer betrachtet muss man zwei Fragen stellen: Die erste ist: Wer hat das Streichholz entzündet?, die zweite: Warum sind der Wald und das Gras so verdorrt? - die Zustände also so schlecht? Ich arbeite in genau dieser Region seit vier Jahren und habe die schlimmen Bedingungen beobachten können, die zur Explosion der Gewalt geführt haben. Man muss außerdem auch die Aktionen der Polizei, das Versagen der Gewerkschaft und die Aktivitäten der Minengesellschaft in Betracht ziehen.

Zunächst muss man aber erst einmal verstehen, wie Minen in Südafrika funktionieren, um genau bestimmen zu können, wie groß die jeweilige Verantwortlichkeit der Polizei, der Gewerkschaft und der Minengesellschaft war.

SOZ: Seit wann gibt es die Platinminen?

Bobby Marie: Seit Mitte der 60er Jahre, da wurde es entdeckt, aber erst in den 70er und 80er Jahren wurde es bedeutsamer, als die Katalysatoren aufkamen. In Südafrika liegen rund 80% des Weltvorkommens von Platin, und die Preise dafür sind sehr hoch, es ist ein höchst lukratives Geschäft - die Preise schwanken jedoch und daher ist es auch ein schwieriges Geschäft.

SOZ: Hat die Regierungspartei ANC versucht, die Minen zu verstaatlichen oder plant sie das?

Bobby Marie: Nein, der ANC hat entschieden, keine Strategie der Verstaatlichung zu verfolgen. Stattdessen hat er versucht, die Minenbetreiber dazu zu kriegen, dass sie Sozialplänen für die Arbeiter zustimmen, die deren Bedürfnisse und die der umliegenden Gemeinden respektieren. Ein wichtiger Punkt war die Anzahl von Schwarzen in gehobenen Positionen und auch die Anzahl von Schwarzen auf der Seite der Anteilseigner. Da gibt es gewisse vorgeschriebene Quoten, die liegen so bei 12-14%, es hat lange gedauert, bis sie durchgesetzt wurden.

SOZ: Bei den Verhandlungen ging es also mehr um Anteile und Management als um die Beschäftigten?

Bobby Marie: Es ging auch um Zusagen an die Beschäftigten und Verpflichtungen gegenüber den umliegenden Gemeinden. Es hat stets Streit zwischen der Regierung und den Minen gegeben, weil die Regierung diese Dinge nicht sehr gut regelt. Und die Bergwerksgesellschaften haben stets eine gute Erklärung parat. Es hat definitiv viele Verbesserungen in Bezug auf die Arbeitsbedingungen der Minenarbeiter gegeben. Zu Zeiten der Apartheid ging es den schwarzen Minenarbeitern ziemlich schlecht, sie wurden diskriminiert. Ein schwarzer Minenarbeiter konnte nicht in einer höheren Position arbeiten als ein weißer, und er konnte seine Familie nicht in die Nähe ihres Arbeitsplatzes mitbringen.

SOZ: Ist das heutzutage anders?

Bobby Marie: Theoretisch ja, aber praktisch nicht. Denn statt die für den Familiennachzug notwendige Infrastruktur bereitzustellen - Wohnhäuser, Schulen usw., zu Zeiten der Apartheid tat die Regierung dies für weiße Arbeiter, die damals entstandenen Städte gibt es noch - ziehen die Minenbetreiber es vor, den Arbeitern zusätzliches Geld für die Unterkunft zu geben. Das macht in der Regel etwa 10-12% des Einkommens aus. In vielen Fällen führt das dazu, dass die Arbeiter darin ein zusätzliches Einkommen sehen und sich irgendwo eine kleine Schlafecke mieten. Meist sieht das dann so aus, dass die Bewohner der umliegenden Gemeinden in ihren Hinterhöfen Blechhütten errichten, die sie an die Arbeiter vermieten. Wenn sie so beispielsweise fünf kleine Räume schaffen, die sie jeweils für 20 Euro vermieten, macht das 100 Euro im Monat - das ist viel Geld in Südafrika. Meist gibt es in diesen Unterkünften kein Wasser oder keine Wasserklosetts, in diesen Gebieten gibt es oftmals keine ordentlichen sanitären Anlagen, nur Plumpsklos. Wenn zu viele ein solches Klo verwenden, gibt es Schwierigkeiten. Zudem ist die Anwesenheit vieler alleinstehender Männer sozialer Zündstoff und führt zu Alkoholmissbrauch und Prostitution.

SOZ: Woher kommen denn die Arbeiter?

Bobby Marie: Aus anderen Teilen Südafrikas, einige wenige aus Mosambik, etliche aus Lesotho. Vielfach werden die Arbeiter befristet eingestellt, dann bleiben sie am Ort und warten auf ihre nächste Anstellung. Mitunter, vor allem bei Sondierungsbohrungen, kommen die Firmen auch mit ihren eigenen Arbeitern, den sog. Contractors.

SOZ: Zu den Gewerkschaften: Ist die National Union of Mineworkers (NUM) immer noch der Verband für die Facharbeiter?

Bobby Marie: Ein hoher Anteil der Facharbeiter waren Mitglieder der NUM. Diese war Teil der Befreiungsbewegung, sie hatte ein sehr gutes System von Vertrauensleuten. Nach der Befreiung wurde sie jedoch sozusagen Teil des Establishments, führende Funktionäre sitzen jetzt in den Aufsichtsräten der Bergwerksgesellschaften.

Nach dem Ende der Apartheid sollten schwarze Arbeiter in höhere Positionen aufsteigen, und oft waren das die Vertrauensleute der Gewerkschaft. Eine Zeitlang wirkte sich das positiv aus, doch dann war dies eine Möglichkeit für die Minenbetreiber, die NUM zu bremsen. Außerdem wurden mit der Zeit die führenden Funktionäre der NUM sehr reich. Der Generalsekretär der NUM verdient genauso viel wie ein Topmanager der Bergwerksgesellschaft. Im Ergebnis wurden die Anliegen der Minenarbeiter, die ganz unten in der Hierarchie sind, nicht mehr wirklich gehört.

Zudem gab es in den letzten drei Jahren immer wieder Unruhen in Südafrika. Der Grund ist die Unfähigkeit der Regierung: Führende Mitglieder des ANC bekämpfen sich gegenseitig und die Korruption grassiert. Es herrscht eine große Ungleichheit, und in manchen Gegenden beträgt die Arbeitslosigkeit bis zu 40%. Vielfach müssen die Minenarbeiter eine große Familie mitversorgen. Sie sehen, dass es denen da oben richtig gut geht und fordern dies nun auch für sich ein - obwohl es sicherlich in den letzten Jahren Verbesserungen für sie gegeben hat.

SOZ: Wie sehen Sie die Rolle der Polizei bei den Unruhen?

Bobby Marie: Unser Polizeisystem haben wir vom Apartheidsystem geerbt. Da gab es keine radikalen Veränderungen. Man kann nicht einfach die ganze Polizei entlassen und ein neues Polizeisystem aufbauen. So ist das alte System mit dem neuen verschmolzen. Früher hat die Polizei in Südafrika die schwarze Bevölkerung unterdrückt. Die schwarzen Polizeikräfte die es zu Apartheid-Zeiten gab, waren von ihren eigenem sozialen Umfeld entfremdet und nur schlecht ausgebildet. Daher sind die Polizeikräfte auch heute noch sehr schlecht ausgebildet und haben einige sehr schlechte Führungskräfte.

Meiner Meinung nach gab es keine Konspiration, die streikenden Minenarbeiter umzubringen. Wenn die Arbeiter in Südafrika streiken, kämpfen sie bis aufs letzte und riskieren sogar ihren Tod - denn früher haben wir ja das Apartheid-Regime bekämpft. Die Arbeiter gehen da fast rein wie in einen Krieg. Da kommt es stark darauf an, wie die Polizei mit ihnen umgeht, ob sie sie entwaffnen können. Außerdem haben Lonmin und die Vertrauensleute der Gewerkschaft die Kontrolle verloren, wie ich vorhin schon sagte, sie sprachen nicht mehr mit den Arbeitern.

Zwei Polizeikräfte und acht Minenarbeiter kamen ums Leben - weder Lonmin, noch die Gewerkschaft, noch die Regierung reagierten angemessen darauf. Dies bereitete den Boden für das darauffolgende Massaker.

Es gab also grobe Fahrlässigkeit auf allen Seiten: 3000 Arbeiter, deren Lebensumstände ziemlich schlecht sind, eine Gewerkschaft, die ihre Funktion nicht erfüllt, ein Arbeitgeber, der den Kontakt zu den Beschäftigten verloren hat, und eine Polizei, die schlecht ausgebildete Kräfte hat.


(Mittlerweile sind die Arbeiter der Lonmin-Mine wieder an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt. Die Lohnerhöhungen für alle Arbeiter betragen zwischen 11 und 22%.)


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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1683: Südafrika - Schwarze Polizisten schießen auf schwarze Minenarbeiter


KASTEN

SÜDAFRIKA
IndustriALL zum Massaker an südafrikanischen Minenarbeitern

Von Jochen Gester


"IndustriALL verurteilt wilde Morde bei der Lonmin-Mine in Südafrika", so kommentierte der neu gegründete internationale Dachverband der Industriegewerkschaften den blutigen Arbeitskonflikt in der Platinmine in Marikana. In der als Solidaritätserklärung ausgegebenen Stellungnahme werden die Morde an den streikenden Arbeitern bedauert, gleichzeitig aber auch ziemlich abstruse Behauptungen über die Gründe des Ausstands aufgestellt.

IndustriALL übernimmt die Sichtweise der Bergarbeitergewerkschaft NUM, die sich als Opfer einer Verschwörung des Minenbetreibers mit einer angeblich gelben Gewerkschaft sieht. Mit der Realität hat das wenig zu tun. Die angeblich gelbe Gewerkschaft ist die AMCU. Ihre Gründung war das Ergebnis eines Streiks der Bergarbeiter von Douglas, der ältesten Kohlenmine Südafrikas, aus Protest gegen die Entlassung ihres örtlichen Gewerkschaftssekretärs Joseph Mathunjwa, die Mine wurde mehr als zehn Tage besetzt. Mathunjwa wurde wieder eingestellt, musste sich aber einem Disziplinarverfahren der NUM unterwerfen, bei dem ihm niemand ein Verschulden nachweisen konnte.

Der in seiner Belegschaft sehr angesehene Gewerkschafter verließ daraufhin die NUM und setzte sich in der Folge mit Erfolg für eine Verbesserung der sozialen Standards im Unternehmen ein. Auf einer Massenversammlung trat die gesamte Belegschaft aus Unzufriedenheit über die Politik der NUM aus der Gewerkschaft aus und entschloss sich, die AMCU zu gründen, die in der Folgezeit ihre Organisation auch auf andere Minen ausweitete. Bei Lonmin ist sie als Gewerkschaft anerkannt, und beim zweitgrößten Platinförderer Impala repräsentiert sie nach eigenen Angaben die Hälfte der 20.000 Bergarbeiter.

Die AMCU unterstützte die Kämpfe der Kumpel bei Lonmin, die eine eigene Verhandlungsdelegation gewählt hatten, weil sie den Funktionären der NUM nicht mehr vertrauten. Dafür haben sie leider gute Gründe. Die NUM hat nicht offen protestiert, als die Justiz Opfer zu Tätern machen wollte, statt die Mörder in Uniform vor Gericht zu stellen, sondern den Kollegen der Ermordeten die Verantwortung für das Polizeimassaker zugeschoben.

Wie wenig "gelb" die Aktion der Kumpel und ihre Unterstützung durch die AMCU und andere gewerkschaftlichen Neugründungen sind, lässt sich schon an der Reaktion von Lonmin selbst ablesen. Das Management drängt darauf, dass sich die Arbeiter zukünftig wieder durch die Gewerkschaft - hier ist vor allem die NUM gemeint - vertreten lassen. Denn es geht die Angst um, dass andere Belegschaften sich an dem jetzt erzielten Erfolg - es gibt immerhin 22% mehr Lohn - orientieren. "Womöglich haben viele Arbeiter aus dem Fall Marikana den Schluss gezogen, dass mit wilden Streiks mehr rauszuholen ist als mit Hilfe der Gewerkschaften" (SZ).

*

Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 10, 27.Jg., Oktober 2012, S. 18
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Oktober 2012