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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1418: Was man alles über Küchen nicht weiß


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6 - Juni 2010
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Gut gekocht ist halb gegessen
Was man alles über Küchen nicht weiß
Antonia Surmanns Buch über die Geschichte des Küchendesigns im 20. Jahrhundert.

Von Angela Huemer


Wenn ich mir die ideale Küche vorstelle, dann fallen mir sofort zwei Lieblingsküchen ein - die meiner Großeltern und die von Freunden in einem Bauernhaus aus dem 17. Jahrhundert. Sie ähneln einander strukturell, weniger vom Aussehen her, aber beide haben mit Wärme und Wohligkeit zu tun. Die Küche meiner Großeltern ist ein 1960er Modell.

Dank des Buches von Antonia Surmann, Gute Küchen, wenig Arbeit, erkenne ich nun die Charakteristika aus dieser Zeit. Es war eine Wohnküche, für die damalige Zeit sehr fortschrittlich. Auf einer Seite des Raums war der Küchenbereich, in Weiß gehalten und U-förmig angeordnet. Links war die Spüle und darüber gab es eine fest montierte Küchenwaage. Daneben eine lange Zeile, links der Herd, ein Elektroherd, daneben, oben und unten Küchenschränke. Sie waren zwar weiß beschichtet, ich bin aber sicher, dass es eine Holzküche war, denn mein Großvater war Tischler. Rechts setzte sich diese Küchenzeile fort und in einem der unteren Schränke war eine Brotschneidemaschine, die man aufklappen konnte. Als Kind beeindruckte mich die Tatsache, dass diese Maschine manuell mit einer Kurbel zu bedienen war. Ähnlich angetan war ich von dem Glasbehälter mit integrierter Kurbel, mit dem meine Oma das Schlagobers für den Nachmittagskaffee zubereitete.

Gegenüber diesem Küchenbereich gab es eine Eckbank mit Herrgottswinkel, daneben ein Radio und - ganz wichtig und für mich seither der Inbegriff von Wohligkeit - ein Sofa. Mein Großvater schlief hier jeden Tag mindestens eine halbe Stunde nach dem Mittagessen, egal wie laut es war. Und das, obwohl es gleich nebenan ein geräumiges, ruhiges Wohnzimmer mit vermutlich bequemerer Couch gab. Dieses Wohnzimmer war sogar mit der Küche durch ein zwar schon in den 20er Jahren entworfenes, damals jedoch neuartiges Element, eine sog. Durchreiche, verbunden, die man durch ein Schiebeteil öffnen und schließen konnte.

Die Küche in dem sehr alten Bauernhaus ist der meiner Großeltern nicht unähnlich, auch hier gibt es eine Eckbank und einen Herrgottswinkel, der große Unterschied ist aber, dass sich der sog. Sparherd erhalten hat. Ein Sparherd ist laut Lexikon ein Kochherd, bei dem das zum Kochen der Speisen dienende Feuer in einem besonderen, geschlossenen Feuerraum mit Rost und Aschenfall brennt. Sparherde gibt es übrigens immer noch, bzw. wieder, zu kaufen, "für gesundes kochen und backen", so die Werbung für ein heutiges 3000-Euro-Modell.

Im Bauernhaus dient der Herd auch zum Heizen: Durch ein sog. Wärmeloch, eine kleine Öffnung in der Decke, wird von der Küche aus auch der darüber liegende Schlafraum beheizt - und von den Kindern mit großer Begeisterung zu allen möglichen Spielen benutzt.


20. Küchenjahrhundert

Herrgottswinkel, Sparherde und Wärmelöcher kommen in Antonia Surmanns Buch Gute Küchen, wenig Arbeit nicht mehr vor, sie beschäftigt sich mit den deutschen Küchen des 20. Jahrhunderts. Ganz akribisch beginnt sie mit den Anfängen der "Rationalisierung" der Küchen, die ihre Ursprünge in den USA hat.

Doch da die Küche so etwas wie das Herz des Wohnungsorganismus ist, geht es bei der Geschichte der modernen Küche nicht nur um die Küche selbst, sondern um soziale und politische Entwicklungen.

Während Volksküche und Gartenstadt im heutigen Bewusstsein noch einigermaßen präsent sind, ist z.B. die Einküchenhausbewegung relativ vergessen, vermutlich auch deswegen, weil sie sich nie wirklich durchgesetzt hat. Ziel war, neuartige Wohnhäuser zu bauen, in denen es nur eine einzige, voll ausgestattete große Küche gab, von der aus die einzelnen Einheiten entweder per Speiseaufzug direkt beliefert wurden, oder es einen Speisesaal gab. Ein interessantes Konzept, das vermutlich aber alle, die WG-Erfahrung mitbringen, mit Skepsis betrachten.


Die Küche als "Laboratorium"

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstand die sog. Arbeitsküche. Die Hausarbeit, die in der Küche stattfindet, wurde genauestens untersucht - die täglichen Arbeitsabläufe, die Wegstrecken die eine typische Hausfrau zurücklegt. Auf dieser Basis wurden Standardküchen entworfen, wie die lange wegweisende sog. Frankfurter Küche.

Man errechnete, wie hoch die Arbeitsfläche sein soll, wie Herd und Spüle angeordnet werden sollen, um effiziente Arbeit zu ermöglichen, und wie man am besten Lebensmittel und Kochutensilien aufbewahrt. Das Schüttensystem entstand - kleine Schubladen, in denen Zucker, Mehl, Grieß usw. untergebracht sind. So musste man nicht jedesmal beim Kochen die Lebensmittel umständlich den jeweiligen Packungen entnehmen.

Das Faszinierende an Antonia Surmanns Buch ist, dass man realisiert, dass auch so alltägliche Dinge wie Spülen und Küchenschränke, über die man normalerweise keinen Gedanken verschwendet, sehr komplex und durchdacht sind und auf weitreichende soziale Entwicklungen zurückgehen. Antonia Surmann bietet eine große Materialfülle, vor allem Abbildungen, die es erlauben, auch die kleinsten Aspekte einer Küche zurückzuverfolgen. Ein Beispiel: Warum gibt es in nahezu jeder italienischen Küche Abtropfschränke über der Spüle, in denen das täglich verwendete Geschirr aufbewahrt wird? In Deutschland, so Surmann, hat sich das wohl aus hygienischen Gründen nicht durchgesetzt. Ebenso gibt es in amerikanischen Küchen einen in die Spüle integrierten Abfallzerkleinerer, darin landen Küchenabfälle und all das, woraus später Kompost wird; das erleichtert die Arbeit ungemein. Auch das findet sich kaum in deutschen Küchen.


Standards und Avantgarde

Ein Grund, warum lange Zeit die Küche als separater Raum, als eine Art Laboratorium geplant wurde, war einerseits der, den Arbeitsplatz von Hausfrauen aufzuwerten - im Amerikanischen hat der Begriff homemaker schon lange das Wort housewife ersetzt. Er galt nun ähnlich wie die Werkstatt eines Handwerkers; andererseits gab es auch hygienische Gründe dafür. Das ist noch sehr gut zu sehen an den Wohnbauten aus der Nachkriegszeit, dort gibt es fast durchwegs standardgroße Küchen, so um die 6 bis 8 Quadratmeter groß. Erst nach und nach wurde der Arbeitsraum der Hausfrau in den Wohnraum integriert, schon in den 20er Jahren gab es Küchenentwürfe mit Durchreichen, kleinen Fenster zum Wohnzimmer hin.

Besonders interessant ist Antonia Surmanns ausführliche Schilderung vergangener Küchenvisionen - ausführlich geht sie dabei auf die Ausstellungsreihe "Visiona" der Bayer AG ein. Das meiste dieser Visionen blieb Zukunftsmusik. Küchen- und Wohnmodule, unter Verwendung vielfältigster Chemiefasern und Kunststoffe, entsprachen sehr häufig nicht den eigentlichen Wohnbedürfnissen. Eine solche Vorgabe, die glücklicherweise im Anfangsstadium steckenblieb, war die sog. Raumkapselküche. Inspiriert, wie der Name sagt, von der Weltraumfahrt, dienten diese Küchen weniger dem Kochen, als dem Wärmen und Zubereiten von Fertiggerichten. Hingegen sind die vielen Varianten von Kleinst- bzw. mobilen Küchen auch heute noch äußerst faszinierend und entsprechen wohl als Zusatz(garten)küche oder flexibles Küchenmodul, das nicht umständlich ein- oder ausgebaut werden muss, dem heutigen, mobilen Zeitgeist.

Egal ob man eine Eckbank mit Herrgottswinkel, eine Küchennische, oder eine standardisierte Ikea-Küchenzeile bevorzugt, es lohnt sich, Antonia Surmanns Küchengeschichte genau zu lesen. Denn sie birgt eine Fülle von Anregungen, die das eigenen Küchenverhalten und -design mit Sicherheit nachhaltig verbessern.


Antonia Surmann, Gute Küchen, wenig Arbeit,
Berlin: WVB, 2010, 80 Euro


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6, 25. Jg., Juni 2010, Seite 21
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juni 2010