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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1306: Revolutionäre Musik in Afrika


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 7/8 - Juli/August 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Revolutionäre Musik in Afrika
Überbringerin von Botschaften

Von Lothar A. Heinrich


Der Titel ist aus journalistischen Gründen gewählt und eigentlich irreführend. Zum einen gibt es überhaupt keine im politischen Sinn revolutionäre Musik - weder in Afrika noch sonstwo. Soweit die Formenwelt der Musik gemeint ist, kann "revolutionär" nur den Bruch mit tradierter Ästhetik bedeuten, und das kann, wie bspw. die sehr unterschiedlichen Positionen der Vertreter des Futurismus im zweiten und dritten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts deutlich gemacht haben, für gegensätzliche politische Ziele genutzt werden, oder besser: mit solchen verbunden werden. "Revolutionär" sind höchstens die Texte zur Musik. Dass etwa Leo Trotzki umfassend zur Literatur schrieb, aber die Musik ignorierte, hat genau damit zu tun.

Das alles ist in Afrika nicht anders, aber hier - gemeint ist insbesondere "Schwarzafrika" - sind Musik und der mit ihr verbundene Tanz, ebenso wie die Bildhauerei/Holzschnitzerei, überall verbreitete, tradierte Kunstarten. Die Musik stand in den fast ausnahmslos illiteraten Gesellschaften im Zentrum; darüber wurden auch konkrete Inhalte transportiert.

In religiösen Kulten wie dem Voodoo in Dahomey (heute Benin) werden durch das Schlagen bestimmter Trommeln und Rhythmen gewisse Götter an- und in die Mitglieder des Kults hineingerufen. Andernorts werden Botschaften durch Trommeln über größere Entfernungen hinweg überbracht. Und vor allem in staatlich organisierten Gesellschaften werden dynastische Epen und andere Arten letztlich politischer Botschaften von spezialisierten "Barden" (im Kulturbereich der Mande in Westafrika unter dem Namen "griots" bekannt) meist mit konservativer Zielsetzung zur Musik, z.B. der Kora, vorgetragen.

Angesichts des bis heute grassierenden Analphabetismus ist es offensichtlich, dass hier die über Musik transportierte kognitive Botschaft eine wesentlich größere soziale Bedeutung hat als etwa im heutigen Europa, und dass angesichts der unvergleichlich katastrophaleren gesellschaftlichen und politischen Zustände Künstler mit einer sozialen und politischen Botschaft eine wesentlich größere Popularität genießen können.

Natürlich wollen auch in Afrika die Menschen in erster Linie keine politischen Botschaften hören, sondern von der Musik unterhalten werden, dazu tanzen und emotional von ihr angesprochen werden. Dennoch kann hier Musik, oder besser: können hier Lieder und deren Interpreten, die sich (auch) offen gegen soziale und politische Missstände wenden, viel leichter aus einem subkulturellen Ghetto ausbrechen als in Europa.


Postkoloniale Musik

In den beiden Jahrzehnten nach der Unabhängigkeit der meisten afrikanischen Staaten haben insbesondere antiimperialistische populistische Regime Sänger genutzt, um den antikolonialen Kampf der Vergangenheit und den von ihnen zumindest verbal vertretenen Panafrikanismus der Gegenwart zu glorifizieren und zu propagieren.

So genoss etwa in Guinea der aus einer Griot-Familie stammende Kouaté Sory Kandia die Förderung von Staatspräsident Sékou Touré, dessen Partei PDG er, sich mit der Kora begleitend, ebenso besang wie die antikolonialen Taten von El Hadj Omar, einer der Vorfahren Sékou Tourés.

Nachdem die großen "Väter der Nation" gestürzt wurden und eher einen schalen Beigeschmack hinterlassen haben, ist es mit der regimebejahenden Musik weitgehend vorbei - ebenso wie mit dem "Antiimperialismus" der afrikanischen Führer. Seitdem ist eine wachsende Zahl afrikanischer Musiker eher ins oppositionelle Lager abgewandert und musste sich damit abfinden, ein gefährliches Leben zu führen.


Fela Kuti

Der wohl bekannteste "revolutionäre" Musiker Afrikas ist der verstorbene Fela "Anikulapo" Kuti. Fela führte zunächst in Nigeria eine High-Life-Band. Nach einer Konzerttournée in den USA, musikalisch beeinflusst von Soul und Funk und ideologisch von den Black Panthers, wurde er in den 70er Jahren unter dem Militärregime zu einem oppositionellen Volkshelden und (zusammen mit dem Drummer Tony Allen) Schöpfer eines neuen Stils, des "Afro Beat".

In seinen auf Pidgin English, der plebejischen Lingua Franca Nigerias und anderer ehemaliger britischer Kolonien Westafrikas, gesungenen Songs griff er ganz offen die Militärmachthaber, aber auch die hinter diesen stehenden multinationalen Konzerne an - so in dem 1980 veröffentlichten Stück "ITT 2". Sein "unabhängiges Kulturzentrum", wo er mit einer Anzahl Frauen, Kindern, den Musikern seiner Bigband und weiteren Anhängern residierte, wurde schließlich vom Militär auf brutalste Weise geschleift. Er selbst starb später an Aids. Seit 2008 hat seine Musik auch außerhalb Afrikas wachsendes Interesse gefunden.


Oumou Sangaré

Die malische Sängerin Oumou Sangaré, die 1989 mit ihrem ersten Album Mousoulou (Frauen) gegen Polygamie und Mädchenbeschneidung ansang und damals eine Vielzahl gefährlicher Drohungen von reaktionären Kräften erhielt, wurde, da sie sich ansonsten politischer Angriffe auf die Machthaber enthielt, 2003 zur Botschafterin der UN-Welternährungsorganisation (FAO) ernannt. Im Zusammenhang mit ihrem Anfang des Jahres erschienenen neuen Album Seya (Lebensfreude) erklärte sie: "Die Botschaft wird immer in meiner Musik an erster Stelle stehen."


Musik mit Botschaft

Die Botschaft nimmt naturgemäß auch bei vielen Musikern der jüngeren Generation, die sich afrikanischen Formen des HipHop verschrieben haben, eine wichtige Stelle ein. So heißt es bspw. im Song Nyel'aka (Help!) des Duos Coal City's Finest aus Enugu und Südostnigeria:

Who's responsible for bomb blasts, the masses react
Against the leadership, with false promises of scholarships
Better road networks, clinics in rural areas
No power policies just paper work and mad embezzlement of oil proceeds
Let's proceed in judging these thieves...

("Wer ist verantwortlich für die Bomben, die Massen reagieren gegen die Obrigkeit mit ihren falschen Versprechungen von Stipendien, besseren Straßen, Kliniken in ländlichen Gebieten. Keine Machtpolitik, nur Bürokratie und abgedrehte Unterschlagung der Ölprofite. Lasst uns über diese Diebe zu Gericht sitzen...")


Afrikanischer Reggae

In einer ebenso sozialen und sich selbst teilweise als revolutionär verstehenden Tradition stehen viele afrikanische Reggae-Künstler. In der Elfenbeinküste, obwohl eine ehemalige französische Kolonie, ist Reggae seit Alpha Blondy - seit den 80er Jahren die lokale Ausgabe von Bob Marley - extrem populär.

Ein neuerer Vertreter des Genres, der Sänger Kajun, wies darauf hin: "Aber hier spielte man, als die Armee die Macht übernahm, [im Radio] Reggae, weil in unserem Land der Reggae als die Musik des Wandels bekannt ist, die Musik des Kampfes." Während des inzwischen eingestellten Bürgerkriegs fand allerdings auch eine Art Musikerkrieg statt zwischen Reggae-Musikern, die Staatspräsident Gbagbo unterstützten, und solchen, die es mit seinen Gegnern im Norden hielten.

Der zusammen mit Alpha Blondy wohl bekannteste afrikanische Reggae-Künstler war Südafrikas Lucky Dube. Während Südafrikas bekannteste Sängerin Miriam Makeba ihren politischen Kampf gegen die Apartheid, d.h. die rassistische Unterdrückung der schwarzen Mehrheit des Landes, führte, widmete sich der erst 1964 geborene Lucky Dube nach dem Ende des Apartheidregimes vor allem den weiter bestehenden und sich zum Teil verschärfenden sozialen Problemen der neuen Gesellschaft mit Titeln wie "Crime & Corruption", "Slave" oder "Prisoner". Er selbst wurde am 19.10.2007 Opfer von Straßenräubern - eines der zunehmenden Probleme im Nachapartheidstaat.

Der neben Fela möglicherweise bekannteste afrikanische Sänger, der unmittelbar Opfer staatlicher Willkür wurde, ist aber Lapiru de Mbanga, der im "Makossa"-Stil singt, der mit der in Afrika überall verbreiteten kongolesischen Tanzmusik verwandt ist. Er wurde im September 2008 in Kamerun zu drei Jahren Haft verurteilt. Angeblich hatte er an Demonstrationen gegen Präsident Paul Biya teilgenommen - er selbst leugnet das -, als sich dieser nach einer 25-jährigen, von Korruption und Krise geprägten Herrschaft, durch eine Verfassungsänderung eine weitere Amts- und Pfründezeit verschaffen wollte.

Lapiru de Mbanga steht an der Spitze der im ganzen Land bekannten Künstler, die sich als "Krieger gegen die Korruption" betätigen. Nach den viertägigen gewaltsamen Demonstrationen im Februar hat das Schicksal einer ganzen Reihe von Journalisten nun auch die bis dahin durch ihre Popularität geschützten Sänger ereilt.

Die Tatsache, dass Sänger mit derartigen Botschaften, deren Auftreten und Musik ansonsten nichts Subkulturelles an sich haben, wie das oft im Westen für "revolutionäre" Künstler typisch ist, derart zu Publikumslieblingen geworden sind - hier vielleicht vergleichbar mit Grönemeyer, Heino oder Udo Jürgens -, zeigt die Isolation der herrschenden Klasse, die sich immer mehr auf die bewährte Kombination aus Repression und dem Fehlen einer politisch organisierten Alternative stützt.

Das Fehlen der politischen Alternative allerdings schlägt sich auch in den Liedern der genannten und vieler weiterer ähnlicher Künstler nieder. Ihr Horizont mischt in unterschiedlichen Varianten bürgerlichen Demokratismus, afrikanischen Nationalismus und Antiimperialismus.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 7/8, 24.Jg., Juli/Aug. 2009, Seite 25
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juli 2009