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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1251: Weltsozialforum in Belém


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3 - März 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Weltsozialforum in Belém
Geballte Ladung Kapitalismuskritik

Von Thadeus Pato


Fast 100.000 eingeschriebene Teilnehmer, eine beeindruckende, laute, fröhliche, fantasievolle Auftaktdemonstration und eine Woche mit fast 2000 Workshops und Veranstaltungen - das Weltsozialforum, das dieses Jahr im Nordosten Brasiliens in der Millionenstadt Belém stattfand, war wieder einmal ein großer Markt der Möglichkeiten.


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Hinter den Kulissen wurde allerdings wie immer geschoben und gezogen. Die brasilianische Regierung bzw. die Regionalregierung des Bundesstaates Pará hatten angeblich 50 Millionen Euro für das Forum ausgegeben und übten im Gegenzug Druck aus, damit die Abschlusserklärungen nicht zu radikal ausfielen.

Doch dann geschah etwas, das weder die Organisatoren noch die zahlreich vertretenen linksradikalen Organisationen vorausgesagt hätten: Das Forum entwickelte sich stellenweise zu einem Tribunal über zwanzig Jahre neoliberaler Wirtschaftspolitik und stellte das Gesellschaftssystem an den Pranger, das für die derzeitige tiefe ökologische wie ökonomische Krise verantwortlich ist. Die Krise stand im Zentrum der Debatten - das zeigte die Abschlussveranstaltung deutlich.

Geprägt wurde das Forum in erster Linie durch die brasilianischen Teilnehmer, an erster Stelle die Umwelt- und Indigenenorganisationen aus Amazonien. Aus dem Bundesstaat Pará, dessen Hauptstadt Belém ist, kamen etwa 55.000 Teilnehmer, aus dem restlichen Brasilien etwa 30.000, die restlichen etwa 10.000 kamen aus Lateinamerika, Nordamerika, Europa und Asien.

Die abschließende "asamblea de las asambleas" - Versammlung der Versammlungen - fand am Sonntagnachmittag im unvermeidlichen täglichen Regen Nordostbrasiliens statt, das am Äquator liegt. Sie war zwar nur noch sehr mager besucht, aber sie hatte es in sich: Nacheinander traten die Vertreter der einzelnen themenbezogenen Versammlungen des Vormittags vor und stellten ihre Erklärungen vor. Darin spielte der Neoliberalismus - der Sack, auf den in den letzten Jahren kräftig eingedroschen worden war - keine wesentliche Rolle mehr. Diesmal traf es den Esel selbst, und der wurde klar und deutlich beim Namen genannt: In fast allen der über zehn Abschlusserklärungen wurde die Krise als Systemkrise des Kapitalismus ausgemacht, entsprechend radikal waren die Schlussfolgerungen.

Am weitesten ging die Versammlung der sozialen Bewegungen. Unter dem Titel: "Wir zahlen nicht für die Krise - die Reichen sollen zahlen" kam sie zum Schluss, dass eine Lösung auf der Basis des herrschenden Systems nicht möglich ist, und forderte: "Für eine Front gegen die Krise sind antikapitalistische, antirassistische, antiimperialistische, feministische, ökologische und sozialistische Alternativen notwendig." Sogar der Sprecher der brasilianischen Landlosenbewegung MST, Joao Pedro Stédile, befürwortete die Erklärung, obwohl die MST sonst aufgrund ihrer Beziehungen zur Regierung Lula eher im Bremserhäuschen sitzt.

Und die Versammlung der Frauen formulierte: "Wir werden alle, auf der ganzen Welt, am 8. März und in der globalen Aktionswoche, Front gegen das patriarchalische und kapitalistische System machen, das uns unterdrückt und ausbeutet."

Die Abschlussversammlung rief zu einer internationalen Aktionswoche vom 28. März bis zum 4. April auf. Dann sollen weltweit Proteste und Aktionen gegen die Abwälzung der Krisenfolgen auf die Bevölkerung stattfinden.

Relativ neu war, dass es für Parteien problemlos möglich war, im Rahmen des Forums Räume zu bekommen und Veranstaltungen durchzuführen. So trat die Sprecherin der PSoL (Partei für Sozialismus und Freiheit), Heloïsa Helena - Ex-Senatorin der Regierungspartei PT und schärfste Kritikerin der Regierung Lula - vor über tausend Menschen auf dem Gelände des Forums auf; auch andere politische Gruppierungen nutzten das Forum als Tribüne.

Zwei neue Netzwerke wurden gebildet:

• Ein internationales Netzwerk antikapitalistischer Parteien, das von Vertretern radikaler Parteien und Gruppen aus fast zwanzig Ländern aus der Taufe gehoben wurde. Die Initiative dazu hatten die brasilianische PSoL und die französische LCR gemeinsam ergriffen (letztere löste sich kurz nach dem Forum in die neugegründete antikapitalistische Partei NPA auf). Zwar hatte es auch bei früheren Sozialforen derartige Treffen gegeben, aber diesmal wurde eine kontinuierliche Zusammenarbeit und ein Informationsnetzwerk beschlossen. Auf dem Treffen anwesend waren Vertreter von Organisationen und Parteien aus Argentinien, Belgien, Brasilien, Dänemark, Deutschland, Ecuador, Frankreich, Griechenland, Katalonien, Norwegen, Österreich, Pakistan, den Philippinen, Portugal, Spanien, Südkorea, Uruguay, USA, Venezuela.

• Ein ökosozialistisches Netzwerk, das zuvor als lockerer Zusammenhang bestanden hatte. Es traf sich im Anschluss an das Forum einen vollen Tag lang. Auch dieses Treffen war sehr erfolgreich, nicht nur, weil mit fast hundert Teilnehmenden die Erwartungen weit übertroffen wurden, sondern auch, weil mehrere Vertreter von indigenen Gruppen aus Peru dazu gekommen waren, darunter auch der unermüdliche Aktivist Hugo Blanco. Auch dieses Netzwerk tat einen Schritt vorwärts, es wählte ein Koordinationskomitee von 15 Personen und verabschiedete das "Internationale Manifest - die Erklärung von Belém", die inhaltliche Basis des Zusammenschlusses. Es war in hoher Stückzahl auf dem Forum verteilt worden und wurde in den Grundzügen allgemein begrüßt. In der nächsten Zeit wird das Koordinationskomitee eine etwas umfangreichere Erklärung erarbeiten, auf deren Basis das Netzwerk erweitert werden soll; dazu eine Kurzfassung für die Öffentlichkeitsarbeit.

Auf dem Forum gab es ein Ereignis, das die besondere Aufmerksamkeit der Teilnehmenden wie der Presse auf sich zog. Auf Einladung der MST kamen die Staatspräsidenten von Bolivien, Ecuador, Paraguay und Venezuela (Evo Morales, Rafael Correa, Fernando Lugo und Hugo Chávez) nach Belém und traten gemeinsam auf einer Großveranstaltung auf. Über die Verteilung der Eintrittskarten bestimmte die MST, die natürlich in erster Linie die eigenen Mitglieder bediente.

Die Veranstaltung selbst war nicht besonders erhellend, aber drei Dinge waren doch bemerkenswert:

zum einen, dass Brasiliens Präsident Lula nicht eingeladen worden war (der machte dann aus Trotz eine Konkurrenzveranstaltung);

zum zweiten, dass Fernando Lugo in seiner Rede auf den Vertrag über das Wasserkraftwerk von Itaipu einging, der noch unter der Militärdiktatur mit Brasilien geschlossen worden war und der für Paraguay, vorsichtig gesagt, ziemlich unvorteilhaft ist; er kündigte an, er werde auf keinen Fall mit dem alten Vertrag wieder nach Hause fahren;

zum dritten, dass die ecuadorianische Dachorganisation der Indígenas, CONAIE, einen geharnischten Protestbrief gegen die Anwesenheit Correas auf dem WSF losließ, weil dieser die Polizei auf sie gehetzt hatte, um ein Minenprojekt durchzusetzen, was mit dreißig Verhaftungen und mehreren Verletzten endete.

Es gab aber auch noch andere Prominente, die das WSF besuchten: Die französische Ex-Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal saß eines Tages ganz allein in einem Café am Hafen. Als sie von einem französischen Aktivisten der LCR, mit dem ich unterwegs war und der sie erkannte, angesprochen wurde, zeigte sie sich empört, dass Lula zur Veranstaltung der Präsidenten nicht eingeladen worden war. Das fand sie schlicht unhöflich...


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3, 24. Jg., März 2009, Seite 18
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. März 2009